Drucksache 18 / 21 388 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader (LINKE) vom 23. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Oktober 2019) zum Thema: Schutz jüdischer Einrichtungen in Berlin und Antwort vom 12. November 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Nov. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete Anne Helm (LINKE) und Herrn Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/21388 vom 23. Oktober 2019 über Schutz jüdischer Einrichtungen in Berlin ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In welchem Umfang und auf Basis welcher rechtlichen Grundlage erhielten und erhalten die Träger jüdischer Einrichtungen in Berlin jährliche finanzielle Förderung durch das Land Berlin zur Durchführung eigener Maßnahmen zur Sicherung dieser Einrichtungen (bitte von 2016 bis 2019 aufschlüsseln nach Trägern und Jahr), gab es hier einschneidende Veränderungen und worin sind diese begründet? Zu 1.: Der Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 19. November 1993 legt u.a. Zuwendungen für personelle und investive Sicherungsmaßnahmen fest. Der Jüdischen Gemeinde zu Berlin werden als Zentralgemeinde Zuwendungen zum Zwecke personeller und investiver Sicherheitsmaßnahmen gewährt. Die Zuwendungen richten sich in der Sachgrundlage nach sicherheitstechnischen Empfehlungen des Landeskriminalamtes und werden auf Grundlage der §§ 23 und 44 der Landeshaushaltsordnung gewährt. Die einzelnen Zuwendungen bitte ich der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Jahr Zuwendungshöhe Zuwendungsempfänger 2016 2.860.910,00 € Jüdische Gemeinde zu Berlin 2017 2.860.910,00 € Jüdische Gemeinde zu Berlin 2018 3.209.108,25 € Jüdische Gemeinde zu Berlin 2019 3.209.108,25 € Jüdische Gemeinde zu Berlin Seite 2 von 5 In Summe wurden in den Jahren 2016 bis 2019 12.140.036,50 Euro an Zuwendungen an die Jüdische Gemeinde zu Berlin gewährt. Die ab dem Jahr 2018 erfolgte Anpassung der Zuwendungen berücksichtigt einen Inflationsausgleich. Darüber hinaus lagen für den Zeitraum 2016 bis 2019 für die geprüften Bauunterlagen zur sicherheitstechnischen Ertüchtigung Zuwendungen in Höhe von insgesamt 3.322.000,00 Euro vor. 2. In welchem Umfang (Personalaufwand, Sachkosten, Investitionen) und auf welcher gesetzlichen Grundlage traf bzw. trifft das Land Berlin Maßnahmen des polizeilichen Objekt- oder Veranstaltungsschutzes zur Sicherung von Einrichtungen und Veranstaltungen des jüdischen Lebens in Berlin (bitte von 2016 bis 2019 und soweit möglich nach Einrichtungen und Veranstaltungen aufschlüsseln)? Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin (ASOG Bln) haben die Ordnungsbehörden und die Polizei Berlin die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Dies umfasst auch den Schutz jüdischer Einrichtungen und Veranstaltungen. Diese gesetzliche Aufgabenwahrnehmung wird durch das „Gesetz zum Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin“ ergänzt. Neben den Objekten in der Sicherheitsverantwortung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurden das Jüdische Museum und die Botschaft Israel in die Auswertung einbezogen. Die Bemessung des Personalaufwandes für Objektschutzmaßnahmen erfolgt stichtagsbezogen. Die Anzahl der eingesetzten Tarifbeschäftigten im Zentralen Objektschutz (TB OS) bitte ich der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Stichtag/Jahr Eingesetztes Personal 29.06.2016 338 TB OS 30.06.2017 333 TB OS 29.06.2018 333 TB OS 01.07.2019 339 TB OS Quelle: händische Auszählung der Dir E vom 30.10.2019 Anlässlich des Pessach und der Hohen Jüdischen Feiertage wurden zusätzlich folgende Einsatzkräftestunden geleistet. Jahr Pessach Hohe Jüdische Feiertage Gesamt 2016 1.324 3.227 4.551 2017 1.281 3.113 4.394 2018 1.281 3.538 4.819 2019 1.413 3.498 4.911 Quelle: händische Auszählung der Dir E vom 30.10.2019 In Summe ergeben sich hier 18.675 Einsatzkräftestunden. Seite 3 von 5 3. Wie viele Straftaten zum Nachteil oder mit Bezug zu jüdischen Einrichtungen und Veranstaltungen hat das Land Berlin registriert (bitte von 2016 bis 2019 aufschlüsseln nach Einrichtungen und Jahr)? Grundlage für die Beantwortung der Anfrage bildet der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Dabei handelt es sich - anders als bei der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) - um eine Eingangsstatistik. Die Fallzählung erfolgt tatzeitbezogen, unabhängig davon, wann das Ermittlungsverfahren eingeleitet oder an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Die folgenden statistischen Angaben stellen keine Einzelstraftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) dar. Bei der Darstellung handelt es sich um Fallzahlen. Ein Fall bezeichnet jeweils einen Lebenssachverhalt in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit identischer oder ähnlicher Motivlage, unabhängig von der Zahl der Tatverdächtigen, der Tathandlungen, der Anzahl der verletzten Rechtsnormen oder der eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Die Fälle der PMK unterliegen bis zum Abschluss der Ermittlungen − gegebenenfalls bis zum rechtskräftigen Gerichtsurteil − einer Bewertung gemäß der angenommenen Tätermotivation. Darüber hinaus können Fälle der PMK erst nach dem Statistikschluss bekannt und entsprechend gezählt werden. Deshalb kommt es sowohl unter- als auch überjährig immer wieder zu Fallzahlenänderungen. Es werden nur die Fälle gezählt, die gemäß den bundesweit verbindlichen Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Rahmen des KPMD-PMK für Berlin statistisch zu zählen sind. Bis zur Veröffentlichung des Berichts „Politisch motivierte Kriminalität in Berlin 2018“ werden für die Jahre 2016 bis 2018 ausschließlich die Fallzahlen als Grundlage genommen, die vom Senator für Inneres und Sport auf der Pressekonferenz am 27. Februar 2019 veröffentlicht wurden. Diese tragen daher den Erhebungsstand 11. Februar 2019. Für das Jahr 2019 wurden aktuelle Fallzahlen erhoben. Diese tragen den Erhebungsstand 28. Oktober 2019. Zur Beantwortung der Frage nach Straftaten zum Nachteil jüdischer Einrichtungen werden die Daten zugrunde gelegt, bei denen als Tatörtlichkeit bzw. Angriffsziel der Katalogbegriff „Religion“ bzw. als geschädigte Organisation eine Religionsgemeinschaft erfasst wurde. Eine weitere Differenzierung nach Synagogen, jüdischen Einrichtungen oder Gedenkstätten/Denkmälern erfolgte manuell, sofern dies anhand der Sachverhaltsdarstellung ersichtlich war. Eine automatisierte Recherche ist aufgrund fehlender Katalogbegriffe nicht möglich. Das Fallaufkommen der PMK zum Nachteil beziehungsweise mit Bezug zu jüdischen Einrichtungen ist der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Die Sortierung erfolgt nach Tatzeit. Zähldelikt Tatzeit geschädigte Organisation § 303 Strafgesetzbuch (StGB) 25.01.2016 Jüdische Gemeinde § 305 StGB 02.06.2016 Jüdische Gemeinde § 1 Sprengstoffgesetz 16.09.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 16.10.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 19.10.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 20.10.2016 Orthodoxe jüdische Gemeinde Adass Jisroel Seite 4 von 5 Zähldelikt Tatzeit geschädigte Organisation § 303 StGB 20.10.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 14.11.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 15.11.2016 Jüdische Gemeinde § 20 Vereinsgesetz 19.11.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 26.11.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 15.12.2016 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 30.12.2016 Jüdisches Museum § 130 StGB 30.01.2017 Zentralrat der Juden in Deutschland § 243 StGB 15.02.2017 Jüdischer Friedhof § 303 StGB 21.02.2017 Orthodoxe jüdische Gemeinde Adass Jisroel § 130 StGB 26.02.2017 Jüdisches Forum für Demokratie und Antisemitismus § 303 StGB 27.02.2017 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 27.02.2017 Orthodoxe jüdische Gemeinde Adass Jisroel § 241 StGB 09.03.2017 Israelitische Synagogen-Gemeinde zu Berlin § 303 StGB 13.03.2017 Orthodoxe jüdische Gemeinde Adass Jisroel § 130 StGB 14.03.2017 Jüdisches Forum für Demokratie und Antisemitismus § 130 StGB 05.05.2017 Zentralrat der Juden in Deutschland § 303 StGB 13.05.2017 Jüdische Synagoge § 130 StGB 30.08.2017 Zentralrat der Juden in Deutschland § 130 StGB 16.12.2017 Zentralrat der Juden in Deutschland § 303 StGB 10.01.2018 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 16.01.2018 Jüdische Gemeinde § 304 StGB 10.03.2018 Jüdischer Gedenkstein § 304 StGB 12.03.2018 Jüdischer Friedhof § 130 StGB 10.04.2018 Jüdisches Museum § 130 StGB 17.04.2018 Jüdische Allgemeine Wochenzeitung § 130 StGB 19.04.2018 Zentralrat der Juden in Deutschland § 130 StGB 20.04.2018 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 18.05.2018 Jüdische Gemeinde § 303 StGB 21.05.2018 Jüdische Gemeinde § 185 StGB 04.06.2018 Bleibergs koscheres jüdisches Restaurant § 86a StGB 12.07.2018 Jüdische Gemeinde § 126 StGB 12.07.2018 Zentralrat der Juden in Deutschland § 130 StGB 05.09.2018 Zentralrat der Juden in Deutschland § 130 StGB 14.09.2018 Zentralrat der Juden in Deutschland § 253 StGB 03.10.2018 Zentralrat der Juden in Deutschland § 130 StGB 11.01.2019 Zentralrat der Juden in Deutschland § 86a StGB 25.01.2019 Jüdische Gemeinde § 130 StGB 27.01.2019 Zentralrat der Juden in Deutschland § 241 StGB 19.02.2019 Jüdisches Forum für Demokratie und Seite 5 von 5 Zähldelikt Tatzeit geschädigte Organisation Antisemitismus § 253 StGB 24.02.2019 Zentralrat der Juden in Deutschland § 242 StGB 27.02.2019 Denkmal Ingeborg Hunzinger § 130 StGB 23.04.2019 Jüdische Gemeinde § 304 StGB 13.05.2019 Gedenkstein Widerstandsgruppe Herbert Baum § 303 StGB 26.05.2019 Kita "Kissi" e. V. jüdische Kindertagesstätte § 304 StGB 29.05.2019 Jüdische Gemeinde § 304 StGB 29.05.2019 Jüdische Gemeinde § 304 StGB 31.05.2019 Jüdische Gemeinde § 130 StGB 25.06.2019 RIAS § 253 StGB 27.06.2019 Zentralrat der Juden in Deutschland § 185 StGB 17.07.2019 Auerbach Berlin GmbH § 130 StGB 28.07.2019 RIAS § 185 StGB 23.09.2019 Jüdische Gemeinde § 241 StGB 04.10.2019 Jüdische Gemeinde In Bezug auf Veranstaltungen erfolgt eine Erfassung im Sinne der Fragestellung nicht. 4. Wie schätzt der Senat die Entwicklung der Sicherheitssituation von Einrichtungen und Veranstaltungen des jüdischen Lebens in Berlin seit 2016 ein? Nicht erst seit 2016 unterliegen jüdische Einrichtungen einer besonders hohen, aber abstrakten Gefährdung. Die Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen und Veranstaltungen befinden sich in Berlin deshalb auf einem sehr hohen Niveau. Nach dem Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle/Saale wurden die Sicherheitsmaßnahmen nochmals temporär verstärkt. Im Ergebnis führt dieser Anschlag nicht zu einer Veränderung der bereits bestehenden Gefährdung für jüdische Einrichtungen in Berlin. Eine Beurteilung der Gefährdungslage erfolgt fortlaufend unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen. Sollten gefährdungsrelevante Aspekte polizeiliches Handeln erforderlich machen, werden von der Polizei Berlin − in Abstimmung mit anderen Behörden und Institutionen − lageangepasste Maßnahmen initiiert bzw. durchgeführt. Berlin, den 12. November 2019 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport