Drucksache 18 / 20 498 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader (LINKE) vom 09. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. August 2019) zum Thema: Proteste gegen den Rudolf-Heß-Marsch am 19. August 2017 – Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist*innen und Datenspeicherungen und Antwort vom 28. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Sep. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete Anne Helm (LINKE) und Herrn Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20498 vom 09. August 2019 über Proteste gegen den Rudolf-Heß-Marsch am 19. August 2017 – Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist*innen und Datenspeicherungen ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Mehrere Teilnehmer*innen der Proteste gegen den extrem rechten Rudolf-Heß-Gedenkmarsch am 19. August 2017 trafen sich vor Beginn der Proteste zu einer gemeinschaftlichen Anreise per Fahrrad zu den Versammlungsorten in Spandau aus dem Ortsteil Charlottenburg. Im Zuge dessen kam es auch zu einer Auseinandersetzung an einem Infostand einer rechten Partei an der Otto- Suhr-Allee. Gegen die Gruppe der mit dem Fahrrad Anreisenden ergriff die Berliner Polizei mehrere polizeiliche Maßnahmen. Wie viele Personen haben nach Kenntnis der Polizei an dieser Anreise per Fahrrad teilgenommen? Zu 1.: Die Polizei Berlin stellte eine Gruppe von ca. 50 Personen fest. 2. Gegen wie viele Personen der unter 1. genannten Gruppe hat die Polizei wie viele Ermittlungsverfahren wegen welcher konkreten Tatvorwürfe eingeleitet und welchen strafprozessualen Abschluss haben diese Verfahren bisher gefunden? Zu 2.: Es wurde gegen 34 Personen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des schweren Landfriedensbruchs gem. § 125a Strafgesetzbuch (StGB) und der Bildung einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB eingeleitet. Ein weiteres Verfahren wurde wegen Verdachts des versuchten Raubes gem. § 249 StGB eingeleitet. Die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. 3. Von wie vielen Personen der unter 1. genannten Gruppe hat die Polizei anlässlich der Geschehnisse im Rahmen der Fahrradanreise Identitätsfeststellungen vorgenommen? Zu 3.: Die Polizei Berlin überprüfte die Identitäten von 34 Personen. Seite 2 von 5 4. Wie viele Personen der unter 1. genannten Gruppe bzw. deren Sachen hat die Polizei anlässlich der Geschehnisse im Rahmen der Fahrradanreise auf welcher jeweiligen Rechtsgrundlage durchsucht? Zu 4.: Durch die Polizei Berlin wurden 34 Personen und deren mitgeführte Gegenstände zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln in Bezug auf die o.g. Strafermittlungsverfahren auf Grundlage der Strafprozessordnung (StPO) durchsucht. 5. Gegenüber wie vielen Personen der unter 1. genannten Gruppe hat die Polizei anlässlich der Geschehnisse im Rahmen der Fahrradanreise welche genauen erkennungsdienstlichen Maßnahmen vorgenommen? Zu 5.: Im Rahmen der Überprüfung wurden von den in der Antwort zu Frage 2 genannten Personen aus strafprozessualen Gründen Lichtbilder angefertigt. 6. Für welche zeitliche Dauer wurde die unter 1. genannte Gruppe durch polizeiliche Maßnahmen festgehalten bzw. an der Teilnahme an angemeldeten Versammlungen gegen den Rudolf-Heß- Aufmarsch in Spandau gehindert? Zu 6. Die polizeilichen Maßnahmen in Bezug auf die benannte Personengruppe dauerten von 10:35 Uhr bis 12:40 Uhr. 7. Wurden gegen Personen, die dem unter 1. genannten Infostand der rechten Partei zuzuordnen waren, Ermittlungsverfahren eingeleitet? Wenn ja, wegen welcher konkreten Tatvorwürfe jeweils und welchen strafprozessualen Abschluss haben diese Verfahren bisher gefunden? Wenn nein, warum nicht? Zu 7.: Nein. Es bestand kein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO. 8. Hat die Staatsanwaltschaft anlässlich der unter 1. genannten Geschehnisse zumindest für einen gewissen Zeitraum auch wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) gegen Teilnehmer*innen der Fahrradanreise ermittelt? Wenn ja, Zu 8.: Ja. a. gegen wie viele Personen insgesamt? Zu 8.a.: Gegen 34 Personen. b. aus welchen genauen Gründen? Zu 8.b.: Aufgrund eines Angriffs auf einen Stand der Partei AfD aus einem Fahrradkorso heraus . c. wurden die Ermittlungsverfahren auf Initiative der Berliner Polizei eingeleitet und wenn ja, wie viele Beamt*innen waren an der Entscheidung beteiligt, ein solches Ermittlungsverfahren einzuleiten? d. welcher polizeilichen Dienststelle gehörten die Beamt*innen an, die für die Entscheidung verantwortlich waren, Ermittlungen wegen des Vorwurfs des § 129 StGB einzuleiten? Seite 3 von 5 Zu 8.c.,d.: Nein, die Verfahren wurden aufgrund der Strafanzeige eines Zeugen eingeleitet. e. wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren gegen diese Personen davon Abstand genommen, weiterhin aufgrund des Vorwurfs von § 129 StGB zu ermitteln, und wenn ja, aus welchen genauen Gründen? Zu 8.e.: Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. f. wurden einige oder alle Ermittlungsverfahren gegen diese Personen bereits insgesamt eingestellt und wenn ja, auf Grundlage welcher Rechtsnorm? Zu 8.f.: Nein. g. aus welchen genauen Gründen sind Ermittlungsverfahren aufgrund des Vorwurfs von § 129 StGB in der Antwort des Senats auf Frage 27 der Schriftlichen Anfrage vom 22. August 2017 (Drs.-Nr. 18/12133) nicht aufgeführt? Zu 8.g.: In der Antwort des Senats auf Frage 27 der Schriftlichen Anfrage vom 22. August 2017 (Drs.-Nr. 18/12133) wurden die eingeleiteten Ermittlungsverfahren mit Stand 01.09.2017, 12:00 Uhr, benannt. Der Ermittlungsverlauf war nicht Teil der Antwort. 9. Von wie vielen der Personen, gegen die im Zusammenhang mit dem unter 1. genannten Geschehen Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, hat die Polizei personenbezogene Daten mit welchen jeweiligen Straftatvorwürfen an das BKA übermittelt? Zu 9.: Nach den bundeseinheitlichen Verfahrensregeln im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) erfolgte die Übermittlung der Daten aller Tatverdächtigen des erfassten Sachverhaltes als „Kriminaltaktische Anfrage-Politisch Motivierte Kriminalität“ (KTA-PMK) an das Bundeskriminalamt. 10. Von wie vielen der Personen, gegen die im Zusammenhang mit dem unter 1. genannten Geschehen Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, hat die Polizei personenbezogene Daten in welchen Verbunddateien gespeichert? Zu 10.: Alle ermittelten Tatverdächtigen wurden in der bundesweit einsehbaren Gewalttäterverbunddatei erfasst. 11. Wie oft wurden wie viele dieser in Verbunddateien gespeicherten Personendatensätze seit dem 19. August 2017 von der Berliner Polizei und anderen Behörden aus welchen jeweiligen Anlässen abgerufen und wie oft waren diese Datenabfragen mit welchen jeweiligen Maßnahmen gegen die betroffenen Personen verbunden? Zu 11.: Eine statistische Erfassung der Datenabrufe erfolgt im Sinne der Fragestellung nicht, sodass hierzu keine automatisiert recherchierbaren Daten vorliegen. 12. Bereits polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen bestimmter, zum Teil schwerer Straftatenvorwürfe können eine auf Dauer angelegte Speicherung von personenbezogenen Daten von Beschuldigten Seite 4 von 5 in Staatsschutz-Verbunddateien oder Zentraldateien das BKA auslösen. Diese können für die Betroffenen Probleme bei der Arbeitsplatzsuche, bei polizeilichen Kontrollen im Alltag oder bei Grenzübertritten selbst dann nach sich ziehen, wenn das zugrundeliegende Ermittlungsverfahren nicht oder noch nicht mit einer rechtskräftigen Verurteilung abgeschlossen wurde. Wie bewertet der Senat diesen Umstand? a. Inwiefern und aus welchen genauen Gründen sieht der Senat vor dem Hintergrund der Konsequenzen für die Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer solchen auf Dauer angelegten Speicherung gewährleistet? (Bitte ausführen.) b. Sieht der Senat vor dem Hintergrund der freiheitseinschränkenden Konsequenzen für die Betroffenen den Grundsatz der Unschuldsvermutung im Fall einer solchen auf Dauer angelegten Speicherung personenbezogener Daten ohne Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung bzw. auch nach der Einstellung von Ermittlungsverfahren gewährleistet? Wenn ja, inwiefern und aus welchen genauen Gründen? (Bitte ausführen.) Zu 12., a.,b.: Die Polizei Berlin unterliegt dem Legalitätsprinzip, was bedeutet, dass ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen ist, wenn Kenntnis von einer (möglichen) Straftat erlangt wurde. Ein Ermessensspielraum im Falle einer Anzeigenerstattung ist nicht vorhanden . Bei der Eröffnung eines Strafermittlungsverfahrens werden die Daten der Tatbeteiligten in das „Polizeiliche Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung “ (POLIKS) eingegeben und gemäß der Verordnung über Prüffristen bei polizeilicher Datenspeicherung gespeichert. Gemäß der §§ 48, 50 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Berlin) können die Beteiligten bei Einstellung des Verfahrens einen Antrag auf Datenauskunft und Löschung der Daten stellen. Dieser Antrag beinhaltet auch die Prüfung der Löschung in den Verbunddateien. Während laufender Ermittlungen gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung selbstverständlich . 13. Wie viele Polizeidienstkräfte welcher genauen Untergliederungseinheiten (bitte ggf. Abschnitt, EHu bzw. LKA-Dezernat und Abteilung etc. angeben) waren im Rahmen der unter 1. genannten Fahrradanreise zu den Protesten gegen den Rudolf-Heß-Aufmarsch an welchen jeweiligen Orten und mit welchen dienstlichen Aufträgen jeweils im Einsatz? Zu 13.: Folgende Polizeidienstkräfte waren im Rahmen der Gesamtversammlungslage zum Schutz der jeweiligen Versammlungen eingesetzt: Präsidialstab: 3 Justiziariat: 1 Serviceeinheit: 4 Polizeidirektion Einsatz: 569 Örtliche Polizeidirektionen: 249 LKA: 47 Polizei Sachsen-Anhalt: 105 Polizei Baden-Württemberg: 36 Polizei Brandenburg: 27 Polizei Thüringen: 79. Zudem waren folgende weitere Einsatzkräfte der örtlichen Polizeiabschnitte, welche nicht in die Einsatzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Versammlungslage eingebunden waren, an den polizeilichen Maßnahmen im Sinne der Fragestellung beteiligt : Seite 5 von 5 Direktion 2 Abschnitt 24: 8 (Funkwageneinsatzdienst) Direktion 2 Abschnitt 25: 6 (Funkwageneinsatzdienst) Eine detaillierte Aufgliederung aller in die Maßnahmen im Zusammenhang mit der genannten Fahrradanreise von Charlottenburg bis nach Spandau eingesetzten Einsatzkäfte ist aufgrund der Länge der Strecke, des Umfangs der polizeilichen Maßnahmen sowie der teils dynamischen Lageentwicklung nicht möglich. 14. Trifft es zu, dass sich eine Polizeibeamtin am Treffpunkt Ernst-Reuter-Platz gegenüber den Teilnehmer*innen der Fahrradtour selbst als Teilnehmerin ausgab, um die Wegstrecke der Fahrradtour in Erfahrung zu bringen? a. Welcher polizeilichen Untergliederungseinheit gehörte die Polizeibeamtin an? (Bitte ggf. Abschnitt, EHu bzw. LKA-Dezernat und Abteilung etc. angeben.) b. In welchem dienstlichen Auftrag war die Polizeibeamtin eingesetzt? c. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte dieses Vorgehen? Zu 14. a.-c.: Beim Einsatz wurden Polizeidienstkräfte in bürgerlicher Kleidung eingesetzt. Die Dienstkräfte in bürgerlicher Kleidung wurden im Rahmen des gesetzlichen Auftrages zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie zur Verfolgung von Straftaten eingesetzt. Zur Anzahl der eingesetzten Polizeikräfte in einem eng begrenzten Einsatzabschnitt erteilt der Senat von Berlin aus taktischen Gründen keine Auskunft. Dies gilt gleichermaßen für die Benennung der eingesetzten Einheiten, weil hierdurch ebenfalls Rückschlüsse auf die Anzahl der eingesetzten Polizeidienstkräfte und das taktische Vorgehen möglich wären. Die Veröffentlichung dieser Information würde das polizeiliche Handeln voraussehbar machen und die Erfüllung des öffentlichen Auftrages verhindern oder erschweren. Die Funktionsfähigkeit der Polizei wäre eingeschränkt. Bei einer Herausgabe der Informationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese weiter verbreitet werden und dass potentielle Störer sich dieses polizeitaktische Wissen zunutze machen, um gezielt gegen einzelne Polizeidienstkräfte vorzugehen . Maßnahmen der Eigensicherung hätten dann nicht die beabsichtigte Wirkung und liefen ins Leere, was eine Gefährdung der eingesetzten Dienstkräfte nach sich ziehen würde. Berlin, den 28. August 2019 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport