Drucksache 18 / 20 169 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Kohlmeier (SPD) vom 08. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Juli 2019) zum Thema: 1 Jahr Mobilitätsgesetz – Zur Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes (2): Gleichwertigkeit von Berlins ÖPNV, barrierefreie Mobilität und BerlKönig und Antwort vom 24. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Jul. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Sven Kohlmeier (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20169 vom 8. Juli 2019 über 1 Jahr Mobilitätsgesetz - Zur Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes (2): Gleichwertigkeit von Berlins ÖPNV, barrierefreie Mobilität und BerlKönig Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE) sollen die Mobilitätsangebote, die Verkehrsinfrastruktur sowie die verkehrsorganisatorischen Abläufe unter Beachtung des Nutzungsverhaltens an den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden. Wie ist das Nutzungsverhalten (Aufschlüsselung nach ÖPNV-Verkehrsmittel, Monat, Uhrzeit, Bezirk)? Antwort zu 1: Das Nutzungsverhalten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird durch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in ihrer Funktion als ÖPNV- Aufgabenträger regelmäßig untersucht und analysiert. Eine pauschale Aufschlüsselung nach Verkehrsmittel, Monat, Uhrzeit und Bezirk erfolgt dabei nicht, da sich das Nutzungsverhalten je nach Stadtteil, Altersgruppen und weiterer Parameter differenziert darstellt. Die entsprechenden Ergebnisse wurden im Monitoringbericht zum Berliner Nahverkehrsplan sowie im Kapitel I und der Anlage 2 des aktuellen Nahverkehrsplans für die Jahre 2019-2023 veröffentlicht. Der letzte Monitoringbericht ist mit Stand 20.02.2017 erarbeitet worden, der aktuelle Nahverkehrsplan wurde am 26.02.2019 vom Senat beschlossen. Beide Dokumente sowie die ergänzenden Anlagen zum Nahverkehrsplan stehen unter https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/oepnv/nahverkehrsplan/de/download s.shtml zum Download zur Verfügung. Frage 2: Gibt es einen Unterschied zwischen dem derzeitigem ÖPNV-Nutzungsverhalten der Einwohnerinnen und Einwohner Berlins und dem potenziellen Nutzungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger bei einem Ausbau des ÖPNV-Angebots? 2 Frage 3: Wenn ja: Was unternimmt der Senat, um den ÖPNV entsprechend der existierenden Nachfrage auszubauen? Antwort zu 2 und zu 3: Bei einem Ausbau des ÖPNV-Angebots ist nach allen verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen in der Regel immer von einer steigenden Nachfrage auszugehen, teils durch Verlagerungen von anderen Verkehrsträgern (Pkw, Fahrrad, Fuß), teils durch Verlagerungen von anderen ÖPNV-Angeboten und teils durch neu ausgelöste Nachfrage (induzierter Verkehr). In welchem Umfang Nachfragesteigerungen eintreten und welchen Anteil die genannten Verlagerungen sowie der induzierte Verkehr haben, hängt von der konkreten Ausbaumaßnahme ab und kann nicht pauschal angegeben werden. Jede Nutzerin bzw. jeder Nutzer sucht sich in der Regel das jeweils für sie/ihn passende Verkehrsangebot in der Stadt. Die Berlinerinnen und Berliner bewegen sich multimodal. Ein weiterer Ausbau des ÖPNV wird insoweit eine weitere Verschiebung des Modal Splits zugunsten des ÖPNV bzw. des Umweltverbunds im Allgemeinen in der Gesamtstadt bewirken. In Berlin ist der gesamte ÖPNV infrastrukturell gesehen bereits gut aufgestellt. In einzelnen Teilbereichen der Stadt kann es trotzdem zu Überlastungserscheinungen führen, für die weitere Angebote oder auch neue Infrastrukturen (z.B. Ersatz von Bussen durch Straßenbahnen) geschaffen werden müssen. Der Senat überprüft daher – wie auch im Mobilitätsgesetz des Landes Berlin festgesetzt – in regelmäßigen Abständen die verkehrlichen Rahmenbedingungen und stadträumlichen Entwicklungen und legt neue Priorisierungen zur Umsetzung von einzelnen Maßnahmen fest. Dies spiegelt sich beispielsweise in regelmäßig zu überarbeitenden Planwerken wie dem Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr oder dem Nahverkehrsplan Berlin wider. Letzterer wurde zuletzt im Februar 2019 beschlossen. Der aktuelle Nahverkehrsplan (NVP) des Landes Berlin für die Jahre 2019-2023 sieht vielfältige Maßnahmen zum Ausbau des ÖPNV-Angebots vor. Der Senat strebt die Umsetzung der im NVP beschlossenen Maßnahmen an. Frage 4: Gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 MobG BE sollen alle Einwohnerinnen und Einwohner Berlins in allen Teilen Berlins über ein gleichwertiges ÖPNV-Angebot verfügen. Wie wird das Mobilitätsangebot in den einzelnen Teilen Berlins miteinander vergleichbar gemacht? Frage 5: Ist das ÖPNV-Angebot in allen Teilen Berlins gleichwertig? Frage 6: Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: Wie begründet der Senat dies? Antwort zu 4 bis zu 6: Die Fragen 4 bis 6 stehen in engem Sachzusammenhang, sie werden daher gemeinsam beantwortet: Im aktuellen Nahverkehrsplan wurde in Kapitel I.1.5.5. die Gleichwertigkeit der Angebote im ÖPNV genauer untersucht. Vergleichsmaßstäbe dieser Untersuchung waren die 3 Erschließungswirkung sowie die Angebotsdichte und die Reisezeiten zu wichtigen Zielen. Im Ergebnis zeigte sich, dass der Anspruch eines gleichwertigen Angebots in vielen Teilen Berlins bereits erfüllt ist. Defizite bestehen u.a. noch bei Erschließungslücken in einzelnen Wohngebieten in und außerhalb des S-Bahn-Rings. Bei der Angebotsdichte, gemessen am NVP-Attraktivitätsstandard eines ganztägigen 10-Minuten-Takts bestehen vor allem in Teilbereichen der Bezirke Reinickendorf, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf noch Lücken. Frage 7: Was wird unternommen, um das ÖPNV-Angebot in allen Teilen Berlins gleichwertig im Sinne des Mobilitätsgesetzes konkret auszugestalten? Antwort zu 7: Eine gleichwertige Ausgestaltung erfolgt bei entsprechendem Potenzial etwa durch die Ausweitung des sogenannten 10-Minuten-Netzes, in dem im Tagesverkehr an Werktagen mindestens zwischen 6 und 20 Uhr ein 10-Minuten-Takt angeboten wird. Diese wie auch andere Maßnahmen werden im Zuge der Bestellung der Verkehrsleistungen bei den Verkehrsunternehmen in den nächsten Jahren schrittweise umgesetzt. Zur Behebung weitergehender Defizite benennt der NVP darüber hinaus unter anderem die Einführung bedarfsgesteuerter Verkehre als Teil des ÖPNV-Angebots. Diese Gebiete sind im NVP identifiziert, Teil des neuen Verkehrsvertrags wird der im NVP skizzierte Test dieser Angebote sein. Frage 8: Gem. § 4 Abs. 2 MobG BE sollen die Verkehrsinfrastruktur und die Mobilitätsangebote zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensbedingungen, insbesondere für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, barrierefrei gestaltet werden. Sind die Verkehrsinfrastruktur und die Mobilitätsangebote barrierefrei? Frage 9: Wenn nein: Warum nicht? Frage 10: Welche Maßnahmen zur Gestaltung von barrierefreier Mobilität werden ergriffen? Antwort zu 8 bis zu 10: Die Fragen 8 bis 10 stehen in engem Sachzusammenhang, sie werden daher gemeinsam beantwortet: Derzeit sind noch nicht alle Verkehrsinfrastrukturen und Mobilitätsangebote barrierefrei. Berlin befindet sich, wie viele andere Städte auch, in einem Umstellungsprozess von einer historisch nicht barrierefrei geplanten Infrastruktur auf eine barrierefreie Infrastruktur. Etliche Handlungsfelder der Barrierefreiheit sind jedoch bereits schon vollständig erfolgreich umgesetzt worden, bspw. der Einsatz ausschließlich barrierefreier, niederfluriger Busse und Straßenbahnen. Andere Maßnahmen wie die Ausstattung aller Bahnhöfe mit barrierefreien Zugängen durch Aufzüge oder Rampen sowie der Einbau von Blindenleitsystemen konnten noch nicht vollständig umgesetzt werden. Für die noch fehlenden Bahnhöfe sind die entsprechenden Maßnahmen derzeit in der Planung und Umsetzung. Der Senat strebt ein vollständig barrierefreies Verkehrsangebot entsprechend 4 der Vorgaben des Mobilitätsgesetzes und des Personenbeförderungsgesetzes an. Für bestimmte Bereichen benennt der NVP Ausnahmen von der vollständigen Barrierefreiheit, die temporär – bspw. für einzelne, baulich komplexe und planerisch zeitaufwändig umzubauende U-Bahnhöfe – oder dauerhaft – bspw. bei der barrierefreien Gestaltung von vorübergehend eingerichteten Bushaltestellen auf Umleitungsstrecken – erforderlich sind. Für diese Fälle ist entsprechend der Vorgabe des Mobilitätsgesetzes in § 26 Abs. 7 die Etablierung alternativer Beförderungsmöglichkeiten als umzusetzende Maßnahme im NVP benannt. Frage 11: Wie setzt sich der Senat dafür ein, dass das Angebot des ÖPNV bezahlbar bleibt? Antwort zu 11: Der Senat hat durch den Verzicht auf Tariferhöhungen in den letzten Jahren und die Absenkung bestimmter Tarifprodukte (u.a. kostenfreies Schülerticket, vergünstigtes Azubiticket, Preisreduzierung des Sozialtickets und Ausweitung der Nutzungsberechtigung auf Wohngeldempfänger, geplante Verbesserung des Firmentickets) die Bezahlbarkeit des ÖPNV für sehr viele Fahrgastgruppen verbessert. Zudem hat das vor zehn Jahren eingeführte VBB-Abo 65 plus durch einen deutlich preisreduzierten Fahrpreis bei gleichzeitig erweitertem Geltungsbereich für das gesamte Verbundgebiet die Bezahlbarkeit des ÖPNV für ältere Fahrgäste deutlich erleichtert. Frage 12: Die BVG hat unlängst angekündigt, eine neue Buslinie 300 einzuführen, welche Haltestellen in der Innenstadt anfährt. Gibt es Bestrebungen seitens der BVG, neue Buslinien in den Außenbezirken Berlins (außerhalb des S-Bahnrings) zu etablieren? Antwort zu 12: Ja, der Senat als Besteller der Verkehrsleistung wie auch die BVG als beauftragtes Verkehrsunternehmen verfolgen das Ziel, entsprechend der Planungsvorgaben des NVP auch zusätzliche Buslinien und verbesserte Busangebote (z.B. dichtere Taktzeiten) in den Außenbezirken bei der BVG zu bestellen. Entsprechende Maßnahmen wurden bereits in den vergangenen Jahren umgesetzt, bspw. im Bezirk Spandau mit der Einführung einer neuen Expressbuslinie X36 sowie neuen Linienästen der Expressbuslinien X34 und X49. Aktuell verfolgt werden bspw. Planungen für eine Verlängerung der Linie 294 zur Erschließung des Gewerbegebiets Marzahn. Frage 14: Der Berlkönig ist ein Ridesharing-Angebot der BVG und ViaVan, welches momentan lediglich innerhalb des östlichen S-Bahn-Ringes, sowie im Gesundbrunnen-, Michelangelokiez und im Komponistenviertel verfügbar ist. Warum gibt es diesen Dienst derzeitig nur in der Berliner Innenstadt? Frage 15: Gibt es Bestrebungen, diesen Service auf alle Teile Berlins, insbesondere auf die Außenbezirke (außerhalb des S-Bahnrings) auszuweiten? 5 Frage 16: Wenn nein: Warum nicht? Antwort zu 14 bis zu 16: Der „BerlKönig“ ist kein Teil des vom Senat bestellten ÖPNV-Angebots. Er basiert auf einer eigenwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungskooperation der BVG, die keine öffentlichen Zuschüsse erhält und für maximal vier Jahre genehmigt ist. Der Pilotbetrieb ist darauf gerichtet, „auf Basis der Experimentierklausel das Bündelungspotenzial durch On- Demand Rideselling mit Anlehnung an den Linienverkehr zu testen.“ Im Rahmen des Projektes solle getestet werden, ob Kundinnen und Kunden das Pooling akzeptieren und damit die gewünschte Fahrgastbündelung erzielt werden kann (eine Fahrt im BerlKönig bündelt mehrere Einzelfahrten im Individualverkehr). Es besteht ein Interesse zu erproben, ob es zur Verkehrsvermeidung und Umweltentlastung beiträgt, einen flexibleren, Appbasierten öffentlichen „Sammelverkehr“ anzubieten, der bisher Autofahrende ansprechen soll, die allein mit dem geplanten Ausbau des Radverkehrs und des klassischen Nahverkehrs nicht erreicht werden. Der Start dieses Experimentes findet daher in einem Bediengebiet mit einer hohen Nachfragedichte und einer begrenzten Fläche statt. Derzeit gibt es für derartige Verkehre keine dauerhafte Genehmigungsgrundlage im Personenbeförderungsrecht, sondern nur auf vier Jahre begrenzt zulässige Pilotangebote zur Erprobung neuer Verkehrsformen. Wie bereits in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage 18/17589 über „Neue Mobilität bis an den Stadtrand“ ausgeführt, dürfen solchen Erprobungen öffentliche Verkehrsinteressen nicht entgegenstehen. Daher sind Fahrzeuganzahl und Bediengebiet begrenzt. Die laufenden Erprobungen (BerlKönig, Clever Shuttle) sollen zunächst unter für das Pooling optimalen Rahmenbedingungen valide Daten liefern, ob die neuen Verkehrsformen zu positiven Ergebnissen im Hinblick auf das Ziel der Verkehrsvermeidung und somit zu nachgewiesenem Umweltnutzen führen. Über eine Ausweitung des „BerlKönig“-Angebots wird auf Grundlage der im Nahverkehrsplan genannten Kriterien für innovative Verkehrsangebote zu entscheiden sein, wenn die Ergebnisse der laufenden Erprobung vorliegen. Erfahrungen der Anbieter und aus anderen Städten belegen, dass der Erfolg des Poolings mit der Entfernung vom Zentrum, der geringeren Siedlungsdichte und der größeren Diversität an Fahrzielen deutlich abnimmt. Kommerzielle Angebote lassen sich daher dort in der Regel nicht wirtschaftlich betreiben. Im Nahverkehrsplan 2019-2023 ist jedoch als Maßnahme zur Behebung kleinräumiger Angebotslücken im heutigen Nahverkehrsnetz die Erprobung von Rufbusangeboten als Teil des bestellten ÖPNV-Angebots vorgesehen (vgl. Antwort zu Frage 7). In der Laufzeit des NVP 2019-2023 soll dazu in drei typischen Einsatzbereichen, in denen das heutige ÖPNV-Angebot nicht alle Anforderungen abdecken kann, mit der Erprobung entsprechender Verkehre begonnen werden, vgl. NVP 2019-2023 Kapitel VI.2.4.2. Vorgesehen sind zunächst Bereiche in Neukölln, Lichtenberg und Mahlsdorf, in denen die Erschließungsstandards des NVP aufgrund der straßenräumlichen Situation, die den Einsatz herkömmlicher Busse verhindert, unterschritten werden. Diese Rufbusverkehre sollen vollständig in den ÖPNV integriert sein, u.a. durch Anwendung des Tarifs des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg und die Gewährleistung vollständiger Barrierefreiheit. 6 Frage 17: Ist der Beantwortung von Seiten des Senats noch etwas hinzuzufügen? Antwort zu 17: Nein. Berlin, den 24.07.2019 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz