Drucksache 18 / 20 164 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Hendrikje Klein (LINKE) vom 04. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2019) zum Thema: Ursachen der Überflutung der Victoriastadt in Lichtenberg und Hilfe für die Anwohnenden und Antwort vom 19. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Frau Abgeordnete Hendrikje Klein (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20164 vom 4. Juli 2019 über Ursachen der Überflutung der Victoriastadt in Lichtenberg und Hilfe für die Anwohnenden Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nur zum Teil aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Berliner Wasserbetriebe (BWB) zu den Fragen 1 bis 6 und 12 bis 17 sowie die HOWOGE zur Frage 19 um Stellungnahmen gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden nachfolgend gekennzeichnet wiedergegeben. Frage 1: In der Nacht vom 11. zum 12. Juni 2019 wurden Teile der Victoriastadt in Lichtenberg aufgrund eines schweren Unwetters überflutet. Welche Schäden in welchem Umfang sind wem genau entstanden? Antwort zu 1: In der Nacht vom 11. zum 12. Juni 2019 kam es wetterbedingt zu einem erhöhten Notrufaufkommen in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr. Es wurden in dem betroffenen Gebiet hauptsächlich Wasserschäden aufgrund des starken, langanhaltenden Niederschlages gemeldet. Der daraufhin in das Wohngebiet entsandte Einsatzleiter der Berliner Feuerwehr entschied sich aufgrund der großflächigen Überflutung des Wohngebietes zur Bildung einer örtlichen Einsatzleitung. Es wurden daraufhin Kräfte nachgeführt und von dort im Bereich der Pfarrstraße und der Kaskelstraße zum Auspumpen zahlreicher vollgelaufener Keller eingesetzt. Die Berliner Feuerwehr ist entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages für die unmittelbare Gefahrenabwehr zuständig. Die Schadensaufnahme, die hiervon nicht umfasst ist, erfolgt regelmäßig erst nach Abschluss der Tätigkeit der Berliner Feuerwehr durch die jeweils 2 Betroffenen. Dem Senat liegen daher keine Erkenntnisse zu konkreten Schäden und deren Umfang vor. Die BWB haben dazu Folgendes mitgeteilt: „Die Intensität des Regenereignisses in der Nacht vom 11. zum 12. Juni 2019 war in dem Gebiet der Victoriastadt deutlich höher als in anderen Bereichen der Stadt. Besonders betroffen waren die Pfarrstraße nördlich der Kaskelstraße, die Kleingartenanlage Kynast und in Teilen auch die Spittastraße. Diese Bereiche liegen in einer Senke. Aufgrund des außergewöhnlichen Starkregens über der Victoriastadt war das Entwässerungssystem lokal im Bereich der Pfarrstraße hydraulisch überlastet. In den betroffenen Gebieten kam es zum Wasseraustritt aus der Kanalisation auf die Straßenoberfläche. Der Überstau aus dem Kanalsystem führte zusammen mit dem starken oberirdischen Regenabfluss zu Schäden in den tieferliegenden Senken. Eine vollständige Schadensermittlung für die betroffenen Bereiche liegt nicht vor. Bisher wurden durch Dritte 23 Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber den BWB geltend gemacht.“ Frage 2: Welche Ursache(n) führten zu dieser starken Überschwemmung und wer trägt hierfür die Verantwortung? Frage 3: Unter welchen Voraussetzungen hätte dies verhindert bzw. im Ausmaß begrenzt werden können? Frage 4: Warum konnte das Kanalsystem die Wassermengen nicht aufnehmen? Ist das Kanalsystem auf dem gesetzlich vorgeschrieben Standard ausgebaut bzw saniert? Antwort zu 2, 3 und zu 4: Extreme Starkniederschläge können überall auftreten, jeden treffen und gravierende Schäden insbesondere bei Gebäuden und Infrastrukturen verursachen. Derartige Ereignisse können nicht durch die Kanalisation schadlos abgeführt werden. Das Kanalnetz kann nur Regenereignisse mit einem Wiederkehrintervall von 2 – 5 Jahren (in Einzelfällen 10 Jahren) aufnehmen und ableiten, bei selteneren Ereignissen kommt es zum Überstau an der Oberfläche und in der Folge zu Überflutungen. Diese Ereignisse so zu managen, dass möglichst wenig Schaden entsteht, ist Gegenstand eines Starkregenrisikomanagements. Derzeit können Starkregenereignisse nicht genau vorhergesagt werden, daher ist die unmittelbare Reaktions- und Präventionszeit für anlassbezogene Schutzmaßnahmen sehr gering. Schutzmaßnahmen müssen an der Oberfläche durch planerische Vorsorge (z.B. Schaffung von Notwasserwegen, gezielte Schaffung von Retentionsräumen) und durch gebäudebezogene Maßnahmen (z.B. Rückstauventile, gedichtete Türen und Fenster) präventiv ergriffen werden. Grundlage für die konkrete Planung und Umsetzung von Maßnahmen zum Überflutungsschutz sind flächendeckende Analysen zum Starkregenrisiko in Berlin. Diese Arbeiten sind methodisch im Aufbau und bilden künftig die Grundlage für konkrete Planungen in den Risikogebieten. Die BWB haben ergänzend dazu Folgendes mitgeteilt: „Die Regenkanalisation ist so dimensioniert, dass Regenereignisse einer bestimmten Intensität aufgenommen und abgeleitet werden können. Gemäß den einschlägigen 3 Normen ist eine regenbedingte Überlastung der Regenkanalisation je nach Örtlichkeit statistisch alle zwei bis fünf Jahre zulässig. Im Bereich der Victoriastadt sind die Kanäle regelkonform dimensioniert. Extreme Starkniederschläge, die oberhalb der Bemessungsvorgaben liegen, können somit überall auftreten, jeden treffen und gravierende Schäden insbesondere bei Gebäuden und Infrastrukturen verursachen. Derartige Ereignisse können nicht durch die Kanalisation schadlos abgeführt werden. In diesem Fall müssen entweder Maßnahmen vor Ort, z.B. die Einrichtung von Notwasserwegen, die Schaffung von Überflutungsräumen oder der gezielte Objektschutz greifen oder es muss eine Entlastung des betroffenen Gebietes durch Rückhalt von Regenwasser im oberhalb liegenden Einzugsgebiet erfolgen. Umgehend nach dem Ereignis haben die Berliner Wasserbetriebe mit den Untersuchungen zur Überflutungsursache begonnen. Die Untersuchungen konzentrieren sich hierbei auf die ordnungsgemäße Funktion des vorhandenen Entwässerungssystems (vgl. Antwort zu 16). Es sind aber auch andere Überflutungsursachen denkbar. Beispielsweise können defekte Rückstauklappen in den Hausanschlüssen ausschlaggebend für Überflutungen in Gebäuden sein.“ Frage 5: Wie müsste das System speziell für den Kaskelkiez ausgebaut werden, damit es solche Wassermassen aufnehmen kann und keine Überflutungen stattfinden? Ist ein solcher Ausbau geplant bzw umsetzbar? Antwort zu 5: Die BWB haben dazu Folgendes mitgeteilt: „Für extreme Starkniederschläge müssen Maßnahmen zum Überflutungsschutz und zum Starkregenrisikomanagement greifen. Dazu bedarf es einer Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Die Schutz- bzw. Vorsorgemaßnahmen sind vielseitig. Zu überprüfende Handlungsoptionen sind z.B. die Einrichtung von Notwasserwegen oder Überflutungsräumen an der Oberfläche, der gezielte Objektschutz oder der Rückhalt von Regenwasser im Einzugsgebiet (vgl. Antwort zu den Fragen 2, 3 und 4).“ Frage 6: Wer haftet für die entstandenen Schäden in welchem Umfang? Antwort zu 6: Zur Frage, ob Elementarschadensversicherungen greifen, liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Die BWB haben dazu Folgendes mitgeteilt: „Die Frage kann nicht pauschal und erst nach abgeschlossener Analyse der Ursachen im Einzelfall beantwortet werden.“ 4 Frage 7: Welche Maßnahmen haben Senat und Bezirk wann in die Wege geleitet, um den Menschen vor Ort konkret zu helfen und wie sah/sieht diese Hilfe aus? Frage 8: Wie verlief der Einsatz der Berliner Feuerwehr in diesem Gebiet? Wie viele Menschen waren am Einsatz beteiligt? Frage 9: Gab es ehrenamtliche Unterstützung und wenn ja, in welchem Umfang? Antwort zu 7, 8 und zu 9: Seitens der Berliner Feuerwehr begann der Einsatz in diesem Gebiet am 12.06.2019 um 00:49 Uhr. Bei dieser Art von Einsätzen (wetterbedingt, Starkregen) wird die Berliner Feuerwehr in der Regel zum Auspumpen der Kellerräume gerufen. Am Einsatz beteiligt waren insgesamt 141 Einsatzkräfte, davon 89 Kräfte der Berufsfeuerwehr und 52 Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr mit ca. 36 Fahrzeugen und Gerätschaften. Frage 10: Welche Schwierigkeiten gab es beim Einsatz und welche Gründe gibt es dafür? Antwort zu 10: Dem Senat sind keine über die in solchen Fällen üblichen hinausgehenden Schwierigkeiten bekannt. Frage 11: Bis wann und durch wen werden die notwendigen Bauarbeiten auf dem Fußweg und im Kreuzungsbereich Pfarrstr. / Ecke Kaskelstr. abgeschlossen sein, so dass eine Nutzung wieder vollständig möglich ist? Antwort zu 11: Das Bezirksamt Lichtenberg hat mitgeteilt, dass alle im Wege der Straßenaufsicht durch das Straßen- und Grünflächenamt festgestellten Schadstellen, Löcher sowie Versackungen in einer Gesamtfläche von ca. 200 m² auf den öffentlichen Verkehrsflächen (Gehwege) im Kaskelkiez (Pfarrstraße, Kaskelstraße, Spittastraße) beseitigt wurden. Dabei wurden diese Gehwege mehrmals auf Schäden hin kontrolliert. Dennoch kann zum heutigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund von bestehenden Hohlräumen in der Zukunft erneut Schäden auftreten könnten. Frage 12: Welche Maßnahmen und Voraussetzungen werden durch wen bis wann getroffen, um eine derartige Situation in Zukunft zu vermeiden? 5 Frage 13: Welche Bemühungen sind seitens des Senats unternommen worden, um den Ruschegraben zu vergrößern? Frage 14: Wie schätzt der Senat die mögliche Lösung durch eine großflächige Abkopplung Lichtenberger Gebiete vom Regenwasser-Kanalnetz ein? Welche Folgen hätte dies? Frage 17: Wie sieht die aktuelle Kapazitätsplanung für die Abführung von Wasser im Bereich der Victoriastadt aus? Im Besonderen: Welche Wassermengen kann die aktuelle Kanalisation verkraften und sind die zukünftigen Bauvorhaben schon mit eingerechnet? Antwort zu 12, 13, 14 und zu 17: Die BWB, in deren Unterhaltungslast der Ruschegraben liegt, haben Folgendes mitgeteilt: „Nach heutiger Einschätzung können Überflutungen auch in der Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Das trifft allerdings für viele Gebiete in Berlin zu. Der Aufbau eines kommunalen Starkregenmanagements ist Bestandteil der Klimafolgenanpassung in Berlin. Um bei künftigen Starkregenereignissen mögliche Schäden vor Ort zu minimieren, bedarf es kombinierter Maßnahmen zum Überflutungsschutz und Starkregenrisikomanagement sowie der Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Die Berliner Wasserbetriebe werden daher das Gebiet betrieblich und hydraulisch prüfen. Im Anschluss sind je nach Ergebnis der Betrachtungen Maßnahmen durch die verschiedenen Akteure zu initiieren. Hierbei sind eine Vielzahl von Akteursebenen mit unterschiedlichsten Aufgabenfeldern in der Verantwortung, Informationen und Wissen zu vermitteln, die Starkregenvorsorge zu verbessern und Abwehr zu organisieren (vgl. Antwort zu 5). Inwiefern der Ausbau des Ruschegrabens oder die großflächige Abkopplung Lichtenberger Gebiete zielführende Maßnahmen sind oder Lösungen vor Ort effizienter greifen, ist derzeit noch nicht absehbar.“ Frage 15: Es gibt seit über einem Jahr umfangreiche Bauarbeiten in der Victoriastadt, zum Beispiel durch die Wasserbetriebe. Was genau wird hier gemacht und bis wann ist mit einer Fertigstellung zu rechnen? Antwort zu 15: Die BWB haben dazu Folgendes mitgeteilt: „In dem Bereich der Victoriastadt unterhalten die Berliner Wasserbetriebe derzeit drei Baumaßnahmen. Nachfolgende Tabelle enthält nähere Angaben zum Ort, Anlass und geplantem Abschluss des Bauvorhabens. 6 Bauvorhaben Kaskelstraße Türrschmidtstraße u.a. Karlshorster Straße Ort Bereich der Kaskelstraße zwischen Spittastraße und Türrschmidtstraße, sowie Geusenstraße mehrere Stellen im Gebiet zwischen Wiesenweg/Sophienstraße im Norden, Nöldnerstraße im Süden, Kynaststraße im Westen und Eitelstraße im Osten Bereich Pfarrstraße Anlass Sanierung Trinkwasserleitungen und Regenwasseranlagen Sanierung Regen- und Schmutzwasseranlagen Sanierung Regenwasseranlage „Ruschegraben“ Geplanter Abschluss 30. September 2019 Mitte August 2019 20. Juli 2019“ Frage 16: In welchem Zusammenhang stehen die Bauarbeiten mit den Ereignissen in dieser Nacht? Welche Havariepläne gab es für die Baustelle? Antwort zu 16: Die BWB haben dazu Folgendes mitgeteilt: „Inwiefern betriebliche Umstände, wie die baulichen Sanierungsarbeiten im Ruschegraben unterhalb der Karlshorster Straße, die Überflutung verursacht oder mitverursacht haben, ist Gegenstand laufender Untersuchungen.“ Frage 18: Wer ist für die Wartung des Kuhgrabens zuständig und wann wird diese durchgeführt? Wie ist hier der Zustand einzuschätzen? Antwort zu 18: Der Kuhgraben in Berlin-Lichtenberg ist eine Verrohrung auf überwiegend privaten Grundstücken; er ist kein Gewässer nach dem Berliner Wassergesetz. Die Unterhaltungslast liegt daher nicht in der Zuständigkeit der Senatsverwaltung. Der Senat geht davon aus, dass die Wartung und Unterhaltung des Kuhgrabens von den jeweiligen Grundstückseigentümern wahrgenommen wird. Eine Zustandseinschätzung kann nicht gegeben werden. Frage 19: Wie hoch ist der Schaden der betroffenen Howoge-Häuser und was hat die Howoge für ihre Mieter*innen getan? Wird die Howoge eine Musterfeststellungsklage einreichen? Welche Flutsicherungsmaßnahmen wird die Howoge vornehmen? 7 Antwort zu 19: Die HOWOGE hat auf die Frage wie folgt geantwortet: „Die HOWOGE ist einer von vielen Eigentümern im Kaskelkiez. Von den HOWOGE- Häusern ist nur eine Gewerbeeinheit in der Pfarrstraße mit einem erheblichen Wasserschaden betroffen. Die Gewerberäume werden aktuell getrocknet, die Instandsetzung ist in die Wege geleitet. Da der Mieter nicht versichert ist, hat die HOWOGE die Regulierung des Schadens über ihre Versicherung in die Wege geleitet. Aus Kulanzgründen wurde die Miete für zunächst zwei Monate erlassen. Eine Musterfeststellungsklage wird die HOWOGE nicht einreichen. Weitere Maßnahmen sind vorerst nicht geplant.“ Berlin, den 19.07.2019 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz