Landtag Brandenburg Drucksache 6/10763 6. Wahlperiode Eingegangen: 28.02.2019 / Ausgegeben: 05.03.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4237 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Benjamin Raschke (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/10481 Wirksamkeit von Richtervorbehalten Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Wesentliche Funktion von Richtervorbehalten ist der Ausgleich zwischen dem Wunsch einer möglichst umfangreichen Sachverhaltsaufklärung durch staatliche Ermittlungsbehörden und dem Schutz der individuellen Rechte der von diesen Maßnahmen potenziell Betroffenen. Im Rahmen der geplanten Novellierung des Polizeigesetzes soll in Brandenburg die Datenerhebung durch Eingriff in informationstechnische Systeme (Quellen-TKÜ) in den Katalog polizeilicher Instrumente aufgenommen werden. Grundsätzlich darf diese Maßnahme nur durch ein Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Leitungsebene einer Strafverfolgungsbehörde angeordnet werden. Wie empirische Untersuchungen zeigen (u. a. Backes/Gusy 2003), stimmen Richterinnen und Richter jedoch fast immer dem Überwachungsantrag zu. Ein Grund hierfür liegt auch in der unzureichenden Personalausstattung vieler Gerichte, die eine zeitintensive Prüfung von Richtervorbehalten erschwert. Zudem beruht der Richtervorbehalt eher selten auf einer , wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, eigenständigen Entscheidung der Richterinnen und Richter. Fraglich ist daher, welchen Rechtsschutz Richtervorbehalte tatsächlich bieten. Frage 1: Wie oft wurden polizeiliche Maßnahmen, die unter Richtervorbehalt stehen, in den Jahren 2015 - 2018 Richterinnen und Richtern in Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt ? (bitte nach Jahren, Art der Maßnahme, Gericht und Entscheidung aufschlüsseln) zu Frage 1: Eine statistische Erfassung aller dem Richtervorbehalt unterliegenden polizeilichen Maßnahmen, d. h. sowohl der Gefahrenabwehr nach dem Brandenburgischen Polizeigesetz (BbgPolG) als auch der Strafverfolgung nach der Strafprozessordnung (StPO), die Richterinnen und Richtern in Brandenburg zur Entscheidung vorgelegt werden, existiert nicht. Die Anzahl der Anträge auf gerichtliche Entscheidung in den Berichtsjahren 2015 bis 2018, aufgeschlüsselt nach Jahren, Art der Maßnahmen, Gerichten und Entscheidungen , sind mit vertretbarem Aufwand nicht zu ermitteln. Hierfür bedürfte es der Durchsicht aller Einzelvorgänge in dem relevanten Zeitraum. Statistische Datenerhebungen gibt es im Bereich der Gefahrenabwehr indes in Bezug auf berichtspflichtige Maßnahmen aufgrund des BbgPolG (§ 33a BbgPolG: Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen; § 33b Absatz 1, Absatz 3 Nummer 1 bis 3, Absatz 6 BbgPolG: Datenerhebung durch Eingriffe in die Telekommunikation, Verkehrs- Landtag Brandenburg Drucksache 6/10763 - 2 - und Nutzungsdatenauskunft; § 33c BbgPolG: Datenerhebung durch Bestandsdatenauskunft ). Diesbezüglich wird auf die jährlichen Berichte des Ministers des Innern und für Kommunales an den Landtag über bestimmte Maßnahmen der Datenerhebung aufgrund des BbgPolG verwiesen (für 2015: LT-Drs. 6/5086; für 2016: LT-Drs. 6/6974; für 2017: LT- Drs. 6/9505). Für 2018 liegt noch keine Berichterstattung vor. In dem Berichtszeitraum 2015 bis 2017 haben Maßnahmen nach § 33a, § 33b Absatz 3 Nummer 3, § 33c BbgPolG nicht stattgefunden. Anträge auf gerichtliche Entscheidung erfolgen zum Zwecke der Anordnung einer polizeilichen Maßnahme durch das Gericht sowie der richterlichen Bestätigung einer Anordnung der Behördenleitung bei Gefahr in Verzug. Die Gesamtzahl der diesbezüglichen Vorlagen an brandenburgische Richterinnen und Richter und die Anzahl der gerichtlichen Anordnungen o. g. polizeilicher Maßnahmen in den Berichtsjahren 2015 bis 2017 (ohne die Bestätigungs- bzw. Ablehnungsentscheidungen nach ergangener Anordnung durch die Behördenleitung) lassen sich nachfolgender Tabelle entnehmen. 2015 2016 2017 Gesamtzahl der Vorlagen an brandenburgische Richterinnen und Richter in Be-zug auf Maßnahmen nach § 33 b Absatz 1, Absatz 3 Nummer 1 und 2, Absatz 6 BbgPolG 139 159 174 davon Anzahl der Anordnungen durch das Gericht 2 6 7 Im Übrigen handelte es sich um Anordnungen der Behördenleitung bei Gefahr in Verzug (siehe Antwort zu Frage 2), die durch das Gericht entweder bestätigt oder abgelehnt wurden . Weitere Einzelheiten, insbesondere mit Blick auf die Art der Maßnahme, das Gericht und den Tenor der gerichtlichen Entscheidung, können den Anlagen der o. g. jährlichen Berichte des Ministers des Innern und für Kommunales an den Landtag über bestimmte Maßnahmen der Datenerhebung aufgrund des Brandenburgischen Polizeigesetzes entnommen werden. Was Maßnahmen der Strafverfolgung anbelangt, werden beim Bundesamt für Justiz die Telekommunikationsüberwachungsstatistik und die Wohnraumüberwachungsstatistik auf Basis der vonseiten der Länder kalenderjährlich jeweils bis zum 30. Juni des dem Berichtsjahr folgenden Jahres berichteten Zahlen geführt, die bis 2017 Angaben zu Maßnahmen nach § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung), § 100g StPO (Erhebung von Verkehrsdaten) sowie § 100c StPO (Akustische Wohnraumüberwachung ) enthalten. Diese Statistiken weisen indes keine Aufschlüsselung nach der anordnenden Stelle und deren Sitz, dem Inhalt des Antrags oder der Anordnung auf. Die Anzahl der im Land Brandenburg geführten Verfahren, in denen in den Berichtsjahren 2015 bis 2017 Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung angeordnet worden sind, sowie die Anzahl der Überwachungsanordnungen ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. 2015 2016 2017 Anzahl der Verfahren, in denen im Berichtsjahr Maßnahmen nach § 100a Absatz 1 StPO angeordnet wurden 122 113 86 Anzahl der Überwachungsanordnungen nach § 100a Absatz 1 StPO 314 288 226 Landtag Brandenburg Drucksache 6/10763 - 3 - Die Anzahl der im Land Brandenburg geführten Verfahren, in denen in den Berichtsjahren 2015 bis 2017 Maßnahmen der Verkehrsdatenüberwachung durchgeführt bzw. angeordnet worden sind, ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. 2015 2016 2017 Anzahl der Verfahren, in denen im Berichtsjahr Maßnahmen nach § 100g Absatz 1 StPO durchgeführt wurden 198 269 255 Anzahl der Anordnungen zur Erhebung von Verkehrsdaten 279 353 386 Im Land Brandenburg sind in den Berichtsjahren 2015 bis 2017 keine Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung nach § 100c StPO durchgeführt worden. Für das Jahr 2018 liegen die Daten der Telekommunikationsüberwachungsstatistik und die Wohnraumüberwachungsstatistik noch nicht vor. Weitere Statistiken zu Ermittlungsmaßnahmen, die einen Richtervorbehalt vorsehen, werden nicht geführt. Frage 2: Wie oft wurden polizeiliche Maßnahmen, die unter Richtervorbehalt stehen, in den Jahren 2015 - 2018 wegen Gefahr in Verzug den Strafverfolgungsbehörden zur Entscheidung vorgelegt? (bitte nach Jahren, Art der Maßnahme, Strafverfolgungsbehörde und Entscheidung aufschlüsseln) zu Frage 2: Dem Richtervorbehalt unterliegende polizeiliche Maßnahmen, die wegen Gefahr in Verzug den Strafverfolgungsbehörden zur Entscheidung vorgelegt werden, werden statistisch weder bei den Staatsanwaltschaften noch bei der Polizei Brandenburg gesondert erfasst. Eine Aufstellung, aufgeschlüsselt nach Anzahl der Vorlagen in den Berichtsjahren 2015 bis 2018, Art der Maßnahmen, Strafverfolgungsbehörden und Entscheidungen , ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Auch hier wäre eine Einzelrecherche nötig . Im Bereich der Gefahrenabwehr liegen jedoch statistische Datenerhebungen in Bezug auf berichtspflichtige Maßnahmen aufgrund des BbgPolG (siehe Antwort zu Frage 1) vor. Die Anzahl der Vorlagen an die Behördenleitung bei Gefahr in Verzug zeigt nachfolgende Tabelle für die Berichtsjahre 2015 bis 2017. 2015 2016 2017 Anzahl der Vorlagen an die Behördenleitung bei Gefahr in Verzug in Bezug auf Maßnahmen nach § 33b Absatz 1, Absatz 3 Nummer 1 und 2, Absatz 6 BbgPolG 137 153 167 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere mit Blick auf die Art der Maßnahmen, wird auf die Anlagen zu dem jährlichen Bericht des Ministers des Innern und für Kommunales an den Landtag über bestimmte Maßnahmen der Datenerhebung aufgrund des BbgPolG verwiesen (für 2015: LT-Drs. 6/5086; für 2016: LT-Drs. 6/6974; für 2017: LT-Drs. 6/9505). Für 2018 liegt noch keine Berichterstattung vor. Frage 3: Wie gestaltet sich die Genehmigung bzw. Ablehnung polizeilicher Maßnahmen, die unter Richtervorbehalt stehen, durch die Richterinnen und Richter in der Praxis? Existieren vorformulierte Dokumente, welche lediglich der Unterschrift eines Richters bzw. ei- Landtag Brandenburg Drucksache 6/10763 - 4 - ner Richterin bedürfen? zu Frage 3: Die Genehmigung bzw. die Ablehnung polizeilicher Maßnahmen, die unter Richtervorbehalt stehen, richtet sich nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben, die von den Gerichten bei der Entscheidungsfindung zu beachten sind (Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 97 Absatz 1 GG). Ermittlungsmaßnahmen in einem Strafverfahren, die unter einem Richtervorbehalt stehen, setzen nach § 162 Absatz 1 Satz 1 StPO einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus. Die Polizei kann eine richterliche Handlung lediglich anregen. Es ist aber zulässig, dass die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft in deren Namen unter Vorlage der Akten Anträge stellt. Die Staatsanwaltschaft ist ein zur Objektivität verpflichtetes Organ der Rechtspflege, das die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit des Ermittlungsverfahrens trägt. Eine Antragstellung auf Erlass einer richterlichen Anordnung erfolgt daher nur in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft die Maßnahme für rechtmäßig hält. In anderen Fällen wird ein entsprechender Antrag nicht gestellt. Gemäß § 162 Absatz 2 StPO hat das Gericht nur die Rechtmäßigkeit der beantragten Maßnahme, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen. An die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ist es dabei nicht gebunden. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es sich bei der Abfassung seiner Entscheidungen entsprechender Vordrucke bedient. Im strafrechtlichen Fachverfahren MEGA sind Formulare hinterlegt, die verschiedene unverbindliche Formulierungsvorschläge zu unterschiedlichen Fallkonstellationen beinhalten. Die etwaige Verwendung der Vordrucke entbindet das zuständige Gericht weder von der Prüfung des ihm vorliegenden Sachverhalts noch von der Begründung der von ihm im Anschluss zu treffenden Entscheidung. Vollständig vorformulierte Dokumente, die lediglich der Unterschrift einer Richterin bzw. eines Richters bedürfen, existieren nicht.