Landtag Brandenburg Drucksache 6/10119 6. Wahlperiode Eingegangen: 04.12.2018 / Ausgegeben: 10.12.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3971 der Abgeordneten Marie Luise von Halem (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/9756 Anwendung der Fibel-Methode für die Orthographie Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragestellerin: Laut Pressemitteilung vom 26.09.2018, Punkt 5, hat Frau Ministerin Ernst angewiesen, die analytisch-synthetische Lern- und Lehrmethode „Fibel “ als Grundlage im Lese- und Schreiblehrgang ab dem Schuljahr 2019/20 anzuwenden. Die Methode „Lesen durch Schreiben“ solle ab dem Schuljahr 2019/2020 nicht mehr angewendet werden. Vorbemerkung der Landesregierung: Ein zentrales bildungspolitisches Ziel der Landesregierung ist: „Gute Bildung von Anfang an“. Um diesem Ziel gerecht zu werden, hat das für Schule zuständige Ministerium bereits im Dezember 2010 Maßnahmen formuliert, die unter anderem die Leistungen der Schülerinnen und Schüler im Lesen und Schreiben nachhaltig verbessern. Dies gelingt nur schrittweise und erfordert eine stetige Evaluation der Ergebnisse sowie eine gezielte Nachsteuerung. Aus dem IQB-Bildungstrend 2016 für die Jahrgangsstufe 4, der im Herbst 2017 veröffentlicht wurde1, ist deutlich geworden, dass 64,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Brandenburg den Regelstandard im Lesen und 50,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler den Regelstandard in Orthographie erreichen . Die Ergebnisse in vielen anderen Bundesländern sind vergleichbar. Das ist jedoch nicht zufriedenstellend, denn es zeigt sich, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die bei zentralen Leistungstests unzureichende Kompetenzen aufweisen. So haben beispielsweise 23,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Teildomäne Orthographie den Mindeststandard nicht erreicht. In der Teildomäne Lesekompetenz wurde festgestellt, dass 12,5 Prozent der Brandenburger Grundschülerinnen und -schüler den erforderlichen Mindeststandard nicht erreichen. Alle Schülerinnen und Schüler sollen in den öffentlichen Schulen des Landes gleiche Chancen auf Bildungserfolg haben. Die oben genannten Ergebnisse waren für das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) Anlass, den 2010 begonnenen Weg mit weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Leistungen der Schülerinnen und Schüler im Lesen und Schreiben zu untersetzen. Über mehrere Monate wurden hierzu im MBJS Fachgespräche mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Schulaufsicht geführt . Die Ergebnisse dieser Gespräche bilden die Grundlage des „5-Punkte-Programms“ 1 IQB-Bildungstrend 2016. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und. Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich (https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2016/Bericht/BT2016_Bericht.pdf) Landtag Brandenburg Drucksache 6/10119 - 2 - des MBJS2. Somit soll gewährleistet werden, dass alle Schülerinnen und Schüler mit ihrem ersten Bildungsabschluss über die zentralen Kompetenzen in den Bereichen Lesen und Schreiben verfügen. Mit Schreiben des MBJS vom 15. November 2018 wurden alle Lehrkräfte im Land Brandenburg über das „5-Punkte-Programm zur Verbesserung der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Lesen und Schreiben“ informiert und auf die Umsetzung der Maßnahmen ab dem zweiten Schulhalbjahr 2018/19 hingewiesen. Frage 1: Wie ist die Methodenverengung mit dem gerade erst erneuerten und implementierten Rahmenlehrplan vereinbar? Zu Frage 1: Im Rahmenlehrplan Jahrgangsstufen 1-10 Fachteil C Deutsch sind im Kompetenzbereich „Schreiben - Richtig schreiben“ folgende Standards bis zum Ende der Niveaustufe B (Jahrgangsstufe 2) festgelegt: Niveaustufe Wörter, Sätze und Texte richtig schreiben Zeichensetzungsregeln anwenden A Laute und Buchstaben einander zuordnen Frage- und Aussagesätze identifizieren B Wörter unter Beachtung einer vorgegebenen Schrittfolge abschreiben Satzschlusszeichen setzen Rechtschreibstrategien nutzen Rechtschreibhilfen nutzen A Wörter deutlich sprechen Laute benennen Gleiche Schreibstellen (Schreibweisen) kennzeichnen Groß- und Kleinbuchstaben unterscheiden Anfangsbuchstaben von Wörtern vergleichen Anlauttabellen und Wortlisten als Schreibhilfen nutzen B Wörter lautorientiert schreiben Verwandte Wörter für Ableitungen nutzen Merkstellen benennen Satzanfänge und Nomen großschreiben Wörter nach den Anfangsbuchstaben ordnen Wörterlisten des Klassen- und Grundwortschatzes als Schreibhilfen nutzen Quelle: Rahmenlehrplan Jahrgangsstufen 1-10 Fachteil C Deutsch S. 20-21 Die analytisch-synthetische Methode unterstützt Schülerinnen und Schüler beim systematischen Erwerb der Kompetenzen des Rahmenlehrplans in den Jahrgangsstufen 1-10. Darüber hinaus nutzen die Lehrkräfte zusätzliche Möglichkeiten zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler. Dabei orientieren sie sich an der nächsten Anforderungsebene der Niveaustufe C (Jahrgangsstufen 3 und 4). Die Schülerinnen und Schüler sollen am Ende der Jahrgangsstufe 4 dass durch die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz definierte Niveau für den Bereich „Schreiben“ erreichen: Niveaustufe Wörter, Sätze und Texte richtig schreiben Zeichensetzungsregeln anwenden C geübte, rechtschreibwichtige Wörter normgerecht schreiben die Regeln der Zeichensetzung bei Aufzählungen anwenden Rechtschreibstrategien nutzen Rechtschreibhilfen nutzen C Doppelkonsonanten über die Vokallänge erschließen den Wortstamm für Ableitungen nutzen Wörter nach Rechtschreibmustern ordnen Nomenproben nutzen Verfahren des Nachschlagens anwenden (Wörter nach Anfangsund weiteren Buchstaben suchen ) Quelle: Rahmenlehrplan Jahrgangsstufen 1-10 Fachteil C Deutsch S. 20-21 2https://mbjs.brandenburg.de/media_fast/6288/159-18-anhang_5-punkteprogramm _verbesserung_lesen_und_schreiben.16571765.pdf Landtag Brandenburg Drucksache 6/10119 - 3 - Wichtig dabei ist, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler das Ziel der Niveaustufe C erlangen, da es den Regelstandards entspricht. Hilfreich ist, das Schreiben der Schülerinnen und Schüler zu korrigieren. Die Rückmeldung zu Fehlern muss altersentsprechend erfolgen und zunehmend in Selbstkontrolle übergehen. Frage 2: Wie ist die Methodenverengung mit dem KMK-Beschluss von 2015 „Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule“ in Einklang zu bringen, der u.a. beim Schriftspracherwerb das lautorientierte Schreiben als einen Entwicklungsschritt auf dem Weg zum normgerechten Schreiben beschreibt? Zu Frage 2: Die „Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule“ der Kultusministerkonferenz sind wichtig und wurden in den curricularen Grundlagen abgebildet. Die Verwendung der analytisch-synthetischen Methode als Grundlage des Lese- und Schreiblehrgangs im Anfangsunterricht stellt dazu keinen Widerspruch dar. Mit der analytisch-synthetische Methode werden einerseits Wörter in ihre Bestandteile zerlegt (Analyse) und andererseits Buchstaben zu Wörtern zusammen gezogen (Synthese). Die Schülerinnen und Schüler erfassen die einzelnen Elemente visuell und akustisch, artikulieren zusammen mit der Lehrkraft, sprechen nach, legen Wörter mit Buchstabenkarten, fahren Buchstaben mit dem Finger nach und werden durch Bilder in der Sinnrekonstruktion der geschriebenen Wörter unterstützt. Das lautorientierte Erfassen und Schreiben ist ein Teil dieser Methode. Zusätzlich wird bei nicht lautgetreuen Wörtern mit einer kindgerechten Rückmeldung zur richtigen Schreibweise gearbeitet, die die Vermittlung von Rechtschreibregeln beinhaltet. Frage 3: Wie ist es mit der Fibel-Methode möglich inklusiv auf drei Niveaustufen zu unterrichten ? Zu Frage 3: Die analytisch-synthetische Lehr- und Lernmethode findet an vielen Schulen des Landes im Anfangsunterricht ihre Anwendung. Dies zeigt, dass die Lehrkräfte eine individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler auf verschiedenen Anspruchsniveaus umsetzen. Jede Lerngruppe ist von Heterogenität geprägt, daher bedarf es grundsätzlich kompetenter Lehrkräfte, die die sichere Anwendung der zur Verfügung gestellten diagnostischen Instrumente (individuelle Lernstandsanalyse – ILeA, VERA 3), die Analyse der Ergebnisse aus den Orientierungsarbeiten in den Jahrgangsstufen 2 und 4 sowie die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus umsetzen, um auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Mit der Anwendung der analytisch-synthetischen Methode erfolgt ein regelgeleiteter Unterricht, der strukturiert aufeinander aufbaut und ausreichend Zeit zum Üben für die Schülerinnen und Schüler bereithält. Somit erfahren insbesondere langsam lernende Schülerinnen und Schüler intensiv die Grundlagen der Alphabetisierung, während leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler ergänzende Übungen zu den Standards der jeweiligen Niveaustufe aus dem Rahmenlehrplan Jahrgangsstufen 1-10 umsetzen können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, weitere ergänzende Übungsmethoden anzubieten, wofür auch ohne einen Einsatz der Methode „Lesen durch Schreiben“ verschiedene methodische Ansätze zur Verfügung stehen. Frage 4: Ist die Landesregierung der Meinung, mit dem Vorschreiben der Lern- und Lehrmethode 'Fibel', bzw. dem Ausschluss anderer Methoden, werde die bisher praktizierte kindgerechte Grundschulpädagogik fortgesetzt? (Bitte begründen!) Landtag Brandenburg Drucksache 6/10119 - 4 - Zu Frage 4: Zu einer „kindgerechte(n) Grundschulpädagogik“ gehören im Unterricht unter Beachtung der natürlichen Neugier der Kinder ein Leistungsanspruch, das Trainieren von sozialem Verhalten und eine anregende Lernumgebung, die selbständiges und differenziertes Arbeiten fordert und fördert. Mit der Beantwortung der Kleinen Anfrage 1678 vom 6. Mai 2016 stellte die Landesregierung bereits fest, dass die analytisch-synthetische Methode als Grundlage des Lese- und Schreiblehrgangs an den meisten brandenburgischen Schulen zur Anwendung kommt. Daraus ergibt sich, dass die Landesregierung keinen Widerspruch zwischen der bisher praktizierten kindgerechten Grundschulpädagogik und der Anwendung der analytisch-synthetischen Methode sieht. Aus der breiten praktischen Anwendung der analytisch-synthetischen Methode in den Schulen kann abgeleitet werden, dass mit dieser Methode eine gute Ausgangsbasis für die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler gegeben ist. Um dies zu verstetigen, wird das Beratungs- und Unterstützungssystem für Schule und Schulaufsicht (BUSS) im Rahmen der Qualifizierung der Lehrkräfte weiterhin Unterstützung leisten.