Drucksache 18 / 20 328 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 21. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2019) zum Thema: Finanzielle Aspekte der Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung und Antwort vom 08. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Aug. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20 328 vom 21. Juli 2019 über Finanzielle Aspekte der Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung _______________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Der Koalitionsvertrag trifft u.a. folgende Aussage: "Ressortübergreifend wird die Koalition Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor Zwangsverheiratung vorantreiben." Wie die TAZ berichtet, hat die unter anderem auf Zwangsverheiratungen spezialisierte Beratungsstelle von "Terre des Femmes" aus finanziellen Gründen ihre Arbeit einstellen müssen. Die zwei Stellen des Beratungsangebotes von "Terre des Femmes" seien aus privaten Spenden und einer kurzfristigen Projektförderung bezahlt worden, öffentliche Gelder habe es nicht gegeben, sagt Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle. Auch sei eine weitere wichtige Anlaufstelle, die Onlineberatung der Berliner Hilfsorganisation Papatya, die Frauen notfalls auch in einer Kriseneinrichtung unterbringt, ebenfalls von der Schließung bedroht; statt der erforderlichen Mittel in Höhe von 86.000 € pro Jahr für zwei volle Stel-len sei der Senat nur bereit, die bisherige Unterstützung von 25.000 Euro auf 29.077 Euro [Antje Lang-Lendorff: Weniger Beratung gegen Zwangsehen. Wie dem Zwang entkommen? Die TAZ vom 18.7.2019] zu erhöhen. Begründet werde dies damit, dass das Projekt durch Berlin finanziert werde, aber bundesweit arbeite." [Antje Lang-Lendorff: Weniger Beratung gegen Zwangsehen. Wie dem Zwang entkommen? Die TAZ vom 18.7.2019] 1.) Welche Maßnahmen gegen Zwangsverheiratungen hat die Koalition unternommen? 2.) Wie hoch waren die dafür eingesetzten Mittel? Zu 1. und 2.: In Berlin existiert ein gutes Beratungs- und Unterstützungsangebot für Menschen, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind. Die Berliner Anti-Gewalt- und Migrantinnenberatungsstellen verfügen über eine umfängliche Expertise zu dieser komplexen Thematik . Darüber hinaus bieten verschiedene LSBTI-Projekte, sowie die Opferhilfe Berlin e.V., das Büro der Integrationsbeauftragten des Senates und die Migrations- und Gleichstellungsbeauftragten der Bezirke Hilfe an. Für Minderjährige und junge Erwachsene stehen der Mädchen- und der Jugendnotdienst sowie PAPATYA (Träger: Türkisch-Deutscher Frauenverein e.V.) als gesamtstädtische und überregionale Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen im Alter von 13 bis 21 Jahren zur Verfügung. 2 PAPATYA bietet sozialpädagogische Beratung und Betreuung rund um die Uhr, der Zugang erfolgt über den Jugendnotdienst. Ein besonders niedrigschwelliges Angebot hält die bei PAPATYA angesiedelte online-Beratung SIBEL vor. Seit 2019 stellt der Senat zudem Mittel für eine Krisen- und Zufluchtswohnung für von Zwangsverheiratung betroffene LSBTI zur Verfügung. Eine Übersicht der Unterstützungsangebote findet sich in der aktuellen Auflage der Informationsbroschüre des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung (Stand 2018; http://www.big-berlin.info/sites/default/files/medien/350_bigak _zwangsverheiratung_2018.pdf). Folgende Projekte, die Zwangsverheiratung als einen Beratungsschwerpunkt haben bzw. aufgrund ihrer grundsätzlichen Ausrichtung von besonderer Bedeutung für Betroffene sind, werden vom Berliner Senat gefördert: TIO e.V. Fördersumme 2019 = 137.030 € Elisi Evi e. V. Fördersumme 2019 = 110.569 € Türkischer Frauenverein e.V. Fördersumme 2019 = 119.933 € Beraberce e.V. Fördersumme 2019 = 88.000 € Kriseneinrichtung PAPATYA Fördersumme 2019 = 370.040 € Online Beratung SIBEL Fördersumme 2019 = 29.077 € Krisen- und Zufluchtsunterkunft Fördersumme 2019 = 100.000 € für LSBTI Weitere wichtige Elemente bei der Bekämpfung von Zwangsverheiratung sind neben der Beratung und Unterstützung Betroffener die Sensibilisierung und Fortbildung von Fachkräften und Institutionen durch Mitarbeitende der oben genannten Institutionen sowie die Präventionsarbeit, z.B. in Form von Workshops an Schulen, die u.a. von Elisi Evi e.V. durchgeführt werden. Mit dem interdisziplinären und ressortübergreifenden Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung verfügt Berlin über ein Gremium, das regelmäßig an der Identifizierung und Schließung von Schutzlücken arbeitet und Handlungsbedarfe formuliert. Der Arbeitskreis hat u.a. verschiedene Materialien erarbeitet, die sich an unterschiedliche Berufsgruppen und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren richten (u.a. „Zwangsverheiratung – Informationen des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung“; Handlungsempfehlung für die Berliner Jugendämter zum Thema „Intervention bei Gewalt gegen Mädchen und jungen Frauen in traditionell-patriarchalen Familien“, zum Download unter https://www.berlin.de/bafriedrichshain -kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/gleichstellung/zwangsheirat/). 3.) In wie vielen Fällen konnte konkret geholfen, eine Zwangsverheiratung also abgewendet bzw. in einer aus dieser resultierenden Krise direkt interveniert werden? Zu 3.: Die Beratungsanlässe werden nicht in allen Projekten nach einzelnen Gewaltformen getrennt erfasst, daher werden folgende Zahlen exemplarisch wiedergegeben: Die Kriseneinrichtung PAPATYA hat 2018 50 Mädchen und junge Frauen aufgenommen, von denen 31 von (drohender) Zwangsverheiratung betroffen waren. In zwei Fällen hatte die Verheiratung bereits stattgefunden, in den übrigen 29 Fällen konnte sie durch die Aufnahme bei PAPATYA verhindert werden. 3 Das Projekt „MILES“ des Bildungs- und Sozialwerkes (BLSB e.V.) des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin Brandenburg (LSVD BB e.V.) hatte in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt 14 Fälle im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung in der Beratung. Davon waren acht Fälle bereits vollzogene Zwangsverheiratungen. In drei Fällen konnte die Verheiratung konkret abgewendet werden. In drei weiteren Fällen kam es im Zeitraum der Beratung zu keiner tatsächlichen Verheiratung. Das Projekt „LesMigraS“ der Lesbenberatung Berlin e.V. berichtet für das Jahr 2019 von bislang sechs Fällen, von denen vier Fälle bereits vollendet waren und ein Fall verhindert werden konnte. In einem weiteren Fall konnte die betroffene Person darin unterstützt werden , sich in einem anderen Bundesland in Sicherheit zu bringen und so der Verheiratung zu entgehen. 4.) Laut Plenarprotokoll 18/35 stellt der Senat 2019 ca. 100.000 € für Wohnprojekte bereit, die dem Schutz von LSBTI-Menschen vor Zwangsverheiratung dienen sollen. Findet hier eine Schwerpunktverlagerung hinsichtlich der Unterstützung verschiedener Opfergruppen statt? Zu 4.: Die Fachberatungsstellen für die Belange von LSBTI sowie der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung weisen seit Langem darauf hin, dass es in Berlin an einer geeigneten , an den spezifischen und komplexen Bedarfen von LSBTI in dieser kritischen und bedrohlichen Lebenssituation ausgerichteten anonymen Krisen- bzw. Zufluchtsunterkunft fehlt. Mit der Schaffung einer solchen Unterkunft, die bei dem Träger Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Berlin Spree-Wuhle e. V. angesiedelt ist, kommt der Senat diesem Bedarf entsprechend der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag (S. 102, 105) sowie den Richtlinien der Regierungspolitik nach. Das Angebot ergänzt das bestehende Hilfs- und Unterstützungssystem um eine Einrichtung mit fünf Plätzen sowie eine extern angegliederten Clearing-Stelle und schließt damit eine Versorgungslücke. Eine „Schwerpunktverlagerung hinsichtlich der Unterstützung verschiedener Opfergruppen“ ist aus Sicht des Senats hierbei nicht zu erkennen. 5.) Welche Maßnahmen wird der Senat unternehmen, um die Arbeit von "Terre des Femmes" und "Papatya" auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen? Zu 5.: Der Senat wird wie bisher die Kriseneinrichtung PAPATYA bedarfsgerecht finanzieren (vgl. Antwort auf die Frage 1). Bezüglich der bei PAPATYA angesiedelten niedrigschwelligen online-Beratung SIBEL, auf die in der Vorbemerkung zur Schriftlichen Anfrage Bezug genommen wird, weist der Senat darauf hin, dass dieses Angebots ab 2020 durch den Wegfall der Fördermittel anderer Bundesländer bzw. das Auslaufen der Förderung im Rahmen von Bundesprogrammen gefährdet ist. Die anteilige Finanzierung des Senats ist hingegen nicht gekürzt, sondern erhöht worden (Ansatz 2016: 25.000 € plus einmalige Zahlung i. H. v. 9.000 € im Rahmen der Haushaltsbewirtschaftung zum Ausgleich einer kurzfristigen Finanzierungslücke; Ansatz 2017: 26.000 €; Ansatz 2018: 28.523 €; Ansatz 2019: 29.077 €; bislang vorgesehener Ansatz 2020/2021: 29.077 €). 4 Der Senat hält die online-Beratung SIBEL aufgrund ihrer Niedrigschwelligkeit für außerordentlich wichtig. Daher werden derzeit die Möglichkeiten geprüft, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, damit das Land Berlin den Wegfall der Förderung der anderen Bundesländer und des Bundes ausgleichen kann. Für die in der Vorbemerkung genannte Beratungsstelle von Terre des Femmes weist der Senat darauf hin, dass die Organisation weder durch die für Jugend noch durch die für Frauen und Gleichstellung zuständige Senatsverwaltung finanziert wurde und auch keine entsprechenden Anträge auf Finanzierung einer Beratungsstelle vorliegen. Berlin, den 08. August 2019 In Vertretung Barbara König Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung