Drucksache 18 / 21 299 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm (LINKE) vom 18. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Oktober 2019) zum Thema: Demonstration von Impfgegner*innen und Verbreitung von extrem rechten Verschwörungsideologien am 14. September 2019 und Antwort vom 06. Nov. 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Nov. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete Anne Helm (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/21299 vom 18. Oktober 2019 über Demonstration von Impfgegner*innen und Verbreitung von extrem rechten Verschwörungsideologien am 14. September 2019 ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Teilnehmer*innen der Versammlung am 14. September 2019 gegen eine gesetzliche Impfpflicht am Brandenburger Tor wurden von der Polizei registriert? Zu 1.: An der Versammlung nahmen ca. 2000 Personen teil. 2. Unter den Demonstrierenden befanden sich auch Personen aus dem extrem rechten Spektrum: Welche extrem rechten Organisationen, Gruppierungen oder Einzelpersonen haben vorab für die Demonstration über welche Medien mobilisiert und nahmen an dieser teil? (Bitte einzeln aufschlüsseln.) Zu 2.: Zu der Demonstration wurde in Teilen der Reichsbürger- und der rechtsextremistischen Szene mobilisiert. Eine genauere Aufschlüsselung nach Gruppierungen ist hier nicht möglich. Ein rechtsextremistischer Internetaktivist rief über ein Videoportal zur Teilnahme auf und interviewte vor Ort Demonstrationsteilnehmende. 3. Trifft es zu, dass sich der extrem rechte Inhaber eines Online-Versandhandels und Organisator von extrem rechten Demonstrationen in Halle, Sven L., und der ehemalige Berliner Grundschullehrer Nikolai N., der in der Vergangenheit regelmäßig extrem rechte, verschwörungsideologische und antisemitische Videos veröffentlichte, an der Versammlung und an der Mobilisierung zu der Versammlung beteiligt haben? Wenn ja, mit welchen Äußerungen sind diese Personen im Einzelnen in Erscheinung getreten und welche Aufgaben haben sie ggf. in der Versammlung übernommen? Zu 3.: Seite 2 von 6 Einer Beantwortung dieser Frage stehen nach der gemäß art. 45 Abs. 1 der Verfassung von Berlin getroffenen Abwägung die Grundrechte der Versammlungsfreiheit und der informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen entgegen. 4. Welche Kenntnisse hat der Senat über antisemitische oder verschwörungsideologische Aussagen von Seiten der Demonstrierenden? (Bitte einzeln aufschlüsseln.) Zu 4.: Es wurde im Nachgang der Demonstration ein Video mit antisemitisch konnotierten Aussagen veröffentlicht. Ein rechtsextremistischer Internetaktivist bezeichnete dort beispielsweise Impfungen von Kindern als Körperverletzung und verglich dies mit Beschneidungen bei Juden. 5. Haben Personen an der Versammlung teilgenommen, die der Szene der sogenannten „Reichsbürger“ zuzuordnen sind, welche die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland bestreiten und an den Fortbestand des Deutschen Reiches glauben? Wenn ja, welche Schriften wurden verteilt, welche Banner oder Schilder gezeigt, Redebeiträge gehalten oder Sprechchöre gerufen? Zu 5.: An der Demonstration nahmen auch Angehörige der Reichsbürgerszene teil. Vereinzelte auf der Demonstration festgestellte Aussagen lassen auf die Zugehörigkeit zu dieser Szene schließen. 6. Welche Personen, die welchen extrem rechten Organisationen oder Gruppierungen zuzuordnen sind, traten als Redner*innen auf der Versammlung auf? Bitte einzeln nach Organisation und Redner*innen aufschlüsseln. Zu 6.: Ein Rechtsextremist aus Brandenburg trat als Redner auf der Veranstaltung auf. 7. Von wie vielen Personen wurden am 14. September 2019 im Rahmen der Versammlung gegen eine gesetzliche Impfpflicht wegen welcher konkreten Tatvorwürfe die Personalien festgestellt? (Bitte einzeln aufschlüsseln.) 8. Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Personen jeweils wurden gegen Teilnehmer*innen der unter 1. genannten Versammlung aus welchen Anlässen und mit welchen jeweiligen Tatvorwürfen eingeleitet? Zu 7. und 8.: Wegen des Verdachts der Beleidigung wurde von einer Person die Identität festgestellt und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet. 9. Wie viele Festnahmen wegen welcher konkreten Tatvorwürfe hat die Polizei am 14. September 2019 im Rahmen der unter 1. genannten Versammlung gegen Versammlungsteilnehmer*innen vorgenommen? Zu 9.: Seite 3 von 6 Keine. 10. Welche Kenntnisse hat der Senat auf Grundlage der Veranstaltungsdatenbank über welche genauen weiteren Veranstaltungen, die die Anmelder*innen der Versammlung gegen eine gesetzliche Impfpflicht vom 14. September 2019 bereits in der Vergangenheit angemeldet haben? (Bitte einzeln nach Datum, Bezirk und Namen der Veranstaltung aufführen.) Zu 10.: Nachfolgende Versammlungen sind in der Veranstaltungsbank registriert: Versammlungsdatum Bezirk Thema der Versammlung 16.09.2017 Aufzug durch Berlin-Mitte „Impffreiheit - gegen Zwangsbehandlung“ 17.07.2019 Versammlung in Berlin-Mitte „Impfen muss freiwillig bleiben, Nein zum Impfzwang“ 14.09.2019 Aufzug durch Berlin-Mitte „Für eine medizinische Selbstbestimmung - Freie Impfentscheidung“ 11. Haben die Anmelder*innen der Versammlung gegen eine gesetzliche Impfpflicht vom 14. September 2019 oder haben andere Personen für die Zukunft weitere Versammlungen in Berlin angemeldet? Wenn ja, welche mit welchen Themen, Versammlungsdatum, Versammlungsorten / Aufzugsstrecken und welcher erwarteten Teilnehmer*innenzahl jeweils? Zu 11.: Mit Stand vom 24. Oktober 2019 liegen zu den Themen „Impfpflicht“, „Impfen“, „Impffreiheit “, „medizinische Selbstbestimmung“ und „Impfentscheidung“ keine Anmeldungen für zukünftige Versammlungen vor. 12. Welche Auflagen wurden den Anmelder*innen der unter 1. genannten Versammlung wörtlich konkret erteilt? Zu 12.: Für die Durchführung des Aufzugs am 14. September 2019 zu dem Thema „Für eine medizinische Selbstbestimmung - Freie Impfentscheidung“ wurden aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes die folgenden Auflagen erteilt: 1. Für den im Aufzug mitgeführten Lautsprecherwagen wird eine Befreiung von den Vorschriften des § 21 der Straßenverkehrsordnung (StVO) zur Beförderung von Personen auf Ladeflächen des Lastkraftwagens und Anhängern erteilt, sofern diese Benutzer /innen einer technischen Einrichtung (Lautsprecheranlage oder dergleichen) sind oder eine zwingende Funktion als Bedienpersonal zu erfüllen haben. Die Ladefläche ist seitlich mit einer zumindest provisorischen Absturzsicherung auszustatten. Die Versammlungsteilnehmer/innen auf dem Fahrzeug dürfen sich nur innerhalb des gesicherten Bereiches aufhalten. Die Befreiung gilt nur während und für die Dauer des Aufzuges und ausschließlich für Personen, die eine der vorstehend genannten Aufgaben wahrnehmen. Seite 4 von 6 2. Unabhängig von der Verwendung muss das im Aufzug mitgeführte Fahrzeug im Frontbereich und beidseitig an jeder Achse durch Ordner/innen gesichert werden, um so ein etwaiges Überfahren von Versammlungsteilnehmern/innen zu verhindern. Die Ordner/innen müssen, wie bereits oben beschrieben, gekennzeichnet sein. Für Ordner /innen sowie für Fahrzeugführer/in gilt absolutes Alkoholverbot. 3. Für die Umsetzung und Einhaltung der Auflagen zu Ziffern 1 - 2 des Auflagenbescheides ist für das im Aufzug mitgeführte Fahrzeug vom/von der Veranstalter/in bzw. Leiter/in vor Beginn der Versammlung ein spezielle/r Wagenverantwortliche/r zu bestimmen und der Polizeieinsatzleitung unter Angabe der vollständigen Personalien und des Kfz-Kennzeichens des zu überwachenden Fahrzeuges schriftlich zu benennen. Ohne Einsetzung von ausreichend Ordnern/innen bzw. ohne die Einsetzung und Benennung eines/einer Wagenverantwortlichen dürfen keine Fahrzeuge im Aufzug mitgeführt werden. 13. Welche Kenntnisse hat der Senat über das zur Versammlung aufrufende „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“? a) Wie bewertet der Senat das Mittel der „aktiven Impfkritik“ des „Netzwerks Impfentscheid Deutschland“, um im direkten Umfeld gegen Impfungen zu agitieren, die Gesundheit und Leben schützen sollen? b) Wie hoch ist die Impfquote von Kindern und Jugendlichen in den gesetzlich festgelegten Untersuchungen U1-U9 und J1 sowie in den freiwilligen Leistungen U10/11 und J2? c) Wie bewertet der Senat eine mögliche Gefahr für die Erhöhung der Impfquote durch Aufklärung in Berlin in Hinblick auf „aktive Impfkritik“ und anderer Kampagnen? d) Wie bewertet der Senat die Aussage, dass es bei Impfen um „die Kontrolle des Menschen durch die Pharmaindustrie“ von „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“ ginge? Zu 13. Dem Senat liegen keine Erkenntnisse zum „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“ vor. Zu 13 a., c., d.: Der Senat bewertet die Aussagen vom „Netzwerk Impfentscheid“ als unzutreffend und die empfohlenen Methoden zur Verbreitung ihrer Botschaft als nicht zielführend. Nach dem Dafürhalten des Senats ist diese extreme Position innerhalb der Bevölkerung Deutschlands nicht weit verbreitet, was durch Daten belegt werden kann, die vom Robert-Koch-Institut auf Grundlage der Impfsurveillance der kassenärztlichen Vereinigung gewonnen werden konnten. Hier zeigt sich, dass die Impfquoten in Berlin für die 1. erfolgte Masernimpfung bei Kindern des Jahrgangs 2014 mit 24 Monaten bei 97,1% liegt. Bei Kindern desselben Jahrgangs 2014, ebenfalls mit 24 Monaten, lag die Impfquote für die 2. erfolgte Masernimpfung bei 79,6%. Es kann also durchaus von einer generellen Impfbereitschaft der Bevölkerung ausgegangen werden. Entsprechend stuft der Senat die Gefahr für die Erfüllung der Impfquote durch Aktivitäten der Anhänger des „Netzwerks Impfentscheid“ und anderer Vereinigungen von Impfgegnern als eher gering ein. Seite 5 von 6 Zu 13 b.: Daten zum Impfstatus zum Zeitpunkt der einzelnen Früherkennungsuntersuchungen werden nach Kenntnis des Senats nicht erfasst. Die verfügbaren Impfquoten für Berlin aus den Einschulungsuntersuchungen (Impfquoten zum Zeitpunkt der Einschulungsuntersuchung für alle von der STIKO empfohlenen Impfungen) sowie aus der KV-Impfsurveillance (Impfquoten in bestimmten Lebensaltern zu ausgewählten Impfungen (z.B. Masern) auf Basis von KV-Abrechnungsdaten) lassen keine Auswertungen zum Impfanlass (Früherkennungsuntersuchung, separater Termin) zu. 14. Welche Kenntnisse hat der Senat über Info-, Verkaufs- und Werbemaßnahmen der maßgeblich über ein Pyramiden- bzw. Schneeballsystem funktionierenden Firma RINGANA, die u.a. Produkte für Selbstbehandlung durch alternative Medizin betreiben? 15. Welche Kenntnisse hat der Senat über weitere Info-, Verkaufs- und Werbemaßnahmen Dritter wie z.B. von dem bereits erwähnten Sven L. und fand eine Prüfung der angebotenen extrem rechten Artikel statt? Wenn nein, warum nicht? Zu 14. und 15.: Es liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Anfrage vor. 16. Wurden im Rahmen der unter 1. genannten Versammlung Tätowierungen strafbaren Inhaltes festgestellt? Wenn ja, wie viele und welche Tätowierungen mussten abgeklebt oder anderweitig unkenntlich gemacht werden? Zu 16.: Durch die eingesetzten Polizeidienstkräfte wurden im Rahmen der Versammlung bei Teilnehmenden keine Tätowierungen mit strafbarem Inhalt wahrgenommen. 17. Welche Kenntnisse hat der Senat darüber hinaus über weitere Auflagenverstöße welcher Art und welcher Anzahl? Zu 17.: Keine. 18. Wurden in der unter 1. genannten Versammlung Sprechchöre strafbaren Inhalts gerufen oder Redebeiträge strafbaren Inhaltes gehalten? Wenn ja, welche und mit welchen polizeilichen Maßnahmen wurde in jedem einzelnen Fall darauf reagiert? Zu 18.: Im Rahmen einer Zwischenkundgebung vor dem Bundesgesundheitsministerium verwendete die in der Antwort zu Frage 7 erwähnte Person als Redner/ Moderator die Worte „…unser faschistoider Gesundheitsminister Herr Spahn…“, die den Verdacht der Beleidigung zum Nachteil des Herrn Bundesministers Spahn begründen. Im Anschluss an die Versammlung wurde von dem Redner die Identität festgestellt und ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung eingeleitet. Seite 6 von 6 19. Wurden Bedrohungen, Beleidigungen, körperliche Übergriffe oder sonstige Straftaten gegen Journalist*innen durch Teilnehmer*innen der unter 1. genannten Versammlung durch die Polizei festgestellt? Wenn ja, wann und an welchen Orten jeweils? Zu 19.: Nein. 20. Welche Kenntnisse hat der Senat über weitere Auseinandersetzungen oder Festnahmen von Demonstrierenden nach Ende der Veranstaltung? (Bitte einzeln nach Delikt, Tatzeit und Ort aufschlüsseln.) Zu 20.: Es liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Anfrage vor. Berlin, den 06. November 2019 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport