Drucksache 18 / 18 739 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Benedikt Lux und June Tomiak (GRÜNE) vom 25. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Mai 2019) zum Thema: Rechtsextremes Netzwerk bei der Berliner Polizei? und Antwort vom 15. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Mai 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 4 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete June Tomiak und Herrn Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18739 vom 25. April 2019 über Rechtsextremes Netzwerk bei der Berliner Polizei? ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viel Strafverfahren wegen Taten mit welchem extremistischen Bezug gab es gegen Polizeibeamt*innen des Landes Berlin seit 2011? Was war der Anlass? Wie sind diese ausgegangen? Zu 1.: Weder bei der Staatsanwaltschaft Berlin noch bei der Polizei Berlin werden gesonderte Statistiken im Sinne der Fragestellung geführt. Mit Hilfe der dort zur Verfügung stehenden Mittel der automatisierten Datenverarbeitung ist die Frage nicht valide zu beantworten. 2. Wie viele Disziplinarverfahren mit welchem extremistischen Bezug gab es? Wie sind diese ausgegangen? Zu 2.: In der Disziplinarstatistik der Polizei Berlin wird ein Extremismus-Verdacht nicht gesondert erfasst. Die Disziplinarstatistik erfasst Dienstvergehen und diesen zugrunde liegende Straftaten. Eine mögliche hinter einem Dienstvergehen stehende politische, extremistische, rassistische oder sonstige Gesinnung wird, wenn diese festgestellt wird, bei der Bewertung des Dienstvergehens in jedem Einzelfall berücksichtigt. Mangels entsprechender Erfassung können auch die in einzelnen Fällen verhängten Disziplinarmaßnahmen nicht gesondert benannt werden. 3. Was tut der Senat, damit extremistische Tendenzen innerhalb der Berliner Polizei keinen Raum haben? Was unternimmt der Senat ferner, um eine Unterwanderung der Berliner Sicherheitsbehörden zu verhindern? Wie wird der Erfolg dieser Maßnahmen bewertet? Zu 3.: Die Vorbeugung extremistischer Tendenzen innerhalb der Polizei Berlin erfolgt unter anderem in der Befassung mit der Thematik Rassismus und dem damit unmittelbar verknüpften Thema Vielfalt. Die Themenstellungen und Aufgaben sind der Polizei Berlin wichtig und werden sehr ernst genommen. Aus diesem Grunde hat die Polizei Berlin die Charta der Vielfalt unterzeichnet, ist engagiert im Berliner Ratschlag für Demokratie und verfügt über hauptamtliche Seite 2 von 4 Ansprechpersonen für interkulturelle Aufgaben im Landeskriminalamt (LKA) sowie in jeder örtlichen Direktion. Darüber hinaus wurde eigens ein Diversity Büro eingerichtet. Die Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz bleibt ein wesentlicher Bestandteil der interkulturellen Öffnung der Polizei Berlin. Die Polizei Berlin legt in der Aus- und Fortbildung besonderen Wert auf Maßnahmen, die der Bildung von Vorurteilen und Fehlentwicklungen vorbeugen und die interkulturelle Kompetenz stärken. Die Führungsverantwortung sowie Vorbildfunktion bezüglich der Themen Rassismus, Selbstreflexion und Extremismus haben in der Fortbildung einen besonderen Stellenwert. Unter dem Motto: „Diversity – Vielfalt aktiv gestalten“ werden für Führungskräfte Seminare des Diversity Büros der Polizei Berlin angeboten. In den Jahren 2016/2017 wurde das Projekt „Polizei und Vielfalt“ von dem Mobilen Beratungsteam Berlin für Demokratieentwicklung sowie Mitarbeitenden der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI) unterstützt und innerhalb verschiedener Polizeidienststellen durchgeführt. Es zielte darauf ab, das professionelle Handeln im alltäglichen Umgang mit gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt und Verschiedenheit zu fördern. Aus den Projektergebnissen wurde eine Veröffentlichung erarbeitet, welche sowohl polizeiintern als auch für die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Das Projekt „Polizei und Vielfalt“ fand in Kooperation mit dem Diversity Büro der Polizei Berlin statt und wurde durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (SenJustVA) gefördert. Besonders in den Seminaren der politischen Bildung und des Verhaltenstrainings im Rahmen der Aus- und Fortbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes achten die Lehrkräfte sehr sensibel auf Äußerungen, die in diesen Themenbereich fallen könnten und greifen sie gegebenenfalls im Unterricht proaktiv auf. Im Bereich der Fortbildung werden zudem mehrmals im Kalenderjahr Zwei- Tagesseminare zum Thema Rechtsextremismus angeboten. Im Studium zum gehobenen Polizeivollzugsdienst an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin wird generell und präventiv möglichen extremistischen Tendenzen entgegengewirkt. Regelmäßig werden Seminare zum genannten Themenkomplex als Vertiefungsmodul angeboten. Um einer Gefahr der Unterwanderung der Polizei Berlin im Rahmen von Neueinstellungen entgegen zu wirken, erfolgt vor einer Einstellung in die Polizei Berlin unabhängig von der gewählten Laufbahn grundsätzlich eine Prüfung der persönlichen (charakterlichen) Eignung. Ein Bestandteil dabei ist die sogenannte Leumundsprüfung. Hierfür werden die verfügbaren Informationen aus einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister (BZR), Erkenntnisse des Polizeilichen Staatsschutzes im LKA Berlin sowie ggf. Erkenntnisse der Polizei des Bundeslandes, in dem der Wohnort liegt, herangezogen. Darüber hinaus werden Personalakten öffentlicher Arbeitgeber eigesehen; eine Selbstauskunft über finanzielle Verhältnisse fließt ebenfalls in die Bewertung ein. Sofern Erkenntnisse über strafrechtliche Ermittlungsverfahren vorliegen, werden die Ermittlungsvorgänge angefordert und ausgewertet. Die Prüfung der persönlichen (charakterlichen) Eignung der sich Bewerbenden wird nach pflichtmäßigem Ermessen, unter Beachtung rechtstaatlicher Grundsätze und der von der Verwaltungsgerichtsbarkeit gezogenen Grenzen der Ermessensausübung vorgenommen. Ein persönliches Gespräch mit allen sich Bewerbenden wird, ebenfalls unabhängig von der Laufbahn, geführt, um einen unmittelbaren Eindruck von der Person durch berufserfahrene Dienstkräfte zu gewinnen. Seite 3 von 4 Ein Teil des Testverfahrens für die Einstellung zur Ausbildung im Polizeivollzugsdienst ist der Persönlichkeitsstrukturtest. Mit diesem werden unter anderem Merkmale wie Motivation und Sozialkompetenzen abgeprüft. Personen, welche sich auf Stellenausschreibungen bei Berliner Behörden beworben haben, als geeignet ausgewählt wurden und mit Verschlusssachen arbeiten sollen, werden einer Sicherheitsüberprüfung nach dem Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) unterzogen. Durch die Überprüfungsmaßnahmen soll die Zuverlässigkeit im Umgang mit Verschlusssachen gewährleistet werden. Mit den gesetzlich zur Verfügung stehenden Mitteln sollen auch solche Personen ausgeschlossen werden, die verfassungsfeindliches Gedankengut befürworten oder in verfassungsfeindlichen Kreisen verkehren. Hinsichtlich der Bewertung des Erfolgs dieser Maßnahmen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Welchen Sachstand haben das Straf- und das Disziplinarverfahren gegen mindestens einen Polizeibeamten, der persönliche Daten wie Adressen von Personen mit vermeintlich linkem Bezug weitergegeben haben soll, sodass sog. Drohbriefe verschickt wurden? Wie viele Angehörige der Polizei waren der Tat verdächtig? Zu 4.: Im Rahmen eines Strafverfahrens wurde gegen einen tatverdächtigen Polizeibeamten ermittelt, der zwischenzeitlich rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Anhaltspunkte für die Tatbeteiligung weiterer Personen, insbesondere Polizeibeamter, liegen nicht vor. Die disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen den Beamten sind noch nicht abgeschlossen. 5. Welchen Sachstand haben die Straf- und Disziplinarverfahren gegen einen oder mehrere Beamt*innen aufgrund des Versendens eines „88“-Grußes in einer Chat-Gruppe? Zu 5.: Der in Bezug genommene Vorgang wurde im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens bekannt. Ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde im Rahmen dessen nicht eingeleitet, weil kein Anfangsverdacht wegen des Vorliegens einer Straftat bestand. Die Verwendung des „88“-Grußes erfüllt insbesondere nicht den Tatbestand der §§ 86, 86a StGB (vgl. Fischer, StGB, 66. Auflage, § 86a Rn.12a). Mit Schreiben vom 23. Juni 2017 wurde der Vorgang dem Disziplinarbereich des Polizeipräsidenten in Berlin zur Kenntnis gebracht. Das gegen den Beamten geführte Disziplinarverfahren wurde mit einem Verweis rechtskräftig beendet. Die disziplinaren Ermittlungen gegen den Empfänger der Nachricht sind noch nicht abgeschlossen. 6. Welchen Sachstand haben die Verfahren und ggf. eine behördliche Nachbearbeitung des Brandanschlags zum Nachteil des Neuköllner Bezirksverordneten der Linkspartei Ferat K.? Trifft es zu, dass der Geschädigte nicht gewarnt wurde, obwohl Erkenntnisse über unmittelbare Gefahren für Leib und Leben des später Geschädigten vorlagen? Zu 6.: Die Ermittlungen in dem Verfahren dauern an, sodass hierzu keine weiteren Auskünfte erteilt werden können. Die Gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen in dem genannten Sachverhalt unterliegen derzeit einer Überprüfung, ein Ergebnis liegt noch nicht vor. Seite 4 von 4 7. Wie ist der Sachstand im Fall „Vermeintliches Treffen eines LKA-Beamten mit dem stadtbekannten Neonazi Sebastian T.“ in einer Neuköllner Kneipe – trifft es zu, dass es hier zu einer Verwechslung kam? Wie waren die genauen Umstände der Verwechslung? Hat der Senat eine Erklärung, weshalb der Fall dennoch an die Öffentlichkeit kam? Zu 7.: Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine Verwechselung erscheint nicht ausgeschlossen. Die genauen Umstände dieser Verwechselung können allerdings nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Dem Senat liegen keine Erkenntnisse vor, wie und unter welchen Umständen dieser Sachverhalt in die Öffentlichkeit gelangte. 8. Welche Erkenntnisse gibt es zu Reichsbürger-bezügen? Gab es Vorgänge in den Berliner Sicherheitsbehörden, die Nähe-, Kenn- oder Unterstützungsverhältnisse von Beschäftigten zu dieser Szene offenlegten? Zu 8.: In wenigen Einzelfällen im unteren einstelligen Bereich wurden Bezüge im Sinne der Fragestellung von Beschäftigten der Polizei Berlin mit nicht strafrechtlich relevantem Verhalten in die „Reichsbürger“-Szene festgestellt. Die jeweils für die betroffene Dienstkraft zuständigen Stellen sind über die Sachverhalte in Kenntnis gesetzt worden. Im Weiteren wird auf die Beantwortung der Frage 2 verwiesen. 9. Welche Nähe-, Kenn- oder Unterstützungsverhältnisse gibt es zum Hannibal/Uniter Netzwerk? Zu 9.: Dem Senat liegen dazu keine Erkenntnisse vor. 10. Kann der Senat ausschließen, dass es ein rechtsextremes Netzwerk innerhalb der Berliner Sicherheitsbehörden gibt? Gibt es Nähe- oder Kennverhältnisse zwischen Personen, die unter den Vorgängen 4. bis 10. beteiligt waren? Sind die Beteiligten auf mögliche Kenn- und Kontaktverhältnisse untersucht worden? 11. Kann aufgrund der feststehenden Sachverhalte 4. bis 10. noch von Einzelfällen gesprochen werden? Wenn ja, was für Voraussetzungen müssen vorliegen, um ein strukturelles Problem zu erkennen? Zu 10. und 11.: Grundvoraussetzung für das Bestehen eines Netzwerks ist ein Mindestmaß an Zusammenwirken und Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren. Dem Senat liegen keine Erkenntnisse zu einem solchen kollusiven Agieren innerhalb der Berliner Sicherheitsbehörden vor. Die Auflistung von Einzelfällen begründet daher kein strukturelles Problem. Gleichwohl wird die zur Rede stehende Problematik auch zukünftig durch die Berliner Sicherheitsbehörden auch unterhalb der Schwelle „struktureller Probleme“ sensibel betrachtet und erforderlichenfalls begleitet. Berlin, den 15. Mai 2019 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport