Drucksache 18 / 20 884 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) vom 03. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. September 2019) zum Thema: Berlin: Wertschätzung und Förderung von Familien und Antwort vom 20. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Sep. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/20884 vom 3. September 2019 über Berlin: Wertschätzung und Förderung von Familien ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie ist der Stand der Umsetzung des in der Koalitionsvereinbarung angekündigten Familienfördergesetzes ? Wann soll der Entwurf vorgelegt werden? Wird an dem Zeitplan des Inkrafttretens eines Familienfördergesetzes für das Jahr 2021 festgehalten? 2. Welche schon bestehenden Regelungen anderer Bundesländer sollen im Rahmen der Erarbeitung einer solchen Gesetzesvorlage einbezogen und auf eine Übertragbarkeit für die Berliner Situation geprüft werden? 3. Welche Gremien und Institutionen mit familienpolitischer und leistungsbezogener Expertise werden vor Beginn des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens in den Beteiligungsprozess einbezogen ? 4. Wann soll der Experten-Workshop stattfinden, wann sollen die gutachterliche Stellungnahmen vorliegen, wann sollen die Fachforen stattfinden? Wer sind jeweils die Teilnehmer bzw. Gutachter? 5. Wie viele Mittel wurden für den partizipativ begleitenden Prozess zur Verfügung gestellt und wofür werden diese Mittel konkret aufgewandt? 6. Was hat die Analyse der Mengen- und Kostenentwicklung in den Bezirken (Vgl. Inhaltsprotokoll BildJugFam 18/17, S. 9) ergeben? 7. In welcher Form sollen die Themen Gesundheitsförderung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterstützungsleistungen für Alleinerziehende, Kinder- und Familienarmut, Förderung von Familien mit schulpflichtigen Kindern, Unterstützung von Familien in besonderen Lebenslagen und Notsituationen , Entlastung für Familien in Pflegesituationen, Förderung der Familienbildung und -erholung, Erziehungs - und Familienberatung, Förderung von Familienzentren, Kinderschutz, Unterstützung und Schutz von Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien, Auf- und Ausbau von Familien- selbsthilfe, Schutz von Familien mit Kindern vor Wohnungslosigkeit, Förderung des Wohneigentums und bezahlbaren Wohnraumes für Familien, Familienpolitische Prüfung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften , Familienplanung, Gewaltprävention, Inklusion, Kindertagesstätten, Jugendhilfe, Migration sowie quere Lebensweisen Berücksichtigung finden? (Vgl. Diskussionspapier des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes LV Berlin e. V.) 8. Was stellt sich der Senat unter den angekündigten verbindlichen quantitativen, qualitativen und strukturellen Standards für die vorgesehenen Leistungen vor und wie will er diese im künftigen Familienfördergesetz verankern und praktisch umsetzen? (Vgl. Drs. 18/ 10416 und Drs. 18/0360) 9. In welchem Zeitabstand soll das Familienfördergesetz evaluiert werden, wie soll ein geeignetes Monitoring- und Qualitätssicherungssystem sichergestellt werden? Zu 1. bis 9.: Unter Federführung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBild- JugFam) soll bis zur Sommerpause 2021 ein Gesetzentwurf zum Familienfördergesetz (FamFöG) erarbeitet und in den Senat eingebracht werden. Das FamFöG wird sich vor allem auf die leistungsmäßige Unterlegung des § 16 SGB VIII (Sozialgesetzbuch – Achtes Buch), d. h. die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie, beziehen. Inhaltlich sollen mit dem FamFöG folgende Ziele erreicht werden: - Gewährleistung quantitativer und qualitativer Standards für Angebote der Familienbildung , Familienerholung und Familienförderung - Schaffung von Anlaufstellen für Familien zur Information, Beratung und Weiterleitung hinsichtlich familienrelevanter Themen. Regelungen anderer Länder, insbesondere von Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bremen, wurden geprüft. Sie verfolgen zum Teil andere Zielstellungen und sind ganz überwiegend nicht übertragbar. Wo Gegenstände des Berliner FamFöG berührt werden , werden die konkreten Ausgestaltungen anderer Länder in die Diskussion der betreffenden Arbeitsgruppen eingehen (z.B. die Ausformulierung der Ziele und Angebote der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie im Bremischen Kinder -, Jugend- und Familienförderungsgesetz). Die Entwicklung des FamFöG orientiert sich organisatorisch am erfolgreichen Prozess der Erarbeitung des Jugendfördergesetzes. Die Analyse der Kosten- und Mengenentwicklung ergibt aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen und Kontierungen ein uneinheitliches Bild in Berlin. So variieren im Jahr 2018 die Stückkosten zum Produkt 79381 „Allgemeine Familienförderung einschließlich Beratung nach §§ 16 – 18 SGB VIII durch freie Träger“ zwischen 24 Euro und 35 Euro, die Vollkosten zwischen 159.456 Euro und 3.090.247 Euro und die Mengen zwischen 3.962 und 119.990. Im Jahr 2019 ist ein Teilprojekt zur Durchführung eines Beteiligungsprozesses unter Einbeziehung von Familien als Expertinnen ihrer eigenen Situation sowie Fachkräften vor Ort, bspw. in Familienzentren, dem Netzwerk Frühe Hilfen, Erziehungs- und Familienberatungsstellen etc., geplant. Ziel ist, zielgruppenspezifische Anforderungen aufzunehmen, die im Weiteren in die Gestaltung des FamFöG, insbesondere die Leistungen nach § 16 Sozialgesetzbuch VIII, einfließen. Bestandteil des Auftrags ist die Entwicklung und Umsetzung des Beteiligungskonzeptes (bspw. Befragungen, Workshops etc.). Die Ergebnisse sollen in den Prozess der inhaltlichen Gestaltung ab dem Jahr 2020 einfließen. Nach derzeitigem Stand geht die SenBildJugFam von einem Auftragsvolumen im Umfang von bis zu 40.000,- Euro brutto im Jahr 2019 aus. Der Aufbau der Projekt- und Gremienstruktur wird im Jahr 2019 erfolgen. Es ist geplant , andere Senatsverwaltungen, Jugendamtsleitungen, den Landesjugendhilfeausschuss , den Berliner Beirat für Familienfragen, die LIGA der Wohlfahrtsverbände , die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände und andere maßgebliche Akteure einzubeziehen. 10. In der Koalitionsvereinbarung heißt es: „Perspektivisch setzt sich die Koalition für eine Kindergrundsicherung auf Bundesebene ein.“ Welches der in der Gesellschaft diskutierten verschiedenen Modelle der Kindergrundsicherung favorisiert der Senat? Zu 10.: Zur Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung liegen aktuell verschiedene Modelle vor, so unter anderem vom Bündnis Kindergrundsicherung, von der Bertelsmann Stiftung („Teilhabegeld“) und von mehreren Parteien. Die Konzepte setzen unterschiedliche Schwerpunkte, sind unterschiedlich weit ausdifferenziert und weisen eine Breite an Kostenschätzungen vor. Die im Auftrag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz bestehende länderoffene Arbeitsgruppe, an der Berlin teilnimmt, ist damit befasst, die bestehenden Konzepte zu untersuchen und einen Vorschlag zur Konkretisierung einer Kindergrundsicherung zu entwickeln. Aufgrund der komplexen Zusammenhänge mit den diversen Rechts- und Leistungsgebieten muss der weitere Arbeitsprozess abgewartet werden. 11. Welchen Stellenwert hat für den Senat die klassische Familie mit Mann und Frau und mindestens einem Kind, die als Keimzelle der Gesellschaft immer noch die häufigste Lebensform in Deutschland ist, wenn im Koalitionsvertrag zwar Passagen über den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten und die Stärkung von Alleinerziehenden, aber nichts über eine gezielte Förderung der klassischen Familie (Mann, Frau, Kind(er)) und eine Willkommenskultur für Neugeborene zu lesen ist? 12. Welche familienpolitischen Maßnahmen jenseits geldwerter Vorteile hält der Senat für geeignet, um Bestand erhaltende Geburtenraten zu erreichen? Welche familienpolitischen Maßnahmen jenseits geldwerter Vorteile hält der Senat für geeignet, um einer möglichen Abwanderung (in andere Bundesländer oder gar ins Ausland) von Menschen im Familiengründungsalter entgegenzuwirken? 13. Wie hat sich die Zahl der Geburten im Land Berlin in den letzten zehn Jahren entwickelt? (Gesamtzahl und aufgeschlüsselt nach deutschen und ausländischen Frauen) Wie hat sich die Geburtenneigung der deutschen als auch der ausländischen Frauen in den letzten zehn Jahren in Berlin entwickelt ? 14. Wie hat sich die Zahl der ein- und zweijährigen Kinder (vom 13. bis zum vollendeten 36. Lebensmonat ) im Land Berlin in den letzten fünf Jahren entwickelt? Zu 11. bis 14.: Der Berliner Senat fördert und unterstützt alle Familien in ihrer ganzen Vielfalt. Familien mit besonderen Belastungssituationen bedürfen der besonderen Unterstützung. Das Land Berlin ist für Familien attraktiv, nicht zuletzt auf Grund der vielen Maßnahmen zur Familienförderung. Trend ist Zuzug - nicht Abwanderung. Der Senat hat in den vergangenen Jahren deutliche Schwerpunkte bei familienpolitischen Leistungen gesetzt, bestehende Angebote ausgebaut und Kosten für Familien reduziert (u.a. Familienzentren, -Beratung, -Erholung, Abschaffung von Kita- und Hortgebühren für die 1. und 2. Klasse, Einführung kostenfreies Mittagessen und Schülerticket). Die Anzahl der Geburten im Land Berlin hat sich in den letzten zehn Jahren positiv entwickelt von rd. 32.000 Kindern im Jahr 2009, auf insgesamt rd. 40.000 Neugeborene im Jahr 2018. Die Aufschlüsselung nach der Staatsangehörigkeit der Mutter (deutsche oder andere Staatsangehörigkeit) ist der Tabelle 1 zu entnehmen. Statistisch erhoben wird die sogenannte zusammengefasste Geburtenziffer. Diese weist aus, wie viele Kinder innerhalb eines Kalenderjahres pro Frau im Alter von 15 bis 49 Jahren geboren werden. Die Geburtenziffer stieg innerhalb der letzten zehn Jahre in Berlin von 1,30 Kindern pro Frau im Jahr 2009 auf 1,45 Kinder je Frau im Jahr 2018 an. Die Entwicklung der Geburtenziffer nach Staatsangehörigkeit der Mutter ist ebenfalls in Tabelle 1 dargestellt. Die Anzahl der Ein- bis unter Dreijährigen in Berlin ist in den letzten fünf Jahren von rd. 69.000 (31.12.2014) auf rd. 79.000 Kinder (31.12.2018) gestiegen, ein Plus von rd. 10.000 Kindern (Tabelle 2). Tabelle 1: Zeitreihe Berlin der Jahre 2009 bis 2018: Lebendgeborene sowie zusammengefasste Geburtenziffer nach Staatsangehörigkeit der Mutter (Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg) Lebendgeborene in Berlin Zusammengefasste Geburtenziffer* in Ber-lin Jahr insg. davon insg. davon Mutter mit deutscher Staatsangehörigkeit Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit Mutter mit deutscher Staatsangehörigkeit Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit 2009 32.104 24.756 7.348 1,30 1,28 1,45 2010 33.393 25.743 7.650 1,35 1,31 1,51 2011 33.075 25.291 7.784 1,40 1,29 1,94 2012 34.678 26.293 8.385 1,42 1,32 1,90 2013 35.038 26.194 8.844 1,40 1,30 1,85 2014 37.368 27.964 9.404 1,46 1,37 1,81 2015 38.030 27.680 10.350 1,45 1,34 1,85 2016 41.086 28.797 12.289 1,54 1,39 2,04 2017 40.163 28.017 12.146 1,48 1,35 1,87 2018 40.203 27.743 12.460 1,45 1,34 1,78 * Zusammengefasste Geburtenziffer: Kinder pro Frau im Alter von 15 - unter 50 Jahren; berechnet nach der Altersjahrmethode ; bis 2010 berechnet auf Basis 1987/1990; ab 2011 berechnet auf Basis Zensus 2011 Tabelle 2: Anzahl der Kinder im Alter von 1 bis unter 3 Jahre, Zeitreihe 2014 bis 2018 (Quelle: Bevölkerungszahlen lt. Melderegister / Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Stichtag: 31.12. des jeweiligen Jahres) 2014 2015 2016 2017 2018 Anzahl Kinder im Alter von 1 bis unter 3 Jahre 68.991 72.148 75.537 77.913 79.226 15. Im Freistaat Bayern wird durch das Bayerische Familiengeldgesetz seit September 2018 ein Familiengeld gezahlt. Das Familiengeld wird vom 13. bis zum vollendeten 36. Lebensmonat des Kindes gezahlt, also für maximal 2 Jahre. Der Elterngeldantrag gilt auch als Antrag für das Familiengeld. Mit dem Familiengeld wurden das bisherige Betreuungsgeld und das Landeserziehungsgeld gebündelt und aufgestockt. Eltern erhalten 250 Euro pro Monat und Kind, ab dem dritten Kind gibt es 300 Euro monatlich. Bei Inanspruchnahme des vollen Bezugszeitraums von zwei Jahren bedeutet dies insgesamt 6.000 bzw. 7.200 Euro. Das Familiengeld wird unabhängig vom Einkommen, der Erwerbstätigkeit und von der Art der Betreuung gezahlt. Wie hoch wären die Kosten für die Einführung eines Familiengeldes nach Bayerischem Vorbild in Berlin? Zu 15.: Unter Berücksichtigung der vorliegenden Bevölkerungszahlen am 31.12.2018 nach Geburts- und Altersjahren hätte ein sogenanntes Familiengeld im Sinne des Bayerischen Familiengeldgesetzes zum genannten Zeitpunkt in etwa ein Finanzierungsvolumen von rund 240 Millionen Euro pro Jahr. 16. Plant der Senat die Einführung eines Familiengeldes (nach Bayerischem Vorbild)? Wenn ja: Wann ist mit der Umsetzung zu rechnen? Wenn nein: Was spricht dagegen? Zu 16.: Nein. Berlin geht einen anderen Weg. Der Berliner Senat legt seit Jahren seinen Schwerpunkt in der Landesfamilienpolitik auf den qualitativen und quantitativen Ausbau der Tagesbetreuungsinfrastruktur (v.a. Kindertagesstätten), um für ein qualitativ hochwertiges frühkindliches Bildungs- und Betreuungsangebot und somit für mehr Teilhabechancen für alle Kinder zu sorgen. Der Berliner Senat hat sich daher entschieden, sowohl Bundes- als auch Landesmittel in den weiteren Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur zu investieren. Vor dem Hintergrund einer stetig und stark wachsenden Nachfrage von Berliner Eltern nach frühkindlichen Tagesbetreuungsplätzen hält der Senat die Entscheidung für mehr und kostenfreie Infrastruktur für zukunftsweisend und zielführend. Die Zahl der Kinder in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Tagespflege ist von 152.644 Kindern im Jahr 2015 auf 169.795 Kinder am 01.03.2019 deutlich gestiegen (2009: 122.280 Kinder). Der Berliner Senat ist davon überzeugt, dass ein qualitativ hochwertiges Tagesbetreuungsangebot allen Kindern gute Startchancen in der Schule und den Eltern, v.a. auch Alleinerziehenden, die Möglichkeit eröffnet, auch mit im Haushalt lebenden Kleinkindern einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Berlin, den 20. September 2019 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie