Drucksache 18 / 18 790 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bettina Jarasch und Stefanie Remlinger (GRÜNE) vom 07. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Mai 2019) zum Thema: Abschulungen von Schülerinnen und Schülern aus Willkommensklassen und Antwort vom 21. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Mai 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Bettina Jarasch (Grüne) und Frau Abgeordnete Stefanie Remlinger (Grüne) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18790 vom 07. Mai 2019 über Abschulungen von Schülerinnen und Schülern aus Willkommensklassen ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Rolle spielt die Schulform bei der Zuweisung von Schüler*innen zu sog. Willkommensklassen, also temporären Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse (Bitte Verfahren und Kriterien ausführlich erläutern)? Zu 1.: Die Eltern/Sorgeberechtigten neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse wenden sich an die zuständige Koordinierungsstelle für Willkommensklassen ihres Wohnbezirks zur Beantragung eines Schulplatzes. Dort werden sowohl der Sprachstand als auch schulische Vorkenntnisse festgestellt und dementsprechend die Entscheidung über die Beschulung nach folgenden Kriterien gefällt: Regelklasse Willkommensklasse Die Schülerin oder der Schüler verfügt über ausreichend Deutschkenntnisse, um dem Regelunterricht folgen zu können (unter Berücksichtigung von integrativen und additiven Förderangeboten), ist in der Erstsprache alphabetisiert und hat Schulerfahrung. Die Schülerin oder der Schüler hat keine Deutschkenntnisse, ist nicht in der Erstsprache alphabetisiert und hat wenig Schulerfahrung. Dabei gelten im Regelfall folgende Rahmenbedingungen: − Im Alter bis zu 7 Jahren werden die Schülerinnen und Schüler in die Schulanfangsphase der zuständigen Grundschule aufgenommen (§ 55a Schulgesetz für das Land Berlin - SchulG). − Schülerinnen und Schüler im Alter von 8 bis 11 Jahren werden in einer Willkommensklasse an einer Grundschule unterrichtet. − Jugendliche ab 12 Jahren werden in Willkommensklassen an weiterführenden allgemein bildenden Schulen unterrichtet. − Ab 16 Jahren können Jugendliche auch in Willkommensklassen an ein Oberstufenzentrum aufgenommen werden. Nach Maßgabe freier Plätze werden bei der Zuweisung in eine spezifische Schulform schulische Vorkenntnisse berücksichtigt. Weiteres ist im "Leitfaden zur Integration neuzugewanderter Kinder und Jugendlicher in Kita und Schule" (überarbeitete Fassung vom Dezember 2018) nachzulesen. Mit der Zuweisung in eine temporäre Lerngruppe wird in der Sekundarstufe I keine Entscheidung über den zukünftigen Bildungsgang getroffen. Die Koordinierungsstellen für Willkommensklassen bemühen sich, die Leistungspotenziale der Schülerinnen und Schüler bei der Zuweisung zu berücksichtigen. 2. Bis zu welcher Altersgrenze werden Schüler*innen in temporären Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse beschult? Wie begründet sich diese Altersgrenze? Zu 2.: Temporäre Lerngruppen für Neuzugänge existieren sowohl in der Allgemeinbildung als auch an Oberstufenzentren (OSZ). Neuzugewanderte Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse werden mindestens so lange, bis die Schulpflicht erfüllt ist bzw. die Schülerinnen und Schüler 18 Jahre alt sind, in temporäre Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse aufgenommen. Nach Maßgabe freier Plätze können an Oberstufenzentren auch Schülerinnen und Schüler bis 21 Jahre in diese Lerngruppen aufgenommen werden. 3. Auf welcher rechtlichen Grundlage werden Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, nicht mehr in der Sekundarstufe I beschult? Zu 3.: Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, können in der Sekundarstufe I beschult werden oder ein Oberstufenzentrum besuchen. Die Entscheidung darüber wird auf der Grundlage pädagogischer Überlegungen, unter anderem der Tatsache, ob ein erfolgreicher Abschluss des Bildungsgangs zu erwarten ist, getroffen. Ein bestehendes Schulverhältnis wird nicht durch Erreichen des 16. Lebensjahres beendet. Siehe dazu auch die Antwort auf Frage 11. 4. Welche Möglichkeiten haben Jugendliche, die aufgrund ihres Alters nicht mehr in der allgemeinbildenden Schule beschult werden, einen Schulabschluss zu erhalten? Zu 4.: Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Alters und ihrer fehlenden schulischen Vorkenntnisse keine Aussicht auf ein erfolgreiches Absolvieren eines Bildungsgangs in der Sekundarstufe I haben, können an einem Oberstufenzentrum alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse absolvieren. 5. Wie viele Schüler*innen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, verließen in den vergangenen drei Schuljahren die temporären Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse? (Bitte Antwort aufschlüsseln nach Jahr, Schulform und Bezirk) 6. Wie viele der Schüler*innen aus Frage fünf wurden in Regelklassen weiter beschult? 7. Wie viele der Schüler*innen aus Frage fünf besuchten anschließend ein Oberstufenzentrum? Zu 5., 6. und 7.: Hierzu liegen keine Daten vor. In der zentralen Statistik wird das Merkmal „Schülerinnen und Schülern, die jemals eine Willkommensklasse besucht haben“, erhoben. Individuelle Daten wie das Alter oder die Herkunftsschule werden für diese Schülerinnen und Schüler nicht erfasst. Es können nur Aussagen darüber gemacht werden, wie viele Schülerinnen und Schüler aus Willkommensklassen sich jeweils aktuell in den Regelklassen befinden. 8. Wie vielen Schüler*innen aus Frage fünf wurde mit Erreichen des 17. Lebensjahres kein weiteres Angebot zur Beschulung unterbreitet und wie begründet sich dieser Sachverhalt? Zu 8.: Grundsätzlich ist die Art der Beschulung nach Verlassen der Willkommensklasse abhängig vom Alter, dem Sprachstand, den schulischen Vorkenntnissen und den bereits absolvierten Schulbesuchsjahren. Selbstverständlich haben auch Schülerinnen und Schüler, die 16 Jahre und älter sind, ein Recht auf Schulbesuch. Die Beratung über weitere Bildungsgänge findet unter anderem im Rahmen der Berufsorientierung an Schulen oder durch die Jugendberufsagenturen statt. 9. Wie wird mit Jugendlichen, die eine Willkommensklasse besuchen, im laufenden Schuljahr 16 Jahre alt geworden sind und noch nicht das Ziel A2 oder B1 erreicht haben, also nicht in einen IBA wechseln können, verfahren? Zu 9.: Schülerinnen und Schüler, die 16 Jahre alt sind und eine Willkommensklasse besuchen, wechseln nicht zwangsläufig mit 16 Jahren in eine Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung. Es erfolgt eine Prüfung des Einzelfalls. Ein Verbleib in einer Willkommensklasse der Allgemeinbildung bis zum Erwerb eines gesicherten Sprachstandes von A2 (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen, GER) im Schreiben und Lesen und von B 1 (GER) in Sprechen und Hören ist möglich, sofern dem pädagogische Gründe nicht entgegenstehen. Darüber hinaus ist der Wechsel in eine nach Vorkenntnissen differenzierte Willkommensklasse an einem OSZ oder der einjährige Besuch des Projekts "Praxiserprobung für Flüchtlinge" in der Allgemeinbildung oder am OSZ oder der Besuch einer Vorbereitungsklasse für die Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) an allgemeinbildenden Schulen möglich. Die Lehrkräfte und die regionalen Koordinierungsstellen haben den Auftrag, die Schülerinnen und Schüler individuell und passgenau zu beraten. Schülerinnen und Schüler, die nicht mehr schulpflichtig sind, haben zudem die Möglichkeit, Sprachkurse der VHS oder die Pilotmaßnahme Anschluss + der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zu besuchen und nach Erreichen des Sprachniveaus B1 im Sprechen und Hören, A2 im Lesen und Schreiben an der Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung an OSZ teilzunehmen. 10. Wie wird mit Schüler*innen verfahren, die mindestens zwei Jahre in Willkommensklassen an einem OSZ verweilten und das Lernziel nicht erreicht haben? Zu 10.: Sollten innerhalb von zwei Jahren keine Lernfortschritte bis hin zum Sprachstand GER A2 erreicht worden sein, liegen vermutlich tiefergehende Problematiken vor, z.B. sonderpädagogischer Förderbedarf, Analphabetismus etc. Hier sind möglicherweise Diagnostiken der Expertinnen und Experten der Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) erforderlich. Auch mithilfe der Jugendberufsagenturen kann gegebenenfalls eine Weiterleitung in passende Angebote erfolgen. 11. Wie viele Personen-Sorgeberechtigte waren mit der Abschulung ihres Kindes bzw. Mündels aus einer temporären Lerngruppe für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse nach dem Erreichen der Altersgrenze von 16 Jahren nicht einverstanden und wir wurde mit solchen Widersprüchen jeweils umgegangen? (Sortiert für die letzten drei Jahre, nach Jahr, Schulform und Bezirk). Zu 11.: Die Beendigung eines bestehenden Schulverhältnisses bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, vgl. § 46 Abs. 6 SchulG. Die Vollendung des 16. Lebensjahres ist kein gesetzlich vorgesehener Tatbestand für die Beendigung eines Schulverhältnisses. Dem Senat sind keine Fälle des in der Fragestellung beschriebenen Verwaltungshandelns bekannt. 12. In wie vielen Fällen sind anstelle einer Abschulung wegen des Erreichens der Altersgrenze von 16 Jahren die entsprechenden Schülerinnen und Schüler aufgrund schriftlicher Gutachten der Willkommenslehrkräfte an der von ihnen besuchten Schule verblieben? 13. Wie viele solcher Gutachten von Lehrkräften der Willkommensklassen wurden verfasst und wie wurden sie beschieden? (Aufstellung bitte ab dem Schuljahr 2015/16 und nach Bezirken geordnet) 14. Wie wird generell und ggf. über Gutachten hinaus sichergestellt, dass die Lehrkräfte der Willkommensklassen gegenüber der Schulleitung und der jeweiligen regionalen Schulaufsicht ihre Expertise zur möglichen Abschulung nach Erreichen der Altersgrenze von 16 Jahren einbringen können? Zu 12., 13. und 14.: Das Erreichen einer Altersgrenze führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Schülerinnen und Schüler die bislang besuchte Schule verlassen müssen (s. auch Antwort auf Frage 11). Willkommenslehrkräfte fertigen keine schriftlichen Gutachten. Die Lehrkräfte fertigen zum Schulhalbjahr und zum Schuljahresende für jede Schülerin und jeden Schüler obligatorisch Lernstandsberichte (Formular Schul Z 901 für die Oberschulen), die Auskunft zu dem erreichten Sprachniveau und den Lernfortschritten in den besuchten Fächern im Regelunterricht oder der Willkommensklasse sowie zum Arbeits- und Sozialverhalten geben. Weiterführende Informationen zum Verfahren des Übergangs in Regelklassen an allgemeinbildenden Schulen bzw. des Übergangs in Willkommensklassen an Oberstufenzentren bzw. zum Übergang in die Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung finden sich im "Leitfaden zur Integration" auf Seite 20. 15. Zugangsvoraussetzung zu einem BQL-Kurs an einem OSZ ist die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht von 10 Jahren im Sinne des § 42 Abs. 4 SchulG. Gibt es Schüler*innen, die in diesem Schuljahr einen BQL-Kurs begonnen haben, obwohl diese Voraussetzung aufgrund mangelnder Schul-Vorerfahrung im Herkunftsland nicht vorlag, wenn ja wie viele und wie wurde in diesen Fällen den Erfordernissen des § 42 SchulG Rechnung getragen? Zu 15.: Viele geflüchtete Jugendliche können keine Nachweise über die Anzahl der absolvierten Schulbesuchsjahre erbringen. Um Schülerinnen und Schülern, die bereits 16 Jahre oder älter sind und die eine Willkommensklasse der Allgemeinbildung besucht haben und die die Zugangsvoraussetzungen für BQL (oder inzwischen für IBA) erfüllen, den Erwerb eines allgemeinbildenden schulischen Abschlusses zu ermöglichen, konnten diese in berufsqualifizierende Kurse an Oberstufenzentren wechseln, auch wenn möglicherweise das Kriterium von zehn absolvierten Schulbesuchsjahren nicht erfüllt war. In diesem Fall ist die Schulpflicht mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres erfüllt. 16. Welche Überlegungen und konkreten Pläne gibt es im Senat, um auch Jugendlichen, die mit Erreichen der Altersgrenze noch keine 10 Jahre Schulpflicht erfüllt und auch noch keinen Abschluss erreicht haben, einen regulären Schulabschluss zu ermöglichen? Zu 16.: Mit der Teilnahme an der Integrierten Berufsausbildungsvorbeitung an einem Oberstufenzentrum können alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse (Berufsbildungsreife [BBR], erweiterte Berufsbildungsreife [eBBR], Mittlerer Schulabschluss [MSA]) erworben werden. Berlin, den 21. Mai 2019 In Vertretung Beate Stoffers Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie