Drucksache 18 / 21 478 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Dieter Neuendorf (AfD) vom 29. Oktober 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. November 2019) zum Thema: "Beutekunst" und Antwort vom 19. November 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Nov. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Kultur und Europa Herrn Abgeordneten Dr. Dieter Neuendorf (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 21478 vom 29.10.2019 über "Beutekunst" Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Dem Schutz von Kulturgütern wird bereits in der Haager Landkriegsordnung eine herausragende Bedeutung beigemessen. Dieses Vertragswerk wurde zu Völkergewohnheitsrecht weiterentwickelt. Diesen Grundsätzen sind Rückgabeforderungen der Bundesrepublik Deutschland unterworfen. 1. Bitte führen Sie die Kunst- und Kulturgegenstände auf, die aus Berliner Museen im Verlauf des 2. Weltkrieges ausgelagert wurden und heute als Beutekunst im Ausland verwahrt werden und als nicht verschollen gelten. 2. Wo befinden sich diese Kunst- und Kulturgegenstände heute? Zu 1. und 2.: Über 2,6 Millionen Kunstwerke, mehr als 6 Millionen Bücher und zwei Kilometer von Archivmaterialien wurden aus deutschen Kultureinrichtungen im und nach dem 2. Weltkrieg insbesondere in die damalige Sowjetunion gebracht. Auch die Berliner Museen, Bibliotheken und Archive erlitten dadurch erhebliche Verluste. Die Sowjetunion übergab in mehreren Aktionen bis 1960 etwa 1,5 Millionen Kunstwerke an die Regierung der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Die polnische und die tschechoslowakische Regierung gaben in den 1950er Jahren ebenfalls einen Teil der in den früheren deutschen Ostgebieten ausgelagerten Kulturgüter an die ostdeutschen Kultureinrichtungen zurück. Nach damaliger offizieller Lesart gab es danach keinen nennenswerten Bestand an deutschem Kulturgut mehr in sowjetischer bzw. polnischer Verwahrung. Heute weiß man, dass noch weiteres Kulturgut aus deutschen Sammlungen in Depots und Magazinen in Russland und den umliegenden Staaten lagert. Circa eine Million Kunstwerke, mehr als vier Millionen Bücher und Handschriften sowie umfangreiches Archivgut werden dort vermutet. Über eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den russischen, polnischen u.a. Partnern werden vor allem auf fachlicher Ebene fortlaufend Informationen zum Verbleib von Objekten aus Berliner Beständen gesammelt. Eine Seite 2 von 5 konkrete Bezifferung der verlagerten Bestände aus den Berliner Museen, die heute noch im Ausland verwahrt werden, ist immer noch nicht möglich. Die Bestandsaufnahmen und Revisionen laufen seit der Wiedervereinigung und werden in diversen Verlustkatalogen publiziert wie auch in der Lost-Art-Datenbank der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit ihren einzigartigen Beständen war durch kriegsbedingte Verlagerung von Kulturgütern in besonderem Maße betroffen. Einen fundierten Überblick über die Kriegsverlustproblematik der betroffenen Stiftungseinrichtungen gibt die 2004 parallel auf Deutsch, Englisch und Russisch erschienene Publikation „Kulturschätze – verlagert und vermisst. Eine Bestandsaufnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 60 Jahre nach Kriegsende“. Zur Dokumentation der Verluste der einzelnen Sammlungen werden darüber hinaus Kataloge publiziert, in denen die bislang ermittelten fehlenden Bestände detailliert aufgeführt werden. Diese Informationen in Buchform, die unter dem Reihentitel „Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Dokumentation der Verluste“ sukzessive erscheinen, werden kostenlos an Museen, wissenschaftliche Bibliotheken und an den Kunsthandel weitergegeben. Diese Publikationsreihe wird am Ende ca. 30 Bände umfassen. Entsprechende Verlustkataloge sind bereits zu den Sammlungen der Gemäldegalerie, der Nationalgalerie, des Kupferstichkabinetts, des Museums für Vor- und Frühgeschichte, der Skulpturensammlung, des Museums für Indische Kunst sowie der Antikensammlung erschienen. Sofern der aktuelle Standort der verlagerten Objekte bekannt ist, findet sich in den Katalogen ein entsprechender Vermerk. Hinzuweisen ist auch auf die 2015 erschienene Publikation „Das verschwundene Museum : Die Verluste der Berliner Gemälde- und Skulpturensammlungen 70 Jahre nach Kriegsende“. Die Verluste der Stiftung werden schließlich fortlaufend in der Lost-Art- Datenbank des DZK publiziert. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) forschten ebenfalls seit vielen Jahren intensiv zur Verlagerungsgeschichte von Kunstwerken aus den preußischen Schlössern während des Zweiten Weltkrieges. Anders als für die Museen existieren für die Schlösser jedoch keine umfassenden Objektinventare, sondern Rauminventare, was die Forschungsarbeit erschwert. Eine objektscharfe Auflistung ist aufgrund der beschriebenen Problematik nicht möglich. Die Verluste der Stiftung werden in der Lost-Art-Datenbank der DZK erfasst. Zu den Verlusten der Gemäldesammlung der Stiftung ist 2004 bzw. 2011 eine zweibändige Publikation „Zerstört Entführt Verschollen. Die Verluste der preußischen Schlösser im Zweiten Weltkrieg, Gemälde I/ II“ erschienen. Der SPSG ist der heutige Aufbewahrungsort von etwa 450 Gemälden, über 1000 Porzellanen und etwa 20 weiteren Ausstattungsgegenständen im Ausland bekannt. Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf die Verluste der preußischen Schlösser und nicht allein auf die Verluste in den Liegenschaften der Stiftung im heutigen Berlin. Der Großteil dieser Werke befindet sich im heutigen Russland: in St. Petersburg (ca. 200 Gemälde und die Porzellane) und in Moskau (weitere ca. 200 Gemälde). Weitere Standorte sind die Krim (5 Objekte), russische Provinzstädte (ca. 40 Objekte) sowie Donezk in der Ukraine (2 Objekte). Diese Angaben beruhen auf Informationen aus Publikationen, mündlichen Mitteilungen und auf sehr wenigen Inaugenscheinnahmen vor Ort. Die Kriegsverluste der Preußischen Akademie der Künste sind im 2005 erschienenen Verlustkatalog aufgeführt. Dieser kann unter Seite 3 von 5 https://www.adk.de/de/archiv/kunstsammlung/adk_kriegsverluste_7MB.pdf?m=15184 48596& eingesehen werden, erfasst jedoch nicht die Verluste der grafischen Bestände der Akademie. Die Verluste sämtlicher Sammlungen sind in der Lost-Art- Datenbank der DZK erfasst. Aktuelle Standorte der Objekte sind – sofern bekannt – vermerkt. Einige kriegsbedingt verbrachte Kunstwerke befinden sich heute in Russland (drei Gemälde), der Ukraine (ein Konvolut von Zeichnungen und Büchern) und in Polen (einzelne druckgrafische Blätter). Viele Werke, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verbracht wurden, kehrten in den 1950er Jahren an die Akademie der Künste (Ost) zurück. Ein Gemälde von Anton Graff, ein sog. Irrläufer, wurde 2015 in einer Dresdner Sammlung aufgefunden und an die Kunstsammlung der Akademie zurückgeführt. Die Verluste der Stiftung Deutsches Historisches Museum sind in der 2011 von Gerhard Quaas und André König herausgegebenen Publikation „Verluste aus den Sammlungen des Berliner Zeughauses während und nach dem Zweiten Weltkrieg“ sowie in der Lost-Art-Datenbank der DZK erfasst. Einzelne Aussagen zu der Anzahl von Verlusten erschwert die Tatsache, dass viele Objekte in den 1950er Jahren in die DDR zurückgeführt und dann teils neu inventarisiert wurden. Ein Teil der Objekte ist zudem unberechtigterweise ins Museum für Deutsche Geschichte gekommen und gehört eigentlich zu den Beständen anderer Museen. Das Museum für Kommunikation Berlin verzeichnet ebenfalls Kriegsverluste. Dies betrifft vor allem Briefmarken (ca. 20.000 Exemplare). Zu den Kriegsverlusten zählte auch das berühmte Mauritius-Tableau. Dieses ist 1976 in den USA bei einem ehemaligen Besatzungsoffizier wieder aufgetaucht, wurde vom amerikanischen Zoll beschlagnahmt und nach der Wiedervereinigung 1990 der Bundesrepublik zurückgegeben . Heute befindet es sich in der Schatzkammer des Museums. Wo sich die anderen fehlenden Markenbestände heute befinden, ist unbekannt. Sie gelten als verschollen . Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat ebenfalls umfangreiche Kriegsverlustlisten, die weitgehend in der Lost-Art-Datenbank der DZK eingestellt sind. Zu diesen Beständen ist bislang noch keine Vorort-Recherche betrieben worden. Aktuell ist der Standort von drei Flügelaltären bekannt, die im Zweiten Weltkrieg in das Schloss Raduhn in der nördlichen Neumark ausgelagert wurden. Seit 2005 ist bekannt, dass sich das Altarretabel aus Trechwitz von 1468, der Altarschrein aus Langnow von um 1500 sowie das Altarretabel aus Kirchmöser von um 1480 im Stettiner Nationalmuseum befinden. 3. Welche Anstrengungen unternimmt das Land Berlin, um diese Lücken wieder zu schließen? Zu 3.: Die Berliner Kultureinrichtungen kooperieren seit der politischen Wende 1989 auf fachlicher Ebene eng mit russischen, polnischen, ukrainischen Museen, Bibliotheken und Archiven und führen so die kriegsbedingt verlagerten deutschen Kunst- und Kulturgüter durch wissenschaftliche Projekte, Ausstellungen und umfangreiche Publikationen wieder in den wissenschaftlichen Kreislauf zurück. Das ist die Grundlage für jede weitere wissenschaftliche Arbeit mit ihnen. Die bilateralen Projekte dienen auch der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen russischen, polnischen, ukrainischen und deutschen Fachleuten. In der Regel erschließen die Experten aus beiden Ländern die kriegsbedingt verlagerten Bestände gemeinsam und dokumentieren die- Seite 4 von 5 se fotografisch. Auch in Fragen der Restaurierung und bei Konservierungsmaßnahmen ist die Zusammenarbeit heute von großer Offenheit geprägt. Die deutschen Fachleute erhalten ganz überwiegend uneingeschränkten Zugang zu den Objekten. Diese gemeinsame wissenschaftliche Bearbeitung der Bestände fördert den Ausbau eines funktionierenden Netzwerkes für zukünftige, ähnliche Projekte. Beispielhaft sind zwei erfolgreiche deutsch-russische Ausstellungen „Merowingerzeit – Europa ohne Grenzen. Archäologie und Geschichte des 5. bis 8. Jahrhunderts“ und „Bronzezeit . Europa ohne Grenzen. 4.-1. Jahrtausend v.Chr.“ zu nennen, die 2007 bzw. 2013 in Moskau und Sankt Petersburg stattfanden und unter anderem auch die verbrachten Bestände des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin präsentierten. Eine weitere Ausstellung zur Eisenzeit ist für Juni 2020 geplant. Zur Aufklärung über kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter tragen ferner die Initiativen Deutsch-Russischer Museumsdialog und Deutsch-Russischer Bibliotheksdialog bei. Erklärtes Ziel des 2005 von der SPK, der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen Museen initiierten Museumsdialogs ist die Optimierung des Informationsstandes der deutschen Museen über die in Russland vorhandenen Bestände an kriegsbedingt verlagerten deutschen Kunst- und Kulturgütern auf fachlicher Ebene. Die Geschäftsstelle des Museumsdialogs wird von der Kulturstiftung der Länder wahrgenommen . Über die aktuellen Projekte der Initiative informiert die Homepage der Kulturstiftung der Länder, auf die verwiesen wird. Am 17./18. Oktober 2019 fand in Berlin das 8. Treffen des Deutsch-Russischen Bibliotheksdialogs statt unter dem Motto „10 Jahre Deutsch-Russischer Bibliotheksdialog – Erfahrungen und Perspektiven der Zusammenarbeit“. Die Vertreterinnen und Vertreter der deutschen und russischen Bibliotheken diskutierten auf der Tagung Fragen zur Suche, Identifikation und Erforschung kriegsbedingt verlagerter Büchersammlungen. Darüber hinaus wurde auf der Tagung der von der Moskauer Bibliothek für Ausländische Literatur M. I. Rudomino herausgegebene Katalog zu den 1946 aus Neuhardenberg nach Russland verbrachten Bibliotheksbeständen des deutschen Widerstandskämpfers Carl-Hans Graf von Hardenberg präsentiert. Diese Bibliothek gehört heute zu den Beständen der Zentralund Landesbibliothek Berlin. 4. Mit welchen Stellen im Ausland bestehen Kontakte, die eine Rückführung von Beutekunst zum Inhalt haben? Zu 4.: Für die Verhandlungen über die Rückführung kriegsbedingt verlagerten Kulturguts ist gemäß Artikel 32 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die Bundesregierung zuständig. Das Land Berlin unterhält insoweit keine direkten Kontakte zu ausländischen Stellen. 5. Wie ist die Haltung der entsprechenden ausländischen Stellen? Zu 5.: Siehe dazu die Antwort zur Frage 4; auf die Zuständigkeit der Bundesregierung wird verwiesen. Seite 5 von 5 6. Gibt es Formen der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Land Berlin bezüglich dieses Themas? Wie ist diese Zusammenarbeit gestaltet? Zu 6.: Im Rahmen der Sitzungen des Kulturausschusses der Kulturministerkonferenz unterrichtet die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt die Länder fortlaufend über Entwicklungen bei den Rückführungsverhandlungen zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern. Die Länder sind darüber hinaus an den Rückführungsverhandlungen des Bundes durch Ländervertreterinnen und Ländervertreter beteiligt. Diese werden durch die Kulturministerkonferenz benannt. Im Falle von Rückführungsverhandlungen mit Polen, Russland und der Ukraine wird die Ländervertretung derzeit durch den Freistaat Sachsen und das Land Sachsen-Anhalt wahrgenommen. Schließlich erfolgt zu den Einzelvorgängen eine enge Abstimmung zwischen dem Land Berlin und den zuständigen Bundesministerien , insbesondere dem Auswärtigen Amt und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Berlin, den 19.11.2019 In Vertretung Dr. Torsten Wöhlert Senatsverwaltung für Kultur und Europa