Drucksache 18 / 18 947 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katalin Gennburg (LINKE) vom 17. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Mai 2019) zum Thema: § 34 BauGB – ein Gummiparagraph?! und Antwort vom 29. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Juni 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Abgeordnete Katalin Gennburg (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18947 vom 19. Mai 2019 über § 34 BauGB - ein Gummiparagraph? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie groß ist in Berlin die Fläche der unbeplanten Innenbereiche (wo es keinen Bebauungsplan gibt, jedoch ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil existiert; sich also die Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach § 34 BauGB richtet) im Vergleich zu den mit rechtskräftigen Bebauungsplänen „beplanten“ Bereichen? Antwort zu 1: Dies lässt sich in der Kürze der Zeit nicht ermitteln. Ausgehend vom Baunnutzungsplan, der in Verbindung mit Straßen- und Baufluchtlinien sowie der Bauordnung 1958 als qualifizierter Bebauungsplan übergeleitet wurde, ist davon auszugehen, dass im Westteil Berlins zusammen mit den festgesetzten Bebauungsplänen nur ein geringer Anteil von unbeplanten Innenbereichen vorhanden ist. Im ehemaligen Ostteil ist der Anteil aufgrund des fehlenden Baunutzungsplans weitaus höher. Frage 2: Treffen die Untersuchen des Deutsches Institut für Urbanistik (difu) für Berlin zu, wonach sich rund die Hälfte aller Neubauwohnungen in Gebieten befindet, in denen Baurecht gemäß § 34 BauGB besteht? (DIFU 2017: Bodenpolitische Agenda 2020-2030. Warum wir für eine nachhaltige und sozial gerechte Stadtentwicklungsund Wohnungspolitik eine andere Bodenpolitik brauchen. Online verfügbar unter http://edoc.difu.de/edoc.php?id=U128MYNG). Antwort zu 2: Die Ermittlung des Sachverhaltes ist in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Hierzu ist zunächst eine flächendeckende Erfassung der Gebiete nach § 34 BauGB notwendig. Dies wiederum müsste überlagert werden mit der Neubautätigkeit. 2 Frage 3: Wann ist idealtypisch bei Abweichung der Zahl der Vollgeschosse von der Zahl der Vollgeschosse der näheren Umgebung eine Bebaubarkeit nach §34 BauGB in Ermangelung eines Bebauungsplans noch zulässig und wann ist ein Bebauungsplan geboten? Antwort zu 3: Eine idealtypische Abweichung von dem vorhandenen städtebaulichen Rahmen gibt es nicht, da es sich immer um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der die besonderen Umstände der konkreten örtlichen Situation maßgeblich sind. Frage 4: In welcher Gebietskategorie nach Baunutzungsverordnung fügt sich eine Wohnbebauung als Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 BauGB in Ermangelung eines Bebauungsplans in die Eigenart der näheren Umgebung ein und welche Änderungen ergeben sich dabei durch die neue Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“; wann ist ein Bebauungsplan geboten? Antwort zu 4: Eine Wohnbebauung fügt sich als Art der Nutzung regelmäßig in die faktischen reine Wohngebiete (WR), allgemeine Wohngebiete (WA) und Mischgebiete (MI) ein. Aus der neuen Gebietskategorie § 6a BauNVO ergeben sich dabei jedoch keine Änderungen, da das urbane Gebiet gemäß § 245 c Abs. 3 BauGB auf das Einfügungsgebot nach § 34 Abs. 2 BauGB keine Anwendung findet, es somit also keine „fatischen“ urbanen Gebiete gibt. Soweit die bebaute Umgebung keinem Baugebietstyp zugeordnet werden kann oder die nähere Umgebung die Merkmale zweier Baugebiete der BauNVO aufweist, findet § 34 Abs. 2 BauGB keine Anwendung, die Zulässigkeit ist ausschließlich nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Sobald die Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 BauG nicht vorliegen, ist ein Bebauungsplan aufzustellen. Frage 5: Kam der §34 BauGB in den letzten zehn Jahren bei einer Genehmigung eines Hochhauses in Berlin zur Anwendung; wenn ja, wann und wo? Antwort zu 5: Vorbemerkung: hier erfolgte eine Abfrage der Bezirke. Mitte: „Die Anzahl der Gebäude, die gemäß § 2 Absatz 4 Nr. 1 BauO Bln als Hochhäuser bezeichnet werden, lässt sich rückwirkend über 10 Jahre nicht mehr so kurzfristig ermitteln. Beispielsweise erreichen viele Neubauvorhaben in der Friedrichstadt eine Gesamthöhe von ca. 30 m und fallen bauordnungsrechtlich in diese Kategorie. Deutlich höhere Hochhäuser mit einer Gesamthöhe von 40 m - 60 m und mehr wurden in der Regel nicht gem. § 34 BauGB genehmigt und wenn, dann müssen sie sich u. a. auch mit ihrer Höhe tatsächlich in die Eigenart der näheren Umgebung eingefügt haben.“ Charlottenburg-Wilmersdorf: k. A. Friedrichshain-Kreuzberg: k. A. Lichtenberg: 160-2011- 1653-BWA 32 Storkower Str./Rudolf- Seiffert- Str. Neubau eines Wohnhauses mit Geschäftsstelle der WBG Friedrichshain eG Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain eG 160-2013- 2929-BWA 45 Rüdickenstra ße 33 Neubau eines Geschosswohnungsbaus mit Einzelhandel (163 Wohneinheiten) HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH 160-2013- 2930-BWA 45 Rotkamp 2 Neubau von 2 Geschosswohnungsbauten mit TGE Stuhr GmbH 3 Einzelhandel, Dienstleistung, Arztpraxen und Gastronomie (197 WE) 160-2014- 1631-BWA 41 Rosenfelder Ring 13 Neubau eines Mehrfamilienhauses mit 113 Wohneinheiten MuRo GmbH & Co. KG 160-2014- 2487-BWA 32 Alfred-Jung- Straße 14 Neubau eines 13- geschossigen Apartmentgebäudes für Studenten (425 Wohneinheiten) Homepoint Investment GmbH&Co. AJ 14 KG 160-2014- 3225-BWA 45 Altenhofer Straße 19 A Neubau eines Mehrgenerationenwohnhauses mit Genossenschaftsclub im EG, 39 WE, Sonderbau - Hochhaus und Neubau eines Abstellgebäudes Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain eG 160-2015- 3039-BWA 32 Storkower Straße 205 A Neubau studentisches Wohnen mit 129 Wohneinheiten 141 Bettplätzen Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH 160-2015- 3229-BWA 32 Alfred-Jung- Straße 12 Neubau eines Wohn- und Gewerbegebäudes mit Tiefgarage mit 342 Wohneinheiten Homepoint Investment und Development GmbH 160-2016- 1542-BWA 42 Dolgenseestr aße 32 Neubau von 3 Wohngebäuden (Haus A, B, C) mit 119 Wohneinheiten HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH 1160-2017- 2929-BWA 42 Otto- Schmirgal- Str. 10 - 12 ger . Neubau eines Wohnhochhauses mit 100 WE Wohnungsbaugenossenschaft "Vorwärts" e.G. 1160-2017- 3107-BWA 32 Allee der Kosmonauten 25 A Neubau eines Wohngebäudes mit Gewerbeflächen (98 WE) T & T Grundbesitz Rhinstr. 83 GmbH Marzahn-Hellersdorf: Kienbergstr. 21, Baugenehmigung 2017 Cecilienstr. 184/186, planungsrechtliche Zulässigkeit erkannt, Genehmigung wird in Kürze erteilt werden Mehrower Allee / Ecke Sella-Hasse-Straße, planungsrechtliche Zulässigkeit erkannt, Genehmigung wird in Kürze erteilt werden Amanlisweg 14 A, planungsrechtliche Zulässigkeit erkannt, Genehmigung wird in Kürze erteilt werden Ludwigsluster Str. 100, Baugenehmigung 2016 Stollberger Str. 57/59, Baugenehmigung 2019 Neukölln: k. A. Pankow: k. A. Reinickendorf: k. A. Spandau: k. A. Steglitz-Zehlendorf: k. A. Tempelhof-Schöneberg: „Eine auswertbare Datenbank hinsichtlich der jeweiligen bauplanungsrechtlichen Grundlagen von Baugenehmigungen gibt es nicht. Eine Einzelüberprüfung über einen Zeitraum von 10 Jahren ist wegen des enormen Aufwands nicht vertretbar. In Erinnerung ist hier nur eine Genehmigung eines Hochhauses an der Keithstraße/Kleiststraße (DGB-Neubau) in 2018.“ Treptow-Köpenick: k. A. 4 Frage 6: Hält es der Senat für geboten, den Bau von Hochhäusern (gemäß Bauordnung Berlin Gebäude mit einer Höhe von mehr als 22 Metern) grundsätzlich nur in einem Bebauungsplanverfahren zu genehmigen? Antwort zu 6: Hochhausvorhaben, deren Höhe deutlich über die den Beurteilungsmaßstab prägende Höhe der umgebenden Bebauung hinausragen, werden sich in der Regel nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und demzufolge nicht nach § 34 BauGB, sondern nur auf Grundlage eines Bebauungsplans planungsrechtlich genehmigungsfähig sein können. Wenn ein Hochhaus jedoch innerhalb einer bereits durch Hochhausbebauung geprägten Umgebung errichtet werden soll und das vorherrschende Höhenniveau nicht oder nicht wesentlich überschreitet, kann gegebenenfalls eine Genehmigungsfähigkeit nach § 34 BauGB – ohne Bebauungsplanverfahren – gegeben sein. Konkret betraf dies in der Vergangenheit insbesondere die Ergänzung bestehender Großwohnsiedlungen mit elfgeschossigen Hochhäusern durch weitere Wohnhochhäuser in vergleichbarer Höhe. Wenn die Zulässigkeit (eines Hochhausvorhabens) nach § 34 BauGB gegeben ist, so ist die planungsrechtliche Genehmigung zu erteilen. Ein Erfordernis zur Aufstellung eines Bebauungsplans (i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB) kann jedoch auch dann ausgelöst werden, wenn ein an sich nach § 34 BauGB genehmigungsfähiges Vorhaben beachtliche bodenrechtliche Spannungen begründet oder vorhandene Spannungen erhöht. In diesen Fällen fügt sich ein Vorhaben nicht in seine Umgebung ein. Der Zulässigkeit eines solchen Vorhabens steht dann ggf. auch das Gebot der Rücksichtnahme entgegen. Frage 7: Welche planungsrechtlichen Probleme sieht der Senat in der Praxis des §34 BauGB? Antwort zu 7: Die Regelung des § 34 BauGB, die gewissermaßen als Planersatz dient, ist für die Stadtplanung eine wichtige Vorschrift zur Zulassung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich, die sich in die Umgebung entsprechend einfügen. Insofern gibt es planungsrechtlich eine klare Trennung zwischen Anwendung des § 34 BauGB und der Erforderlichkeit einen Bebauungsplan aufzustellen. Frage 8: Wie bewertet der Senat den Umstand, dass § 34 BauGB keinerlei Regelungen im Sinne des Allgemeinwohls zulässt, den Investor an den Kosten für soziale Folgeeinrichtungen zu beteiligen und ihm den Bau von gefördertem Wohnraum aufzuerlegen, und daher den Kommunen für eine soziale Stadtentwicklung die Möglichkeit eröffnet werden sollte, Belange des Allgemeinwohls geltend zu machen? Antwort zu 8: Der § 34 BauGB ist entsprechend durch den Bundesgesetzgeber ausgestattet worden. Die Senatsverwaltung ist an diese gesetzliche Regelung gebunden. Frage 9: Hält der Senat eine bundesgesetzliche Konkretisierung für wünschenswert? Antwort zu 9: Eine entsprechende Öffnung des § 34 BauGB wird begrüßt. Eine abschließende Stellungnahme kann jedoch erst nach Vorlage eines konkreten Gesetzesentwurf abgegeben werden. 5 Frage 10: Wie bewertet der Senat die Forderung, der § 9 Abs. 2 BauGB möge um die Ziffer 2d ergänzt werden, der Kommunen die Möglichkeit eröffnet, in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten per einfachem Bebauungsplan einen Anteil an sozialen Wohnungen und eine angemessene Beteiligung an den Infrastrukturfolgekosten für künftige Bauvorhaben verbindlich vorzuschreiben? Antwort zu 10: Der Senat begrüßt eine entsprechende Einführung eines solchen Instruments. Eine abschließende Stellungnahme kann auch hier erst nach Vorlage des Gesetzesentwurfes abgegeben werden. Frage 11: Könnte dieser einfache Bebauungsplan auf größere Gebiete, die heute noch unbeplanter Innenbereich sind, gelegt werden? Antwort zu 11: Da die Regelung bislang weder im Entwurf noch einem anderen Arbeitsstand vorliegt, kann hierzu keine Einschätzung getroffen werden. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen über eine entsprechende Ausgestaltung des § 9 Abs. 2 lit. d BauGB (neu) vorliegen, ergibt sich die Abgrenzung des Geltungsbereichs aus der städtebaulichen Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Frage 12: Welche personelle Ausstattung wäre dafür in den zuständigen Bezirksämtern und in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zusätzlich erforderlich? Antwort zu 12: Hierzu erfolgt derzeit eine Abfrage der bezirklichen Stadtplanungsämter. Berlin, den 29.Mai 2019 In Vertretung R. Lüscher ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen