Drucksache 18 / 19 041 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sebastian Czaja (FDP) vom 27. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mai 2019) zum Thema: Ist Berlin auf Extremwetterlagen vorbereitet? und Antwort vom 07. Juni 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Juni 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Sebastian Czaja (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/19041 vom 27.05.2019 über Ist Berlin auf Extremwetterlagen vorbereitet? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Maßnahmen zur Prävention vor Extremwetterlagen verfolgte der Senat für Berlin und in welchem Umfang gibt es einen Handlungsleitfaden? Antwort zu 1: Unter Wetterextremen werden u.a. Hitzewellen, Trockenperioden, Überschwemmungen, Starkniederschläge und Stürme verstanden. Grundsätzlich werden diese in Bezug auf die Häufigkeit und Ausprägung der Ereignisse im Vergleich zu langjährigen Beobachtungsdaten definiert. Daraus resultiert, dass es keine einheitliche Definition für Wetter- oder Klimaextreme gibt. In Bezug auf Überschwemmungen und Starkniederschläge ist die europäische „Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken“ (HWRM-RL) maßgeblich. Ziel der Richtlinie ist es, hochwasserbedingten nachteiligen Folgen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verringern. Die HWRM-RL gibt klare Vorgaben für die Schritte der zeitlichen Umsetzung. Die einzelnen Schritte sind alle sechs Jahre zu überprüfen und erforderlichenfalls zu aktualisieren. Der 1. Zyklus des Hochwasserrisikomanagements ist mit Veröffentlichung des Hochwasserrisikomanagementplans der FGG Elbe im November 2015 abgeschlossen. Für den 2. Zyklus ergeben sich für die drei Umsetzungsstufen folgende Fristen: • 22.12.2018: Veröffentlichung der Aktualisierung der Bewertung des Hochwasserrisikos / Aktualisierung Risikogebiete, 2 • 22.12.2019: Veröffentlichung der Aktualisierung der Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten, • 22.12.2021: Veröffentlichung der Aktualisierung des HWRM-Plans. Die koordinierte Umsetzung der HWRM-RL erfolgt innerhalb der Flussgebietsgemeinschaft Elbe (FGG Elbe) nach den Empfehlungen der Bund-/Länder- Arbeitsgemeinschaft Wasser LAWA (https://www.lawa.de/Publikationen-363-Hochwasserund -Niedrigwasser.html). In der FGG Elbe arbeiten die zehn Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern sowie der Bund zusammen. Diese zehn Elbe-Länder verabreden gemeinsam die Vorgehensweise zur Bewertung der Hochwasserrisiken, zur Erstellung der Hochwassergefahren- und -risikokarten und stellen die Hochwasserrisikomanagementpläne im deutschen Einzugsgebiet der Elbe auf (https://www.fgg-elbe.de/hwrm-rl/berichte.html). Eine konkrete Maßnahme der Hochwasservorsorge und des Hochwasserschutzes ist beispielsweise die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten. Am 23. Oktober 2018 wurden fünf Überschwemmungsgebiete durch die Senatorin der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz festgesetzt. Eine weitere Maßnahme ist die Information der Öffentlichkeit. Das Wasserportal (https://wasserportal.berlin.de) informiert u.a. über die aktuelle Hochwassersituation im Land Berlin. Am 08.06.2018 verabschiedete die 90. Umweltministerkonferenz die LAWA-Strategie zum Umgang mit Starkregenrisiken. Starkregenrisikomanagement ist somit eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe unterschiedlicher Tätigkeitsfelder und Akteure. Für die Etablierung und Koordinierung des gesamten Prozesses eines effektiven Starkregenmanagements sind Strukturen und Ressourcen auf Landes- und Bezirksebene schrittweise aufzubauen. Für ein verstetigtes Starkregenrisikomanagement in Berlin bedarf es der Bereitstellung personeller und finanzieller Ressourcen. Insbesondere längere Hitzeperioden, aber auch Starkregenfälle haben nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Gefahren bestehen vor allem für Kleinkinder, alte und pflegebedürftige Menschen. Die für Gesundheit zuständige Senatsverwaltung hat zur Information der Bevölkerung das Faltblatt „Was tun bei Hitze? Hinweise für Seniorinnen und Senioren“ veröffentlicht. Anhaltende Hitze und unkontrollierter Niederschlagsabfluss können gleichermaßen die Qualität der Oberflächengewässer beeinträchtigen. Die Qualität der Badegewässer wird regelmäßig überwacht und die Ergebnisse einschließlich einer Bewertung der Badegewässer vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) veröffentlicht. Zur Information der Bevölkerung hat das LAGeSo das Hinweisblatt „ Gesundes Baden auch in stark erwärmten Badegewässern - Was ist zu beachten?“ veröffentlicht. Ab dem 02.07.2018 wird die Bewertung der Badegewässerqualität an den Badestellen Kleine Badewiese und Grunewaldturm erstmalig unter Berücksichtigung eines Frühwarnsystems durchgeführt. Dieses Frühwarnsystem nutzt Vorhersagemodelle, die im Forschungsprojekt FLUSSHYGIENE entwickelt wurden und liefert tagesaktuelle Vorhersagen über die Badegewässerqualität an diesen beiden Badestellen. Kommt das LAGeSo anhand von Untersuchungsergebnissen zu der Bewertung, dass aus hygienischer Sicht ein Abraten vom Baden oder ein Badeverbot auszusprechen ist, wird ein solches in fließenden Gewässern wie z.B. der Unterhavel durch das LAGeSo veranlasst. Ist ein Abraten vom Baden oder ein Badeverbot in einem stehenden Gewässer wie z.B. dem Flughafensee zu 3 erlassen, so informiert das LAGeSo das zuständige bezirkliche Gesundheitsamt, das die Information dann umsetzt. Am 22.03.2018 ist Berlin der Blue Community beigetreten und hat sich damit unter anderem verpflichtet, Berliner Leitungswasser gegenüber Flaschenwasser zu fördern, Wasser als öffentliches Gut zu erhalten und dieses - wie auch sanitäre Grundversorgung - als Menschenrecht anzuerkennen. Zur Umsetzung dessen und für die Anpassung an starke Hitze konnten in Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben und den Bezirken bereits 90 öffentliche Trinkbrunnen installiert werden. Weitere sind in der Planung. Derzeit werden die Erfahrungen des Hitzesommers 2018 ausgewertet, um zukünftig besser auf derartige Wetterlagen vorbereitet zu sein. Frage 2: Wie und in welchem Umfang informiert sich der Senat über neue Konzepte zur Prävention vor Extremwetterlagen? Frage 5: In welchem Umfang erfolgt der Austausch zu Präventionsmaßnahmen vor Extremwetterlagen mit der Bundesregierung und Bundesbehörden? Antwort zu 2 und 5: Die zuständigen Fachbehörden des Senats stehen in einem kontinuierlichen Austausch mit Fachbehörden anderer Länder und des Bundes sowie der kommunalen Spitzenverbände. Fragen der Prävention vor Extremwetterlagen sind insbesondere Gegenstand des Erfahrungsaustausches in den Bund-/Länder-Arbeitsgemeinschaften Wasser (LAWA) und Klima, Energie, Mobilität – Nachhaltigkeit (BLAG KliNa) sowie dem Umweltausschuss des Deutschen Städtetages und dem Kundenforum Wasserwirtschaft des Deutschen Wetterdienstes. Frage 3: Wie steht der Senat zu dem Konzept der „Schwammstadt“ und welche Erfahrung hat der Senat bereits mit diesem Konzept gesammelt? Antwort zu 3: Für Berlin als wachsende Stadt liegt die zentrale Herausforderung bei der Prävention vor Extremwetterereignissen in einer klimasensiblen Stadtentwicklung. Mit dem Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK 2030) greift der Senat konsequent Ziele und Strategie des Stadtentwicklungsplans Klima auf, die auf die Entwicklung einer wassersensiblen und hitzeangepassten Stadt ausgerichtet sind. Leitmotiv einer solchen Strategie sind Blau-Grüne Infrastrukturen. Insbesondere in hoch verdichteten bzw. sich zunehmend verdichtenden Räumen sollen Strukturen herausgebildet werden, die die Stadt wie ein Schwamm funktionieren lassen. Dieses Prinzip konnte bereits an mehreren Standorten, wie z. B. der Wissenschaftsstadt Adlershof oder Wohnanlagen an der Rummelsburger Bucht erfolgreich umgesetzt werden. Eine Neuausrichtung des Regenwassermanagements von der reinen Ableitung hin zu einer Bewirtschaftung auf dem Grundstück ist notwendig, damit es nicht zu einer Zunahme von 4 Schadenspotenzialen, weiteren Beeinträchtigungen für die Gewässer und erhöhten klimatischen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger kommt. Daher ist bei Bauvorhaben in Berlin die Regenwasserbewirtschaftung auf dem Grundstück durch planerische Vorsorge sicher zu stellen. Ist eine Einleitung nicht zu vermeiden, ist diese nur in Höhe des Abflusses zulässig, der im „natürlichen“ Zustand (ohne Versiegelung) auftreten würde (siehe: Hinweisblatt zu Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWa-BE)). Zur Speicherung von Regenwasser wurden und werden von den Berliner Wasserbetrieben mehrere Bauprojekte, wie z.B. ein Stauraumkanal unter dem Mauerpark umgesetzt. Für eine erfolgreiche, ganzheitliche Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips in Berlin soll jedoch die gesamte Oberfläche der Stadt – bspw. Frei- und Vegetationsflächen, Dächer und Fassaden, Feuchtgebiete – genutzt und eine Vielzahl möglicher Maßnahmen sinnvoll miteinander kombiniert werden. Zu diesem Zweck strebt der Senat ein flächendeckendes dezentrales Regenwassermanagement an, das nicht zuletzt einen zweiten wichtigen Handlungsstrang – Kühlung und Verschattung von Aufenthaltsflächen in der Stadt - unterstützt. Für die Sammlung innovativer Ideen und die Unterstützung von Umsetzungsprozessen haben das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe unter anderem die Berliner Regenwasseragentur gegründet. Frage 4: Wie steht der Senat zum Konzept der geringeren Flächenversiegelung im öffentlichen Straßenraum und welche Erfahrungen liegen dem Senat hierzu vor? Antwort zu 4: Der Senat hat sich das Ziel gesetzt, die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung als spezifischen Beitrag zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels im gesamten Stadtgebiet voranzubringen. Dies schließt auch Verkehrsflächen mit ein. Hierzu wurde 2018 die „Planungshilfe für eine dezentrale Straßenentwässerung“ erarbeitet. Diese beschreibt die technische Umsetzung des Beschlusses unter Berücksichtigung der städtischen Rahmenbedingungen, des Schutzes des Bodens und des Grundwassers sowie des Anlagevermögens der städtischen Infrastruktur und der bestehenden Gebäude. Die Planungshilfe wird bei Neuanlagen von Straßen und bei der Umgestaltung von Straßenland angewendet. Das von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erstellte Hinweisblatt zur Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWa-BE) zielt auf den Erhalt des natürlichen Wasserhaushaltes im Zusammenhang mit Baumaßnahmen in Berlin ab. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz sucht gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben sowie den Straßen- und Grünflächenämtern der Bezirke nach standardisierten Lösungen, wie sich die Belange der Wasserwirtschaft mit dem Ziel geringer Versiegelung und dezentraler Regenwasserbewirtschaftung mit den Belangen des Straßenbaus und der Verkehrsabwicklung in Einklang bringen lassen. Erste Ergebnisse dieses Dialogprozesses werden in den kommenden Monaten erwartet. Parallel wurden prioritäre oder besonders zeitkritische Straßenbauprojekte - z.B. das Radverkehrsinfrastrukturprogramm - in Arbeitsgruppen aus Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Bezirksämtern und Berliner Wasserbetrieben individuell 5 vorangetrieben, wobei eine Minimierung des Regenwasserabflusses in jedem Fall eine Leitlinie darstellte. Frage 6: In welchem Umfang erfolgt der Austausch zu Präventionsmaßnahmen vor Extremwetterlagen mit anderen europäischen Hauptstädten? Antwort zu 6: Als Mitglied des internationalen Städtenetzwerks C40 steht Berlin im Austausch mit mehr als 90 Städten, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel und der Entwicklung von Anpassungsstrategien gegen die Folgen klimatischer Veränderungen verpflichtet sehen. Innerhalb des C40 Netzwerks ist Berlin – u.a. neben Paris, Athen und Barcelona – Mitglied des Cool-Cities-Network, das sich vor allem mit Strategien und Lösungen zur Bewältigung von Hitzeproblemen in Städten auseinandersetzt. In Vorbereitung ist die Bildung eines Netzwerks, das sich schwerpunktmäßig der Risikoabschätzung in Bezug auf Extremwetterereignisse widmet. Berlin beabsichtigt, in diesem Netzwerk mitzuarbeiten. Das Thema Hochwasserschutz stellt im Elbe-Einzugsgebiet bereits seit Mitte der 1990er Jahre einen wichtigen Tätigkeitsbereich der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) dar, in der Berlin aktiv vertreten ist. Vertragspartner der IKSE sind die Bundesrepublik Deutschland und Tschechische Republik. Österreich und Polen nehmen einen Beobachterstatus ein Berlin, den 07.06.2019 In Vertretung S t e f a n T i d o w Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz