Drucksache 18 / 20 533 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tino Schopf (SPD) vom 13. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. August 2019) zum Thema: Barrierefreiheit in Berlin – auch für Gehbehinderte (I)? und Antwort vom 30. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Sep. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Tino Schopf (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20533 vom 13. August 2019 über Barrierefreiheit in Berlin – auch für Gehbehinderte (I)? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Verwaltung: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er ist gleichwohl bemüht, Ihnen eine Antwort auf Ihre Anfrage zukommen zu lassen und hat daher die Deutsche Bahn AG (DB AG) und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) um Stellungnahmen gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat übermittelt wurden. Sie werden in der Antwort an den entsprechend gekennzeichneten Stellen wiedergegeben. Frage 1: Wie viele Menschen mit einer anerkannten Gebehinderung (Kennzeichen „G“) und wie viele mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Kennzeichen „aG“) und wie viele blinde Menschen (Kennzeichen „Bl“ bzw. „TBl“) leben nach Kenntnis des Senats in Berlin (bzw. haben von Berliner Behörden in den letzten 20 Jahren entsprechende Ausweise ausgestellt bekommen) und wie hoch schätzt der Senat bei Gehbehinderten die „Dunkelziffer“ – im Sinne von objektiv Gehbehinderten mit nicht beantragten bzw. amtlich beurteiltem Grad der Behinderung - ein? Antwort zu 1: Die nachfolgenden Zahlen stammen aus der Bestandsstatistik vom Juli 2019, wobei zu beachten ist, dass die Feststellung vorgenannter Nachteilsausgleiche nicht identisch ist mit den Zahlen der tatsächlich ausgestellten Ausweise. Dies ist damit zu erklären, dass nicht jede Feststellung in die Ausstellung eines entsprechenden Ausweises mündet. Personen, die aus einem anderen (Bundes-)land nach Berlin ziehen und ausgestellte Ausweise besitzen, werden vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) nicht erfasst und sind daher in der Statistik nicht enthalten. Demnach sind im Umlauf befindlich bekannte Ausweise: mit Merkzeichen G: 157.849 mit Merkzeichen aG: 24.880 mit Merkzeichen Bl: 3.149 mit Merkzeichen TBl: 60 2 Eine Schätzung zur „Dunkelziffer“ liegt nicht vor. Frage 2: Welche Maßnahmen hat der Senat bisher neben der kürzlich berichteten Bordsteinabsenkung1 in Berlin für die Teilhabe Gehbehinderter und außergewöhnlich Gehbehinderter Menschen in öffentlichen Raum insbesondere aber im Straßenraum umgesetzt? Frage 3: Wie wird garantiert, dass Menschen mit Gehbehinderung oder außergewöhnlicher Gehbehinderung z. B. Straßen sicher überqueren können? Antwort zu 2 und 3: Mit Verabschiedung des Mobilitätsgesetztes im Jahr 2018 ist die Mobilität für Alle rechtlich im Land Berlin verankert: „Mobilität in Berlin soll bezogen auf die wesentlichen Wegezwecke 1. an allen Tagen des Jahres und rund um die Uhr 2. in allen Teilen Berlins gleichwertig und 3. unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen und persönlichen Mobilitätsbeeinträchtigungen sowie von Lebenssituation, Herkunft oder individueller Verkehrsmittelverfügbarkeit gewährleistet werden.“ (§ 3 MobG) Bereits vor dem Inkrafttreten des Mobilitätsgesetzes hat Berlin, nicht nur bei der Straßenplanung, den Ansatz des „Designs for all“ verfolgt. Ziel des Ansatzes ist es, Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und Erlebbarkeit für möglichst alle Menschen zu erreichen. Im Bereich der Straßenplanung spiegelt sich dieser in den Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh-und Radwege (AV Geh- und Radwege) wider. Darin ist auch die Gestaltung von Querungsstellen geregelt. Die Bezirke, als Straßenbaulastträger , haben sich bei der Errichtung von Querungsstellen an diese Vorgaben zu halten. Da auch Vertreterinnen und Vertreter von Interessensgruppen für Menschen mit Einschränkungen bei der regelmäßig durchzuführenden Überprüfung der AV Geh- und Radwege beteiligt werden, ist garantiert, dass auch die Belange von Menschen mit Gehbehinderungen oder außergewöhnlichen Gehbehinderungen berücksichtigt werden. Zusätzlich kommt die fortlaufende Errichtung von Querungsstellen (Fußgängerüberwege, Mittelinsel, Gehwegvorstreckungen) Menschen mit Gehbehinderung oder außergewöhnlicher Gehbehinderung ebenso zu Gute, wie Gehwegsanierungen, die kontinuierliche durchgeführt werden. Zusätzlich wird bei der Bemessung von Freigabezeiten an Lichtsignalanlagen von der empfohlenen Gehgeschwindigkeit abgewichen (vgl. Antwort zu Frage 4). 1 Vgl. Drucksache 18 / 19 855. 3 Frage 4: Welche Gehgeschwindigkeit (in m/sec und km/h) wird bisher nach den bestehenden Richtlinien für Lichtsignalanlagen/Ampeln (RILSA) für das sichere Überqueren einer Fahrbahn während der Grün- bzw. Räumphase in Berlin vorausgesetzt? Antwort zu 4: Zur Einhaltung verkehrlicher Zielsetzungen bei der Bemessung der Freigabezeit wird von einer Gehgeschwindigkeit von 1,0 m/s in Berlin ausgegangen. Die Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) geht von einer Geschwindigkeit von 1,2 m/s aus. Die Räumgeschwindigkeit wird in Berlin mit 1,2 m/s angesetzt, was dem RiLSA-Ansatz entspricht. Ausnahmen hiervon bilden Lichtsignalanlagen im Umfeld besonderer Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser oder Altersheime, aber auch Schulen und Kitas, bei denen in Berlin die Räumgeschwindigkeit von 1,0 m/s angewendet wird. Frage 5: Werden an LSA (Lichtsignalanlagen) in Berlin, die für Sehbehinderte aus- oder nachgerüstet wurden andere Gehgeschwindigkeiten der zu Fuß Gehenden vorausgesetzt (vgl. Frage 4) und wenn ja, seit wann und für welche Gehgeschwindigkeit (in m/sec und km/h)? Frage 6: Sind alle bereits für Sehbehinderte (teil)ausgestatteten LSA in Berlin auch zeitgleich in den Umlaufzeiten (längere Grünphase für zu Fuß Gehende) auf eine verminderte Gehgeschwindigkeit eingerichtet worden und wenn nein, warum nicht? Antwort zu 5 und 6: Der Begriff Umlaufzeit bezeichnet in der Verkehrstechnik die Dauer eines Schaltzyklus aller Signalgruppen und lässt sich näherungsweise mit der Zeit zwischen zwei identischen Schaltbefehlen bestimmen (z. B. von einem Grünbeginn bis zum nächsten Grünbeginn). Seine Verwendung im Kontext mit Freigabezeiten für den Fußverkehr ist folglich falsch, daher wird nachfolgend auf die Frage nach unterschiedlichen Freigabezeiten für Sehbehinderte und Nichtsehbehinderte innerhalb eines Umlaufs eingegangen: Hier ist grundsätzlich festzuhalten, dass erst seit 2016 - mit Beauftragungen/Neuplanungen der Lichtsignal- (LSA) Anlagen - die Freigabezeit unterschiedlich bemessen wird. Dies verlangt die entsprechende DIN-Norm seit dieser Zeit. Frage 7: Bis wann wird diese Nachrüstung zumindest von LSA für Sehbehinderte verlässlich in Berlin abgeschlossen sein und für wie viele Ampel-Anlagen steht diese Umrüstung noch aus? Antwort zu 7: LSA, welche bereits über eine Ausstattung für Blinde und Sehbehinderte verfügen, haben eine ggf. angepasste Steuerung im Zuge der Ausstattung mit den entsprechenden Signalgebern erhalten. Diese Anpassung erfolgte gemäß den zum Zeitpunkt der Ausstattung gültigen Richtlinien. Eine Anpassung der Steuerung erfolgt, wenn die LSA im Zuge von konkreten Maßnahmen überplant wird. 4 Eine vollständige Ausrüstung aller in Berlin installierten LSA, mit einer Steuerung sowie hardwareseitigen Ausstattung für Blinde und Sehbehinderte, ist perspektivisch bis 2030 vorzusehen. Ob und wie dies bei derzeit noch rd. 700 auszurüstenden LSA realistisch machbar ist, ist derzeit in Prüfung. Frage 8: Wie und von wem wird bisher der Bedarf für eine behindertengerechte Umstellung von LSA bzw. die Reihenfolge der LSA erforderlichen Umstellungen entschieden und wer wird üblicher Weise an diesen Entscheidungen beteiligt? Antwort zu 8: Die Auswahl der auszurüstenden LSA erfolgt in Absprache mit dem Allgemeine Blindenund Sehbehindertenverein in Berlin (ABSV) und/oder zuständigen bezirklichen Ansprechpartnern. Frage 9: Werden u.a. auch Unfallschwerpunkte bei der Prioritätensetzung in der Reihenfolge der behindertengerechten Umstellungen von LSA berücksichtigt und wenn ja, in welcher Form? Antwort zu 9: Die Verkehrs-Unfallkommission ist zuständig für das Benennen von Maßnahmen auf Grund von schweren und tödlichen Verkehrsunfällen jeglicher Art. Eine darüberhinausgehende Berücksichtigung von Unfallschwerpunkten bei der Auswahl von LSA für die behindertengerechte Ausstattung erfolgt nicht. Frage 10: Wie wirkt sich z. B. die Nähe zu Krankenhäusern, Senioren- und Pflegeeinrichtungen und/ oder öffentlichen Gebäuden auf die Priorität der behindertengerechten Umrüstung von LSA aus? Antwort zu 10: Die Auswahl von LSA erfolgt auch in solchen Fällen gemäß der unter Antwort zur Frage 8 aufgeführten Systematik. Frage 11: Kommt es vor, dass Träger der in Frage 10 genannten Einrichtungen eine behindertengerechte Umstellung an LSA in ihrer Umgebung erbitten und wie lange müssen diese dann auf die Umsetzung warten? Antwort zu 11: Ja, dies kommt vor (s. Antwort Frage 8). Die Wartezeit variiert projektabhängig, da die Umsetzung teilweise mit anderen Maßnahmen (z. B. BVG-Maßnahmen, Bezirksmaßnahmen , etc.) koordiniert werden muss. Eine generelle Aussage ist deshalb nicht möglich. 5 Frage 12: Wer ist in Berlin für die behindertengerechte Einstellung der Signalwechsel- bzw. Umlaufzeiten an LSA zuständig? Antwort zu 12: Zur Verwendung des Begriffs „Umlaufzeiten“ wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. Die Freigabedauer von Sehbehinderten-Signalgruppen und deren strukturelle Einbindung in die Signalprogramme legt die Verkehrslenkung Berlin (VLB) gegenüber den für Berlin tätigen Ingenieur-Büros fest und überprüft diese in den eingereichten verkehrstechnischen Unterlagen (VTU) sowie vor der Umsetzung durch die Signalbaufirmen. Frage 13: Welche Voraussetzungen sind für eine behindertengerechte Umstellung der Umlaufzeiten an LSA zu erfüllen (Verkehrszählungen, ext. Gutachten, Beteiligung anderer Behörden und privater Dritter etc.) und wie lange dauert es in Berlin durchschnittlich von der Entscheidung zu einer Anpassung von Umlaufzeiten bis zu deren Realisierung? Antwort zu 13: Die Voraussetzung zur Schaltung längerer Freigabezeiten für Sehbehinderte sind entsprechend lange Umlaufzeiten der Programme, die diese Freigabezeiterhöhung durch Umverteilung innerhalb der Umlaufzeit noch zulassen. Da die Umlaufzeiten der Programme andererseits die Grundlage von jedem koordinierten Betrieb von Anlagen entlang längerer Streckenzüge ist („Grüne Wellen“), müssten ggf. alle Programme des betreffenden Streckenabschnittes angepasst werden. Ferner sind im Fall von verkehrsabhängigen Steuerungen, speziell denen mit einer Priorisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), entsprechende Parametersätze in der Steuerungslogik angepasst. Eine Inbetriebnahme setzt dann eine komplette Überprüfung der Funktionalität der Steuerung voraus, was bei umfangreichen Steuerungen entsprechenden Testaufwand verursacht. Hierbei ist i.d.R. die Beauftragung eines Fachbüros unerlässlich. Die Umsetzung kann nur durch die Signalbaufirmen erfolgen (s. auch Antworten zu Frage 8 und 11). Frage 14: Mit welchen Kosten ist die Umstellung einer Umlaufphase an einer LSA durchschnittlich verbunden? Antwort zu 14: Die reine Umprogrammierung kostet rd. 20.000 EUR, wobei der Kostenrahmen stark von der Größe des umzurüstenden Knotenpunktes abhängt. Hinzu kommen wesentlich höhere Kosten für ggf. erforderliche straßenbauliche Anpassungen, z. B. für erforderliche Bordabsenkungen sowie die notwendigen Signalgeber inklusive Verkabelung. Frage 15 Wie viele Personalstunden werden für die Umstellung eine Umlaufphase an einer LSA durchschnittlich behördenintern bzw. extern geleistet? 6 Antwort zu 15: Hierzu sind Aufwände bei der VLB, beim Generalübernehmer für die LSA-Infrastruktur, bei der Polizei, den Bezirken, der Signalbaufirma sowie externen Planern zu berücksichtigen. Eine Abschätzung ist - bei der Komplexität des Anpassungsprozesses - nicht möglich. Frage 16: Wie beurteilt der Senat die Behindertengerechtigkeit von LSA, die für Sehbehinderte eingerichtet sind in Bezug auf Gehbehinderte? Antwort zu 16: Auch Gehbehinderte profitieren von den verlängerten Blinden-Freigaben, insbesondere dann, wenn sie zu Beginn der Freigabezeit den Querungsvorgang beginnen. Der Senat hat sich bereits 1998 verpflichtet, alle Neu- und Ersatzbauten (jedoch nicht die Umbauten) des regulären Bauprogramms von LSA barrierefrei auszustatten. Deshalb werden grundsätzlich in Berlin alle Neu- und Ersatzbauten vollumfänglich behindertengerecht ausgestattet (Bordabsenkungen, taktile Platten, akustische und vibrierende Signalgeber). Eine solchermaßen ausgestattete LSA ist aus Sicht des Senats in Bezug auf Gehbehinderte gut ausgestattet. Frage 17: Ist der Senat der Auffassung, dass die teilweise an LSA für die Gehgeschwindigkeit von Sehbehinderten verlängerte Umlaufzeit (vgl. Frage 5) auch für Gehbehinderte, insbesondere für außergewöhnlich Gehbehinderte (die u.a. mit einem Rollator oder im Rollstuhl unterwegs sind) ausreicht, um an einer Lichtsignalanlage sicher die Fahrbahnen und z. T. noch daneben liegende Radverkehrsanlagen zu überqueren? Antwort zu 17: Es wird auf die Antwort zur Frage 16 verwiesen. Ergänzend: Zum Bewältigen des Räumweges von zu Fuß Gehenden, der zum Verlassen einer Konfliktfläche benötigt wird, gehört auch der angrenzende Radweg rechnerisch mit dazu und ist daher schon mitberücksichtigt. Grundsätzlich gibt es zudem nach § 1 der StVO den Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme unter den Verkehrsteilnehmenden, die im Übrigen auch das Einfahren in Knotenpunktbereiche bei Grün nur dann zulässt, wenn die entsprechende Verkehrsfläche frei bzw. geräumt ist. Frage 18: Sind dem Senat Untersuchungen zur Gehgeschwindigkeit von Gehbehinderten und außergewöhnlich Gehbehinderten, insbesondere wenn sie mit einem Rollator oder im selbst betriebenen Rollstuhl unterwegs sind, bekannt und welche Geh- bzw. Rollgeschwindigkeiten (in m/sec und km/h) sind dem Senat aus diesen Untersuchungen bekannt? 7 Frage 19: Wie bewertet der Senat die Einschätzung einzelner Gutachten2, die z. B. für ältere und gehbehinderte Menschen mit Rollatoren nur eine durchschnittliche (!) Geschwindigkeit von 0,56 m/sec bzw. 2 km/h gemessen haben (d.h. ein Teil der Probanden war noch langsamer)? Antwort zu 18 und 19: Das Land Berlin geht bei der Bemessung der Freigabezeit von einer Gehgeschwindigkeit von 1,0 m/s aus (RiLSA: 1,2 m/s; siehe auch Antwort zu Frage 4). Die Räumgeschwindigkeit wird in Berlin 1,2 m/s angesetzt, was dem RiLSA-Ansatz entspricht. Die RiLSA ist ein in Deutschland gültiges Regelwerk, welches vom Verein „Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen“ regelmäßig aktualisiert wird und die neusten Erkenntnisse aus der Forschung berücksichtigt. Frage 20: An wie vielen LSA in Berlin sind die Umlaufzeiten auf die in den Fragen 17 und 18 angesprochene Gruppe von gehbehinderten Menschen, die aufgrund des demographischen Wandels in Berlin stetig zunimmt, eingerichtet und bis wann wird sich die Zahl der LSA die für hier genannte Gruppe von Gehbehinderten Menschen (vgl. Frage 17) die verändern (bitte einen Zeitplan und die Anzahl pro Jahr für die kommenden 5 Jahre angeben)? Antwort zu 20: In dem laufenden Doppelhaushalt sind jährlich 1 Mio. € für den nachträglichen behindertengerechten Ausbau eingeplant. Damit lassen sich zusätzlich zu den Maßnahmen des regulären Bauprogramms (acht bis zwölf Anlagen/Jahr) ca. vier bis sechs Anlagen ertüchtigen. Im Rahmen der Haushaltsanmeldung für den Doppelhaushalt 2020/21 ist eine Mittelerhöhung um jährlich 1 Mio. € auf dann 2 Mio. € für den nachträglichen behindertengerechten Ausbau sowie den Fußverkehr angemeldet. Damit lassen sich zusätzlich zu Maßnahmen des regulären Bauprogramms ca. 8 bis 12 Anlagen ertüchtigen (Voraussetzung: ausschließliche Mittelverwendung für den behindertengerechten Ausbau). Frage 21: Wie schätzt der Senat die Möglichkeiten der in Frage 17 und 18 angesprochenen Behindertengruppen ein, an einer LSA an einer Hauptverkehrsstraße die Fahrbahn (und ggf. daneben liegende Radwege) zu überqueren, um z. B. auf der anderen Straßenseite zum Arzt, zum Einkaufen oder etwa in ein Café zu gehen? Antwort zu 21: Der Senat geht davon aus, dass die Einhaltung der vorstehend benannten Vorgaben für LSA-Programme (Antwort zu den Fragen 4, 5, 6 und 16) eine angemessene Berücksichtigung sicherstellt. Dabei sind in der Regel auf breiteren Fahrbahnen meistens Mittelinseln vorhanden, die ein Queren entsprechend erleichtern. 2 Gehgeschwindigkeiten und Laufverhaltenälterer oder gehbehinderter Verkehrsteilnehmer mit Rollatoren – erste Studien; VKU- Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik; März 2015 8 Frage 22: Ist der Senat der Ansicht, das der bestehende Zustand in Berlin, hier die Einstellung der Umlaufzeiten an LSA, in irgendeiner Weise die gültige UN-Behindertenkonvention insbesondere die Artikel 9 (Barrierefreiheit) und Artikel 29+30 (soziale Teilhabe) für Gehbehinderte bzw. außergewöhnlich Gehbehinderte erfüllt und wie soll das geändert werden? Antwort zu 22: Bezüglich der Einstellung der Umlaufzeiten sind die Vorgaben des Artikels 9 der UN- Behindertenkonvention erfüllt (vgl. Antwort zur Frage 16). Frage 23: Welche Alternativen sieht der Senat für die in Frage 17 angesprochene Behindertengruppe Hauptverkehrsstraßen zu überwinden: a) mit Hilfe eines Taxis, dessen Kosten vom Land Berlin übernommen wird? b) mit Hilfe der Polizei, die jeweils bei Bedarf nach Fahrbahnüberquerung vom Behinderten gerufen werden muss? c) durch Einrichtung von Bedarfsampeln (an breiten Straßen bevorzugt mit Mittelinseln mit speziellen Umlaufphasen für diese Personengruppe? d) durch Nachrüstung z. B. eines Chipkartensystems o.ä., mit dem sich Gehbehinderte an der LSA anmelden und dann einmalig verlängerte Grünphasen für Fußgänger geschaltet bekommen? e) oder hat der Senat noch andere Vorschläge, zukünftig die Barrierefreiheit und Teilhabe für alle Gehbehinderten bei der Überquerung breiter Straßen sicherzustellen? Antwort zu 23: In Berlin sind in der Regel ausreichend Querungen für seh- und gehbehinderte Personen vorhanden, sodass nicht auf kostspielige, technisch aufwendige und personalintensive Maßnahmen zurückgegriffen werden muss. Hier wird der Verlässlichkeit gebauter infrastruktureller Lösungen der Vorzug vor im Alltag schwierig umsetzbarer Lösungen der Vorzug gegeben. Frage 24: Wie viele Aufzugsanlagen an S-Bahn, U-Bahn und Regional- bzw. Fernbahnhöfen, auf die viele Gehbehinderte angewiesen sind, sind derzeit defekt bzw. außer Betrieb (bitte tabellarisch getrennt nach den drei Sparten angeben)? Antwort zu 24: Die BVG teilt hierzu mit: „Die BVG betreibt derzeit 168 Aufzüge an 118 U-Bahnhöfen. Mit Stand 16.08.2019 12:00 Uhr sind davon drei Aufzüge an drei U-Bahnhöfen aufgrund von Baumaßnahmen oder einer Kompletterneuerung außer Betrieb. Zudem standen wegen kleinerer Reparaturen beziehungsweise Störungsbeseitigungen zwei Aufzüge an zwei U-Bahnhöfen mit einer Dauer von jeweils weniger als 24 Stunden nicht zur Verfügung.“ Die DB AG teilt hierzu mit: S-Bahn U-Bahn Regio/Fernverkehr Summe Gesamt 16 11 3 = 30 Stand 21.08.2019 14:45 Uhr 9 Frage 25: Welche Wegstrecke ist aus Sicht des Senats einem gehbehinderten bzw. außergewöhnlich gehbehinderten Menschen zuzumuten, um z. B. von der eigenen Haustür einem Behindertenparkplatz, einer Bushaltestelle oder einem Bahnhof bis zu einer für seine Geschwindigkeit eingerichteten LSA im Sinne der Barrierefreiheit und Teilhabe zu gelangen? Frage 26: Wie kann bzw. sollte die Überquerung von Wohn- und Nebenstraßen von Gehbehinderten insbesondere mit Rollator bzw. Rollstuhl erreicht werden, wenn durch beidseitig parkende Autos oft mehr als hundert Meter weit kein Überqueren der Fahrbahn möglich ist? Frage 27: Welchen Höchstabstand sollten Fußgängerfurten nicht nur für Gehbehinderte (auch Kinderwägen, Fahrradfahrende oder Abfallentsorger) an durchgängig beparkten Fahrbahnrändern haben, um noch Barrierefreiheit und Teilhabe zu gewährleisten? Antwort zu 25, 26 und 27: Eine pauschale Aussage über die Länge einer Wegstrecke und den Höchstabstand von Fußgängerfurten lässt sich aus Sicht des Senats nicht treffen. Im Land Berlin sind mit Rundschreiben vom 3. Dezember 2007 für den Bereich der kommunalen Straßen die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) als verbindliche Richtlinien eingeführt worden. Sie liefern konkrete Vorgaben für die Planung, den Entwurf und die Gestaltung von Erschließungsstraßen sowie angebauter Hauptverkehrsstraßen. Dabei lassen die Richtlinien etlichen Entscheidungsspielraum für das planerische Handeln unter den jeweiligen Randbedingungen des Einzelfalls. So ist hier festgehalten, dass an angebauten Straßen Anlagen für den Fußgängerverkehr überall erforderlich sind und diese Anlagen sowohl den Längs-, als auch den Querverkehr umfassen. Eine definierte Wegestrecke zwischen Querungsmöglichkeiten, die im Übrigen nicht nur Lichtsignalanlagen, sondern auch Gehwegvorstreckungen, Mittelinseln und Fußgängerüberwege umfassen, ist hier bewusst nicht genannt. In der sich aktuell in der Mitzeichnung der Senatsverwaltungen befindlichen Senatsvorlage zum ersten Gesetz zur Änderung des Berliner Mobilitätsgesetzes heißt es: „Grundsätzlich sollen für Personen mit Mobilitätseinschränkungen in ausreichend geringen Abständen barrierefreie Querungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die sicher genutzt werden können. Dabei sollen insbesondere die unterschiedlichen Anforderungen berücksichtigt werden, die sich infolge der Nutzung verschiedener Hilfsmittel ergeben.“ (Entwurf § 55, Absatz 2 MobG). Diese Soll-Vorschrift zur Einrichtung von ausreichend barrierefreien Querungsmöglichkeiten wird im Fußverkehrsplan konkretisiert. In Ausnahmefällen sind Querungen in größeren Abständen möglich. Ebenfalls heißt es in der oben genannten Senatsvorlage: „Die zu querende Strecke soll nicht länger als nötig sein. Zur Verringerung der Strecke tragen beispielsweise Gehwegvorstreckungen bei.“ (Entwurf § 55, Absatz 3 MobG). 10 Frage 28: Wann wird der Senat den Referentenentwurf bzw. den Senatsentwurf zum Fußverkehrsteil des Berliner Mobilitätsgesetzes vorlegen und insbesondere mit Vertreter*innen der verschiedenen Behindertenverbände abstimmen? Antwort zu 28: Die Senatsvorlage zum ersten Gesetz zur Änderung des Berliner Mobilitätsgesetzes befindet sich aktuell in der Mitzeichnung der Senatsverwaltungen und wird im Anschluss, voraussichtlich im September 2019, in den Senat und Rat der Bürgermeister eingebracht. Ein Beschluss im Senat wird voraussichtlich Ende September/Anfang Oktober 2019 stattfinden. Danach wird die Gesetzesvorlage ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Die Senatsvorlage wurde bereits intensiv mit den Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Behindertenverbände abgestimmt und in weiten Teilen gemeinsam entwickelt. Der Referentenentwurf wurde von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in enger Abstimmung mit dem, um relevante Fachleute für den Fußverkehr, erweiterten Mobilitätsbeirat entwickelt. Die Mitglieder des erweiterten Mobilitätsbeirats hatten in drei Sitzungen sowie nachfolgend jeweils in schriftlichen Stellungnahmen die Gelegenheit, Vorschläge für den Gesetzesentwurf einzubringen. In der ersten Sitzung im März 2018 wurden Themenvorschläge gesammelt, in der zweiten Sitzung im September 2018 das Eckpunktepapier zur Diskussion gestellt und in der dritten Sitzung im März 2019 der Referentenentwurf. Von der Möglichkeit zur Stellungnahme haben die genannten Institutionen regelmäßig Gebrauch gemacht. Unter anderem hat der ABSV gemeinsam mit zehn Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderungen eine 18-seitige Stellungnahme zum Referentenentwurf eingebracht. Die offizielle Beteiligung der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung (LfB) erfolgt im Rahmen der offiziellen Mitzeichnung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Dabei hat die LfB eine positive Gesamteinschätzung abgegeben. Ein weiterer wichtiger Beteiligungsprozess erfolgte im „Dialog Fußverkehr“, einem Arbeitsgremium, das aus den Reihen des Mobilitätsbeirats gewählt wurde und sehr eng in die Entwicklung der Eckpunkte und des Referentenentwurfs eingebunden war. Darin vertreten waren unter anderem der ABSV und der Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen (in enger Abstimmung mit der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen). Das Thema Barrierefreiheit war ein Schwerpunkt im Dialog und wurde auch in einem Vor-Ort-Termin erörtert. Bei dem Termin wurden Rollstühle und Rollatoren gemietet, um die besonderen Belange der Barrierefreiheit für alle Dialogteilnehmenden erfahrbar zu machen. An diesem Termin nahmen neben den Dialogteilnehmenden unter anderem auch eine Angehörige einer Person mit kognitiven Einschränkungen sowie der Spandauer Bezirksbeauftragte für Menschen mit Behinderungen teil. Frage 29: Wird der Senat im angekündigten Fußverkehrsteil des Berliner Mobilitätsgesetzes die Fragen rund um die für die Barrierefreiheit auch von Gehbehinderten (vgl. Frage 17) lösen und durch welche Regelungen ist das vorgesehen? 11 Antwort zu 29: Das übergreifende Ziel „Mobilität für alle“ ist bereits in § 3 MobG aufgenommen und § 4 Absatz 2 stellt klar: „Verkehrsinfrastruktur und Mobilitätsangebote sollen zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensbedingungen, insbesondere für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, barrierefrei im Sinne von § 2 Absatz 6 gestaltet werden.“ Weitere relevante Passagen finden sich auch im Abschnitt 2 zur Förderung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Im Abschnitt Fußverkehr wird das Ziel der Barrierefreiheit fußverkehrsspezifisch konkretisiert. In der Fassung vom 28. März 2019, die über die Internetseite https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/mobilitaetsgesetz/ heruntergeladen werden kann, sind unter anderem folgende Absätze relevant: · § 38 (6) · § 50 (2) · § 50 (3) · § 50 (5) · § 50 (7) · § 50 (8) · § 53 · § 55 (1) bis (4) · § 57 (1) und (2) Genauere Erläuterungen zu den aufgeführten Passagen finden sich in der ebenfalls in der Unterlage enthaltenen Begründung. Frage 30: Wird Behinderten bzw. den sie vertretenden Verbänden im Mobilitätsgesetz ein Rechtsanspruch eingeräumt, innerhalb einer bestimmten Frist die Umrüstung einer LSA oder die Einrichtung einer Fußgängerfurt (vgl. Frage 29 + 30) zu verlangen, der die Teilhabe sichert, wenn nein, warum nicht? Antwort zu 30: Ein Recht in dem in der Frage aufgeworfenen Umfang ist nicht vorgesehen. Zum einen enthält das Berliner Mobilitätsgesetz kein spezifiziertes Verbandsklagerecht, zum anderen fehlt den in Bezug genommenen Maßnahmen der im Sinne der Schutznormtheorie geforderte subjektiv-öffentliche Rechtscharakter. Berlin, den 30.08.2019 In Vertretung Ingmar Streese Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz