Drucksache 18 / 20 777 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 23. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. August 2019) zum Thema: Nachfragen zur Anfrage 18 / 20357 Gewaltschutzkonzepte und Antwort vom 11. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Sep. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20777 vom 23. August 2019 über Nachfragen zur Anfrage 18 / 20357 Gewaltschutzkonzepte ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele konkrete Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung im Rahmen des Berliner Kinderschutzverfahrens wurden 2016, 2017 und 2018 gemeldet? 2. Wie teilten sich diese Fälle jeweils auf die Bezirke auf? 3. In wie vielen Fällen bestätigte sich jeweils der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung? Zu 1. - 3.: Die Anzahl der Fälle, in denen sich der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung aufgrund einer latenten oder akuten Kindeswohlgefährdung im Rahmen der Verfahren zur Einschätzung des Kindeswohls in den Jahren 2016, 2017 und 2018 in Berlin insgesamt und in den Bezirken bestätigte, ist nachfolgender Tabelle zu entnehmen. Bezirk Meldungen KWG insg. 2016 davon latente oder akute Kindeswohlgefährdung Meldungen KWG insg. 2017 davon latente oder akute Kindeswohlgefährdung Meldungen KWG insg. 2018 davon latente oder akute Kindeswohlgefährdung Mitte 1.918 1.168 1.525 772 1.828 999 Friedrichshain-Kreuzberg 1.447 873 1.317 680 1.504 913 Pankow 839 403 692 320 973 383 Charlottenburg-Wilmersdorf 898 368 702 260 956 377 Spandau 1.185 551 1.262 525 2.007 926 Steglitz-Zehlendorf 556 302 491 267 739 361 Tempelhof-Schöneberg 1.770 757 1.485 568 1.362 551 Neukölln 2.291 1.703 1.300 893 1.348 876 Treptow-Köpenick 895 422 636 196 989 450 Marzahn-Hellersdorf 1.042 461 960 449 993 387 Lichtenberg 1.203 591 1.193 569 1.141 543 Reinickendorf 1.400 443 1.451 461 1.012 322 Berlin 15.444 8.042 13.014 5.960 14.852 7.088 (Quelle: Kinder und Jugendhilfestatistik Teil I. 8 - Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII; AfS BB) 2 4. Was waren in diesen Fällen die jeweiligen Konsequenzen? Zu 4.: Die Beantwortung der Frage zu den sich anschließenden Maßnahmen ist den nachfolgenden Tabellen 1 - 3 zu entnehmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei den jeweiligen eingeleiteten Schutzmaßnahmen Mehrfachnennungen möglich sind. Tabelle 3: Berichtsjahr 2016 (Mehrfachnennung je Gefährdungsmeldung möglich) Bezirk Neu eingeleitete Leistungen des SGB VIII Fortführung der gleichen Leistung(en) des SGB VIII Vorläufige Schutzmaßnahme nach § 42 SGB VIII Kinder- und Jugendpychiatrie Einleitung anderer, nicht vorgenannter Hilfe/-n Anrufung des Familiengerichts Mitte 560 43 96 4 381 116 Friedrichshain-Kreuzberg 512 99 68 8 117 105 Pankow 190 94 22 3 97 62 Charlottenburg-Wilmersdorf 228 55 32 0 40 39 Spandau 312 23 34 5 134 69 Steglitz-Zehlendorf 198 15 28 3 43 26 Tempelhof-Schöneberg 470 47 57 5 176 93 Neukölln 1.029 69 110 1 329 200 Treptow-Köpenick 152 93 119 14 65 38 Marzahn-Hellersdorf 257 40 41 1 106 40 Lichtenberg 325 43 58 3 130 49 Reinickendorf 200 85 64 4 102 21 Berlin 4.433 706 729 51 1.720 858 (Quelle: Kinder und Jugendhilfestatistik Teil I. 8 - Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII; AfS BB) Tabelle 2: Berichtsjahr 2017 (Mehrfachnennung je Gefährdungsmeldung möglich) Bezirk Neu eingeleitete Leistungen des SGB VIII Fortführung der gleichen Leistung(en) des SGB VIII Vorläufige Schutzmaßnahme nach § 42 SGB VIII Kinder- und Jugendpychiatrie Einleitung anderer, nicht vorgenannter Hilfe/-n Anrufung des Familiengerichts Mitte 449 128 55 15 180 145 Friedrichshain-Kreuzberg 348 142 59 13 119 112 Pankow 143 78 25 8 68 53 Charlottenburg-Wilmersdorf 150 26 26 2 55 56 Spandau 301 121 16 4 132 78 Steglitz-Zehlendorf 163 40 13 6 55 28 Tempelhof-Schöneberg 350 16 95 4 185 110 Neukölln 507 189 64 16 128 132 Treptow-Köpenick 27 59 67 1 43 10 Marzahn-Hellersdorf 209 31 55 2 111 40 Lichtenberg 283 48 51 5 158 60 Reinickendorf 264 70 60 1 88 16 Berlin 3.194 948 586 77 1.322 840 (Quelle: Kinder und Jugendhilfestatistik Teil I. 8 - Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII; AfS BB) 3 5. Gab es in diesen Jahren Fälle, in denen Träger der Jugendhilfe auf Grundlage derartiger Fälle die Förderung entzogen wurde? 6. Wenn ja, in wie vielen Fällen und welche Bezirke waren betroffen? 8. In wie vielen Fällen wurden die Standards 2016, 2017 und 2018 nicht eingehalten? 9. Mit welchen Sanktionen wurde auf diese Nichteinhaltung der Standards reagiert? Zu 5., 6., 8. und 9.: In der Kinder- und Jugendhilfestatistik zur Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII werden Meldung nicht nach dem Ort der aufgetretenen Kindeswohlgefährdung erfasst. Die vorliegenden Zahlen erlauben somit keinen Rückschluss auf mögliche institutionelle Kindeswohlgefährdungen in Jugendhilfeeinrichtungen. Bei Fällen von institutioneller Kindeswohlgefährdung sind arbeitsrechtliche und ggf. strafrechtliche Maßnahmen durch den jeweiligen Arbeitgeber einzuleiten. Sollte im Fall von institutioneller Kindeswohlgefährdung der betroffene Träger der Jugendhilfe keine entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der betreuten Minderjährigen ergreifen, wird die Betriebserlaubnis (bei stationären Jugendhilfeeinrichtungen und Kindertagesstätten) oder die öffentliche Förderung entzogen. Bisher wurde keinem Jugendhilfeträger aus diesen Gründen die Betriebserlaubnis entzogen. 7. Wie wird bei den Zuwendungsempfängern in Rahmen der Jugendhilfe die Einhaltung der Standards „Erweitertes Führungszeugnis“ und „Insoweit erfahrene Fachkraft“ vom Zuwendungsgeber nachgehalten? Zu 7.: Voraussetzung für die Erteilung eines Zuwendungsbescheides ist der Abschluss einer Vereinbarung zur Einholung von Führungszeugnissen gemäß § 72a Abs. 2 und 4 SGB VIII (s. Anlage, Mustervereinbarung). Eine entsprechende Verpflichtung besteht im Bereich der Entgeltfinanzierung nach BRVJug. Darin verpflichtet sich der Zuwendungsempfänger zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses gemäß § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) vor Aufnahme der Tätigkeit durch seine Mitarbeitenden, inklusive aller neben- und ehrenamtlich tätigen Personen. Die Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses ist alle fünf Jahre zu wiederholen, soweit nicht aus aktuellem Anlass eine frühzeitigere Vorlage angezeigt ist. Wird die Vereinbarung nicht vorgelegt, kann kein Zuwendungsbescheid erteilt werden. Tabelle 1: Berichtsjahr 2018 (Mehrfachnennung je Gefährdungsmeldung möglich) Bezirk Neu eingeleitete Leistungen des SGB VIII Fortführung der gleichen Leistung(en) des SGB VIII Vorläufige Schutzmaßnahme nach § 42 SGB VIII Kinder- und Jugendpychiatrie Einleitung anderer, nicht vorgenannter Hilfe/-n Anrufung des Familiengerichts Mitte 522 197 81 19 289 204 Friedrichshain-Kreuzberg 395 311 39 45 190 149 Pankow 178 97 23 13 114 73 Charlottenburg-Wilmersdorf 178 120 32 7 70 64 Spandau 486 212 25 13 279 138 Steglitz-Zehlendorf 147 105 17 17 103 47 Tempelhof-Schöneberg 364 107 25 29 115 89 Neukölln 497 165 51 35 188 112 Treptow-Köpenick 95 101 146 4 100 15 Marzahn-Hellersdorf 194 85 40 10 78 61 Lichtenberg 276 145 38 9 121 70 Reinickendorf 158 75 56 1 40 25 Berlin 3.490 1.720 573 202 1.687 1.047 (Quelle: Kinder und Jugendhilfestatistik Teil I. 8 - Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII; AfS BB) 4 Die bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos gemäß § 8 a SGB VIII hinzuzuziehende erfahrene Fachkraft muss nicht beim Leistungserbringer selbst beschäftigt sein. Die Jugendämter, vor allem das im Einzelfall zuständige Jugendamt, haben den Leistungserbringer - auf seinen Wunsch auch auf der Grundlage anonymisierter Daten und Falldarstellungen - zu beraten und ihm Hilfestellung zu leisten. Auch erfahrene Fachkräfte anderer freier Träger können in Anspruch genommen werden. Hierfür stehen insbesondere auch die vom Senat finanzierten Fachberatungsstellen im Kinderschutz zur Verfügung. Im Rahmen der trägerinternen Schutzkonzepte müssen die Jugendhilfeträger nachweisen, welche „insoweit erfahrene Fachkraft“ sie im Kinderschutzfall einbeziehen. Die Prüfung des Zuwendungsgebers, inwieweit die vorgegebenen Standards eingehalten werden, erfolgt anlassbezogen. 10. Hält der Senat diese Kontroll- und Sanktionsinstrumente gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung für ausreichend? Zu 10.: Wenn Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen in einer betreuten Jugendhilfeeinrichtung untergebracht sind, unterliegen diese ebenso den Vorgaben der Betriebsaufsicht und müssen sich gleichermaßen nach den beschriebenen Qualitätsstandards im Bereich Kinderschutz ausrichten. Auch für Leistungstypen der Behindertenhilfe gelten die Regelungen zum Schutz der Leistungsberechtigten vor sexualisierter Gewalt und Missbrauch im Berliner Rahmenvertrag gemäß § 79 Absatz 1 SGB XII (BRV). Diese Maßnahmen dienen dem Schutz und der betroffenen Kinder und Jugendlichen und sind geeignet, möglichen Kindeswohlgefährdungen in Institutionen präventiv vorzubeugen. Neben den formalen Kontroll- und Sanktionsinstrumenten hat der kontinuierliche Ausbau des Netzwerkes Kinderschutz in der Zusammenarbeit zwischen den Jugend-, Gesundheits -, Sozial- und Schulbereichen zu einer wesentlich höheren Sensibilisierung auf Anzeichen einer möglichen Kindeswohlgefährdung und zum Ausbau sozialer Kontrolle geführt. Berlin, den 11. September 2019 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Anlage zur Schriftlichen Anfrage Nr.18 / 20777 vom 23. August 2019 Anlage 1 zum Jugend-Rundschreiben Nr. 1/2015 Erweitertes Führungszeugnis nach § 72a SGB VIII und § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) Mustervereinbarung zur Einholung von Führungszeugnissen gemäß § 72a Abs. 2 und 4 SGB VIII zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe, hier: ......, vertreten durch …. und dem Träger der freien Jugendhilfe, hier: .... vertreten durch ….. (kurz: freier Träger) 1. Allgemeines Bei der Einstellung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und der Beschäftigung von nebenund ehrenamtlichen Personen ist bezogen auf die Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen entsprechend den Regelungen, wie sie für die Jugendämter des Landes Berlin empfohlen werden, zu verfahren1. Die jeweils geltenden Regelungen des Landes Berlin sind zu beachten. 2. Erweitertes Führungszeugnis für alle (hauptamtlich) Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe In Umsetzung der Verpflichtung nach § 72a Abs. 2 SGB VIII muss der freie Träger sicherstellen, dass er keine Personen beschäftigt, die wegen einer in § 72a Abs. 1 SGB VIII aufgeführten Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind, und dies dem freien Träger bekannt ist. Zu diesem Zweck ist der freie Träger verpflichtet, sich im Sinne des § 72a SGB VIII bei Einstellung und in regelmäßigen Abständen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) vorlegen zu lassen. 3. Erweitertes Führungszeugnis für neben- und ehrenamtlich tätige Personen in der Kinderund Jugendhilfe Des Weiteren muss sich der freie Träger in Umsetzung der Regelungen des § 72a Abs. 4 SGB VIII ein aktuelles erweitertes Führungszeugnis im Sinne des § 30a BZRG vor einer Aufnahme der Tätigkeit von allen neben- und ehrenamtlich tätigen Personen vorlegen lassen, die in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Kinder oder Jugendliche beaufsichtigen, betreuen, erziehen oder ausbilden oder einen vergleichbaren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben, wenn dies aufgrund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts mit Kindern und Jugendlichen erforderlich ist. Kriterium hierfür ist, ob die konkrete Tätigkeit dazu führen kann, dass eine für Kinder und Jugendliche gefährdende Situation eintreten kann. Hierfür spricht z.B., dass ein regelmäßiger Kontakt zu den Kinder und Jugendlichen besteht oder dass die Tätigkeit selbstständig außerhalb einer Aufsicht und Anleitung stattfindet. Eine „ständige“ Aufsicht (bei der auf ein Führungszeugnis verzichtet werden kann) ist auch von der Art und Weise der Tätigkeit abhängig. Soweit die Tätigkeit nur in ständiger, gleichzeitiger Anwesenheit größerer Gruppen mit älteren Kindern tagsüber erfolgt, ist eine hinreichende „ständige“ Aufsicht auch 1 Siehe derzeit Jugend-Rundschreiben Nr. 1/2015 Anlage zur Schriftlichen Anfrage Nr.18 / 20777 vom 23. August 2019 dann gegeben, wenn angestellte Fachkräfte räumlich und zeitlich jederzeitig Zugang zur Gruppe haben und regelmäßige Kontrollen durchführen. 4. Verfahren Auf Grund der erforderlichen Aktualität sollte das vorgelegte Führungszeugnis nicht älter als 3 Monate sein. Die Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses ist alle fünf Jahre zu wiederholen, soweit nicht aus aktuellem Anlass eine frühzeitigere Vorlage angezeigt ist. Im Vorfeld einer Beschäftigung muss die Person zudem eine Erklärung abgegeben, wonach gegen sie kein Strafverfahren wegen einer in § 72a Abs. 1 SGB VIII genannten Straftat anhängig ist. 5. Datenschutz Der freie Träger hat hinsichtlich der nach § 72a Abs. 4 SGB VIII eingesehenen Daten bei neben- und ehrenamtlich tätigen Personen die datenschutzrechtlichen Vorgaben nach § 72a Abs. 5 SGB VIII zu beachten. 6. Schlussbestimmung Die Vereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. ______________________ (Ort, Datum) _______________________ _________________________ (Unterschrift öff. Träger) (Unterschrift freier Träger)