Drucksache 18 / 21 046 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) vom 10. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. September 2019) zum Thema: Berlin: Wann kommt das 11. Pflichtschuljahr für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag? und Antwort vom 02. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Okt. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/21046 vom 10. September 2019 über Berlin: Wann kommt das 11. Pflichtschuljahr für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In der Drucksache 18/15010 wurde auf meine Frage zur Wiedereinführung des Pflichtschuljahrs für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag geantwortet: „Im Senat gibt es dazu noch Abstimmungsbedarf, u.a. zu den qualitativen und quantitativen Bedarfen.“ Ist, rund 16 Monate später, mit einer baldigen Entscheidung zu rechnen oder besteht noch weiterer Abstimmungsbedarf? Zu 1.: Nach Neuimplementierung von der Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) als Anrechtsbildungsgang nach § 29 Abs. 3 und 4 des Berliner Schulgesetzes werden Wirkungen der Straffung des Bildungsgangangebotes und der dezidierten Anschlussausrichtung evaluiert. Für die Abstimmung einer Regelung zum 11. Pflichtschuljahres ist dies wichtig. 2. Was sind die wesentlichen Unterschiede des im Jahre 2004 abgeschafften 11. Pflichtschuljahrs und des Schulversuchs Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) und worin begründet sich die Hoffnung, dass die IBA zu messbar höheren Erfolgen führen könnte? Zu 2.: Nach den Regelungen des Schulgesetzes vor 2005 war jeder Schulabgänger, jede Schulabgängerin nach der Sekundarstufe I weiter im 11. Schulbesuchsjahr ohne betrieblichen Ausbildungsplatz schulpflichtig. Diese Schulpflicht konnte in den verschiedenen Bildungsgängen absolviert werden, auch in der gymnasialen Oberstufe oder dem beruflichen Gymnasium. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin keine Abschlussvoraussetzung aufweisen konnte, um einen Platz in studienbefähigenden Bil- 2 dungsgängen oder Berufsfachschulen zu erlangen, erhielt er einen Platz im vollzeitschulischen Bildungsgang im 11. Schulbesuchsjahr (VZ11). Die wesentlichen Unterschiede von IBA gegenüber dem abgeschafften Bildungsgang VZ 11 bestehen in der konsequenten inhaltlichen, curricularen und organisatorischen Verzahnung der beiden Lernorte Schule und Betrieb, um den Übergang in eine Ausbildung systematisch vorzubereiten. Die Kernelemente von IBA sind: - Verpflichtende Implementierung von Betriebspraktika, - Mindestdauer von zunächst 10, seit 3 Jahren 8 Wochen dieser Betriebspraktika , - Bearbeitung von jeweils einer Betrieblichen Lernaufgabe in jeder Betriebspraktikumsphase , die zeugnisrelevant ist, - Rückmeldung der anschlussrelevanten personalen Kompetenzen aus dem Praktikumsbetrieb mit einem standardisierten Kompetenzerfassungsbogen als Grundlage für die weitere individuelle Berufswegeplanung, - Zusätzliche Beratung und Begleitung durch Bildungsbegleitung zur Berufswegeplanung in eine passende berufliche Ausbildung, ergänzend zu den Beratungsleistungen der Lehrkräfte - Möglichkeit zur Erlangung der Schulabschlüsse BBR, eBBR, MSA. Die erreichten Übergänge in berufliche Anschlussoptionen sind im Bildungsgang IBA von Beginn der Schulversuchsphase gemessen worden. Die folgende Tabelle stellt die erreichten dokumentierten Übergänge dar. Die erreichten Übergänge aus dem berufsqualifizierenden Lehrgang (BQL) wurden 2011 mit ca. 8 % bei den Schulen abgefragt. Anschlüsse: - dokumentierter Verbleib als Teilziel von IBA Soll in % (ESF- Standard) Ist in % 2015/16: 1.177 TN Ist in % 2016/17: 1.376 TN Ist in % 2017/18: 2.206 TN Dokumentierte Anschlüsse in berufliche (schulische) Bildung 40 % 66 % 67 % 72 % - in berufliche und schulische Ausbildung Der ESF- Standard sieht hier keine detaillierten Angaben vor. 37 % 34 % 35 % - in duale Ausbildung 24 % 24 % 23 % - in schulische Ausbildung 13 % 10 % 12 % - in FOS / berufl. Gymnasium 9 % 6 % 8 % - in BaE / Ausbildung Jugendhilfe 0,9 0,3 % 1 % - in BvB der BA 3 % 5 % 18 % - mit Arbeitsaufnahme/in Arbeitsgelegenheiten 5 % 8 % 2 % - in Freiwilligendienst 4 % 2 % 6 % - in sonstige weiterführende Bildungsangebote 7 % 12 % 22 % 3 3. Welche bisherigen Bildungsgänge hat die IBA zum Schuljahr 2019/2020 als neuer Regelbildungsgang abgelöst? Zu 3.: Abgelöst wurden: - Berufsqualifizierender Lehrgang (BQL VZ, einjährig), - Berufsqualifizierender Lehrgang Teilzeit (BQL TZ, einjährig), - Berufsqualifizierender Lehrgang Förderschwerpunkt Lernen (BQL FL, zweijährig ), - Einjährige Berufsfachschule (einj. BFS). 4. Wie viele Jugendliche nehmen zur Zeit an welchen Berufsschulen/OSZ an der IBA teil? Zu 4.: Die veröffentlichten Schülerzahlen zum Stichtag 01.10.2019 der Berliner Schulstatistik werden im November 2019 für das laufende Schuljahr vorliegen. Es liegen ca. 5.200 Anmeldungen aus dem Elektronischen Anmelde- und Leitsystem der beruflichen Schulen vor, so dass eine volle Belegung zu erwarten ist.. 5. Ist die Teilnahme an der IBA für die Jugendlichen verpflichtend? Drohen Konsequenzen, und wenn ja, welche, bei Abbruch oder Schuldistanz? Zu 5.: Nach § 29 Abs. 3 SchulG sind Schülerinnen und Schüler, die nicht in einem Berufsausbildungsverhältnis stehen, berechtigt, im Anschluss an die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht den Bildungsgang „Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung“ zu besuchen. Aus der Auflösung des Schulverhältnisses ergeben sich keine weiteren schulrechtlichen Konsequenzen. Die Schulen beraten bei Abbruch zur Jugendberufsagentur (JBA), um eine weitere Beratung in Angebote anderer Rechtskreise zu ermöglichen. Die JBA-Beratung ist ein freiwillig nutzbares Angebot, weil insbesondere die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit nach dem SGB III in der Jugendberufsagentur Funktionen der Weitervermittlung übernimmt. Lediglich für Jugendliche aus Bedarfsgemeinschaften besteht bei Abbruch Meldepflicht beim Jobcenter . 6. Ist der Senat überhaupt an einem 11. Pflichtschuljahr interessiert, um sicherzustellen, dass keiner „verloren geht“ oder wird auf Freiwilligkeit, Einsicht und den guten Willen der Jugendlichen gebaut? Zu 6.: Der Berliner Senat ist daran interessiert, dass jeder Jugendliche ohne Ausbildung eine passgenaue Anschlussmöglichkeit in der beruflichen Bildung erhält, um den bestmöglichen Weg in Ausbildung oder Studium zu finden. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hält dafür eine Pflichtschuljahrregelung für das 11. Schulbesuchsjahr immer noch für zielführend. 4 Das Argument der besseren Datenabdeckung des Übergangsgeschehens durch den abgeleiteten Auftrag der Überwachung der Schulpflicht reicht für die Einführung eines zusätzlichen Schulpflichtjahres allerdings nicht aus, wenn die Qualität des Angebotes im Sinne eines erfolgreichen Kompetenzerwerbs der jungen Menschen für ihre persönlich angezielten Bildungs- und Berufswege prioritär sein soll. Gerade die Erfahrungen mit VZ11 als Pflichtbildungsgang zeigten, dass sehr viele Schülerinnen und Schüler, die einen Schulplatz durch Schulpflichtregelung erhielten, jedoch aus Kapazitätsgründen in einem nicht angestrebten Berufsfeld, diesen abbrachen. Insofern geht es in jedem Fall um die Gewährleistung der individuellen Inanspruchnahme von Bildungsangeboten nach der allgemeinbildenden Schulpflicht. Bei dem aktuellen Anrecht für die Wahrnehmung eines Platzes in der Integrierten Ausbildungsvorbereitung nach § 29 Abs. 3 und 4 SchulG ergibt sich ebenso die Notwendigkeit , für Bewerberinnen und Bewerber, die wegen Übernachfrage ihrer präferierten Berufsfelder keinen Platz in diesem Bereich bekommen, alternative Wege zu öffnen. Hier kämen z.B. die von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten Plätze der Berufsvorbereitenden Maßnahmen (BvB) in Frage. Aktuell wird in einem Entwicklungsworkshop der Jugendberufsagentur Berlin geprüft, inwieweit diese alternativen Bildungswege für spezifische Zielgruppen wirklich rechtskreisübergreifend umsetzbar sind. Ergebnisse werden am Ende 2019 vorliegen . Der Berliner Senat strebt eine Lösung an, die nach Kriterien der Bildungsgerechtigkeit allen Zielgruppen ein Angebot an den beruflichen Schulen zur Verfügung stellt. Er wird darauf achten, dass es keine Verdrängungseffekte von bestimmten Zielgruppen bei der individuellen Inanspruchnahme des Anrechts auf Bildung nach dem Berliner Schulgesetz geben wird, dies mit oder auch ohne Regelung eines 11. Pflichtschuljahres . 7. Wie sind die Praktika während der IBA organisiert? Sind die Jugendlichen angehalten, selbst nach Praktikumsplätzen zu suchen? Wie gut funktioniert die Vernetzung von Wirtschaft und Handwerk mit den Schulen, die die IBA anbieten? Zu 7.: Die Betriebspraktika sind mit mindestens acht Wochen (entsprechend 40 Praktikumstage ) im Schuljahr einzuplanen. In jedem Halbjahr haben jeweils mindestens drei Wochen (entsprechend 15 Praktikumstage) stattzufinden. Die Betriebspraktika können als Blockform organisiert werden oder in Tagesform. Die Entscheidung über die zeitliche Aufteilung und über die Form der Organisation entscheidet die Schule unter Berücksichtigung der berufsfeldspezifischen Möglichkeiten der Praktikumsbetriebe. Die Jugendlichen werden von Beginn des Bildungsganges an befähigt, einen Praktikumsbetrieb zu finden und je nach individuellem Unterstützungsbedarf beraten, begleitet und gefördert. Ziel ist die Erlangung der Kompetenz zur selbstständigen Akquise eines Praktikums- und Ausbildungsplatzes. Das Angebot an Praktikums- und Ausbildungsbetrieben ist branchenspezifisch unterschiedlich . Für die Akquise werden die verschiedenen Formate der Kooperationen 5 der beruflichen Schulen mit den Ausbildungsbetrieben genutzt, wie z. B. Ausbildertage , Praktikumsmessen. 8. In der Ausschusssitzung am 28. März 2019 sprach Ralf Jahnke von der Senatsverwaltung davon, dass sich mit den 15 anderen Bundesländern, die ein 11. Pflichtschuljahr für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag haben, ausgetauscht wird, um eine gesicherte Datenlage pro oder kontra Einführung zu erlangen. Ist dieser Prozess abgeschlossen? Welche Erkenntnisse konnten im Austausch gewonnen werden? Zu 8.: In der Ausschusssitzung wurde darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Situation in den Bundesländern danach zu vergleichen, ob in Berlin durch das fehlende Schulpflichtjahr nach der allgemeinbildenden Schulpflicht die nachfolgenden Qualifizierungsverläufe der jungen Menschen mit dem nachträglichen Erwerb von weiteren Abschlüssen negativ beeinflusst werden. Weiterhin ist zu erheben, ob durch das Fehlen einer Schulpflichtregelung junge Menschen aus Bedarfsgemeinschaften relativ früher Zugang zu aktivierenden, aber nicht mehr genuin qualifizierenden Angeboten nach dem SGB II finden. Diese Untersuchungen sind so angesetzt, dass zusammen mit der Evaluierung der Anschlüsse der ersten Abgängerkohorte der Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung im Herbst 2020 Ergebnisse vorliegen. Berlin, den 2. Oktober 2019 In Vertretung Beate Stoffers Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie