Landtag Brandenburg Drucksache 6/10805 6. Wahlperiode Eingegangen: 05.03.2019 / Ausgegeben: 11.03.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4262 der Abgeordneten Kristy Augustin (CDU-Fraktion) und Frank Bommert (CDU-Fraktion) Drucksache 6/10540 Männlich, weiblich, divers: Auswirkungen auf Mittelstand und Handwerk Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Im Oktober 2017 verpflichtete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Gesetzgeber, eine Eintragungsmöglichkeit für eine geschlechtsneutrale Person in das Geburtenregister vorzusehen. Damit soll das Grundrecht auf Gleichbehandlung von Personen geschützt werden, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen beziehungsweise zugehörig fühlen. Im Dezember 2018 hat der Deutsche Bundestag das Urteil des BVerfG durch die Änderung des Personenstandsgesetzes umgesetzt. In diesem Zusammenhang empfehlen die Arbeitsrechtler den Unternehmen ausdrücklich, bei Stellenausschreibungen ein „drittes Geschlecht” anzugeben . In vielen anderen Bereichen herrscht jedoch weiterhin Rechtsunsicherheit. Im Gegensatz zu Großunternehmen haben kleine und mittelständische Betriebe keine Möglichkeit , bei Unklarheiten auf gut ausgestattete Rechtsabteilungen zurückzugreifen. Dabei kann eine Klage aufgrund des Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz für ein kleines oder mittelständisches Unternehmen durchaus existenzbedrohend sein, wenn aufgrund des Diskriminierungsvorwurfs Geschäftsbeziehungen aufgelöst werden und die Kunden wegbleiben. Wir fragen die Landesregierung: Frage 1: Gibt es nach Kenntnis der Landesregierung eine rechtssichere Lösung für den geschäftlichen Schriftverkehr? Wie müssen die herkömmlichen Begrüßungs- und Anredeformeln („Sehr geehrte Damen und Herren“, „Sehr geehrte Frau“, „Sehr geehrter Herr“) geändert werden, um neben weiblichen und männlichen auch „diverse“ Geschäftspartner, Kunden, Mitarbeiter, Auszubildenden, Praktikanten und Bewerber ansprechen zu können? zu Frage 1: Weder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch das Gesetz zur Änderung der in das Geburten-register einzutragenden Angaben machen hier konkrete Vorgaben . Für Aussagen über eine „rechtssichere“ oder allgemeingültige Lösung für den geschäftlichen Schriftverkehr ist die Regelung zum sog. Dritten Geschlecht noch zu neu. Auch der Rat für deutsche Rechtschreibung hat vorerst keine konkrete Empfehlung ausgesprochen . Die gesellschaftliche "Erprobungsphase verschiedener Bezeichnungen des dritten Geschlechts" solle nicht durch "vorzeitige Empfehlungen und Festlegungen" des Rats beeinflusst werden, heißt es in einem Beschluss. Anerkannt hat der Rat jedoch ein „Recht der Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht Landtag Brandenburg Drucksache 6/10805 - 2 - zugehörig fühlen, auf angemessene sprachliche Bezeichnung“. In Gesellschaft und Rechtsverkehr wird sich ein angemessener Sprachgebrauch erst noch entwickeln müssen. Frage 2: Besteht aufgrund des Urteils des BVerfG für die Unternehmen die Pflicht, zusätzliche Wasch- und Umkleideräume für das dritte Geschlecht zu schaffen? Müssen Unternehmen , die keine getrennten Waschräume haben, diese neu beschildern, um explizit auf das „dritte Geschlecht“ hinzuweisen? zu Frage 2: Forderungen an den Arbeitgeber zur Einrichtung von Sanitärräumen, wie Toiletten -, Wasch- und Umkleideräumen, in Betrieben oder auf Baustellen ergeben sich aus der Arbeitsstättenverordnung. Diese ist eine auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes vom Bund erlassene Arbeitsschutzverordnung und setzt die Forderungen der EG- Richtlinie 89/654/EWG über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten in das deutsche Recht um. Bisher liegen hinsichtlich der Einführung des dritten Geschlechts seitens des Rechtsetzers Bund keine Auslegungen zu dessen Berücksichtigung in den einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften vor. Alle bisherigen Regelungen sind sowohl im europäischen Recht wie im Bundesrecht ausschließlich auf die zwei Geschlechter Männer und Frauen ausgerichtet. Demzufolge enthalten auch die vom Ausschuss für Arbeitsstätten in den Regeln für Arbeitsstätten vorgenommenen Konkretisierungen zur Einrichtung und zum Betreiben von Toiletten-, Wasch- und Umkleideräumen (siehe ASR A 4.1 „Sanitärräume“) bisher lediglich Aussagen zu Männern und Frauen. Die Landesregierung wird sich dafür einsetzen, dass bezüglich des neu eingeführten dritten Geschlechts - soweit erforderlich - entsprechende Klarstellungen in den Geschlechterfragen betreffenden Forderungen in Arbeitsschutzgesetzen und -verordnungen bzw. in den diese konkretisierenden Regeln vorgenommen werden. Konkrete Anforderungen zur Thematik enthält der Anhang 4.1 der Arbeitsstättenverordnung. Danach hat der Arbeitgeber zwingend Toilettenräume sowie nach Erfordernis Wasch- und Umkleideräume zur Verfügung zu stellen. Diese sind grundsätzlich für Männer und Frauen getrennt einzurichten. Für kleine Betriebe (gemäß ASR A4.1 „Sanitärräume“ bis neun Beschäftigte) besteht auch die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber diese Räume geschlechtsunabhängig einrichtet und durch organisatorische Maßnahmen für eine zeitlich getrennte Nutzung sorgt. Eine solche Regelung wäre für kleine Betriebe auch unter Einbeziehung des dritten Geschlechts möglich . Frage 3: Welche Auswirkungen hat das Urteil des BVerfG auf die Arbeitskleidung in den Berufen, in denen es bis jetzt unterschiedliche Arbeitskleidung für weibliche und männliche Mitarbeiter gab? zu Frage 3: Nach Auskunft der drei brandenburgischen Handwerkskammern liegen im Ergebnis keine Erkenntnisse über Auswirkungen des Urteils des BVerfG mit Blick auf die Arbeitskleidung vor. Auch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben trifft hierzu keine Aussagen. Soweit die Frage auf Arbeitskleidung abzielt, die aus Gründen eines einheitlichen Unternehmensbildes im Sinne eines Corporate Design oder wettbewerbsfördernder anderer Gründe gewünscht ist, obliegt es den Unternehmen , Bekleidungsregeln aufzustellen, die eine Diskriminierung des neu eingeführten dritten Geschlechts ausschließen. Die Landesregierung empfiehlt Betrieben, die Beschäftigte haben, welche sich dem dritten Geschlecht zugehörig fühlen bzw. die Geschlechtsbezeichnung „divers“ gewählt haben, im Rahmen der betriebsüblichen Arbeitskleidung die Wahl zu lassen oder insgesamt die Bekleidungsvorschriften flexibler zu gestalten; es sei Landtag Brandenburg Drucksache 6/10805 - 3 - denn zwingende Gründe des Arbeitsschutzes würden eine nach Geschlechtern unterscheidende Arbeitskleidung vorschreiben. Tätigkeiten, die eine vom Geschlecht abhängige Arbeitskleidung aus Gründen des Arbeitsschutzes notwendig machen, sind der Landesregierung aber bislang nicht bekannt. Aus Gründen des Arbeitsschutzes bestehen hinsichtlich der Arbeitskleidung bei der Ausübung gefährdender Tätigkeiten bestimmte Anforderungen , die der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz von beschäftigten Männern und Frauen sowie Menschen diversen Geschlechts gleichermaßen dienen. Hierzu zählen z. B. geeignete Arbeitsschuhe, Schutzkleidung, Schutzhelme und andere persönliche Schutzausrüstungen . Sollte in der Praxis im Einzelfall doch eine vom Geschlecht abhängige Arbeitskleidung aus Gründen des Arbeitsschutzes vorkommen, dürfte es sich aber um eine äußerst geringe Zahl an möglichen Fällen handeln, die dann im konkreten Einzelfall nach Maßgabe der individuellen Umstände zu beurteilen wäre. Frage 4: Welche weiteren Bereiche (wie zum Beispiel Gestaltung der Anmelde- und Bestellformulare , AGBs, Kennzeichnung der Parkplätze usw.) sind von den Unternehmen im Zusammenhang mit dem Urteil des BVerfG zu berücksichtigen, um geschlechtsneutrale und damit diskriminierungsfreie Geschäftsabläufe sicherzustellen? Zu Frage 4: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. März 2018 - (BVerfG VI ZR 143/17) im Klageverfahren einer Frau, die im Zusammenhang mit einem Formular neben grammatisch männlichen Personenbezeichnungen auch die Verwendung weiblicher Personenbezeichnungen eingeklagt hatte, entschieden, dass hierauf kein Anspruch bestehe. Das BVerfG führte dazu aus, dass der Bedeutungsgehalt grammatisch männlicher Personenbezeichnungen nach dem allgemein üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen umfassen könne, deren natürliches Geschlecht nicht männlich sei ("generisches Maskulinum"). Ein solcher Sprachgebrauch bringe auch keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist, so das BVerfG. Diese Grundsätze wären rein juristisch auch für die dritte Geschlechtsbezeichnung „divers“ heranzuziehen. Die Landesregierung Brandenburg verfolgt allerdings im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung das Ziel, die Gleichstellung von Frauen, Männern und anderen Geschlechtern auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen und lehnt die alleinige Verwendung des sog. generischen Maskulinums ausdrücklich ab; sowohl in Bezug auf das weibliche, als auch in Bezug auf das dritte Geschlecht bzw. Menschen , die die Geschlechtsbezeichnung „divers“ gewählt haben. Die Gemeinsame Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Brandenburg führt folgendes aus: „Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, die nichts über das Geschlecht der bezeichneten Person oder Personen aussagen, verwirklichen die Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung […] am besten. Sie sind bevorzugt zu verwenden…“. Aus Sicht der Landesregierung wäre es daher wünschenswert, wenn auch in Anmelde- und Bestellformularen , die ein Individuum ansprechen, dies entsprechend ihres jeweiligen Geschlechts (m/w/d) oder geschlechtsneutral erfolgen würde. Bei Bestellformularen könnte neben den Kästchen für die Anrede „Frau“ oder „Herr“ zusätzlich ein Kästchen „keine Anrede“ zum Ankreuzen ergänzt werden. Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen könnte grundsätzlich auf geschlechtsneutrale Formulierungen zurückgegriffen werden, da sie nicht direkt ein Individuum ansprechen. Bei der Bezeichnung von Parkplätzen besteht kein Handlungsbedarf . Wie anlässlich eines Vergleichsverfahrens das Verwaltungsgericht München kürzlich vorgeschlagen hat, stellt die Bezeichnung als sog. Frauenparkplatz selbst im öffentlichen Straßenland lediglich eine Empfehlung und keine bei Zuwiderhandlung bußgeldbewehrte Kategorisierung dar. Sollte also eine Person, die sich dem Geschlecht „divers“ zugehörig Landtag Brandenburg Drucksache 6/10805 - 4 - fühlt, auf einem Frauenparkplatz parken wollen, leiten sich daraus keine sanktionsbewehrten Konsequenzen ab. Für (private) Firmenparkplätze gibt es hier ohnehin keine Beschränkungen für mögliche Ausgestaltungen. Für Stellenausschreibungen oder Bewerbungsformulare gilt, dass diese nach Maßgabe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 11 in Verbindung mit § 7 AGG) nicht benachteiligend wegen eines der genannten Diskriminierungsmerkmale ausgestaltet werden dürfen. Dazu gehört auch das Diskriminierungsmerkmal Geschlecht. Unter den Begriff Geschlecht fällt nun nicht mehr nur die Geschlechtsbezeichnung männlich oder weiblich, sondern auch die Geschlechtszuordnung „divers“. Im Licht der o. g. Entscheidung des BVerfG könnte vertreten werden, dass nur das generische Maskulinum verwendet wird und alle anderen Geschlechter, seien es Frauen oder das dritte Geschlecht mitgemeint seien. Das erscheint aber nicht sachgerecht und würde nach Auffassung der Landesregierung einen Rückschritt bedeuten. Vorzugswürdig wäre in einer Stellenausschreibung nach der Berufsbezeichnung den Klammerzusatz (m/w/d) anzufügen. Dies wird in der Praxis bereits häufig so gehandhabt. Da die Wahl des Buchstabens „d“ für „divers“ dem Wortlaut des Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben entspricht, sollte mit dieser Formulierung den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Genüge getan sein. Denkbar sind aber auch andere Formulierungsmöglichkeiten, die auch geschlechtsneutral sein können. Hierzu finden sich im Internet bereits zahlreiche Vorschläge und Beispiele. Frage 5: Beabsichtigt die Landesregierung für die brandenburgischen bzw. für die in Brandenburg tätigen Unternehmen eine Beratungsstelle einzurichten und/oder einen Leitfaden zu erstellen? Zu Frage 5: Die Landesregierung beabsichtigt nicht, eine Beratungsstelle einzurichten oder einen gesonderten Leitfaden zu erstellen. Landesspezifische Besonderheiten kommen bei den Auswirkungen von bundesgesetzlichen Regeln oder höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zum Tragen. Zudem gibt es für zahlreiche Fragestellungen bereits aussagekräftige und hilfreiche Hinweise im Internet, die herangezogen werden können. Zu Vorschlägen für geschlechtsneutrale Formulierungen sei hier beispielhaft auf den Leitfaden der Stadt Hannover verwiesen. Für manche Fragestellungen muss sich erst noch herauskristallisieren , welche Verfahrensweisen oder welcher Sprachgebrauch sich in der Praxis bewähren werden. Um darüber hinaus für Verwaltung und Wirtschaft insgesamt mehr Klarheit und Rechtssicherheit zu gewinnen, haben sich die Länder Ende Januar 2019 an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt und u.a. um Hinweise zu den arbeitsrechtlichen Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und des Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben für die öffentliche Hand und die Wirtschaft als Arbeitgeberin gebeten. Diese sollen zunächst abgewartet werden. Für Einzelfragen steht die Landesregierung den Unternehmen gerne zur Verfügung .