Drucksache 18 / 20 081 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Maik Penn (CDU) vom 27. Juni 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Juni 2019) zum Thema: Bedarfsgerechte Ampeln und Ampelschaltungen für Senioren und Menschen mit Behinderungen in Berlin und Antwort vom 10. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Juli 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Maik Penn (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20081 vom 27. Juni 2019 über Bedarfsgerechte Ampeln und Ampelschaltungen für Senioren und Menschen mit Behinderungen in Berlin Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Für wie senioren- bzw. behindertenfreundlich erachtet der Senat grundsätzlich die Ampelanlagen und Ampelschaltungen in Berlin? Frage 2: Inwiefern wurden die Bedürfnisse von Senioren bzw. Menschen mit (Seh-)Behinderungen in die Überlegungen des Senats zur Ampelschaltung mit einbezogen? Antwort zu 1 und zu 2: Für die Aufgaben im Zuständigkeitsbereich der Verkehrslenkung Berlin wird besonderer Wert auf die Einhaltung der Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention gelegt. Grundsätzlich werden in Berlin alle Neu- und Ersatzbauten vollumfänglich behindertengerecht ausgestattet (Bordabsenkungen, taktile Platten, akustische und vibrierende Signalgeber). Auch bei der Steuerung der einzelnen ausgestatteten Lichtsignalanlagen (LSA) werden die Belange behinderter Menschen berücksichtigt. Zusätzlich zu der grundsätzlichen Ausstattung bei Neu- und Ersatzbauten erfolgt im Rahmen von Modernisierungen von LSA auch im Rahmen vorhandener Budgets ein behindertengerechter Ausbau (BGA). Darüber hinaus erfolgt in Absprache mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV Berlin) sowie den Bezirken auch die Nachrüstung von bereits bestehenden Lichtsignalanlagen mit im Regelfall komplettem behindertengerechtem Ausbau entsprechend des jährlich zur Verfügung gestellten Budgets. Dabei werden auch Anfragen und Wünsche aus der Bevölkerung berücksichtigt. 2 Frage 3: Wie viele Sekunden Grünphase sollten im Idealfall pro Meter für Senioren bzw. Menschen mit Behinderungen für das sichere Überqueren einer Straße berechnet werden, werden diese überall eingehalten und ggf. bis wann ist vollständige Abhilfe geschaffen? Antwort zu 3: Die Regelungen für die Schaltung von LSA sind für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer in der bundesweit gültigen Richtlinie für Lichtsignalanlagen (RiLSA) formuliert. In Bezug auf den Fußverkehr wird hier grundsätzlich nicht zwischen zu Fuß Gehenden, Sehbehinderten oder Seniorinnen und Senioren unterschieden. Allerdings wird hinsichtlich der Räumgeschwindigkeiten neben dem Regelwert von 1,2 Meter pro Sekunde (m/s) eine Varianz zwischen 1,0 m/s und 1,5 m/s als Berechnungsansatz zum Verlassen der Verkehrsfläche (mit Verkehrsfläche ist hier die Länge der Fußgängerfurt von Bord zu Bord gemeint) zugelassen. In den 1990er Jahren ist bei dieser Berechnung für Sehbehinderte grundsätzlich eine Geschwindigkeit von 1,0 m/s angesetzt worden, was aber seitens des Blindenverbandes als diskriminierend kritisiert und seit Anfang der 2000er Jahre daraufhin wieder zurückgenommen wurde. In Bezug auf Seniorinnen und Senioren sind in der Nähe von Seniorenheimen grundsätzlich Räumgeschwindigkeiten von 1,0 m/s als Räumgeschwindigkeit für zu Fuß Gehende bei der verkehrstechnischen Berechnung des Räumvorgangs verwendet worden. Dies trifft auch auf LSA zu, die im Zuge der Schulwegsicherung installiert wurden. Diese Räumgeschwindigkeiten sind Grundlage für die Ermittlung der Räumzeiten und bestimmen die Zeitdauer, die nötig ist, um die gesamte Furt der Länge nach abzulaufen. Dieser Zeitbedarf wird als Schutzzeit nach Ende der Grünzeit in jedem Signalprogramm bis zum Start der an der Haltlinie wartenden Fahrzeuge grundsätzlich eingehalten. Die eigentliche Grünzeit der Fußverkehrssignale ist ihrer Dauer nach nicht zur vollständigen Querung der Straße vorgesehen. Die RiLSA orientiert sich hier bei Einzelfurten am Erreichen der Hälfte der Querungsdistanz, bei Folge- oder Doppelfurten an der Hälfte der zweiten Furt. In Berlin wird seit 2016 bei neuen oder überplanten Anlagen diesbezüglich ein Anteil von zwei Dritteln der Einfachfurt eingehalten. Grundsätzlich erfolgt die Schaltung der Blindenfreigabe in Berlin nur nach Anforderung und wird durch Vibrationen am Anforderungstaster sowie ein akustisches Freigabesignal vermittelt. Zum Auffinden der Anforderungstaster bzw. der Fußverkehrsfurt werden taktile Signale von Signalgebern an den in der Regel mittig stehenden Masten ausgesendet. Mit Einführung der neuen RiLSA 2015 und den darauf aufbauenden Vorgaben der Verkehrslenkung Berlin seit 2016 wird in der Planung bei vorliegender Blindenanforderung die vollständige Querung der angeforderten Furt innerhalb der Blindenfreigabezeit gewährleistet. Die dabei zugrunde gelegte Gehgeschwindigkeit beträgt 1,0 m/s. Der Abschluss der Überplanung aller 2.100 LSA in Berlin nach den Vorgaben seit 2016 kann nur in etwa an der LSA-Umsetzungsrate pro Jahr abgeschätzt werden. In Bezug auf die von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) eigenfinanzierten LSA-Projekte sind dies ca. 100 Anlagen pro Jahr. Hinzu kommen Projekte im Zusammenhang mit den Verbesserungen in Bezug auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie von Radverkehrsprojekten sowie Maßnahmen, die mit dem Fußverkehrsabschnitt ins Mobilitätsgesetz eingeführt werden sollen. Im Rahmen derer Realisierung werden die 3 schaltungstechnischen Randbedingungen angepasst und, sofern dies mit einem baulichem Umbau einhergeht, der Einbau von Rillenplatten realisiert. Frage 4: Wie viele Ampeln müssen noch umgerüstet bzw. neu eingestellt werden? Bis wann soll dies geschehen, welche Kosten sind dafür veranschlagt und welche Mittel bisher etatisiert? Bitte nach Bezirken auflisten. Antwort zu 4: Als Querungshilfe für Menschen mit Behinderungen dienen neben den akustischen Signalen und gelben Tastern für die blinden und sehbehinderten Menschen auch die Rillenplatten inkl. der Bordabsenkung auf 3 cm. Folgende Grafik zeigt eine entsprechende Übersicht des aktuellen Umsetzungsgrades. Zu beachten ist, dass dort als BGA ausgewertet wird, wenn entweder Rillenplatten oder akustische oder taktile Signalgeber verbaut sind (oder alle drei Elemente zusammen). Im Übrigen wird auf die Antwort zu 3 verwiesen. Frage 5: Wer ist für die Umrüstungen bzw. Neueinstellungen der Ampeln zuständig? Antwort zu 5: Die Verkehrslenkung Berlin (VLB) ist für den nachträglichen behindertengerechten Ausbau von vorhandenen Lichtsignalanlagen (LSA) zuständig. Im Rahmen des regulären Bauprogramms (Neubau) von LSA ist ebenfalls die VLB zuständig, sofern die LSA auf ihr Betreiben hin errichtet wird. Sofern Drittparteien (beispielsweise Investoren) eine neue LSA bei der VLB beauftragen, so sind diese auch für die Beauftragung eines kompletten BGA der entsprechenden LSA zuständig. Frage 6: An welche Stellen kann man sich bei Anregungen bzw. Beschwerden bzgl. der Ampelschaltung wenden und wie viele Anregungen bzw. Beschwerden sind dort seit 2016 jährlich eingegangen? Bezirk Lichtsignalanlagen BGA (Rillenplatten mit betrachtet) % BGA (Rillenplatten mit betrachtet) Charlottenburg Wilmersdorf 284 150 53% Friedrichshain-Kreuzberg 163 113 69% Lichtenberg 112 98 88% Marzahn-Hellersdorf 104 91 88% Mitte 301 227 75% Neukölln 134 101 75% Pankow 150 135 90% Reinickendorf 133 69 52% Spandau 155 108 70% Steglitz-Zehlendorf 222 136 61% Tempelhof-Schöneberg 235 112 48% Treptow-Köpenick 126 104 83% 4 Antwort zu 6: Zuständig für die Schaltung von LSA ist die Verkehrslenkung Berlin. Diese nimmt daher sowohl Beschwerden als auch Anregungen zur Verbesserung der Signalschaltungen entgegen. Statistische Auswertungen von eingehenden Bürgerbeschwerden werden seitens der VLB nicht laufend erhoben. Seit 2018 sind aber differenziertere Aussagen begrenzt möglich: Von den 498 im Jahr 2018 eingegangenen Bürger-Beschwerden bezogen sich 127 auf Querungsbedingungen für zu Fuß Gehende. Per 01.07.2019 liegen für das laufende Jahr 218 Bürgereingaben vor, wovon sich 31 auf Fußverkehrsthemen beziehen. Frage 7: In welchem Zeitrahmen und mit welchem Verfahren können nach einer Prüfung nutzergerechte Anpassungen realisiert werden? Antwort zu 7: Ausführungstechnisch kommt ein Verfahren zum Einsatz, nach welchem seitens der VLB eine entsprechende Aufgabenstellung formuliert wird, diese vom Generalübernehmer Alliander Stadtlicht GmbH (ASL) bepreist wird, die VLB einen entsprechenden Auftrag erteilt und ASL die entsprechende Umsetzung koordiniert. Zwar kann man pauschal sagen, dass bezüglich des Zeitrahmens gemäß vertraglich vereinbarter Fristen mit dem Generalübernehmer ASL - im Falle von Softwareanpassungen mit einem Zeitraum von ca. 6-12 Monaten, - im Falle von baulichen Anpassungen mit einem Zeitraum von ca. 12-24 Monaten zu rechnen ist. Jedoch ist hierbei zu beachten, dass auf Grund der Vielzahl bereits laufender Bauvorhaben mit teilweise jahrelangem Planungsvorlauf dieser Zeitrahmen überschritten werden kann. Hinzu kommt eine derzeit extrem ausgeprägte Knappheit straßenbaulicher sowie planerischer Kapazitäten bei den entsprechenden Fachfirmen sowie in vielen Fällen eine Überschneidung mit Bauvorhaben anderer Bauträger, welche eine Umsetzung behindern bzw. verzögern können. Frage 8: Inwiefern gibt es oder sind besondere Fußverkehrsregelungen geplant, z.B. in der Nähe von Senioren- oder Behinderteneinrichtungen, wo vermehrt Gruppen bzw. geheingeschränkte Personen die Straße überqueren müssen? Frage 10: Inwiefern gibt es konkrete Pläne vonseiten des Senats, inklusive Zeit- und Mittelansatz, um Berlin mit Blick auf die demografische Entwicklung sicherer für Senioren, aber auch für Menschen mit (Seh-)Behinderungen zu machen? 5 Antwort zu 8 und zu 10: Mit dem im Juli 2018 verabschiedeten Mobilitätsgesetz (MobG) hat das Land Berlin eine wichtige Grundlage geschaffen, um den Umweltverbund (ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) nachhaltig zu stärken. Den schwächsten Verkehrsteilnehmenden kommt somit eine besondere Rolle zu, so dass dem Ziel, Menschen in Berlin bequeme, sichere, zuverlässige und umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen, Rechnung getragen wird. Das Gesetz ist in unterschiedliche Abschnitte eingeteilt. Abschnitt 1 befasst sich mit verkehrsmittelübergreifenden Zielen. Dort ist u.a. das Thema der Verkehrssicherheit mit der „Vision Zero“ verankert. Dieser wichtige Grundsatz, der selbstverständlich auch für Seniorinnen und Senioren sowie für und Menschen mit (Seh-)Behinderungen gilt, ist in § 10, Absatz 1 MobG festgehalten. Grundsätzlich gilt mit dem geplanten Fußverkehrsabschnitt, dass alle Wege in der Stadt fußverkehrsfreundlich sein sollten. Dazu kategorisieren und priorisieren die Bezirke zukünftig gemeinsam mit der für Verkehr zuständigen Senatsverwaltung Fußverkehrsnetze. Bei der Priorisierung werden im Sinne der vorausschauenden Planung unter anderem unterschiedliche Wege- und Aufenthaltszwecke sowie unterschiedliche Nutzergruppen berücksichtigt (§ 54 Referentenentwurf Abschnitt Fußverkehr im Mobilitätsgesetz). Nutzende verschiedener Hilfsmittel, wie zum Beispiel Blindenstöcke, Rollstühle oder Rollatoren, haben unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche an Querungsstellen. So benötigen seheingeschränkte Personen eine eindeutig ertastbare Unterscheidung zwischen Straße und Gehweg, während Nutzende von Rollatoren und Rollstuhlfahrende einen möglichst ebenerdigen Übergang benötigen. Um diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu berücksichtigen, können beispielsweise Bordabsenkungen mit unterschiedlichen Höhen eingerichtet werden. Bei dieser Lösung können rollende Hilfsmittel über eine sehr niedrige Schwelle oder Nullabsenkung fahren, während seheingeschränkte Personen mittels taktiler Führung zum höheren Bord geleitet werden. Dadurch werden die unterschiedlichen Anforderungen berücksichtigt, die sich infolge der Nutzung verschiedener Hilfsmittel ergeben (§ 55 Referentenentwurf Abschnitt Fußverkehr im Mobilitätsgesetz). Bereits seit dem Jahr 2001 existiert im Land Berlin ein Bauprogramm zur Errichtung von Querungshilfen wie Fußgängerüberwege, Mittelinseln und Gehwegvorstreckungen. In den vergangenen Jahren wurden in diesem Zusammenhang den Bezirksämtern im Land Berlin finanzielle Mittel für den Bau von Querungshilfen von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zur Verfügung gestellt. Standortvorschläge können von den Bezirksämtern, Bürgerinnen und Bürgern, schulischen Einrichtungen oder sonstigen Institutionen an die Hauptverwaltung herangetragen werden. In einem abgestimmten Verfahren werden diese überprüft und nach positivem Bescheid vom Baulastträger errichtet. Der Prozess ist fortlaufend. Gleiches gilt für das Bordabsenkungsprogramm. Ziel dieses Programmes ist es, den barrierefreien Ausbau voranzutreiben. Politisch und rechtlich sind die Grundsteine für eine sichere Mobilität, auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, gelegt. Die Umsetzung kann umso besser gelingen, je umfangreicher die Landes- und Bezirksebene personell und finanziell ausgestattet sind. 6 Frage 9: Gibt es Überlegungen seitens des Senats, die Ampelschaltungen in Berlin grundsätzlich mehr an den Bedürfnissen von Senioren bzw. Menschen mit Behinderungen auszurichten? Antwort zu 9: In Bezug auf die Lautstärkenregelung der taktilen Signale zum verbesserten Auffinden der Anforderungstasters befindet sich zur bedarfsgerechten Aussteuerung des Tonsignals ein Smartphone-App-basiertes System eines Blindensignal-Herstellers in der Vorbereitung auf eine Testphase. Ferner sind Testaufbauten zur Erfassung des Fußverkehrs in Vorbereitung, um die Querungsmöglichkeiten der zu Fuß Gehenden zu optimieren. Berlin, den 10.07.2019 In Vertretung Ingmar Streese Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz