Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 6. Wahlperiode Eingegangen: 11.12.2018 / Ausgegeben: 17.12.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4020 der Abgeordneten Steeven Bretz (CDU-Fraktion) und Gordon Hoffmann (CDU-Fraktion) Drucksache 6/9867 Rückstellung von Grundschülern in Potsdam Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragesteller: In Brandenburg sind Kinder, welche bis zum 30. September eines Jahres sechs Jahre alt werden, schulpflichtig. Ausnahme sind Kinder, die durch ihre körperliche Entwicklung oder aufgrund von Sprachstörungen oder emotionalen Schwierigkeiten nach einer Prüfung zurückgestellt werden. Die Zahl dieser Rückstellungen stieg zum Beginn des Schuljahres 2017/18 auf 3.464 Kinder in Brandenburg (siehe MAZ „Etwa zehn Prozent der Kita-Kinder fehlt die Schulreife“ vom 12.10.2017). Frage 1: Wie entwickelte sich die Zahl der Rückstellungen von schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter in den letzten zehn Jahren in der Landeshauptstadt Potsdam? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.) Zu Frage 1: Die Zahl der Zurückstellungen von schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter im Schuljahr 2008/2009 in der Landeshauptstadt Potsdam lag bei 127 (9,4 %) Schülerinnen und Schülern und im Schuljahr 2017/2018 bei 220 (12,3 %) Schülerinnen und Schülern. Die Aufschlüsselung nach Jahren kann der Tabelle 1 entnommen werden. Die Zahl der Zurückstellungen lag in der Landeshauptstadt Potsdam in den letzten zehn Schuljahren durchschnittlich bei 170 Schülerinnen und Schülern. Mit Schreiben des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport an die Schulleiterinnen und Schulleiter vom 29.11.2013 wurde das Verfahren der Zurückstellung vom Schulbesuch hinsichtlich einer stärkeren Berücksichtigung des Elternwillens beschrieben. Dies führte landesweit als auch in der Stadt Potsdam dazu, dass die Eltern vermehrt von ihrem Recht der Antragsstellung Gebrauch machen. Für Potsdam ergab sich daraus ein Anstieg der Zurückstellungen um 2 % im Schuljahr 2014/2015. Im Hinblick der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung wurde mit Änderung der Grundschulverordnung in 2015 eine Dokumentation zur Antragslage im Land eingeführt. Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen kann im Land Brandenburg eine stärkere Berücksichtigung des Elternwunsches verzeichnet werden; das zeigen auch die Zahlen in der Landeshauptstadt Potsdam. Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 - 2 - Tabelle 1: Zurückstellungen und ihr Anteil an den fristgemäß Einzuschulenden (Zurückstellerquote) nach Schuljahren in der Landeshauptstadt Potsdam Schuljahr Zurückstellungen von schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter in der Landeshauptstadt Potsdam Anteil der Zurückgestellten an den Einzuschulenden in der Landeshauptstadt Potsdam in % 2008/2009 127 9,4 2009/2010 103 7,7 2010/2011 98 7,0 2011/2012 145 9,8 2012/2013 146 9,8 2013/2014 165 10,2 2014/2015 218 13,1 2015/2016 225 13,3 2016/2017 256 14,2 2017/2018 220 12,3 Quelle: Schuldatenerhebung der jeweiligen Schuljahre Frage 2: Welche Gründe gibt es nach Kenntnis der Landesregierung für diese Rückstellungen ? (Bitte ausführlich.) Zu Frage 2: Das für Schule zuständige Ministerium hat eine Evaluation zur Praxis und zu den Gründen der Zurückstellung in den Schuljahren 2015/2016 und 2016/2017 durchgeführt 1. Die Ergebnisse der Evaluation wurden den Mitgliedern des Ausschusses für Bildung , Jugend und Sport des Landtages am 30.11.2017 unter „TOP 5 - Bericht des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport zu den Ergebnissen bei dem Verfahren hinsichtlich der Zurückstellungen im aktuellen Schuljahr 2017/2018“ vorgestellt. Die Befunde der Evaluation zeigen, dass die Zurückstellungsgründe für die Kindergruppe, die bis zum 30.06. geboren ist, nahezu identisch sind wie für die Kindergruppe, die zwischen dem 01.07. und 30.09. geboren ist. Die folgenden Abbildungen zeigen die einzelnen Zurückstellungsgründe in der Häufigkeit der Nennungen. Den Schwerpunkt bilden dabei die geistigen Fähigkeiten , zu denen Konzentration, Ausdauer und der Wissensstand zu zählen sind. 1 Schulleitungsbefragung des MBJS im Rahmen der Evaluation der Zurückstellungen im Bundesland Brandenburg 2017. Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 - 3 - Quelle: LISUM - Schulleitungsbefragung im Rahmen der Evaluation der Zurückstellung im Bundesland Brandenburg 2017 Die Anträge auf Zurückstellung vom Schulbesuch basieren überwiegend auf Empfehlungen des schulärztlichen Dienstes und der Kindertagesstätten. Frage 3: Wie verhält sich die Quote der Rückstellungen in der Landeshauptstadt Potsdam zum Landesdurchschnitt? (Bitte die weiteren kreisfreien Städte gesondert aufführen. Sofern Differenzen vorliegen: Welche Erklärungsansätze gibt es diesbezüglich?) Zu Frage 3: Im Schuljahr 2017/2018 wurden im Land Brandenburg insgesamt 3.426 schulpflichtige Kinder im Grundschulalter zurückgestellt2. Die Quote der Zurückstellungen betrug landesweit 15,8 %, wie auch im Schuljahr 2016/2017. 2 Schuldatenerhebung des MBJS Schuljahr 2017/2018 Zurückstellungsgründe Geburtsdatum: 01.07. – 30.09. Zurückstellungsgründe Geburtsdatum: 01.10. – 30.06. Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 - 4 - Tabelle 2: Zurückstellungen und ihr Anteil an den fristgemäß Einzuschulenden (Zurückstellerquote) in den kreisfreien Städten in Brandenburg im Schuljahr 2017/18 kreisfreie Städte Zurückstellungen von schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter (absolut) Anteil der Zurückgestellten an den Einzuschulenden in % Anteil der Zurückgestellten an den Einzuschulenden in Brandenburg in % Potsdam 220 12,3 15,8 Brandenburg an der Havel 105 17,9 Cottbus 136 16,1 Frankfurt (Oder) 42 9,3 Quelle: Schuldatenerhebung Schuljahr 2017/2018 Die Quote der Zurückstellungen in der Landeshauptstadt Potsdam im Schuljahr 2017/2018 liegt mit 12,3 % unter dem Landesdurchschnitt von 15,8 %. Die Spannweite der Zurückstellerquote in den kreisfreien Städten liegt zwischen 9,3 % und 17,9 %. Die Zurückstellungen in Brandenburg an der Havel sind besonders hoch, wohingegen in Frankfurt (Oder) die Zurückstellerquote am niedrigsten ist. Gründe für die Differenzen sind dem MBJS nicht bekannt. Frage 4: Wie bewertet die Landesregierung die Folgen von Rückstellungen für den Schulalltag , beispielsweise eine vergrößerte Alters- und damit möglicherweise auch Fähigkeitsspanne innerhalb der Klassen? Zu Frage 4: Grundsätzlich ist festzustellen, dass in allen Bundesländern Möglichkeiten einer Zurückstellung vom Schulbesuch geregelt sind. Eine Zurückstellung vom Schulbesuch hat individuelle Gründe. Kinder entwickeln sich unterschiedlich und werden mit verschiedensten Ständen der Kompetenzentwicklung in die Schule aufgenommen. Dem für Schule zuständigen Ministerium liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob und wie zurückgestellte Kinder die Heterogenität in der Schuleingangsphase verändern. Um die Entwicklungsstände von Schülerinnen und Schülern in der Schuleingangsphase zu erfassen, stellen die Lehrkräfte mit dem Instrument der individuellen Lernstandsanalyse (ILeA) in den ersten sechs Unterrichtswochen der Jahrgangsstufe 1 den individuellen Lernstand jeder Schülerin und jedes Schülers fest. Aus den Ergebnissen werden individuelle Lernpläne abgeleitet. Des Weiteren nutzen Schulen, im Rahmen einer veränderten Schulorganisation, u. a. die Möglichkeit der Bildung einer flexiblen Schuleingangsphase (FLEX). In der FLEX können die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Kompetenzen, durch das Arbeiten in einzelnen Unterrichtsfächern auf einer höheren Niveaustufe, durch das vorzeitige Aufrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe oder das Verweilen um ein Jahr, gefördert werden . Frage 5: Welche Folgen sieht die Landesregierung für die Verfügbarkeit von Kita-Plätzen in Potsdam, wenn ein erheblicher Anteil der Kinder eines Jahrgangs nicht wie erwartet zur Schule geht? Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 - 5 - Zu Frage 5: Es handelt sich hierbei um ein generelles Problem, dass in der Stadt Potsdam nicht genug Kita-Plätze zur Verfügung stehen. Seit der Inkraftsetzung des Brandenburgischen Schulgesetzes 1996 besteht die Möglichkeit einer Zurückstellung der Kinder vom Schulbesuch. Eine Zurückstellung erfolgt dann, wenn zu erwarten ist, dass das Kind nicht mit Erfolg am Unterricht teilnehmen kann. In der Landeshauptstadt Potsdam ist die Entwicklung der Zurückstellerquote bekannt. Daraus kann abgeleitet werden, dass auch die Folgen aus dem zu Frage 1 benannten Schreiben des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 29.11.2013 und die daraus resultierende Änderung der Grundschulverordnung durch die Stadt Potsdam abschätzbar waren. Sie hatte, wie alle Träger der Kindertageseinrichtungen , immer bei der Kita-Bedarfsplanung die möglichen Rücksteller zu berücksichtigen . Frage 6: Eltern, deren Kinder von der Einschulung zurückgestellt werden, steht ein weiteres beitragsfreies Kita-Jahr zu (siehe Internetseite des MBJS: https://mbjs.brandenburg.de/kinder-und-jugend/kindertagesbetreuung/beitragsfreie-kita-imletzten -jahr-vor-der-einschulung.html). Inwiefern könnte sich dieser Umstand nach Ansicht der Landesregierung in Zukunft auf die Zahl der Zurückstellungsanträge auswirken? Zu Frage 6: Die Elternbeitragsbefreiung für Kinder im letzten Kita-Jahr vor der Einschulung dürfte keinen Einfluss auf die Anzahl der Zurückstellungsanträge haben. Die Voraussetzungen der Zurückstellung haben sich durch das Gesetz zum Einstieg in die Elternbeitragsfreiheit in Kitas nicht verändert. Schulpflichtige Kinder können gemäß § 51 Absatz 2 Satz 1 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) im Ausnahmefall durch die Schulleiterin oder den Schulleiter auf Antrag der Eltern für ein Schuljahr zurückgestellt werden, wenn zu erwarten ist, dass sie nicht mit Erfolg am Unterricht teilnehmen können. Es ist nicht zu erwarten, dass die Eltern mit Blick auf das Kindeswohl nun häufiger Zurückstellungsanträge stellen werden, nur weil das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung beitragsfrei geworden ist. Frage 7: Im Gegensatz zur Rückstellung gibt es auch die Möglichkeit der frühzeitigen Einschulung von Kindern vor dem Alter von sechs Jahren. Wie haben sich diese Zahlen in den letzten zehn Jahren entwickelt? (Bitte ebenfalls nach Jahren aufschlüsseln.) Zu Frage 7: Die Zahl der Einschulungen von Kindern, die nach dem 30. September des Einschulungsjahres das sechste Lebensjahr vollenden, kann der Tabelle 3 entnommen werden. Die Zahl der frühzeitigen Einschulungen ist seit dem Schuljahr 2006/2007 kontinuierlich gesunken und die vorzeitige Einschulungsquote ist seit dem Schuljahr 2014/2015 stabil bei etwa einem Prozent. Landtag Brandenburg Drucksache 6/10194 - 6 - Tabelle 3: Vorzeitige Einschulungen und ihr Anteil an den Einzuschulenden nach Schuljahren im Land Brandenburg Vorzeitige Einschulung* an der Grundschule Schuljahr absolut in % 2006/2007 538 2,88 2007/2008 512 2,87 2008/2009 509 2,88 2009/2010 493 2,77 2010/2011 434 2,46 2011/2012 352 2,01 2012/2013 326 1,84 2013/2014 294 1,64 2014/2015 240 1,27 2015/2016 216 1,14 2016/2017 228 1,15 2017/2018 240 1,21 Quelle: Schuldatenerhebung der jeweiligen Schuljahre *Kinder, die in der Zeit vom 01. Oktober bis 31. Juli des folgenden Jahres das 6. Lebensjahr vollenden. Frage 8: Gibt es seitens der Landesregierung eine Prognose hinsichtlich der Anzahl der Rückstellungen bzw. vorzeitigen Einschulungen in den kommenden Jahren? Zu Frage 8: Aus der Schülermodellrechnung des MBJS vom März 2018 geht hervor, dass die Zurückstellerquote und der Anteil der vorfristig Eingeschulten in den Folgejahren bis zum Schuljahr 2030/2031 ähnlich wie im Schuljahr 2017/2018 bleiben werden. Die Vorausberechnungen prognostizieren folglich eine konstante Entwicklung.