Datum des Eingangs: 11.11.2014 / Ausgegeben: 17.11.2014 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/103 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4 des Abgeordneten Axel Vogel Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 6/18 Ergebnisse der Strategie „Europa 2020“ in Brandenburg Wortlaut der Kleinen Anfrage 4 vom 09.10.2014: Anfang 2010 schlug die Kommission die Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum vor. Ziel der Strategie war es, die Wettbewerbsfähigkeit der EU unter Wahrung ihres Modells der sozialen Marktwirtschaft zu stärken und die Ressourceneffizienz der EU-Wirtschaft deutlich zu verbessern. Die Strategie war als Partnerschaft zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten konzipiert und legte den Schwerpunkt auf ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum mit einem eigenen System zur Umsetzung. Die Kommission hat jetzt eine öffentliche Anhörung begonnen, um die Standpunkte aller Interessenträger einzuholen und in die Weiterentwicklung der Strategie für den Zeitraum 2015-2020 fließen zu lassen. Brandenburg hat aufbauend auf dem EU-2020 Prozess in den letzten Jahren eigene Strategien entwickelt und umgesetzt wie zum Beispiel die Innovationsstrategie oder die Energiestrategie 2030 und somit erste Erfahrungen sammeln können. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Welche Relevanz haben die EU 2020 Ziele aus Sicht der Landesregierung im Rückblick auf die ersten vier Jahre seit Verkündung für Brandenburg? 2. Welche der 5 Kernziele werden voraussichtlich in Brandenburg erreicht oder sogar übertroffen? 3. Wenn einzelne Ziele absehbar nicht erreicht werden können, woran liegt das nach Meinung der Landesregierung? 4. Wie nutzt die Landesregierung den Konsultationsprozess zur Weiterentwick- lung der Strategie Europa 2020 um Brandenburger Positionen zu formulieren? 5. In welchen Bereichen müsste die EU künftig aus Sicht der Landesregierung vorrangig tätig werden, um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen? 6. Welche neuen Herausforderungen sollten bei EU-Strategien künftig stärker berücksichtigt werden? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Relevanz haben die EU 2020 Ziele aus Sicht der Landesregierung im Rückblick auf die ersten vier Jahre seit Verkündung für Brandenburg? zu Frage 1: Die Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum und die ihr vorausgehenden Diskussionen waren ein wichtiger Orientierungspunkt für die in den vergangenen Jahren von der Landesregierung beschlossenen Strategien und Strategieansätze für die Regionalentwicklung. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die wirtschaftspolitische Strategie einschließlich der Mittelstandsstrategie, die Clusterstrategie und die gemeinsame Innovationsstrategie mit Berlin, die Brandenburgische Fach-kräftestrategie und die strategischen Ansätze der Brandenburgischen Arbeitspolitik („Gute Arbeit für alle“ und „Sichere Übergänge“), die Zielvorgaben der Landesregierung für eine „Gute Bildung von Anfang an“, die Energiestrategie 2030, die industriepolitische Strategie „Proindustrie“, die Eckpunkte der Landesnach-haltigkeitsstrategie, die strategischen Ansätze des Maßnahmenkataloges zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels und die Internati-onalisierungsstrategie. Frage 2: Welche der 5 Kernziele werden voraussichtlich in Brandenburg erreicht oder sogar übertroffen? Frage 3: Wenn einzelne Ziele absehbar nicht erreicht werden können, woran liegt das nach Meinung der Landesregierung? zu den Fragen 2 und 3: Die Kernziele der Strategie Europa 2020 richten sich grundsätzlich an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Innerhalb der Mitgliedstaaten können Regionen in unterschiedlichem Maße zu Ihrer Erreichung beitragen. Ferner weisen die fünf Kernziele , die für die gesamte EU gelten, bei näherer Betrachtung teilweise erhebliche Unschärfen auf, da sich die Verhältnisse in den Mitgliedstaaten teilweise erheblich unterscheiden. Daher sind in Deutschland einzelne Ziele an die konkreten Verhältnisse angepasst worden. Der Erfüllungsgrad der 5 Kernziele der Strategie Europa 2020 stellt sich in Brandenburg wie folgt dar: a) Kernziel Beschäftigung Danach sollen 75 Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig sein. Brandenburg erfüllt das beschäftigungspolitische Kernziel bereits jetzt. Im Jahr 2013 galten in Brandenburg 77,7 Prozent der 20- bis 64- Jährigen als erwerbstätig. b) Kernziel Forschung und Entwicklung Danach sollen 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung (FuE) aufgewendet werden. Während Deutschland mit Aufwendungen für FuE in Höhe von 2,91 Prozent (2011) des BIP deutlich über dem EU-Durchschnitt (EU-27) von 2,03 Prozent lag, betrugen in Brandenburg die Ausgaben für FuE nur 1,69 Prozent des BIP (975 Mio. Euro). Der wichtigste Grund für diese Diskrepanz liegt in den historisch und durch die kleinteilige Wirtschaftsstruktur bedingten niedrigen privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Während diese im Bundesdurchschnitt etwa 2/3 der FuEAusgaben ausmachen (67,7 Prozent), liegen sie in Brandenburg nur bei rund 1/3 (32,5 Prozent). Hier steuert die Landesregierung insbesondere mit der starken Konzentration des Operationellen Programms für den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung auf angewandte Forschung, Entwicklung und Innovation und hier wiederum auf Forschung und Entwicklung in Unternehmen gegen. c) Kernziel Klimawandel und nachhaltige Energiewirtschaft Gemäß der Strategie Europa 2020 sollen bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent (ggf. 30 Prozent) gegenüber 1990 verringert werden, der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergie-verbrauch soll auf 20 Prozent steigen, und die Energieeffizienz soll um 20 Prozent gegenüber der prognostizierten Entwicklung erhöht werden. Im 4. Monitoringbericht zur Energiestrategie des Landes vom Januar 2014 wird der Umsetzungsstand in Brandenburg dargestellt. Demnach lag der Anteil der Erneuerbaren Energien im Jahr 2012 bei 15,4 Prozent bezogen auf den Primärenergieverbrauch und bereits bei rd. 65 Prozent bezogen auf den Bruttostromverbrauch . Als Kriterium für die Effizienz wird auf Landesebene die Energieproduktivität als Quotient aus Bruttoinlandsprodukt und Primärenergieverbrauch gebildet. Im Zeitraum 2007 (Bezugsjahr der Energiestrategie 2030 des Landes) bis 2012 konnte die Energieproduktivität um 6,3 Prozent gesteigert werden. Da die energiebedingten CO2-Emissionen in Brandenburg zu über 90 Prozent zu den Gesamttreibhausgasen des Landes beitragen, fokussiert Brandenburg auf ein CO2-Minderungsziel. Brandenburg hat gegen-über dem international festgelegten Bezugsjahr 1990 seine energiebedingten CO2- Emmission bis 2012 um 34,6 Prozent gesenkt. d) Kernziel Bildung Danach soll der Anteil der Schulabbrecher auf unter 10 Prozent abgesenkt werden und mindestens 40 Prozent der jüngeren Generation sollen einen Hochschulabschluss haben. Die Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss konnte durch vielfältige Maßnahmen in den letzten Jahren bis zum Schuljahr 2012/2013 erfolgreich auf 8 Prozent gesenkt werden. Davon entfallen 5,5 Prozentpunkte auf Schülerinnen und Schüler der Förderschulen „Lernen “ und „Geistige Entwicklung“, also auf Schulformen, an denen ein regulärer Schulabschluss nicht erworben werden kann. Die verbleibenden 2,5 Prozentpunkte betreffen Schülerinnen und Schüler der weiterführenden allgemein bil- denden Schulen. Nach der amtlichen Statistik für 2012 haben in Brandenburg 23,5 Prozent der 30- bis 34-Jährigen einen Hochschulabschluss. Deutschlandweit hatten 31,9 Prozent der 30- bis 34-Jährigen im Jahr 2012 einen Hochschulabschluss, in der EU-27 waren es 35,8 Prozent. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland wie in Brandenburg eine Reihe von Berufsbildern , die – wie etwa im Gesundheitswesen - in anderen Ländern der Europäischen Union ein Hochschulstudium erfordern, Fachberufe sind. Daher hat Deutschland eine eigene Ausformung dieses Kernziels geschaffen, nach der zusätzlich zu den Tertiärabschlüssen der ISCED-Stufen 5 und 6 auch postsekundäre nicht-tertiäre Abschlüsse der ISCED-Stufe 4 einbezogen und 42 Prozent der 30- bis 34-Jährigen erreicht werden sollen. Brandenburg lag hier nach dem Entwurf des ESF-OP im Jahr 2011 bereits bei 42,0 Prozent. Bis zum Jahr 2020 ist die Entwicklung in Brandenburg nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegene Absolventenzahl (Anzahl der Prüfungen) wird hier nicht ausschlaggebend sein, da in Brandenburg nur rund ein Viertel der Studienanfänger aus Brandenburg stammt. Zudem können über den Verbleib der Absolventen der Hochschulen in Brandenburg beziehungsweise über die Rückkehr brandenburgischer Absolventen , die an Hochschulen außerhalb Brandenburgs studiert haben, nach Brandenburg, keine validen Aussagen getroffen werden. e) Kernziel Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung Danach soll die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen oder bedrohten Menschen um mindestens 20 Millionen gesenkt werden. Die Bundesregierung hat zur nationalen Definition des Kernziels die Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit herangezogen, da Langzeitarbeitslosigkeit ein wesentliches Risiko für Armut und soziale Ausgrenzung darstellt. Die Zahl der langzeitarbeitslosen Personen soll danach bis 2020 - gemessen am Jahresdurchschnitt 2008 - um 20 Prozent reduziert werden. Auch dieses Ziel wurde im Land Brandenburg bereits übertroffen. Bis 2013 konnte die Langzeitarbeitslosigkeit im Land Brandenburg unter Bezugnahme des Jahresdurchschnitts von 2008 um 44 Prozent reduziert werden. Trotz dieses Erfolges bleibt die Bekämpfung der Armut ein wichtiges Ziel für die Landesregierung. Dabei spielt die bessere Integration von Langzeitarbeitslosen in Arbeit eine wichtige Rolle. Aber auch Geringqualifizierte, Alleinerziehende , Schwerbehinderte, Migrantinnen und Migranten und ältere Erwerbsfähige benötigen hier besondere Unterstützung. Ein spezielles Augenmerk ist dabei auf Bedarfsgemeinschaften mit Kindern zu richten, in denen beide Elternteile erwerbslos sind, bzw. von erwerbslosen Allein-erziehenden. Dies vor allem vor dem Hintergrund, die schulischen und beruflichen Startbedingungen der Kinder zu verbessern. Die Landesregierung plant deshalb, 20 Prozent der in der Förderperiode 2014 bis 2020 zur Verfügung stehenden Mittel des Europäischen Sozialfonds für Maßnahmen zur Förderung der sozialen Inklusion sowie der Bekämpfung von Armut und jeglicher Diskriminierung einzusetzen. Frage 4: Wie nutzt die Landesregierung den Konsultationsprozess zur Weiterentwicklung der Strategie Europa 2020 um Brandenburger Positionen zu formulieren? zu Frage 4: Es ist kein Beitrag der Landesregierung insgesamt zu diesem Konsultationsprozess vorgesehen. Brandenburg bringt sich allerdings in bewährter Weise unter anderem über den Bundesrat, die Fachministerkonferenzen, verschiedene Netzwerke europäischer Regionen und in konkreten Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der EU-Kommission bzw. mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments aktiv in die anlaufenden Diskussionen zur Weiterentwicklung der Strategie Europa 2020 und ihrer spezifischen Unterthemen ein. So beteiligt sich etwa das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) bei der derzeitigen Erarbeitung und Abstimmung eines Umlaufbeschlusses der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder zur Weiterentwicklung der Strategie Europa 2020. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) setzt sich im Rahmen der Bundesrats- und EUBildungsratsarbeit für eine stärkere Berücksichtigung bildungspolitischer Aspekte bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie Europa 2020 ein. Frage 5: In welchen Bereichen müsste die EU künftig aus Sicht der Landesregierung vorrangig tätig werden, um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen? zu Frage 5: Die Landesregierung hat Ende 2012 drei landespolitische Prioritäten für die EUFörderung in Brandenburg festgelegt. Diese sind (1) Innovation, (2) Bildung und Fachkräftesicherung und (3) Schonende und effiziente Ressourcennutzung, Erneuerbare Energien. Sie werden ergänzt durch die Querschnittsaufgaben (1) des konstruktiven Umgangs mit den Herausforderungen des demographischen Wandels, (2) der stärkeren Integration der Entwicklung von städtischen und ländlichen Räumen und (3) der Stärkung des Landes und seiner Akteure im Umgang mit den voranschreitenden Internationalisierungsprozessen. In diesen Bereichen besteht aus Sicht der Landesregierung auch weiterhin besonderes Potential, um mit Unter-stützung der EU bzw. mit dem Einsatz von EU-Mitteln intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, angepasst an die spezifischen Stärken und Heraus-forderungen vor Ort, zu befördern. Frage 6: Welche neuen Herausforderungen sollten bei EU-Strategien künftig stärker berücksichtigt werden? zu Frage 6: Neben den zu Frage 5 genannten prioritären Bereichen sollte angesichts der krisenbedingt hohen Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung in vielen Ländern Europas die soziale Dimension von EU-Politik, insbesondere die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Armut, gestärkt werden. Grundsätzlich kommt einem neuen Verhältnis von sozialen Grundrechten und wirtschaftlichen Grundfreiheiten große Bedeutung zu. Soziale Grundrechte sowie ökologische, rechtsstaatliche und demokratische Standards sollen dabei gestärkt werden. Die Mitwirkungsrechte der EU-Bürger sollen gestärkt und neue Wege erprobt werden, die Vorgaben der EU für die Umsetzung ihrer politischen Strategien zu verschlanken.