Drucksache 18 / 20 311 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) vom 20. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Juli 2019) zum Thema: Großer Lauschangriff – Position der Justizverwaltung und Antwort vom 07. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Aug. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20311 vom 20. Juli 2019 über Großer Lauschangriff – Position der Justizverwaltung -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Auffassung vertritt der Senat, insbesondere die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der mittelbaren und unmittelbaren Überwachung in Privatwohnungen unter Nutzung sogenannter „smarter“ Geräte (e.g. Amazon Alexa, Apple Siri, Smart-TVs) in Ermittlungsverfahren? Zu 1.: Die rechtliche Zulässigkeit einer Überwachungsmaßnahme bezüglich von Smart- Home-Geräten ist zunächst davon abhängig, um welche konkrete Nutzung zu Überwachungszwecken es geht. Denn die Art der Überwachungsmaßnahme bestimmt die strafprozessuale Rechtsgrundlage. Entscheidend ist demnach, was die Überwachung betrifft (Telekommunikation, bloße mündliche Anweisungen an Smart-Home-Geräte, von diesen vorgenommene Messungen oder Steuerungen, Gespräche zwischen Menschen), wie die Überwachung erfolgt (mit Eingriff in informationstechnische Systeme des Betroffenen oder ohne), wo dies geschieht (in Wohnungen oder der Öffentlichkeit) und, ob dies offen oder verdeckt geschieht. Soweit über ein vernetztes Gerät Telekommunikation erfolgt, findet § 100a Strafprozessordnung (StPO) Anwendung. Ist dabei die Überwachung verschlüsselter Kommunikationsinhalte erforderlich, kann auch eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung vernetzter Smart-Home-Geräte nur unter den in § 100a Abs. 1 Sätze 2 und 3 StPO geregelten Voraussetzungen erfolgen. Handelt es sich bei dem vernetzten Gerät um ein informationstechnisches System und geht die Überwachung über laufende und hinzukommende Kommunikationsinhalte hinaus, finden die Bestimmungen zur sogenannten Online-Durchsuchung gemäß § 100b StPO Anwendung. Ein Eingriff in das informationstechnische System und die Erhebung von Daten hieraus darf nur erfolgen, soweit die dort geregelten engen Eingriffsvoraussetzungen vorliegen. Ein Zugriff auf Smart-Home-Geräte in Form informationstechnischer Systeme ist hingegen nicht im Rahmen von akustischen Wohnraumüberwachungen (§ 100c StPO) zulässig. Es verbietet sich daher nach geltender Rechtslage, diese Geräte durch technische Eingriffe der Ermittlungsbehörden in Wanzen umzufunktionieren und zur akustischen Wohnraumüberwachung einzusetzen 2. Welche Auffassung vertritt der Senat, insbesondere die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der Verwertung von bereits gespeicherten Daten auf sogenannten „smarten“ Geräten in Privatwohnungen (e.g. Amazon Alexa, Apple Siri, Smart-TVs) in Ermittlungsverfahren? Sofern der Senat der Auffassung ist, dass diese verwertbar sind, auf welcher rechtlichen Grundlage und wie weit zeitlich zurück dürfen diese Daten nach Auffassung des Senats ausgewertet werden, e.g. maximal sieben Tage ab Aufzeichnung? 2 Zu 2.: § 94 StPO erlaubt sowohl die Beschlagnahme von Geräten als auch die Beschlagnahme von Daten. Vernetzte Geräte und die hierauf gespeicherten Daten sind von dieser zentralen Vorschrift des Beschlagnahmerechts der Strafprozessordnung nicht ausgenommen. Die Beschlagnahme ist als offene Maßnahme ausgestaltet. Für die Durchsicht der bei Durchsuchungen sichergestellten Datenträger gilt § 110 Abs. 1 StPO; lokale Speichermedien können auf dieser Grundlage durchgesehen werden. Zudem erlaubt die Vorschrift in Abs. 3 Satz 1, dass für den Fall, dass ein sichergestelltes vernetztes Gerät ein Speichermedium ist, die Durchsicht auf ein hiervon räumlich getrenntes Speichermedium erstreckt werden kann. Handelt es sich bei einem sichergestellten vernetzten Gerät um ein informationstechnisches System, findet § 100b StPO Anwendung. Ein Eingriff in das informationstechnische System und die Erhebung von Daten hieraus darf nur erfolgen, soweit die engen Eingriffsvoraussetzungen des als heimliche Ermittlungsmaßnahme ausgestalteten § 100b StPO vorliegen. 3.Inwieweit hält der Senat, insbesondere die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, a) die Erhebung und b) die Verwertung der Daten zu 1) und 2) im Ermittlungsverfahren mit EU-Recht, insbesondere vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zu C-698/15 vom 21.12.2016, für vereinbar? Zu 3.: Die Frage nach der Vereinbarkeit einer Smart-Home-Geräte bezogenen Datenerhebung bzw. -verwertung mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-698/15 stellt sich wegen der unterschiedlichen Sachverhalte nicht. Denn die Entscheidung betraf die rechtliche Zulässigkeit einer EU-Regelung über die Vorratsdatenspeicherung . Eine solche Verpflichtung gibt es im Zusammenhang mit Smart-Home- Geräten und Sprachassistentinnen jedoch nicht. Weder die Benutzerinnen und Benutzer derartiger Geräte oder die Software noch die Firmen, denen die Smart-Home-Geräte und Programme die Daten übermitteln, sind zu irgendeiner vorsorglichen Aufbewahrung der Daten verpflichtet. 4. Wie viele Maßnahmen nach § 100 b und wie viele nach § 100 c StPO sind in den Jahren 2012 bis 2018 und wie viele in 2019 angeordnet worden? Waren in diesen Fällen auch „smarte Geräte“ betroffen? Falls ja, in wie vielen? Zu 4.: Im Zeitraum von 2012 bis 2018 fanden im Land Berlin zwei Maßnahmen gemäß § 100c StPO statt, davon beide im Jahr 2013. Smart-Home-Geräte waren davon nicht betroffen. Maßnahmen nach § 100b StPO konnten mangels einer die Online-Durchsuchung regelnden Rechtsgrundlage bis zur zweiten Jahreshälfte 2017 nicht stattfinden. Auch in den vergangenen beiden Jahren sind keine Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c StPO in Berliner Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Für das Jahr 2019 wird die diesbezüglich relevante gesetzlich vorgeschriebene Statistik nach § 101b Abs. 1 Satz 1 StPO erst zum 30. Juni 2020 fällig, sodass etwaige einschlägige Maßnahmen daher für das begonnene Jahr noch nicht zwingend im staatsanwaltschaftlichen EDV-System MESTA (Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation) erfasst sein müssen. Berlin, den 7. August 2019 In Vertretung Dr. Brückner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung