Drucksache 18 / 19 959 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 17. Juni 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Juni 2019) zum Thema: Teurer Rat = Guter Rat? und Antwort vom 02. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Juli 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/19959 vom 17. Juni 2019 über Teurer Rat = Guter Rat? ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Für die begleitende Umsetzung des BTHG benötigt SenIntArbSoz, gemäß Bericht an den Hauptausschuss vom Mai 2018 eine Mio EUR. Im August 2018 wurde eine Budgeterhöhung um weitere 216 TEUR für externe Dienstleister beim Hauptausschuss beantragt. In der Vorlage dazu heißt es: „Die notwendige Umstellung der Leistungsbeschreibungen macht auch die Anpassung der bislang an den Leistungstypen orientierten Vergütungsstruktur notwendig. Durch die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem SGB XII ist nach neuem Recht zudem zwischen den Kosten der Existenzsicherung und den Kosten der Eingliederungshilfe zu unterscheiden. Die Finanzierung der bisherigen stationären Einrichtungen muss nach dieser neuen rechtlichen Vorgabe angepasst werden.“ Die beantragten Mittel sollen der Untersuchung und Anpassung bestehender Finanzierungsmodelle (Leistungsgruppen, Hilfebedarfsgruppen, Fachleistungsstunden) an das neue System dienen. In der Vorlage an den Hauptausschuss heißt es weiter: „Hierfür bedarf es einer Darstellung der verschiedenen denkbaren Finanzierungsmodelle sowie einer Untersuchung ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile sowie idealerweise Budgetvergleichsrechnungen für einzelne Anbieter, um die finanziellen Auswirkungen der Umstellung abschätzen zu können.“ 1. Für welche Leistungen aus der Vergabe vom August 2018 zur Umsetzung bei der Ausarbeitung und Anpassung der 01.01.2020 geltenden Vergütungsstruktur für entgeltfinanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX im Land Berlin wurde die KPMG genau beauftragt? Zu 1.: Der Auftrag erfolgte im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens und lautete: „Unterstützung bei der Ausarbeitung und Anpassung der ab 01.01.2020 2 geltenden Vergütungsstruktur für entgeltfinanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem neunten Buch Sozialgesetzbuch im Land Berlin.“ Neben einer differenzierten Beschreibung der erwarteten Leistungen und Aufgaben war festgelegt: „Ziel des zu vergebenden Auftrages ist die Erarbeitung und Anpassung einer ab dem 1. Januar 2020 geltenden Vergütungsstruktur für Entgeltfinanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe und deren adäquate vertragliche Ausgestaltung (rahmenvertragliche und einzelvertragliche Ebene) auf Basis der gesetzlichen Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) im Land Berlin.“ Das Leistungsangebot war in zwei Teilbereiche mit insgesamt vier inhaltlich und zeitlich abgegrenzten Leistungspaketen untergliedert mit dem Ziel, den Auftrag bis zum 31.12.2019 zu realisieren. 2. Über welches fachliche und inhaltliche Wissen über die Eingliederungshilfe verfügt die KPMG, das sie qualifiziert, um den Auftrag des Landes Berlin auszuführen? 3. Welche Gründe waren für die Auswahl der KPMG in diesem Fall entscheidend? Zu 2. und 3.: Die Entscheidung erfolgte gemäß den rechtlichen Anforderungen an ein öffentliches Vergabeverfahren auf Grundlage der schriftlich eingereichten Angebote. Wesentliche Anforderungen für die Auswahlentscheidung waren unter anderem ein Befähigungsnachweis mit einer Referenzliste mit mindestens drei Referenzvorhaben, sowie Angaben über Erfahrungen in der inhaltlichen Analyse im Bereich Soziales. Dazu gehörten unter anderem die Beratung von Sozialverwaltungen bzw. artverwandten Ressorts, ein Kompetenznachweis mit insbesondere methodischen und fachlichen Kenntnissen im Leistungsbereich des SGB XII und SGB IX (in der ab 2020 geltenden Fassung), ein Verfügbarkeitsnachweis über ein Team geeigneter und befähigter Mitarbeitenden bzw. Beraterinnen/Berater (und Unterauftragnehmer) mit unterschiedlichen Kompetenz- und Beratungsschwerpunkten und vertieften Kenntnissen, insbesondere auf den Gebieten der inhaltlichen Analyse. Der Zuschlag wurde dem wirtschaftlichsten Angebot mit dem günstigsten Preis- Leistungs-Verhältnis erteilt. Dazu legte die Vergabekommission im Vorfeld die Bewertungskriterien für die einzureichenden Angebote in Form von festgelegten Zuschlagskriterien und Gewichtungen fest. Das von der KPMG eingereichte schriftliche Angebot entsprach den Anforderungen der mit dem Auftrag beschriebenen Leistungsanforderungen und überzeugte neben der fachlichen Expertise unter Bezug auf dargelegte einschlägige Vorkenntnisse dadurch, dass eine angemessene fachkompetente Personalvorhaltung sowie die ausführliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen an die Auftragsdurchführung zugesichert wurden. Mit einschlägigen Referenzen zu erfolgreichen Umsetzungsprojekten, mit Spezialisierung auf die soziale Sicherung sowie auch speziell zur BTHG-Umsetzung wurde glaubhaft dargelegt, dass die konkreten juristischen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen mit Bezug zu den gesetzlichen Vorgaben des BTHG mit einschlägiger Methodenkompetenz beantwortet werden. 4. Inwiefern lieferte die im Dezember 2018 von KPMG eingereichte Stellungnahme die notwendigen Informationen und Erkenntnisse, um ein Modell für die Vergütungsstruktur der Eingliederungshilfe zu entwickeln? 3 5. Inwieweit wurden in dieser Stellungnahme alle gesetzlichen Vorgaben des BTHG umfassend berücksichtigt? Zu 4. und 5.: Die von der KPMG entwickelten Empfehlungen beinhalteten vier Modelle einer Preisgestaltung als Grundlage der Vergütungsstruktur. Dabei wurden die aktuellen rechtlichen Vorgaben des BTHG und des SGB IX, sowie die Vorgaben der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales für Bewertungskriterien beachtet, wie zum Beispiel: Personenzentrierung, Steuerungsfähigkeit, Transparenz, Steigerung der Qualität, Umsetzbarkeit. Die vier Modelle wurden ausschließlich auf einer abstrakttheoretischen Ebene entwickelt mit dem Ziel, anhand dieser vergleichenden Betrachtung grundsätzliche Fragen einer künftigen Preisgestaltung und Vergütungsstruktur zu klären. Dabei wurden unter anderem Abhängigkeiten und Spannungsfelder aufgezeigt, die das direkte Zusammenwirken mit der Ziel- und Leistungsplanung sowie der Qualitätssicherung beinhalten. Im Ergebnis wurde aber festgestellt, dass die Entscheidung über die methodisch abstrakte Darstellung nur bedingt hilfreich für die Verhandlungen über die Entwicklung der Vergütungsstruktur war. Die weitere praktische Umsetzung im Zuge der Verhandlungen zum Berliner Rahmenvertrag (BRV) auf der Basis der von der KPMG entwickelten Modelle gestaltete sich zunehmend schwierig, da deren methodische Vorgehensweise zur konkreten praktischen Umsetzung deutlich hinter den Erwartungen des Landes zurück blieben. Zur Vermeidung eines für das Land unvertretbar hohen Aufwandes mit dem Risiko, dass die KPMG nicht die weiteren Erfordernisse des Auftrages erfüllt, wurde der Vertrag nach Abschluss des Leitungspaketes 1 daher im Einvernehmen beider Vertragsseiten beendet. 6. Inwiefern wurden in der Stellungnahme der KPMG die Berliner Strukturen, welche mit über 70% den bundesweit höchsten Teil ambulanter Angebote vorhält, ausreichend in das Konzept aufgenommen? 7. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass in der Vorlage der KPMG von einer stationären Einrichtung mit 24 Menschen mit Behinderung ausgegangen wird, obwohl in Berlin in stationären Angeboten der Eingliederungshilfe Gruppen von maximal acht Menschen mit Behinderung der Standard sind? Zu 6. und 7.: Gegenstand des Auftrages war die Erarbeitung und Anpassung einer ab dem 01.01.2020 geltenden Vergütungsstruktur für die Assistenzleistungen im Bereich der Entgeltfinanzierten Leistungen der Eingliederungshilfe und deren adäquate vertragliche Ausgestaltung. Der konkrete prozentuale Anteil der stationären und ambulanten Angebote in Berlin war nicht Gegenstand der Auftragsbeschreibung, da diese Form der Zuordnung künftig nach SGB IX entfällt. Das methodische Vorgehen bei der Entwicklung und Darstellung neuer Kostenstrukturmodelle erforderte zunächst eine modellhafte Darstellung durch den Auftragnehmer mit dem Ziel, einen abstrakten Vergleich der verschiedenen Entgeltfinanzierten Leistungen zu ermöglichen. Daher bestand kein direkter Bezug zu den gegenwärtigen ambulanten und stationären Einrichtungen. 8. Inwiefern spielen die Empfehlungen der KPMG bei den Verhandlungen mit den Wohlfahrtsverbänden eine Rolle und welche? Zu 8.: In gemeinsamen Verhandlungen mit den Verbänden stellte das Land die Empfehlungen der KPMG vor, um die zugrunde liegenden Annahmen und modellhaften Darstellungen kritisch zu hinterfragen und die nächsten Schritte zu planen. In dieser 4 Anfangsphase der Verhandlungen mit den Verbänden waren die von der KPMG entwickelten vier Modelle eine erste Grundlage. Wie in der Ausschreibung dargestellt, erfordert die Entwicklung einer neuen Vergütungsstruktur in den folgenden Leistungspaketen 2-4 die Konzipierung praxistauglicher Konzepte. Die weitere methodische Vorgehensweise der KPMG ließ jedoch beim Land und bei den Verbänden zunehmend Zweifel an dem Erfolg der Auftragserfüllung entstehen. Denn nur auf Grundlage konkreter vergleichender Prognosen zu den praktischen und finanziellen Folgewirkungen kann eine künftige Vergütungsstruktur im Land Berlin entwickelt werden. Diese dafür erforderliche Praxisnähe war leider auf Seiten der KPMG nicht vorhanden. 9. Inwieweit ist die KPMG weiterhin für die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales bei der Umsetzung des BTHG als Beratungsunternehmen tätig? 10. In welchen anderen Bereichen erfolgt aktuell oder in den letzten drei Jahren eine Beratung der Senatssozialverwaltung durch die KPMG? Zu 9. und 10.: Der Auftrag „Unterstützung bei der Ausarbeitung und Anpassung der ab 01.01.2020 geltenden Vergütungsstruktur für entgeltfinanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem neunten Buch Sozialgesetzbuch im Land Berlin“ wurde einvernehmlich mit Beendigung des ersten Leistungspaketes aufgelöst. Die KPMG war zuvor mehrfach für Beratungsleistungen, vornehmlich für das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), tätig. 11. Wie bewertet die Senatssozialverwaltung in diesem Zusammenhang Medienberichte über die KPMG, die das Beratungsunternehmen mit Steuersparmodellen und Skandalen in Verbindung gebracht werden? Zu 11.: Zu den Medienberichten besteht kein fachlicher Bezug, so dass die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales diese mangels vorliegender objektiver Faktenlage nicht bewertet. Berlin, den 02. Juli 2019 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales