Drucksache 18 / 20 418 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) vom 29. Juli 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. August 2019) zum Thema: Vorbereitungen des Landes Berlin auf Katastrophenfälle im Sinne des KatSG und Antwort vom 19. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Aug. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 6 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 20 418 vom 29. Juli 2019 über Vorbereitungen des Landes Berlin auf Katastrophenfälle im Sinne des KatSG ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Was sind – bitte Beispiele anführen – Katastrophen im Sinne des KatSG Berlin? Zu 1.: Katastrophen im Sinne des Gesetzes über die Gefahrenabwehr bei Katastrophen (Katastrophenschutzgesetz - KatSG) vom 11. Februar 1999, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 09.05.2016 (GVBl. S. 240) sind „Großschadensereignisse, die zu einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen, für die Umwelt oder für sonstige bedeutsame Rechtsgüter führen und die von den für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden mit eigenen Kräften und Mitteln nicht angemessen bewältigt werden können“ vgl. § 2 Absatz 1 KatSG. Als Großschadensereignis in diesem Sinne sind unter anderem denkbar: - Terroranschläge, - Beeinträchtigung/Ausfall lebenswichtiger Versorgung, - Beeinträchtigung/Ausfall von Verkehrseinrichtungen, - Unfälle bei Groß- beziehungsweise Massenveranstaltungen, - Pandemien und Seuchen, - Gefahrgutunfälle und Schadstoffausbreitungen, - Bahn- und Flugunfälle, - extreme Wetterlagen. Das Schadensereignis ist nur dann als Katastrophe im Sinne des Katastrophenschutzgesetzes einzustufen, wenn alle Tatbestandvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere die Lage mit eigenen Kräften und Mitteln nicht angemessen bewältigt werden kann, sondern die Unterstützung aller Berliner Katastrophenschutzbehörden, der anerkannten privaten Hilfsorganisationen oder weiterer Beteiligter erforderlich ist. Seite 2 von 6 2. Welche Stellen des Landes Berlin sind in die Vorbereitung auf derartige Fälle eingebunden? Zu 2.: Der Katastrophenschutz ist als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge Aufgabe der Katastrophenschutzbehörden. Diese sind in § 3 KatSG legaldefiniert. Katastrophenschutzbehörden sind danach „die Ordnungsbehörden, die nachgeordneten Ordnungsbehörden und die Sonderbehörden, die für Ordnungsaufgaben zuständig sind, sowie die Polizei.“ 3. Welche Rolle spielen die Landesbeteiligungen, etwa die Wasserbetriebe, BSR oder Charité und Vivantes in diesen Planungen und Vorbereitungen? Zu 3.: Mit den Unternehmen, die kritische Infrastrukturen betreiben, ist seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit bei der Katastrophenvorsorge etabliert. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport moderiert eine ständige Arbeitsgruppe mit den Infrastrukturbetreibern zu verschiedenen Themen des Katastrophenschutzes. Seit zwei Jahren wurde diese Arbeit in Unterarbeitsgruppen intensiviert. So wird derzeit zu den Themen Krisenkommunikation, Kräfte und Mittel, Übungen und Öffentlichkeitsarbeit an entsprechenden Konzepten gearbeitet. Ziel ist es, die Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vernetzen und damit die Kommunikation untereinander, aber auch die Kommunikation zu der Bevölkerung zu verbessern sowie einen Austausch von personellen und materiellen Ressourcen im Krisenfall sicherstellen zu können. Charité und Vivantes gehören zu den Berliner Aufnahmekrankenhäusern. Unabhängig von einer Beteiligung des Landes Berlin sind diese auch im Katastrophenfall für die stationäre gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sowie für die Planungen und Vorbereitungen zur Katastrophenvorsorge zuständig. Hierfür normieren u.a. die Bauordnung Berlin, das Landeskrankenhausgesetz (§ 27) sowie die Krankenhausverordnung des Landes Berlin (§§ 42 ff.) die Verpflichtung für besondere Vorkehrungen im Katastrophenfall. Die Bauordnung Berlin stuft Krankenhäuser als Sonderbauten ein, für die im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens spezielle Anforderungen gestellt werden können. Hervorzuheben ist hier die Verpflichtung gem. § 2 KhsVO i.V.m. § 3 i.V. m. § 52 Bauordnung für Berlin und der DIN VDE 0100-710 – Ausführung von elektr. Anlagen in Krankenhäusern, eine separate Notstromanlage vorzuhalten. Aber auch die Pflicht aus § 42 der Krankenhausverordnung des Landes Berlin, Alarmpläne für Katastrophen und besondere Schadenslagen eigenständig aufzustellen, ist hier wesentlich. 1983 wurden erstmalig Musterempfehlungen für Krankenhäuser im Katastrophenfall herausgegeben, um den Einrichtungen Hilfestellung bei der Erstellung der Alarmpläne zu geben. Seit 1985 werden im Übrigen regelmäßig sogenannte Krankenhausvollübungen durch die für Gesundheit Seite 3 von 6 zuständige Senatsverwaltung in Berlin durchgeführt. Im Jahr 2019 fand die 200. Übung dieser Art statt. 4. Welche Rolle spielen private Unternehmen wie Tankstellenbetreiber oder Energieversorger in diesen Planungen und Vorbereitungen? Zu 4.: Eine generelle gesetzliche Verpflichtung im KatSG, wonach private Unternehmen zur Vorsorge bzw. Mitwirkung im Katastrophenschutz verpflichtet sind, existiert nicht. Besondere Verpflichtungen bestehen jedoch dann, wenn es sich um Betreiber von Einrichtungen mit besonderem Gefahrenpotential handelt, vgl. § 6 KatSG oder aber um Betreiber, die Sicherheitsberichte zu erstellen haben, vgl. § 5 KatSG. Über diese Regelungen hinaus sehen weitere spezialgesetzliche Vorschriften die Verpflichtung privater Unternehmen zu Vorsorgemaßnahmen vor. So sind beispielsweise die Betreiber kritischer Infrastrukturen (KRITIS) im Bereich Strom und Gas in Berlin (Stromnetz Berlin GmbH, 50Hertz Transmission GmbH, NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg mbH & Co. KG) nach dem Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen. Hierzu gehören auch präventive Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit wie beispielsweise eigene Notfallpläne. Darin werden Maßnahmen zur Bewältigung von Notfällen und Krisen durch die Unternehmen selbst geregelt. Diese installieren auch ein eigenes Krisenmanagement und Krisenstäbe. Die Konzepte werden der Energieaufsichtsbehörde des Landes Berlin vorgestellt. Bei einer Gefährdung bzw. Störung müssen die Energieversorgungsunternehmen sofort die jeweiligen Aufsichtsbehörden und Katastrophenschutzbehörden unterrichten. Die Einbeziehung der Energieversorgungsunternehmen in die Planungen und Vorbereitungen des Landes Berlin für den Katastrophenfall ist unerlässlich. Deswegen gibt es regelmäßige Berichte der Betreiber Kritischer Infrastrukturen im Bereich Strom und Gas in Berlin über den Zustand der Netze sowie einen verstärkten Austausch über die aktuellen Sicherheitskonzepte für den Fall einer Versorgungsunterbrechung mit der Energieaufsichtsbehörde des Landes Berlin. 5. Für welche Dauer eines Stromausfalls sind welche Einrichtungen des Landes Berlin über welche Dauer – durch Generatoren? - mit Strom versorgbar? Soweit dazu Verbrauchsstoffe benötigt werden, für welche zeitliche Dauer werden diese bevorratet. Zu 5.: Generell haben die Katastrophenschutzbehörden ihre Funktionsfähigkeit bei einem Stromausfall in eigener Zuständigkeit sicherzustellen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport weist im Rahmen ihres koordinierenden Auftrags zur Katastrophenvorsorge regelmäßig andere Behörden des Landes darauf hin, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit auch für Krisenfälle abzusichern. Seite 4 von 6 Nach derzeitigem Kenntnisstand verfügen fast alle Senatsverwaltungen und Bezirke über Notstromaggregate. Daten zu der möglichen Dauer der Notstromversorgung sowie zum Umfang der Treibstofflagerung werden jedoch nicht erfasst. In den überwiegenden Fällen ist im Land Berlin eine Absicherung für mindestens 24 Stunden gegeben. Die tatsächliche Versorgungsdauer hängt jedoch auch entscheidend vom Nutzungsverhalten ab. 6. Wie konkret kann das Land Berlin in einem Katastrophenfall mit zeitweiligem Ausfall der Stromversorgung die Bevölkerung informieren? Zu 6.: Vorrangig erfolgt die Information größerer Bevölkerungsteile in Gefahrenlagen mit Hilfe des bundesweiten Modularen Warnsystems (MoWaS) bei der Berliner Feuerwehr. Hierüber können insbesondere „Warnapps“ auf Smartphones, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie zahlreiche private Sender adressiert werden. Die Warnkanäle werden in Zusammenarbeit von Bund und Ländern kontinuierlich ausgebaut. Die zugehörige Infrastruktur ist auf behördlicher Seite sowie bei vielen Empfängern wie z.B. auch dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) notstromversorgt. Da der Rundfunk vergleichsweise stabil über längere Zeit weiterbetrieben werden kann, empfehlen Bund und Länder im Rahmen der persönlichen Notfallvorsorge die Nutzung von Autoradios, Kurbelradios sowie batteriebetriebenen Geräten bzw. deren Anschaffung. Insbesondere die Bezirke können Anlaufpunkte für die Bevölkerung einrichten, um individuelle Auskünfte zu erteilen und unmittelbar Unterstützung zu leisten bzw. zu organisieren. Im Übrigen sind in Gefahrenlagen immer auch Polizei und Berliner Feuerwehr vor Ort ansprechbar und verfügen über Kommunikationstechnik in den Einsatzfahrzeugen. 7. Verfügt das Land Berlin über Vorräte an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten zur Versorgung der Bevölkerung im Katastrophenfall? Wenn ja, für wie viele Personen und Tage? Wenn nein, weshalb nicht? Zu 7.: Staatliche Reserven für den Notfall werden auf Bundesebene vorgehalten. Die Sicherheitsreserve an Grundnahrungsmitteln auf Bundesebene soll in Krisensituationen vor allem in Ballungsräumen zur Versorgung der Bevölkerung zumindest mit einer täglichen Nahrung beitragen. Zu den nationalen Krisenvorräten, für deren Ein- und Verkauf sowie Kontrolle die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zuständig ist, gehören Reis (Lang- und Rundkorn), Hülsenfrüchte (Erbsen und Linsen), Kondensmilch sowie Brotgetreide (Weizen, Roggen) und Hafer. Die Getreidebevorratung soll in einem Krisenfall dazu eingesetzt werden, die Mehlund Brotversorgung aufrecht zu erhalten. Seite 5 von 6 Das Land Berlin verfügt über keine zusätzlichen eigenen Lebensmittelreserven. Die vorhandene Infrastruktur kann jedoch auf der Grundlage von § 8 KatSG zur Abwehr einer Katastrophe in Anspruch genommen werden. Flankierend zur staatlichen Notfallvorsorge ermutigen Bund und Länder die Bevölkerung zur privaten Vorratshaltung, um in Notsituationen einen Zeitraum von 10 bis 14 Tagen überbrücken zu können: (https://www.berlin.de/sen/wirtschaft/wirtschaft/wirtschaftsrecht/notfallvorsorge/artikel. 86850.php Darüber hinaus ist folgende Medikamentenvorsorge vorgesehen: Für den Fall der Influenza-Pandemie bevorratet das Land Berlin rund 680.000 Therapieeinheiten antivirale Arzneimittel (Oseltamivir) als Wirkstoffpulver und Kapseln. Für etwaige katastrophale Ereignisse im Forschungsreaktor BER II des Helmholtz- Zentrums Berlin GmbH werden für die sogenannte Jodblockade in Fällen der Freisetzung von radioaktiven Jodisotopen in betroffenen Bereichen für bestimmte Altersgruppen derzeit noch rd. 1,2 Mio. Kaliumiodidtabletten an mehreren Standorten vorgehalten. Ab 2020 beginnt der Rückbau der Anlage. Der Katastrophenschutzplan sowie die Liste der geplanten Ausgabestellen für Kaliumiodtabletten sind im Internet veröffentlicht: https://didakat.de/cms/beitrag/10867412/7672198. Über die oben genannten Versorgungsstrukturen hinaus befinden sich in Berlin zusätzlich drei sogenannte Basispakete zur Versorgung von jeweils 100 Schwerverletzten. Diese Pakete wurden durch den Bund bereitgestellt und werden durch das jeweils bevorratende Krankenhaus durch Wälzung auf dem aktuellen Stand der medizinischen Versorgung gehalten. Die Pakete umfassen Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Vorhaltung basiert auf einem Beschluss der Innenministerkonferenz im Jahr 2002 und dient dem Zivilschutz sowie der medizinischen Versorgung bei außergewöhnlichen Schadensereignissen oder Katastrophen. Sowohl der Bund als auch das Land Berlin können die Bevorratung bei entsprechenden Gefährdungslagen anfordern. Im Übrigen obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nach § 1 Apothekengesetz den Apotheken. 8. Welche Kräfte und Mittel stehen konkret im Katastrophenfall zur Verfügung (§ 6 Abs. 6 Nr. 3 KatSG)? Zu 8.: Im Katastrophenfall haben die Katastrophenschutzbehörden gemäß § 7 Absatz 2 KatSG alle Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr notwendig sind. Zu diesem Zwecke können alle verfügbaren Kräfte und Mittel des Landes (insbesondere Polizei, Feuerwehr) eingesetzt werden. Seite 6 von 6 Zusätzlich stehen folgende spezielle Kräfte und Mittel des Landeskatastrophenschutzes zur Verfügung: · Für die Fachdienste im Katastrophenschutz: Sanität, Betreuung, Brandschutz und ABC-Dienst standen zum 31.12.2018 (Stichtag Jahresbericht der Berliner Feuerwehr 2018, dort S.144) 202 Katastrophenschutzfahrzeuge zur Verfügung; seitdem wurden 17 Fahrzeuge ausgesondert, sodass das Land Berlin derzeit über 185 Katastrophenschutzfahrzeuge verfügt. · Von den im Katastrophenschutz mitwirkenden anerkannten privaten Hilfsorganisationen wurden 1276 Helferinnen und Helfer im Katastrophenschutz gemeldet; hinzu kommen 1493 Angehörige der Freiwilligen Feuerwehren sowie die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der privaten Hilfsorganisationen, soweit diese nicht schon als Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes erfasst sind. Eine Datenerfassung als Gesamtstatistik aller verfügbaren Kräfte und Mittel des Landes Berlin wird nicht geführt. Weitere Kräfte und Mittel können im Wege der Amtshilfe zur Katastrophenabwehr eingesetzt werden. 9. Welche Rolle spielt die Bundeswehr bei den Planungen und Vorbereitungen des Landes Berlin für Katastrophenfälle? Zu 9.: Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport koordiniert die Zusammenarbeit der zivilen Seite mit der Bundeswehr (Kommando territoriale Aufgaben der Bundeswehr) bei Katastrophen/besonders schweren Unglücksfällen (Nothilfe) auf Grundlage des Artikels 35 Grundgesetz (GG). Für den Katastrophenfall ist eine Zusammenarbeit durch Abstimmung der Alarmierungs- und Informationswege geregelt. Zur Vorbereitung von Unterstützungsmaßnahmen findet die regelmäßige Einbindung der Bundeswehr in Stabsrahmenübungen und – soweit möglich – in operative Übungen gemeinsam mit der Berliner Feuerwehr statt. Die Unterstützungsleistungen der Bundeswehr orientieren sich am Fähigkeitsprofil der zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel im Rahmen der Regelungen des GG. Berlin, den 19. August 2019 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport