Drucksache 18 / 20 192 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Maik Penn (CDU) vom 09. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Juli 2019) zum Thema: Berliner Justizvollzugsanstalten – Medizinische Versorgung von Inhaftierten und Antwort vom 25. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Juli 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Maik Penn (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20192 vom 9. Juli 2019 über Berliner Justizvollzugsanstalten – Medizinische Versorgung von Inhaftierten ______________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie läuft gegenwärtig ein Aufnahmeverfahren von Inhaftierten ab, welche medizinischen Untersuchungen werden in diesem Rahmen standardmäßig und welche besonderen Untersuchungen aus welchen Anlässen durchgeführt? Zu 1.: Das medizinische Aufnahmeverfahren läuft wie folgt ab: Gemäß § 7 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz Berlin (StVollzG Bln) und den entsprechenden Regelungen der anderen Berliner Vollzugsgesetze erfolgt zum Strafantritt bzw. zum Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige ärztliche Untersuchung. Diese wird durch eine pflegerische Voruntersuchung vorbereitet. Hierbei werden insbesondere körperliche Messdaten, wie Größe, Gewicht , Puls, Blutdruck und ggf. weitere Kriterien erhoben und eine Befragung zum Gesundheitszustand durchgeführt. Anschließend erfolgen die ärztliche Anamneseerhebung und eine Ganzkörperuntersuchung. Darüber hinaus erfolgt gemäß § 36 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz eine Röntgenuntersuchung der Lunge, sofern nicht Kontraindikationen vorliegen. Im Rahmen der Zugangsuntersuchung wird darüber hinaus die sogenannte Personenbeschreibung gefertigt. Anschließend erfolgt eine allgemeine Ergebnismitteilung zu den Fragen: Vollzugstauglichkeit, Arbeitsfähigkeit, Sporttauglichkeit und besonderen Fragen zur Unterbringung. Sofern indiziert, wird eine medizinische Versorgung eingeleitet. 2. Welche besondere Behandlung und Therapiemöglichkeiten stehen drogenabhängigen Inhaftierten zur Verfügung? Zu 2.: Die vorrangige Behandlung drogenabhängiger Gefangener besteht in der Weiterführung oder in der Einleitung von Substitutionsbehandlungen, sofern eine medizinische Indikation vorliegt. Darüber hinaus werden in den Berliner Justizvollzugsanstalten Angebote im Themenbereich „Suchthilfe“ durch freie Träger der Suchthilfe vorgehalten. In den Justizvollzugsanstalten, in denen gesonderte Unterbringungsbereiche für drogenabhängige Gefangene eingerichtet sind, haben die Mitarbeitenden des Allgemeinen Vollzugsdienstes und des Sozialdienstes alle allgemeinen Aufgaben in der Betreuung und Behandlung der Gefangenen, unter der besonderen Berücksichtigung der Suchtproblematik , vorzunehmen. Insbesondere in Bereichen, in denen Substituierte untergebracht sind, erfolgt die begleitende psychosoziale Betreuung durch die Mitarbeitenden des Sozialdienstes . Suchttherapeutische Maßnahmen werden über die Zurückstellung der Straf- 2 vollstreckung gem. § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG), im Rahmen bedingter vorzeitiger Entlassungen oder nach Entlassung zur Endstrafe in externen Suchthilfeeinrichtungen vollzogen. Ergänzend verweise ich auf die Antwort zur Frage 3 der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/17871 vom 12. Februar 2019. 3. Welche Neuerungen im Aufnahmeverfahren von Inhaftierten gibt es im Vergleich zum Aufnahmeverfahren vor den Veränderungen 2006? Wann gab es hierzu eine Auswertung, ggf. mit welchen Schlussfolgerungen ? Zu 3.: Es wird angenommen, dass es sich bei der Fragestellung um mögliche Änderungen nach der Föderalismusreform 2006 und somit auf die Übertragung der Strafvollzugsgesetzgebung auf die Länder handelt. Das Land Berlin hat von seiner Gesetzgebungskompetenz mit dem Berliner Untersuchungshaftvollzugsgesetz (UVollzG Bln) von 2009, dem Berliner Strafvollzugsgesetz (StVollzG Bln) von 2016 und dem Berliner Jugendstrafvollzugsgesetz (JStVollzG Bln) von 2016 Gebrauch gemacht. In diesen Gesetzen sind im Wesentlichen die Regelungen zum Aufnahmeverfahren des bis dahin geltenden Strafvollzugsgesetzes des Bundes übernommen worden. Die Regelungen zum Aufnahmeverfahren und insbesondere zur ärztlichen Untersuchung finden sich nun in § 7 Abs. 3 StVollzG Bln, § 9 Abs. 3 JStVollzG Bln, § 7 Abs. 3 UVollzG Bln. 4. Wie viele Anzeigen gab es in den vergangenen 15 Jahren laut Staatsanwaltschaft von Inhaftierten gegen Ärzte, Krankenpfleger etc.? Bitte einzeln nach Jahren aufschlüsseln. Zu 4.: Eine statistische Erhebung/Differenzierung von Verfahren, in denen Strafanzeigen von Gefangenen gegen medizinisches Personal der Justizvollzugsanstalten erstattet wurden, ist mit dem Datenverarbeitungssystem MESTA (Mehrländer- Staatsanwaltschafts-Automation) nicht möglich. 5. Wer ist bei Anzeigen von Inhaftierten zuständig und welche Abläufe werden hierdurch in Gang gesetzt? Zu 5.: Im Fall einer beabsichtigten Strafanzeige oder eines Strafantrages gegen Mitarbeitende des Justizvollzuges können sich Gefangene schriftlich an die zuständigen Dienststellen der Polizei, die Staatsanwaltschaft oder die Amtsgerichte wenden (§ 158 Abs. 1 Strafprozessordnung – StPO –). Ergeben sich aufgrund der in der Strafanzeige mitgeteilten Tatsachen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein Straftatbestand verwirklicht sein könnte, sind die Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen und den Sachverhalt aufzuklären (§ 152 Abs. 2 StPO). Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob gegen die Beschuldigte bzw. den Beschuldigten Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird. Im letztgenannten Fall erhält die Anzeigeerstatterin bzw. der Anzeigeerstatter einen schriftlichen Bescheid (§ 171 StPO). 6. Wie ist in den medizinischen Bereichen der einzelnen JVAs um die personelle und räumliche Ausstattung bestellt, nach welchen Vorgaben ist sie geregelt, welche JVAs erfüllen die Vorgaben, welche in welchem Umfang nicht? Zu 6.: Die personelle Ausstattung ist im Stellenplan 2019 des Landes Berlin festgelegt und stellt sich wie folgt dar: 3 Justizvollzugsanstalt (JVA) Ärztlicher Dienst *1 Krankenpflegedienst weiteres medizinisches Personal *2 JVA Plötzensee - Justizvollzugskrankenhaus Berlin - 34,00 131,00 15,00 JVA für Frauen Berlin 11,00 JVA des Offenen Vollzuges Berlin (OVB) Die Zuständigkeit der Arztgeschäftsstelle (AGSt) OVB obliegt der JVA Tegel. JVA Moabit 26,00 2,00 JVA Tegel 40,00 Jugendstrafanstalt Berlin 8,00 Jugendarrestanstalt Berlin- Brandenburg Die medizinische Versorgung der Arrestanten erfolgt über die Jugendstrafanstalt Berlin oder die Justizvollzugsanstalt Plötzensee JVA Heidering Die Zuständigkeit der AGSt Heidering obliegt der JVA Plötzensee. *1 Sämtliche Stellen des anstaltsärztlichen Dienstes sind organisatorisch dem Justizvollzugskrankenhaus Berlin zugeordnet . Durch diese Bündelung kann eine effizientere Steuerungsmöglichkeit gewährleistet werden. *2 medizinisch-technische/r Assistent/in, Physiotherapeut/in, zahnmedizinische/r Fachangestellte/r Die räumliche Ausstattung der Arztgeschäftsstellen ergibt sich aus den medizinischen Bedürfnissen der Gefangenen und entspricht grundsätzlich neben den Möglichkeiten zur klinischen Untersuchung auch einfacher „point of care“ Diagnostik sowie einfachen Messungen (Puls, Blutdruck, Temperatur, Körpergewicht) sowie der Möglichkeit zur Durchführung von Elektrokardiogrammen. Je nach Größe der Einrichtungen, kommen zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten, wie Physiotherapie und beispielsweise Möglichkeiten für chirurgische Sprechstunden oder erweiterte Diagnostik mit Ultraschallbildgebung oder Ergometrie hinzu. Darüber hinaus sind Verfahren zur intramuralen Röntgendiagnostik und zum externen Laborprobenversand etabliert. In einigen Bereichen stehen zusätzlich Zahnbehandlungsplätze, Augenuntersuchungseinheiten und/oder Hals-Nasen-Ohren- Untersuchungsplätze zur Verfügung. Für das als Sonderkrankenhaus eingestufte Justizvollzugskrankenhaus gelten hinsichtlich der Ausstattung die Mindestanforderungen der Krankenhausverordnung Berlin (Khs- VO). Die Betriebsgenehmigung wird durch das Landesamt für Gesundheit und Soziale (LaGeSo) erteilt. 7. Inwieweit ist im Berliner Vollzug eine fachärztliche Versorgung sichergestellt? Zu 7.: Mit der stellenmäßigen Ausstattung ist die fachärztliche Versorgung im Berliner Justizvollzug grundsätzlich sichergestellt. Soweit Stellen unbesetzt sind, wird durch einen hohen Einsatz in der Steuerung der vorhandenen Ressourcen die fachärztliche Versorgung der Inhaftierten gewährleistet. 8. Welche Möglichkeiten haben Ärzte und Krankenpfleger im Berliner Vollzug zur Weiterbildung, wie oft finden diese statt? Welche Einschränkungen gibt es aufgrund der Personallage? Zu 8.: Für Ärztinnen und Ärzte bestehen Weiterbildungsmöglichkeiten in Allgemeinmedizin (1 Jahr), Innere Medizin (2 Jahre), Psychiatrie (2 Jahre), Chirurgie (6 Monate) und Forensische Psychiatrie (3 Jahre). Darüber hinaus besteht im Rahmen der Weiterbildung die Möglichkeit, vierzig der notwendigen achtzig Hospitationsstunden für die Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung“ im Justizvollzug zu absolvieren. Andere Weiterbil- 4 dungsmöglichkeiten (Fachkrankenpflege) werden in externen Bildungseinrichtungen, zum Beispiel zu den Themen Hygiene, Stationsleitung, Psychiatrie, ermöglicht. Dies ist notwendig, um den aktuellen Wissensstand sicherzustellen und zu vermitteln. Die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für alle Mitarbeitenden im Justizvollzug , auch des medizinischen Personals, wird regelmäßig gefördert und ermöglicht, sofern keine zwingenden dienstlichen Gründe dem entgegenstehen. 9. Wie hoch ist die Fluktuation (Neuverträge, Kündigungen) des medizinischen Personals im Berliner Vollzug ? Zu 9.: Jahr Ärztlicher Dienst Krankenpflegedienst Med. Hilfsdienst Neuverträge Ausgeschieden Neuverträge Ausgeschieden Neuverträge Ausgeschieden 2017 1 3 1 4 1 1 2018 4 4 8 4 1 1 2019 3 4 1 3 0 0 10. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um den Berliner Vollzug für medizinisches Personal attraktiver zu machen? Zu 10.: Um einen möglichst breiten Kreis an potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern und eine zielgenaue Ansprache zu erreichen, werden Stellenausschreibungen für Ärztinnen und Ärzte sowie weitere medizinische Fachkräfte regelmäßig in Fachpublikationen veröffentlicht. Außerdem nimmt der Justizvollzug an relevanten Messen und Veranstaltungen teil. Die Werbekampagne des Berliner Justizvollzuges wird ab dem Jahr 2020 auf alle Berufsgruppen im Justizvollzug, insbesondere auf die Mangelberufe im medizinischen Dienst, ausgeweitet. Zu den Maßnahmen, mit denen die Attraktivität einer Tätigkeit im Berliner Justizvollzug für Ärztinnen und Ärzte gesteigert werden soll, gehört die Vergütung , die auf Grundlage des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV -Ärzte) erfolgt. Hiernach werden Ärztinnen und Ärzten im Justizvollzug unter anderem auch Zeiten der Rufbereitschaft und die Teilnahme an Bereitschaftsdiensten vergütet . Medizinische Fachkräfte, die auf Grundlage des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vergütet werden oder als Beamtinnen und Beamte im Krankenpflegedienst eingesetzt sind, erhalten zudem eine Zulage für die Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt . Hinzu kommen Maßnahmen, die der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben dienen, wie die Möglichkeit zur Teilnahme an der gleitenden Arbeitszeit sowie regelmäßige Arbeitszeiten. Außerdem erhalten Assistenzärztinnen und Assistenzärzte in Facharztausbildung die Möglichkeit, verschiedene Stationen ihrer Weiterbildung im Justizvollzug zu absolvieren. Für besonders leistungsstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besteht außerdem die Möglichkeit der Zahlung von Leistungsprämien. Berlin, den 25. Juli 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung