Drucksache 18 / 21 104 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jeannette Auricht, Franz Kerker und Tommy Tabor (AfD) vom 24. September 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. September 2019) zum Thema: Antidiskriminierende Unisex-Toiletten an Berliner Schulen und Antwort vom 10. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Okt. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Jeannette Auricht, Herrn Abgeordneten Franz Kerker und Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/21104 vom 24. Spetember 2019 über Antidiskriminierende Unisex-Toiletten an Berliner Schulen ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Auf der 33. Sitzung der BVV Lichtenberg am 22. August 2019 wurde der Antrag „All-Gender-Toiletten an Lichtenberger Schulen“ der Fraktion DIE LINKE bei Gegenstimmen der AfD-Fraktion und einer Gegenstimme der CDU-Fraktion angenommen. Der Antragstext hat folgenden Wortlaut: „Das Bezirksamt wird ersucht, alle Schulen in bezirklicher Trägerschaft mit Unisex-Toiletten auszustatten bzw. die Schulen bei der Schaffung solcher aktiv zu unterstützen. Bei der Umsetzung sind die Schulen einzubeziehen. Bei Neubau oder Sanierungsmaßnahmen von Sanitäreinrichtungen sind Unisex-Toiletten von Beginn an mit einzuplanen. Dabei soll es weiterhin geschlechtergetrennte Toiletten geben.“ 1. Hält der Senat eine Ausweitung dieses Beschlusses auf die anderen 11 Bezirke für sinnvoll? Zu 1.: Eine vergleichbare Beschlussfassung liegt in der Zuständigkeit der Bezirke selbst. 2. Wie viele der über 300.000 Schüler an Allgemeinbildenden Schulen sind nach Einschätzung des Senats Intersexuelle oder Menschen mit einer non-binären Transgender-Identität? 3. Stellen die Zahlen des Melderegisters zum 1. Juli 2019 von nur 45 Personen ohne einen weiblichen oder männlichen Geschlechtseintrag bei 1.896.901 weiblichen und 1.859.635 männlichen Personen (siehe Schriftliche Anfrage 18/20040) eine gute Zahlenbasis für eine Bedarfsermittlung für Unisex- 2 Toiletten dar oder aus welchen anderen empirischen Erhebungen begründet sich, dass die seit über hundert Jahren bewährte Trennung von Frauen- und Männertoiletten aufgegeben werden sollte? 4. Gibt es wissenschaftliche Erhebungen darüber, wie viele der Intersexuellen oder Menschen mit einer non-binären Transgender-Identität unserer Stadt sich Unisex-Toiletten wünschen oder getrennte Toiletten für Frauen oder Männer als erhebliche Hürde im Alltag oder als diskriminierend empfinden? Zu 2., 3. und 4.: Diverse Studien legen nahe, dass der Bevölkerungsanteil intergeschlechtlicher und non-binärer transgeschlechtlicher Personen deutlich über dem Anteil derer liegt, die in Berlin neun Monate nach Einführung des dritten positiven Geschlechtseintrags mit dem Geschlechtseintrag divers oder ohne Angabe gemeldet sind. So beruft sich der Bundesverfassungsgerichtsbeschluss zur sogenannten Dritten Option auf die Schätzung, dass 0,2 % der Gesamtbevölkerung intergeschlechtlich geboren werden;1 die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verweist auf Schätzungen zwischen 0,01 % und 1,7 %.2 Diese Zahlen dürften für Schulen entsprechend gelten. Zum Anteil der Bevölkerung mit Transgeschlechtlichkeit oder einer weder weiblichen noch männlichen Geschlechtsidentität fehlen belastbare Zahlen. In einer wissenschaftlichen Erhebung des Bundesverband Trans* zu Transgeschlechtlichkeit und Nicht-Binarität mit 1.544 Teilnehmenden äußerten 45,1 % der Antwortenden, dass geschlechterseparierte Toiletten besonders relevant für ihre Diskriminierungserfahrungen seien.3 Einer Studie zur Situation queerer Menschen auf dem Berliner Arbeitsmarkt zufolge bezeichneten 36 % der Antwortenden Toiletten für alle Geschlechter als wünschenswert (weitere 31 % gaben an, diese seien ihnen am Arbeitsplatz bereits zugänglich).4 5. Gibt es empirisch gesicherte Umfragen in der Bevölkerung zur Auswirkung auf das Scham- oder Sicherheitsgefühl, wenn Toilettenanlagen mit einem Mix aus offen einsehbaren Urinalen und Kabinen mit dem jeweils anderen Geschlecht geteilt werden müssen oder sich auch bei anderer Bauart Männer und Frauen in dieser intimen Situation begegnen müssen? 1 1 BvR 2019/16, zuletzt abgerufen am 27.09.2019 von https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.ht ml 2 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (27.02.2015), Fragen und Antworten zu intergeschlechtlichen Menschen, zuletzt abgerufen am 27.09.2019 von https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Geschlecht/Themenjahr_2015/Inter/Inter_no de.html 3 Hoenes, J./Sauer, A./Fütty, T.J. (2019), Dritte Option beim Geschlechtseintrag für alle?, S. 30, zuletzt abgerufen am 27.09.2019 von https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2019/01/dritteOption_V5.pdf. 4 Orth, B. (2018) , Queer.Works. Dialog, Vernetzung und Bestandsaufnahme zur Situation queerer Menschen auf dem Berliner Arbeitsmarkt, zuletzt abgerufen am 27.09.2019 von https://caminowerkstatt .de/downloads/QueerWorks_WEB.pdf. 3 Zu 5.: Eine solche Umfrage ist dem Senat nicht bekannt. Der zitierte Antrag „All-Gender- Toiletten an Lichtenberger Schulen“ führt aus: „Dabei soll es weiterhin geschlechtergetrennte Toiletten geben.“ Demnach könnten Frauen und Männer, die geschlechtergetrennte Toiletten vorziehen, solche weiter nutzen. Die skizzierte Situation einer ungewollten Begegnung würde sich nicht einstellen. 6. Welche der in der „Machbarkeitsstudie zur Einrichtung von Toiletten für alle Geschlechter in öffentlichen Gebäuden des Landes Berlin“ im Auftrag der BIM GmbH vom Mai 2017 erwähnten Umbaumaßnahmen A bis D ließen sich auf bereits bestehende Schulen in Berlin übertragen? 7. Wenn man von Maßnahme C oder D für bestehende Schultoiletten ausginge, die fast auschließlich aus mehreren Urinalen und/oder Kabinen bestehen, würden sich laut Machbarkeitsstudie Kosten von 5.000 € bis 10.000 € pro WC ergeben – was würde das alleine für die Schulen in bezirklicher Trägerschaft im Bezirk Lichtenberg an Gesamtkosten mit sich bringen? 8. Mit hochgerechnet welchen Gesamtkosten wäre dann für die Schulen in bezirklicher Trägerschaft der ganzen Stadt zu rechnen, wenn man laut Lichtenberger BVV-Beschluss zugrunde legt, dass es weiterhin geschlechtergetrennte Toiletten geben soll? Zu 6., 7. und 8.: Da die bauliche Situation der Schulen sehr unterschiedlich ist, müsste seitens der Bezirke zunächst geprüft werden, welche Maßnahme in Frage käme. Die in der Machbarkeitsstudie genannten Maßnahmen, „A - Änderung Beschilderung, B – Änderung Beschläge, Objekte, C - Änderung Raumteilung, Trennwände, D – Umbau Sanitärraum“ sind im Einzelfall zu prüfen und abhängig u. a. von den baulichen Voraussetzungen und dem Vorhandensein entsprechender Mittel. 9. Für die Einrichtung von Unisex-Toiletten kursieren viele Ideen, z.B. Toilettenräume mit einer Mischung von Unisex-Urinalen mit Sichtschutz und gleichzeitig vorhandenen Kabinen: welche Gestaltung würde aus Sicht des Senats für die Berliner Schulen in bezirklicher Trägerschaft Sinn ergeben? 10. Wird bei der Planung von Unisex-Toiletten der geringere Wasserverbrauch und der hygienische Vorteil von Urinalen gegenüber Sitztoiletten ausreichend berücksichtigt, vor allem im Hinblick darauf, dass 90 % öffentlicher Toilettennutzung der Miktion dient und Jungen und junge Männer zum Urinieren im Stehen neigen? 4 Zu 9. und 10.: Die konkrete Ausgestaltung von Unisex-Toilettenanlagen müsste von den zuständigen Stellen unter Einbeziehung von Fachverbänden und unter Berücksichtigung u. a. von Rechtsvorschriften, Fläche, Kosten und Leistung entwickelt werden. Berlin, den 10. Oktober 2019 In Vertretung Beate Stoffers Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie