Drucksache 18 / 20 449 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katalin Gennburg (LINKE) vom 06. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. August 2019) zum Thema: Stadtmarketing Berlin - ein Relikt der unternehmerischen Stadt in der solidarischen Stadt der Zukunft? und Antwort vom 23. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Aug. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Der Regierende Bürgermeister von Berlin - Senatskanzlei – Frau Abgeordnete Katalin Gennburg (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20449 vom 06. August 2019 über „Stadtmarketing Berlin - ein Relikt der unternehmerischen Stadt in der solidarischen Stadt der Zukunft?“ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Warum betreibt Berlin Stadtmarketing? Zu 1.: Nach der Definition der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V. (BCSD) dient Stadtmarketing der „nachhaltigen Sicherung und Steigerung der Lebensqualität der Bürger und der Attraktivität der Stadt im Standortwettbewerb“. Der Senat teilt diese Definition. Berlin steht ungeachtet anhaltenden Wirtschaftswachstums, steigender Tourismusund hoher Zuzugszahlen im globalen Wettbewerb mit anderen Städten um Besucherinnen und Besucher, ansiedlungswillige Unternehmen sowie Fachkräften für Zukunftsbranchen . In den kommenden Jahrzehnten werden Städte stärker als bisher um Chancen und Einfluss konkurrieren. Die Rolle von Metropolen als Motor wissenschaftlicher , technologischer, kultureller und sozialer Erneuerungen wird zunehmen. Eine starke Marke und ein erfolgreiches Stadtmarketing können die Erreichung strategischer Ziele maßgeblich unterstützen. Aktuelle Trends und Ansätze gehen davon aus, dass Stadtmarketing heute stärker von innen nach außen wirken muss. Es geht darum, die Identität und Themen der Stadt zu erkennen und zu aktivieren. Dabei sind es die Menschen, die in einer Stadt leben, die Werte an andere Menschen weitergeben. Der Senat von Berlin beabsichtigt daher, durch künftige Stadtmarketingmaßnahmen insbesondere die Verbundenheit , Liebe und den Stolz der Berlinerinnen und Berlin mit, zu und auf ihre Stadt zu stärken. Zudem werden weiterhin externe Zielgruppen wie Besucherinnen und Besucher , Investoren sowie Fachkräfte in den Blick genommen. Im Übrigen verweist der Senat in dem Zusammenhang auf das im April 2019 veröffentlichte Leitbild für das Hauptstadtmarketing „Berlin bleibt anders. Eine Reise ins Herz der Hauptstadt, auf der Suche nach ihrer DNA", abrufbar unter: http://www.berlin.de/hauptstadtmarketing. 2. Welche Institutionen (Senatsverwaltungen, Bezirksverwaltungen, landeseigene und/oder beauftragte Unternehmen , Stiftungen, Vereine, weitere) betreiben für Berlin Stadtmarketing in welchen Feldern? (Bitte für jede Institution Arbeitsfelder mit Zielen auflisten.) Zu 2.: Gemäß der Geschäftsverteilung des Senats von Berlin vom 21. April 2017 bestehen Zuständigkeiten für das Stadtmarketing in folgenden Geschäftsbereichen: - Der Regierende Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei: Hauptstadtmarketing - Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe: Standort- bzw. Tourismusmarketing - Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Sportmarketing Zu den engeren Partnern des Stadtmarketings, die u.a. von den oben genannten Verwaltungen mit der Durchführung von Maßnahmen des Stadtmarketings beauftragt werden, zählen: - Partner für Berlin Holding Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH bzw. Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH - Berlin Tourismus und Kongress GmbH - Kulturprojekte Berlin GmbH - Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH 3. Was ist Inhalt der Kommunikationsmaßnahme „Stadt des Wandels“? Seit wann wird diese mit welcher Zielsetzung durchgeführt? Zu 3.: Die Kommunikationsmaßnahme „Stadt des Wandels“ basiert auf einem Beschluss des Senats aus dem Jahr 2007. Sie diente der Entwicklung einer Strategie zur Positionierung und Kommunikation des Standortes Berlin. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft soll(te) Berlin im Rahmen einer Standortkampagne nach innen und außen kommuniziert werden. Seit 2008 ist be Berlin das offizielle Landessignet und kommunikative Dach für alle Aktivitäten zur Bewerbung der Hauptstadt auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene und vermarktet Berlin als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturstandort. 4. Wieviel Geld hat Berlin seit 2012 für Stadtmarketing ausgegeben? (Bitte nach Jahren, Marketingfeldern und Institution angegeben.) 5. Wie hoch sind die durch Stadtmarketing nachweisbar erzeugten Mehreinnahmen Berlins seit 2012? (Bitte nach Jahren, Marketingfeldern und Einnahmeart angeben.) 6. Wie hoch ist die durch Stadtmarketing erzeugte Steigerung der Besucher*innenzahlen seit 2012? (Bitte nach Jahren und Marketingfeldern angeben.) 7. Welche Mehrkosten entstanden Berlin hierdurch? Zu 4. bis 7.: Der Senat legt Wert auf die Feststellung, dass die seit 2008 laufende Hauptstadtkampagne be Berlin sowie weitere Maßnahmen des Stadtmarketings erfolgreich dazu beigetragen haben, dass Berlin heute national und international als die kreative und bunte Metropole mit ausgeprägter Kiezkultur, viel Eigensinn, weltweiter Strahlkraft und hoher Lebensqualität gilt. Die verausgabten Mittel für Stadtmarketing seit 2012 sind den nachstehenden Tabellen zu entnehmen: Der Regierende Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei / Bereich Hauptstadtmarketing Kapitel 0300, Titel 54611 „Kommunikation Stadt des Wandels“ Jahr Ist-Zahlen 2012 2.965.403,00 EUR 2013 2.898.908,63 EUR 2014 2.902.042,49 EUR 2015 3.162.123,63 EUR 2016 2.724.808,41 EUR 2017 2.663.321,45 EUR 2018 2.307.864,61 EUR 2019 (Stand 20.08.2019) 857.165,40 EUR Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe / Bereich Standortmarketing Kapitel 1320, Titel 68316 „Förderung des Berlin-Marketing“ bzw. Titel 68627/68629 „Zuschüsse für besondere touristische Projekte“ Standortmarketing (Titel 68316): Jahr Ist-Zahlen 2012 2.480.109,62 EUR 2013 2.475.533,38 EUR 2014 2.337.245,16 EUR 2015 2.353.358,61 EUR 2016 2.353.581,67 EUR 2017 2.362.743,23 EUR 2018 2.384.734,20 EUR 2019 (Stand 13.08.2019) 930.664,11 EUR Auftragnehmer war bzw. ist die Partner für Berlin Holding Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH (PfB). Touristisches Marketing und Akzeptanzerhalt (Titel 68316 und 68627/68629): Jahr Ist-Zahlen 2012 6.461.150 EUR 2013 6.364.000 EUR 2014 7.569.999 EUR 2015 8.192.732 EUR 2016 11.313.763 EUR 2017 12.499.657 EUR 2018 12.344.561 EUR 2019 (Stand 13.08.2019) 5.544.320 EUR Im genannten Zeitraum war das reine Marketing schon zunehmend um den Aspekt des Akzeptanzerhalts, später zusätzlich um die Aufgabe der Stadtverträglichkeit ergänzt worden. Es wird darauf hingewiesen, dass erst ab 2015 Mittel für besondere touristische Projekte (Titel 68627 bzw. 68629) ausgezahlt wurden. Auftragnehmer bzw. Zuwendungsempfänger in den Jahren 2012, 2013 und 2014 war allein die Berlin Tourismus & Kongress GmbH. Seit 2015 zählen zu den Auftragnehmern und Zuwendungsempfängern unter anderem: Berlin Tourismus & Kongress GmbH, Industriesalon Schöneweide e.V., eat! Berlin GmbH, Berlin Pride e.V., Solar City Circle Line UG, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berliner Zentrum Industriekultur, C/O Berlin Foundation, Kulturprojekte GmbH, Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, ARGE Musikstadt Berlin, Grün Berlin GmbH, Tourismusverein Berlin-Reinickendorf e.V., Tourismusverein Treptow-Köpenick, verschiedene Agenturen. Senatsverwaltung für Inneres und Sport / Bereich Sportmarketing Kapitel 0510, Titel 54107 „Maßnahmen zur Entwicklung der Sportmetropole Berlin“ Jahr Ist-Zahlen 2012 133.614,71 EUR 2013 96.029,49 EUR 2014 21.302,18 EUR 2015 12.384,38 EUR 2016 109.643,70 EUR 2017 81.473,75 EUR 2018 314.900,89 EUR 2019 (Stand 13.08.2019) 109.217,63 EUR Zu den verausgabten Mitteln für Stadtmarketing seit 2012 kommen anteilig Effekte aus dem Mitteleinsatz für die Kulturprojekte GmbH hinzu, die auch Stadtmarketingeffekte (Kulturmarketing) bewirken, aber nicht dezidiert ausgewiesen werden können. Da die durch Stadtmarketing erzeugten Mehreinnahmen nicht unmittelbar in den Landeshaushalt fließen, können diese nicht beziffert werden. Die Steigerung der Besucherinnen - und Besucherzahlen können nur insgesamt dargestellt werden: Jahr Übernachtungen Gäste 2012 24.896.201 10.848.797 2013 26.942.082 11.324.947 2014 28.688.683 11.871.326 2015 30.250.066 12.369.293 2016 31.067.775 12.731.640 2017 31.150.090 12.966.347 2018 32.871.634 13.502.552 8. Um welche Menge wurde der CO2-Ausstoß Berlins hierdurch gesteigert? Dazu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. Welche Aspekte umfasst nach Ansicht des Senats der im Tourismuskonzept 2018+ als Leitmotiv ausgegebene Begriff „Freiheit“? Zu 9.: Im Rahmen des Tourismuskonzepts 2018+ wird Berlin als „authentischer Geschichtsort“, „Stadt der Teilhabe“ und „kreativer Hub“ verstanden; ein Begriff der für Weltoffenheit und Toleranz steht. Der Freiheitsbegriff bezieht sich in erster Linie auf die Geschichte der Stadt und lebt bis in die Gegenwart Berlins als tolerante und weltoffene Metropole fort. Als Aufgabe im Tourismuskonzept ist formuliert, dass im Sinne eines stadtverträglichen Tourismus die Markenführung „stetig weiter zu entwickeln, neu zu akzentuieren und aufzuladen ist, ohne den Kern der politischen und individuellen Freiheit aus dem Auge zu verlieren“. Weiterhin sind „hierfür […] Instrumente zu entwickeln, die sich aus dem Markenkern ableiten und die Berliner Freiheit auch im Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Toleranz und Verantwortung klar definieren.“ Es geht also nicht darum, Bewohnerinnen und Bewohner und Gäste zu motivieren, sich gedanken- und verantwortungslos zu verhalten. Vielmehr geht es darum, den Begriff Freiheit mit Werten wie Toleranz und Weltoffenheit aufzuladen. Diese Ausrichtung wird auch von den Berlinerinnen und Berlinern geteilt: Aus einer Imagebefragung aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass für 78 % der Bevölkerung Berlin für Freiheit steht. 9. Im Tourismuskonzept 2018+ wird davon gesprochen, dass es einen “New urban tourism” gäbe, der das Interesse am „Stadterlebnis abseits ausgetretener touristischer Pfade“ äußere. Was antwortet der Senat Bewohner *innen Berlins, die sagen: „Mein Alltag ist nicht deine experience!“? Zu 10.: Die Berlin Tourismus und Kongress GmbH (visitBerlin) befragt regelmäßig die Berlinerinnen und Berliner zum Thema Tourismus. In der aktuellen Befragung von 2018 gibt eine Mehrheit von 73 % der Berlinerinnen und Berliner an, gerne Gastgeber/-in zu sein sowie stolz darauf zu sein, Besucherinnen und Besucher aus aller Welt willkommen zu heißen. Zudem gaben 83 % der Befragten an, dass sie sich vom Tourismus in ihrer Stadt weder eingeschränkt noch gestört fühlen (2017: 82 %) „New Urban Tourism“ steht für eine weltweit zu beobachtende Veränderung im Reiseverhalten. Unter dem Begriff wird das wachsende touristische Interesse an einem Stadterlebnis abseits klassischer touristischer Attraktionen verstanden. Dabei handelt es sich nicht um einen neuen Trend, allerdings hat sich die Nutzung des Stadtraums intensiviert. Mehr Bewohnerinnen und Bewohner und mehr Gäste teilen sich den gleichen Stadtraum. Ein Anspruch oder Recht auf alleinige Nutzung des öffentlichen Raums von einzelnen Nutzergruppen gibt es nicht, jedoch ist ein Ausgleich der Interessen wichtig. Aus diesem Grund zielt das Tourismuskonzept 2018+ auf einen stadtverträglichen Tourismus ab, der sowohl die Erlebnisqualität für Besucherinnen und Besucher, als auch die Lebensqualität der Berlinerinnen und Berliner in Einklang bringt. Wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Interessensausgleich ist die enge Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren – u.a. den Verwaltungen und den Bezirken – sowie die Möglichkeit der Partizipation der Berliner Bevölkerung. Diese Aspekte finden sich im Tourismuskonzept 2018+ unter den strategischen Leitlinien „Governance“ sowie „Partizipation“ wieder. Nicht zuletzt können jene Berlinerinnen und Berliner, die in touristisch bisher weniger berücksichtigten Stadtteilen leben, von einer bedachten Verteilung der Besucherströme profitieren. 10. Wann übernahm Berlin das Leitbild der unternehmerischen Stadt? 11. Wie lässt sich das Leitbild der unternehmerischen Stadt mit dem Titel der Koalitionsvereinbarung „Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen.“ vereinbaren? Zu 11. und 12.: Der Begriff „Leitbild Unternehmerische Stadt“ ist kein Bestandteil des Berliner Stadtmarketings. 12. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass verschiedene europäische Großstädte (z.B. Amsterdam) das Stadtmarketing eingestellt haben? Liegen dem Senat Berichte über den wirtschaftlichen Niedergang dieser Städte vor? Zu 13.: Dem Senat liegen keine Erkenntnisse oder Berichte über die Einstellung des Stadtmarketings in anderen europäischen Großstädten oder deren wirtschaftlichen Niedergang vor. Berlin, den 23.08.2019 Der Regierende Bürgermeister In Vertretung Christian Gaebler Chef der Senatskanzlei