Drucksache 18 / 21 393 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bruni Wildenhein-Lauterbach (SPD) vom 23. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Oktober 2019) zum Thema: Betrieb von Flüchtlingsunterkünften und Vergabe von Betriebsleistungen für Flüchtlingsunterkünfte und Antwort vom 13. November 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Nov. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Bruni Wildenhein-Lauterbach (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/21393 vom 23. Oktober 2019 über Betrieb von Flüchtlingsunterkünften und Vergabe von Betriebsleistungen für Flüchtlingsunterkünfte ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: I) Berliner Erstaufnahmeeinrichtungen 1. Wie gestaltet sich die Betreiberstruktur aktuell im Bereich der Erstaufnahme in Berlin? Bitte nennen Sie die Anzahl der Einrichtungen und die jeweiligen Betreiber. Zu 1.: Mit Stand vom 01.11.2019 werden im Land Berlin aktuell neun Aufnahmeeinrichtungen durch insgesamt fünf Betreiberinnen und Betreiber betrieben. Es handelt sich dabei um die folgenden Betreiber: • Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Berlin-Mitte e. V. (2 Aufnahmeeinrichtungen) • DRK Dienste für Menschen gGmbH (2 Aufnahmeeinrichtungen) • CJD Berlin-Brandenburg (2 Aufnahmeeinrichtungen) • Volkssolidarität Landesverband e. V. (1 Aufnahmeeinrichtung) • Schwulenberatung Berlin gGmbH (1 Aufnahmeeinrichtung) • Albatros gGmbH (1 Aufnahmeeinrichtung) Hinzu kommt das Ankunftszentrum (Akuz) auf dem Gelände der ehemaligen Karl- Bonhoeffer-Nervenklinik. Das Akuz wird aktuell durch die Tamaja Berlin GmbH betrieben. 2 2. Ist geplant, dass der Betrieb von weiteren Erstaufnahmeeinrichtungen an den landeseigenen Betrieb übergeht? Wann erfolgt die Übernahme durch den landeseigenen Betrieb? Zu 2.: Derzeit ist geplant, dass der Landesbetrieb für Gebäudebewirtschaftung – Betriebsteil B (LfG-B) zum 01.07.2020 den Betrieb der Unterkunft des Ankunftszentrums sowie im Laufe des Jahres 2020 den Betrieb von drei Aufnahmeeinrichtungen übernehmen wird. 3. Welche Gründe sprechen für die Verringerung / den Ausschluss von Trägern der Freien Wohlfahrtspflege aus dem Bereich der Erstaufnahme? Wie wird die Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip bewertet? 7. Gibt es rechtliche Bedenken, das Betreiben von Erstaufnahmeeinrichtungen weiterhin durch Träger der Freien Wohlfahrtspflege durchführen zu lassen? 8. Wenn Frage 7 bejaht wurde: Warum bestanden diese rechtlichen Bedenken nicht in den letzten Jahrzehnten und was sind die Auslöser hierfür? Zu 3., 7., 8.: Aus der Antwort zu der Frage 1 ergibt sich, dass überwiegend Träger der freien Wohlfahrtspflege für den Betrieb von Erstaufnahmeeinrichtungen beauftragt werden. Rechtliche Bedenken gegen das Betreiben einer Erstaufnahmeeinrichtung durch Träger der Freien Wohlfahrtspflege bestehen grundsätzlich nicht, sofern die Beauftragung und Durchführung nicht gegen gesetzliche sowie vertragliche Vorgaben verstößt. Der Betrieb einer Unterkunft muss aufgrund des Überschreitens des von der EU- Kommission vorgegebenen Schwellenwertes öffentlich ausgeschrieben werden. Bei der Vergabe des Betriebs sind die Vergabevorschriften der EU, insbesondere wettbewerbsrechtliche Vorschriften zu beachten (u. a. Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit). Ferner ist das Land Berlin an die haushalterischen Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gebunden. Insofern erhalten die Träger der freien Wohlfahrtspflege nicht automatisch den Zuschlag für den Betrieb einer Einrichtung, sondern stehen im EU-weiten Wettbewerb zu privaten Bieterinnen und Bietern. 4. Liegen belastbare Fakten / Zahlen vor, die nachweisen, dass die Erstaufnahme vom landeseigenen Betrieb in besserer Qualität oder effizienter / kostengünstiger umgesetzt werden kann? 5. Wenn Frage 4 in Bezug auf die Qualität bejaht wurde: Anhand welcher Kennzahlen lässt sich die bessere Qualität messen? 6. Wenn Frage 4 in Bezug auf die Kosteneffizienz bejaht wurde: In welchen Positionen der gültigen Kalkulationen ist der landeseigene Betrieb kostengünstiger im Vergleich zu anderen Betreibern? Zu 4. bis 6.: Derzeit werden keine Aufnahmeeinrichtungen durch den LfG-B betrieben. Der Einsatz des LfG-B beruht auf einer strategischen Entscheidung des Landes Berlin, die aufgrund der in den Jahren 2015-2017 im Bereich der Flüchtlingsunterbringung gemachten Erfahrungen getroffen wurde. Ziel ist, neben privaten Betreiberinnen und Betreibern und Wohlfahrtsverbänden grundsätzlich, aber insbesondere auch in Notsituationen, unabhängig selbst agieren zu können. Hinsichtlich des qualitativen Standards besteht seitens des Landes Berlin keine andere Erwartungshaltung gegenüber dem LfG-B als gegenüber anderen Betreiberinnen und Betreibern. Die Umsetzung der qualitativen Anforderungen wird regelmäßig durch die Qualitätssicherung des LAF überprüft. 3 II) Berliner Gemeinschaftsunterkünfte 1. Können auch Organisationen ohne Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft an den Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von Betriebsleistungen für Flüchtlingsunterkünfte teilnehmen? 2. Wenn Frage 1 bejaht wurde: Soll zukünftig der Abschluss eines Tarifvertrags mit einer Gewerkschaft Zulassungskriterium zur Teilnahme am Auswahlverfahren werden? Gibt es die Überlegung, die Personalkosten aufgrund ihrer Diversität aus dem Bewertungspunkteschema herauszulösen, sodass nur die restlichen Positionen aus der Kalkulation berücksichtigt werden? Zu 1. und 2.: Es können auch Bieterinnen und Bieter an den Ausschreibungsverfahren teilnehmen, die nicht an einen Tarifvertrag gebunden sind. Das Land Berlin fordert jedoch, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen vorgegebenen Mindestlohn erhalten und mindestens die Arbeitsbedingungen gelten sollen, die der nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz einzuhaltende Tarifvertrag vorgibt, vgl. § 1 Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG). Durch diese Eigenerklärung zu Tariftreue, Mindestentlohnung und Sozialversicherungsbeiträgen bedarf es keines gesonderten Abschlusses eines Tarifvertrags als Zulassungskriterium. Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Grundlage dafür ist eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, vgl. § 127 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Die Qualität des Angebots wird anhand der einzureichenden Konzepte mit 70 % und der Preis zu 30 % gewichtet. Preise sind so zu kalkulieren, dass es für die Bieterin/den Bieter wirtschaftlich vertretbar ist. Sie dürfen dennoch nicht unangemessen hoch oder niedrig sein, siehe § 60 Vergabeverordnung (VgV). Für diese Wirtschaftlichkeitsprüfung ist unerlässlich, dass die Kalkulationen transparent, bestimmt und nachvollziehbar dargestellt werden. Eine Herauslösung von Personalkosten dürfte diese Prüfung unterlaufen. Ferner ist von dem Land Berlin objektspezifisch ein bestimmter Personalschlüssel vorgegeben, sodass eine unterschiedliche Ausgestaltung an Personalkosten verhindert wird. 3. Welche Gewichtung haben Referenzen/ Erfahrungswert /Expertise in den Ausschreibungen? Zu 3.: Aktuelle Referenzen werden zum Nachweis der Eignung der Bieter verlangt (vgl. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV). Mindest- und Eignungsanforderungen werden nicht gewichtet. 4. Wie viele Ausschreibungen gab es in den Jahren 2018 und 2019 im Bereich der Vergabe von Betriebsleistungen für Flüchtlingsunterkünfte? Konnten bei den Ausschreibungen in 2018 und 2019 Träger ohne Tarifbindung mit einer Gewerkschaft erfolgreich an den Ausschreibungen teilnehmen? Bitte benennen Sie die Zahl der erfolgreichen Bewerbungen und die jeweiligen Träger hierzu. Zu 4.: Im Jahr 2018 wurden fünf Verfahren mit insgesamt 26 Losen zur Vergabe von Betreiberleistungen durchgeführt. Im Jahr 2019 waren es bislang zwei Verfahren mit sieben Losen. Mit Blick auf die unter Frage 2. beschriebenen gesetzlichen Vorgaben wird das Merkmal „Tarifbindung mit einer Gewerkschaft“ im Verfahren nicht abgefragt und in der Folge auch nicht statistisch erfasst. 5. Mussten Träger mit Tarifverträgen mit einer Gewerkschaft, die in den Jahren 2018 und 2019 keinen Zuschlag auf ihre Angebote erhalten haben, Einrichtungen an andere Träger übergeben? Bitte benennen 4 Sie auch die Zahl der Träger, die keinen Zuschlag für Objekte erhalten hat, in denen sie bereits als Träger tätig waren. Zu 5.: Mangels spezifischer Erfassung von Trägern mit Tarifverträgen mit einer Gewerkschaft (Antwort II. 4.) kann hierzu keine Aussage gemacht werden. 6. Welche Übergangsfristen gibt es ab Zuschlagserteilung für den neuen und den alten Betreiber, um mit dem veränderten Personalbedarf (Personalabbau vs. Personalaufstockung) umzugehen? Zu 6.: Da bei einem Betreiberwechsel das Objekt weiterhin belegt wird, ist seitens der alten Betreibern oder des alten Betreibers bis zum Betreiberwechsel sicherzustellen, dass das Personal bis zum Ende der Vertragslaufzeit in der Unterkunft beschäftigt wird. Das Land Berlin schreibt Betreiberleistungen für Unterkünfte mit bestimmten Kapazitäten aus. Im Verfahren bezuschlagte Unternehmen können sich so auf die Bewohnerzahl und den einhergehenden Personalbedarf für die Dauer der Vertragslaufzeit einrichten. Auf Grundlage des Betreibervertrags erfolgt eine Betriebsaufnahme durch die neue Betreiberin/den neuen Betreiber spätestens zwei Monate nach Zuschlagserteilung. 7. Erwartet der Senat aufgrund dieser Praxis negative Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter*innen (Befristungen von Arbeitsverträgen, mangelnde Arbeitsplatzsicherheit, Gehaltsentwicklung)? 8. Ist es geplant, die Ausschreibungsbedingungen dahingehend zu verbessern, dass eventuelle negative Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich verringert werden? Bitte benennen Sie die konkreten Planungen, welche die negativen Auswirkungen (s. Frage 7) minimieren oder eliminieren können. Zu 7. und 8.: Wie bereits zu 1. und 2. erklärt, sind die Bieter zu einer Eigenerklärung zu Tariftreue, Mindestentlohnung und Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet. Hierdurch soll ein arbeitsrechtlicher Mindeststandard gewährleistet werden. Das Land Berlin ist gesetzlich zu einem wirtschaftlichen und sparsamen Handeln verpflichtet. Insofern sind Dienstleistungsverträge sowie Rahmenverträge und Rahmenvereinbarungen in der Regel spätestens nach Ablauf von vier Jahren in einem neuen Vergabeverfahren zu vergeben (Nr. 4.4. AV LHO zu § 55 LHO). Von dieser Frist weicht das Land Berlin -wenn möglich- teilweise ab und vereinbart in den Betreiberverträgen Optionen für Vertragslaufzeitverlängerungen, um u. a. die o. g. negativen Auswirkungen abzumildern. 9. Wie viele Gemeinschaftsunterkünfte werden aktuell durch den landeseigenen Betrieb unterhalten? Welche maximale Anzahl von Gemeinschaftsunterkünften plant der Senat an den landeseigenen Betrieb zu übergeben? Wieviel Prozent der in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringenden Personen beabsichtigt der Senat maximal durch landeseigene Betriebe unterzubringen? Zu 9.: Der LfG-B betreibt mit Stand vom 01.11.2019 sechs Gemeinschaftsunterkünfte im Land Berlin. Auf Grundlage der zwischen der Senatsverwaltung für Finanzen und der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete soll der LfG-B ungefähr 15 % des Gesamtbedarfs an Unterkunftsplätzen betreiben, derzeit bis zu 3.000 Plätze. 5 10. Warum werden Gemeinschaftsunterkünfte an den landeseigenen Betrieb vergeben, obwohl ausreichend andere, gemeinnützige und privatwirtschaftliche, Organisationen sich um das Betreiben von Gemeinschaftsunterkünfte bewerben? 11. Muss sich der landeseigene Betrieb an dem europaweiten Ausschreibungsverfahren zur Vergabe von Betriebsleistungen für Flüchtlingsunterkünfte beteiligen? Zu 10. und 11.: Eine Vergabe an den landeseigenen Betrieb erfolgt nicht. Ein Vergabeverfahren findet dann statt, wenn öffentliche Aufträge und Konzessionen abgeschlossen werden sollen. Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben (siehe § 103 Abs. 1 S. 1 GWB). Berlin, den 13. November 2019 In Vertretung Daniel T i e t z e _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales