Drucksache 18 / 19 909 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 14. Juni 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Juni 2019) zum Thema: Die 67er-Hilfen und Antwort vom 04. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. 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Die Zuständigkeit zur Klärung des Hilfebedarfs obliegt dem zuständigen Sozialamt. Zwischen dem Land Berlin als Träger der Sozialhilfe und der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, der Vereinigung kommunaler Einrichtungen, der Berliner Krankenhausgesellschaft e. V. sowie den Vereinigungen der privaten Trägereinrichtungen wurde der Berliner Rahmenvertrag gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII für Hilfen in Einrichtungen einschließlich Diensten im Bereich Soziales (BRV) in der Fassung vom 01. April 2017 abgeschlossen, der als Anlage u. a. die unterschiedlichen Leistungstypen für den Personenkreis der Wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit Bedrohten gemäß §§ 67 ff. SGB XII enthält. Im Einzelnen handelt es sich um die Leistungstypen: Wohnungserhalt und Wohnungserlangung (WUW), Betreutes Einzelwohnen (BEW), 2 Betreutes Gruppenwohnen (BGW), Übergangshaus (ÜH), Kriseneinrichtung (KRI), Krankenstation (KST), Betreutes Gruppenwohnen für ehemals Drogenabhängige nach abgeschlossener Therapie (DBW). Der Berliner Rahmenvertrag legt allgemeine leistungstypübergreifende sowie leistungstypspezifische Regelungen fest und bestimmt die Rahmenbedingungen für den Abschluss von einrichtungsbezogenen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII. Diese werden zwischen den einzelnen Leistungsanbietern und der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung pro Einrichtung oder Dienst abgeschlossen. Eine bestehende Einzelvereinbarung berechtigt zur Leistungserbringung und Leistungsabrechnung mit dem bezirklichen Sozialhilfeträger. Die Leistungstypen werden gemeinsam mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bezirke in einer Unterarbeitsgruppe kontinuierlich weiterentwickelt. Die Arbeitsplanung wird in der Unterarbeitsgruppe von den dortigen Mitgliedern vereinbart. Da die Regelungen des Berliner Rahmenvertrages sowohl für alle Leistungsanbieter als auch für alle Bezirke Anwendung finden, ist von einem berlinweit einheitlichen Verfahren auszugehen. 3. Wie bewertet der Senat das Instrument des „Planmengenverfahrens“ in Hinblick auf die unterschiedliche Sozialstruktur der Bezirke? Zu 3.: Gemäß Art. 85 Abs. 2 Verfassung von Berlin (VvB) wird jedem Bezirk eine Globalsumme zur Erfüllung seiner Aufgaben im Rahmen des Haushaltsgesetzes zugewiesen. Der von einzelnen Bezirken zu bewältigende Aufgabenumfang ist dabei – neben anderen Faktoren wie z. B. der Einwohnerzahl – in bestimmten Bereichen auch unmittelbar von der Sozialstruktur abhängig. Dies gilt es bei der Bemessung der Globalsumme durch die Senatsverwaltung für Finanzen adäquat zu berücksichtigen. Bezüglich der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 67 SGB XII) wurde vor diesem Hintergrund zum Haushaltsjahr 2012 ein Planmengenmodell eingeführt, das zuvor in Abstimmung mit den Bezirken und der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales entwickelt worden war. Bei der Anwendung dieses Planmengenmodells werden die Gewichtungsfaktoren „Sozialräumlicher Status“ (Erhebung alle zwei Jahre durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen) sowie die von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zusammengestellte „Wohnungslosenquote“ berücksichtigt. Dadurch ergibt sich aus Sicht des Senats eine adäquate Finanzmittelausstattung, die die Belastung der einzelnen Bezirke durch deren Sozialstruktur und die Anzahl der wohnungslosen Personen berücksichtigt. 4. Hält der Senat das bestehende Leistungstypensystem zu § 67 SGB XII in Berlin nach 20 Jahren noch für zeitgemäß, d.h. den realen Bedarfen angemessen? 5. Wenn ja, wie erklärt sich der Senat, dass die Fachgruppe Berliner Wohnungsnotfallhilfe der QSD bereits seit 2013 eine Individualisierung und Flexibilisierung des Hilfesystems für überfällig hält? 6. Wenn nein, wann erfolgt welche Anpassung und welche Akteure werden eingebunden? 3 Zu 4. bis 6.: Das bestehende Leistungstypensystem orientiert sich am Ziel der Bedarfsdeckung und wird fortlaufend im Rahmen der o. g. Unterarbeitsgruppe des Berliner Rahmenvertrags weiterentwickelt. Die Komplexität der Problemlagen, auf die das Leistungstypensystem zu reagieren hat, führt zu einem fortlaufenden Bedarf der Überprüfung und Weiterentwicklung, in die auch die Position der Qualitätsgemeinschaft Soziale Dienste (QSD) Eingang findet. Eine abgestimmte Position der Verbände der freien Wohlfahrtspflege liegt nicht vor. Der Senat ist grundsätzlich bereit, fachliche Impulse für eine Weiterentwicklung zu prüfen und mit Vertreterinnen und Vertretern der Verbände der freien Wohlfahrtspflege zu diskutieren. In der gemeinsamen Arbeitsplanung der Unterarbeitsgruppe des Rahmenvertrages ist festgelegt, dass eine gemeinsame Position der gesamten Arbeitsgruppe erarbeitet wird. 7. Inwieweit entspricht die Grundannahme, dass der Hilfeempfänger i.a. eine männliche Einzelperson deutscher Muttersprache ist, noch der Realität und welchen Niederschlag finden bisher der wachsende Anteil von Frauen, Familien und Migranten im System? Zu 7.: Den Leistungstypen für Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII liegt die angeführte Annahme nicht zu Grunde. Die Bezirke stehen im Rahmen der Einzelfallprüfung und -entscheidung in der Verantwortung der Gewährung bedarfsgerechter Hilfen. Wenn Bezirke in besonderen Einzelfällen zu dem Ergebnis kommen, dass ein individueller Hilfebedarf nicht von einem bestehenden Leistungstyp abgedeckt ist, besteht bereits heute die Möglichkeit diesen auf Grundlage von §§ 75 Abs. 4 SGB XII zu decken. Da die entsprechenden Leistungen ausschließlich von sozialpädagogischen Fachkräften, bzw. diesen Gleichgestellten durchgeführt werden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch besondere Zielgruppen fachlich fundiert unterstützt werden. Daneben können Leistungsanbieter in Ihren trägerindividuellen Konzeptionen besondere Schwerpunkte festlegen. Dabei wird darauf hingewiesen dass im Kalenderjahr 2017 der Anteil an Frauen bei ca. 37 % lag. Der Anteil hat sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert. 8. Welche Änderungen im System wurden seit 2013 diesbezüglich im System vorgenommen, um den geänderten quantitativen wie qualitativen Bedingungen besser zu entsprechen; z.B. Familien oder Menschen mit Handicap? Zu 8.: Unabhängig von der aktuell angestrebten Weiterentwicklung des Leistungstyps „Kriseneinrichtung“ ist das Hilfesystem in den vergangenen Jahren an unterschiedlichen Stellen weiterentwickelt worden. So ist zum Beispiel im April 2017 ein neuer Rahmenvertrag abgeschlossen worden, der unter anderem konkrete Regelungen zum Zugang zu Leistungen enthält. Diese Regelungen gelten damit auch für die Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII. Bezüglich des Leistungsangebots der Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII wurden unter anderem das Berichtswesen weiterentwickelt und verbindliche Standards zur individuellen Hilfeplanung entwickelt. In diesen Standards ist es deutlich besser möglich, Ziele zu vereinbaren, die auch besondere Bedarfslagen betreffen können. Bislang gilt bei den Kriseneinrichtungen die Leistungsbeschreibung vom Mai 2014. Die verantwortlichen Akteurinnen und Akteure haben sich auf eine Überarbeitung verständigt, um diese an den aktuellen Bedarfen besser anzupassen. Dies betrifft insbesondere Bedarfe von wohnungslosen psychisch kranken Menschen, die den Zugang zur gemeindepsychiatrischen Versorgung nicht oder noch nicht erreicht haben. 4 9. Hält der Senat im derzeitigen Leistungstypensystem „Kriseneinrichtungen“ für vollumfänglich finanziert und wie hat sich deren Zahl in den letzten fünf Jahren entwickelt? Zu 9.: Im Leistungstyp Kriseneinrichtung bestanden bis Ende 2016 vier Einrichtungen mit 63 Plätzen. Seitdem bestehen drei Einrichtungen mit 47 Plätzen. Die Auslastungsquote beträgt 68 %, was rechnerisch 32 Plätzen entspricht. Bezogen auf die belegten Kapazitäten wurden rd. 6 Plätze von Sozialhilfeträgern außerhalb Berlins genutzt. (Quelle: Jahresberichte der Träger; Stand: 2017) Der Senat geht davon aus, dass die Kriseneinrichtungen vollumfänglich finanziert waren. Jeder Träger hatte und hat die Möglichkeit einrichtungsspezifisch Mehrbedarfe in Einzelverhandlungen einzubringen und geltend zu machen. Ein Träger hat dieses Instrument im Jahr 2018 genutzt, ein weiterer Träger hat an der pauschalen Steigerung teilgenommen. Ist ein Träger nicht einverstanden, besteht die Möglichkeit, Bedarfe in einem Schiedsstellenverfahren durchzusetzen. Dies ist nicht erfolgt. Ob künftig weitere Bedarfe identifiziert werden, ist von dem Ergebnis der aktuellen leistungstypspezifischen Verhandlungen abhängig. 10. Hält der Senat das derzeitige Angebot für bedarfsgerecht? Zu 10.: Der Berliner Senat geht ungeachtet der Bestrebungen zur Weiterentwicklung des Leistungstyps insbesondere vor dem Hintergrund des Auslastungsgrades davon aus, dass das Angebot grundsätzlich bedarfsdeckend ist. 11. Hält der Senat im derzeitigen Leistungstypensystem „Krankenstationen“ für vollumfänglich finanziert und wie hat sich deren Zahl in den letzten fünf Jahren entwickelt? Wie hoch ist der Anteil barrierefreier Angebote? 12. Hält der Senat das entsprechende Angebot für bedarfsgerecht? Zu 11. und 12.: Der Bedarf nach dem Leistungstyp „Krankenstationen“ wird als gering angesehen. Der Zugang zu der Leistung ist an sozialhilferechtliche Anspruchsvoraussetzungen gebunden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Menschen, die die sozialhilferechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zum Erhalt von Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII erfüllen, in der Regel auch Zugang zum gesundheitlichen Versorgungsystem haben, ggf. auf Grundlage der Hilfe bei Krankheit gem. § 48 SGB XII i. V. m. dem SGB V. Es wird daher aktuell kein Angebot des Leistungstyps „Krankenstationen“ im Rahmen der Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII vorgehalten. Ergänzend fördert der Berliner Senat in Kooperation zwischen der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung das niedrigschwellige Modellprojekt „Krankenwohnung“. Bei der Zielgruppe handelt es sich um wohnungslose, vorwiegend auf der Straße lebende Menschen ohne eigene Häuslichkeit. Die Patientinnen und Patienten sind in der Regel nicht krankenversichert oder haben einen ungeklärten Versicherungsstatus. Die Krankenwohnung mit 15 Plätzen bietet wohnungslosen Menschen nach einer ambulanten Erstversorgung oder im Krankenhaus einen Platz zum Auskurieren. Träger ist der Caritasverband im Erzbistum in Berlin e. V.. Ein Team bestehend aus Pflegefachkräften, Hilfskräften und einer Sozialarbeiterin betreuen und versorgen die wohnungslosen Menschen. In Zusammenarbeit mit externen ehrenamtlichen Ärztinnen und Ärzten kann die medizinische Versorgung und Verpflegung der Wohnungslosen sichergestellt werden. 5 Grundsätzlich ist es allerdings wünschenswert, dass die gesundheitliche Versorgung so weit wie möglich durch das Regelsystem abgedeckt ist. Einer Versorgung im Regelsystem auf Basis individueller Rechtsansprüche ist daher bei allen Überlegungen zur Fortentwicklung des Hilfesystems der Vorzug vor zuwendungsfinanzierten Angeboten zu geben. 13. Welche Konsequenzen hat der Senat bisher aus dem Sachstand bei „Kriseneinrichtungen“ und Krankenwohnungen“ bisher gezogen und welche werden bis wann folgen? Zu 13.: Der laufende Prozess der Weiterentwicklung der Kriseneinrichtungen wird fortgesetzt und es wird davon ausgegangen, dass noch in diesem Jahr eine weiterentwickelte Leistungsvereinbarung abgeschlossen wird. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wird auch künftig eng mit den Trägern zusammenarbeiten, um bedarfsdeckende Leistungen zu gewährleisten und leistungsgerechte und wirtschaftlich angemessene Vergütungen zu vereinbaren. Bezüglich des Modellprojekts „Krankenwohnung“ werden die Möglichkeiten einer Verstetigung geprüft. Bereits mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 soll die Zuständigkeit an die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung übergehen. Berlin, den 04. Juli 2019 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales