Drucksache 18 / 20 818 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Maren Jasper- Winter (FDP) vom 27. August 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. August 2019) zum Thema: Besserer Schutz vor Zwangsverheiratungen und Kinderehen und Antwort vom 11. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Sep. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Frau Abgeordnete Dr. Maren Jasper-Winter (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20818 vom 27. August 2019 über Besserer Schutz vor Zwangsverheiratungen und Kinderehen ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie wird in Berlin das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat vom 23. Juni 2011 vollzogen? Zu 1.: Das in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat wird angewendet. Statistische Angaben über die Anzahl der Fälle, in denen das Gesetz bislang zur Anwendung gekommen ist, liegen nicht vor. 2. Wie wird in Berlin das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 umgesetzt und vollzogen ? Zu 2.: Das in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wird angewendet. Statistische Angaben über die Anzahl der Fälle, in denen das Gesetz bislang zur Anwendung gekommen ist, liegen nicht vor. 3. Wie viele Eheaufhebungen gab es in diesem Zusammenhang seit 2011 in Berlin (bitte nach Jahren aufschlüsseln )? Zu 3.: Eine statistische Erhebung die sich nur auf Eheaufhebungsverfahren auf Grund der in Fragen 1 und 2 genannten Gesetze beziehen, erfolgt nicht. 4. Wie erfolgt und erfolgte die Kommunikation der Gesetze und ihrer Änderungen? Zu 4.: Alle Dezernentinnen und Dezernenten der Strafverfolgungsbehörden, sowie die Richterinnen und Richter werden durch das Bundesgesetzblatt und das Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin über die ihren Aufgabenbereich betreffenden Gesetzesänderungen informiert. In Berlin existiert ein umfangreiches Beratungs-, Unterstützungs- und Unterbringungsangebot , insbesondere für Mädchen und Frauen, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind. Hierzu zählen Einrichtungen der Jugendhilfe wie der Jugend- und Mäd- 2 chennotdienst und die Kriseneinrichtung Papatya sowie die Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen . Zusätzlich bieten zahlreiche Anti-Gewalt- und Migrantinnenberatungsstellen sowie die Integrationsbeauftragte des Senats und die Migrations- und Gleichstellungsbeauftragten der Berliner Bezirke Hilfe an. Als besonders niedrigschwelliges und auf Migrantinnen ausgerichtetes Angebot steht die online-Beratung SIBEL zur Verfügung: https://beratung.papatya.org/. Darüber hinaus wurde der Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung eingerichtet, in dem neben den Projekten aus dem Migrantinnen- und Migranten-, dem Jugend- und dem Anti -Gewalt-Bereich auch Mitarbeitende der Haupt- und Bezirksverwaltung sowie weitere Expertinnen mitarbeiten. Der Arbeitskreis ist gut mit dem Hilfesystem bei häuslicher Gewalt vernetzt. Der Arbeitskreis hat eine Informationsbroschüre veröffentlicht, die u. a. über die rechtlichen Rahmenbedingungen, Hilfemöglichkeiten und Beratungsstellen aufklärt und im Internet unter der Adresse http://www.big-berlin.info/medien/zwangsverheiratung abrufbar ist. 5. Wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden und Schulen entsprechend geschult? Wenn ja, welche Behörden und welche Schulen waren dies? Zu 5.: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Standesämter wurden im Rahmen ihrer Besprechungen über die gesetzlichen Neuregelungen informiert, spezielle Schulungen fanden nicht statt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Abt. IV (Ausländerbehörde) – wurden im Hinblick auf das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat vom 23. Juni 2011 geschult. Insgesamt fanden mehrfach Schulungen der Polizei (oft in Kooperation mit der für Frauenpolitik zuständigen Senatsverwaltung ) zum Thema „häusliche Gewalt“ statt; Zwangsverheiratung und Kinderehen waren in diesem Zusammenhang jedoch kein alleiniger Schulungsgegenstand. Eine umfassende Aussage zu allen durchgeführten Schulungen zu diesen Themen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist mangels statistischer Erfassung nicht möglich. Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wurde allerdings in mehreren Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Berliner öffentliche Jugendhilfe (AG BÖJ) mit Vertreterinnen und Vertretern der Senatsjugendverwaltung und den bezirklichen Jugendamtsleitungen sowie in einer Arbeitsgruppensitzung mit Mitarbeitenden der Senatsjugendverwaltung und Jugendamtsleitungen bzw. deren Vertretern vorgestellt und erörtert. Im Zuge von Fortbildungen des Personals von Flüchtlingsunterkünften wird auch zum aktuellen rechtlichen Stand von Minderjährigen-Ehen informiert. Zum Thema Migrationsrecht an der Schnittstelle zum Sozialgesetzbuch VIII KJHG bietet das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) wiederkehrend eine Fortbildung für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe an. 6. Welche Handlungsanweisungen gibt es bzgl. der o.g. Gesetze? Zu 6.: Es gibt keine Weisungen, die speziell das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Bestimmungen vom 23. Juni 2011 oder das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 betreffen, wobei das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen auch keine strafrechtlichen Regelungen ent- 3 hält. Handlungsanweisungen an Gerichte verbieten sich auf Grund der verfassungsrechtlich verbürgten richterlichen Unabhängigkeit. Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Handreichung für die Kinder- und Jugendhilfe „Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen“ wurde im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie kommuniziert. Zum Thema Intervention bei Gewalt gegen Mädchen und jungen Frauen in traditionell-patriarchalen Familien hat der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung (koordiniert von der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg) eine Handlungsempfehlung für die Berliner Jugendämter erarbeitet. 7. Welche Veranstaltungen gibt es im Lehrplan der Berliner Schulen zum Thema Zwangsheirat und Kinderehe ? (Bitte aufgeschlüsselt nach Bezirk, Schule und Veranstaltung) Zu 7.: Der Rahmenlehrplan 1-10 für Berlin und Brandenburg und die Rahmenlehrpläne für die Sekundarstufe II sehen keine Veranstaltungen, sondern die Vermittlung von Kompetenzen und Inhalten vor. Ob Schulen Veranstaltungen zu Themen der Rahmenlehrpläne durchführen, wird weder in den Bezirken noch zentral erfasst. Der Rahmenlehrplan 1-10 für Berlin und Brandenburg bietet Anknüpfungspunkte im Fachteil für das Fach Politische Bildung im Themenfeld „Leben in einem Rechtsstaat“ zu rechtlichen Fragen des Jugendschutzes und der Rechts- und Strafmündigkeit von Jugendlichen . In mehreren im Rahmenlehrplan 1-10 für Berlin und Brandenburg verbindlich verankerten fachübergreifenden Themen sind zudem pädagogische Impulse vorgesehen , mit denen das Thema Zwangsheirat und Kinderehe in direktem Zusammenhang steht. Im übergreifenden Thema „Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter “ wird angeregt, dass Schülerinnen und Schüler „Geschlechterverhältnisse in gesellschaftlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft und Kultur kennenlernen und sich unter Berücksichtigung rechtlicher Grundlagen mit deren Entwicklung in der Geschichte auseinandersetzen .“ Auch im übergreifenden Thema „Demokratiebildung“ gibt es Anknüpfungsmöglichkeiten zu Fragen der Menschenrechtsbildung und im übergreifenden Thema „Bildung zur sexuellen Selbstbestimmung“ zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung . 8. Wie sieht das Beratungsangebot an den Schulen und/oder berufsbildenden Schulen insgesamt aus? (Bitte aufschlüsseln nach Bezirk, Schule und Beratungsangebot) Zu 8.: Zum Thema Zwangsverheiratung werden schulscharfe Beratungsangebote nicht erfasst. 9. Wie viele Flüchtlingseinrichtungen wurden zu den o.g. Themen und gesetzlichen Änderungen geschult? (Bitte getrennt nach Einrichtung, Schulungsdatum und Veranstaltungsthema auflisten) Zu 9.: Das unter Frage 4. dargestellte, breit angelegte Unterstützungs- und Beratungsangebot steht auch Geflüchteten einschließlich der Bewohnerinnen und Bewohner von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung. Asylbegehrende können sich darüber hinaus jederzeit an den Sozialdienst des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) wenden, der u. a. Beratung bei familiären Schwierigkeiten anbietet und ggf. an fachkompetente Stellen weitervermittelt. Der Sozialdienst des LAF bietet zudem den Sozialarbeitenden in den Unterkünften eine kollegiale Fachberatung (Intervision) an. In diesem Rahmen können konkrete Fälle besprochen oder Unterstützung bei Krisen geleistet werden. Auch Ehrenamtliche, die in Unterkünften tätig sind, können sich bei Unterstützungsbedarf über die am Standort vertretenen Ehrenamts- Koordinatorinnen und -Koordinatoren an den Sozialdienst des LAF wenden. 4 Dem Schutz des Kindeswohls kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu, daher ist der LAF-Sozialdienst über in den Unterkünften bekannt gewordene Kinderehen unverzüglich zu informieren. Die Thematik Kinderehen wird zudem in den Schulungen zur Wahrung des Kinderschutzes behandelt. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und das LAF, in Kooperation mit Wildwasser e. V., schulen verpflichtend alle hauptamtlich Tätigen einschl. der Sicherheitsdienstleister in Einrichtungen für geflüchtete Menschen zum Thema Kinderschutz. Insgesamt wurden in 32 Schulungen 388 Mitarbeitende geschult. Das LAF informiert darüber hinaus die Betreiberinnen und Betreiber von Unterkünften für Geflüchtete sowie die dort in den Bereichen Heimleitung und Sozialbetreuung tätigen Mitarbeitenden regelmäßig in verschiedenen Foren über die für die Arbeit mit Geflüchteten relevante Gesetze und Rechtsänderungen und erläutert deren Auswirkungen in der Praxis. 10. Wie viele Meldungen gab es seit 2011 über Berliner Schülerinnen und Schüler, die nach Ende der Ferien nicht an die Schule zurückgekehrt sind (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Zu 10.: In der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie liegen keine Daten vor. 11. Wie wird das Jugendamt in diesen Fällen einbezogen? Zu 11.: Bei Zuwiderhandlungen gegen die allgemeine gesetzliche Schulpflicht, greifen die Regelungen der „Ausführungsvorschriften über Beurlaubung und Befreiung vom Unterricht “ (AV Schulbesuchspflicht). Auszug aus der AV Schulbesuchspflicht: I. Beurlaubung, Befreiung, Schulversäumnis, Unterricht bei extremen Wetterlagen, 7 - Nachträgliche Entschuldigungen bei Schulversäumnissen (8) Bleibt eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der der allgemeinen Schulpflicht unterliegt , an fünf Schultagen eines Schulhalbjahres unentschuldigt dem Unterricht fern, so ist dem zuständigen Schulamt von der Schule unverzüglich eine Schulversäumnisanzeige zu übersenden. Das Verfahren ist nach weiteren fünf unentschuldigten Fehltagen im Schulhalbjahr jeweils zu wiederholen. Dies kann in vereinfachter Form erfolgen. Sechs einzelne unentschuldigte Fehlstunden im Schulhalbjahr gelten als ein Fehltag. Über jede Schulversäumnisanzeige informiert das Schulamt das bezirkliche Jugendamt und den zuständigen schulpsychologischen Dienst und die klassenleitende Lehrkraft bzw. in der gymnasialen Oberstufe die Oberstufentutorin oder der Oberstufentutor lädt die Erziehungsberechtigten zum Gespräch. Das Schulamt beschließt unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Schule das weitere Vorgehen, beispielsweise die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens (§ 126 Schulgesetz). II. Umfang der Schulpflicht 9 - Umfang der Schulpflicht bei ausländischen Kindern und Jugendlichen (1) Ausländische Kinder und Jugendliche, die einen erforderlichen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsgestattung nicht oder nicht mehr besitzen, unterliegen nicht der Schulpflicht . Gleiches gilt, wenn völkerrechtliche Bestimmungen oder zwischenstaatliche Vereinbarungen der Schulpflicht entgegenstehen. In den Fällen des Satzes 1 und 2 können die Kinder und Jugendlichen jedoch die Schulen des Landes Berlin freiwillig und unter den gleichen Bedingungen wie schulpflichtige Kinder und Jugendliche besuchen.“ 5 12. Wie vielen Erziehungsberechtigten wurde seit 2011 bereits das Sorgerecht entzogen, weil diese ihre minderjährigen Kinder zu einer Heirat gezwungen haben, oder dies unterstützt haben? Zu 12.: Es liegen keine statistischen Angaben über den Entzug von elterlicher Sorge aufgrund des Zwangs zu einer Heirat oder der Unterstützung einer solchen vor. 13. Wie viele Anzeigen und Verurteilungen gab es bereits im Zusammenhang mit Zwangsverheiratungen in Berlin seit 2011? Zu 13.: Die Zahlen der Verfahren gegen bekannte Tatverdächtigte (sog. Js-Verfahren) und gegen unbekannte Tatverdächtigte (sog. UJs-Verfahren) wegen § 237 Strafgesetzbuch (StGB), die im Zeitraum 01.01.2011 bis 03.09.2019 eingegangen sind, stellen sich wie folgt dar: Jahr AnzahlJs Anzahl UJs Insgesamt 2011 0 0 0 2012 3 0 3 2013 2 0 2 2014 21 1 22 2015 10 3 13 2016 17 3 20 2017 13 5 18 2018 20 4 24 2019 12 1 13 Summe 98 17 115 6 Die Zahlen der Urteile und Verbindungen mit anderen Verfahren zu den Beschuldigten aus den Js-Verfahren mit § 237 StGB, die im Zeitraum 01.01.2011 bis 03.09.2019 eingegangen sind, stellen sich wie folgt dar: Entscheidungsart Anzahl 2011 Anzahl 2012 Anzahl 2013 Anzahl 2014 Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 Anzahl 2019 Insgesamt Einbeziehung des Urteils gem. § 31 II JGG* 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 Freispruch 0 0 0 0 0 2 2 0 0 4 Geldstrafe 0 2 0 0 0 0 0 0 0 2 Verbindung mit anderer Sache 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 *JGG = Jugendgerichtsgesetz Berlin, den 11. September 2019 In Vertretung Dr. Brückner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung