Landtag Brandenburg Drucksache 6/10924 6. Wahlperiode Eingegangen: 19.03.2019 / Ausgegeben: 25.03.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4299 der Abgeordneten Diana Bader (Fraktion DIE LINKE) Drucksache 6/10606 Feststellungsverfahren im Schwerbehindertenrecht Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Nachteilsausgleiche, die vorwiegend an den Grad der Behinderung und an die entsprechenden Merkzeichen gebunden sind. Dazu erfolgt im Landesamt für Soziales und Versorgung das sogenannte Statusfeststellungsverfahren. Zunehmend mehr klagen Betroffene und deren Interessenverbände über sehr lange Bearbeitungszeiten und Unklarheiten bei der Bewertung. Schaut man sich die statistischen Zahlen im Zeitraum 2007 - 2011 an, ist bei annähernd gleicher Zahl von Anträgen ein deutlicher Anstieg von Klagen zu verzeichnen . Die zahlreichen Beschwerden legen eine erneute Überprüfung nahe. Frage 1: Wie hat sich die Zahl der Antragstellungen sowie der förmlichen Widersprüche und gerichtlichen Klagen in den Jahren 2012 bis 2018 entwickelt? Frage 2: Wie hat sich die Zahl der Widerspruchs- und Klageverfahren pro gestellten Antrag entwickelt? Frage 3: Sollte sich die Zahl der Widersprüche und Klagen erhöht haben: Worin sieht die Landesregierung die Ursachen für den Anstieg? zu Fragen 1 bis 3: Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Anzahl der in den Jahren 2012 bis 2018 eingegangenen Anträge , Widersprüche und Klagen können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Die Zahl der Widersprüche und Klagen hat sich im Verhältnis zum Antragsaufkommen nicht signifikant verändert. Widerspruch und Klage sind Rechtsmittel, die zur Überprüfung der durch die Behörde getroffenen Entscheidungen zur Verfügung stehen. Soweit die Fragestellerin in den Vorbemerkungen Beschwerden gegen das Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV) anführt, bleibt darauf hinzuweisen, dass sowohl die Anzahl der bei der Fachaufsichtsbehörde und der direkt beim LASV eingehenden Beschwerden als auch die Anzahl der an den Landtag Brandenburg gerichteten Petitionen angesichts des hohen Antragsvolumens im Schwerbehindertenrecht sehr gering ist und sich in einem Bereich von etwa 0,1 Prozent bewegt. Landtag Brandenburg Drucksache 6/10924 - 2 - 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Erst- und Änderungsanträge 60.002 58.059 53.353 51.531 51.853 56.958 56.790 Widersprüche Anzahl 13.004 12.107 11.250 11.335 11.316 11.288 12.045 in Prozent der Antragseingänge 22 21 21 22 22 20 21 Klagen Anzahl 1.546 1.375 1.408 1.265 1.395 1.251 1.428 in Prozent der Antragseingänge 3 2 3 2 3 2 3 Quelle: Statistik des LASV Frage 4: Welche Vergleichswerte zu anderen Bundesländern liegen der Landesregierung vor? zu Frage 4: Zur Situation der schwerbehinderten Menschen wird gemäß § 214 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) alle zwei Jahre eine Bundesstatistik veröffentlicht. Zum Stichtag am 31. Dezember 2017 lag der Anteil der schwerbehinderten Menschen an der Bevölkerung bundesweit bei 9,4 Prozent. Die entsprechende Zahl beträgt in Brandenburg 11,0 Prozent. Gemessen am Bevölkerungsanteil werden in Brandenburg nach wie vor mehr schwerbehinderte Menschen anerkannt als im Bundesdurchschnitt. Am Ende des Jahres 2017 gab es in Brandenburg 274.510 schwerbehinderte Menschen. Frage 5: Wie stellt sich die Personalausstattung nach Anzahl und Art der Stellen im Land Brandenburg in diesem Bereich dar und wie verhält sich diese im Vergleich zu anderen Bundesländern? zu Frage 5: Die Bearbeitung von Schwerbehindertenangelegenheiten im Feststellungsverfahren nach § 152 SGB IX erfolgt im LASV an den drei Standorten in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam. Das LASV hält dafür insgesamt 128 Stellen (ohne Nachwuchsstellen , befristete Arbeitsverhältnisse und Stellenanteile im Ärztlichen Dienst) vor, davon sieben Stellen im höheren Dienst, 29 Stellen im gehobenen Dienst und 92 Stellen im mittleren Dienst (Stand 02/2019). Zur Personalausstattung der für das Feststellungsverfahren nach § 152 SGB IX zuständigen Behörden in anderen Bundesländern liegen der Landesregierung keine Daten vor. Frage 6: Wie werden Anregungen und Kritik der Interessen vertretenden Vereine von der Landesregierung wahrgenommen und im Landesamt für Soziales und Versorgung umgesetzt ? zu Frage 6: Die landesweit tätigen rechtsfähigen Behindertenverbände nehmen als Mitglieder im Landesbehindertenbeirat die Interessen der Menschen mit Behinderungen wahr. Zu den originären Aufgaben des Landesbehindertenbeirates gehört es, die Landesregierung zu beraten und ihr Empfehlungen zu geben. In diesem Rahmen arbeitet die von der Landesregierung berufene Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen ebenfalls eng mit den im Landesbehindertenbeirat vertretenen Organisationen zusammen. Anregungen und konstruktive Kritik der die Interessen von Menschen mit Behinderungen vertretenden Verbände nimmt das LASV mit großem Interesse auf und setzt diese soweit möglich durch entsprechende Maßnahmen um. Be- Landtag Brandenburg Drucksache 6/10924 - 3 - schwerden von Bürgerinnen und Bürgern werden als wichtiges Feed-back-Instrument gesehen . Im Rahmen des bestehenden Beschwerdemanagements erfolgen regelmäßige Auswertungen. Einmal jährlich findet eine Beratung mit Vertreterinnen und Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderungen und der Sozialverbände (Verbändeberatung) statt. Die Veranstaltung ist ein bewährtes Instrument, um sich gemeinsam über aktuelle sozialpolitische Themen sowie über Grundsatzfragen auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts auszutauschen. Frage 7: Gab es von den Mitarbeiter/innen Überlastungsanzeigen? Falls ja, wie viele? zu Frage 7: Im Personaldezernat des LASV wurden im Zeitraum von 2012 bis 2018 insgesamt 25 Überlastungsanzeigen von Mitarbeitenden der Abteilung 3 - Schwerbehindertenfeststellungsverfahren - des LASV eingereicht. Die Anzeigen erfolgten zu drei Terminen am 24. Februar 2014, am 8. März 2016 und am 8. Mai 2018 durch fünf, 19 bzw. eine Person . Generell erfolgt im LASV leitungsseitig eine Prioritätensetzung und Risikoeinschätzung bei der Abarbeitung der anstehenden Aufgaben, um in besonderen Situationen einer Überlastung von Mitarbeitenden vorzubeugen bzw. dieser zu begegnen. Frage 8: Welche Verbesserungsmaßnahmen zur Steigerung der Arbeitsqualität und der Arbeitszufriedenheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landesamt für Soziales und Versorgung hat die Landesregierung veranlasst bzw. sind in Planung? zu Frage 8: Das LASV ist als nachgeordnete Behörde des Ministeriums für Arbeit, Soziales , Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich tätig. Das LASV hat in den zurückliegenden Jahren im Rahmen der im Landeshaushalt bereitgestellten Mittel und mit Unterstützung des MASGF eine Vielzahl von Maßnahmen sowohl in der Gestaltung der Arbeitsprozesse als auch zur Personalentwicklung und Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden eingeleitet und umgesetzt, um die Qualität der Arbeitsergebnisse sowie ein kundenorientiertes Verwaltungshandeln weiter verbessern zu können. Mit Hilfe eines betrieblichen Gesundheitsmanagements wurden und werden im LASV gesundheitsgerechte und persönlichkeitsfördernde Arbeitsbedingungen geschaffen, die Gesundheitssituation der Mitarbeitenden verbessert und die Arbeitszufriedenheit gesteigert. Im Jahr 2013 wurde für den Bereich des Schwerbehindertenrechts ein Service-Center für die telefonische und schriftliche Auskunftserteilung und Beratung von Bürgeranfragen etabliert. Mit der Schaffung einer Front-Office-/Back-Office-Struktur konnten die in der Sachbearbeitung tätigen Mitarbeitenden durch die mögliche Konzentration auf Kernaufgaben bei der Antragsbearbeitung entlastet werden. Eine bürgernahe Verwaltung wird zudem mit Fortbildungsmaßnahmen , wie z. B. Kundenorientierung am Telefon, Kommunikation, Konflikt- und Stressmanagement , Beschwerde als Chance, Konfliktmanagement und Deeskalation, Kundenfreundlichkeit und Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern weiter gestärkt. Das LASV wurde am 23. Juni 2016 bereits zum dritten Mal mit dem „audit berufundfamilie“ ausgezeichnet. Durch eine strategisch angelegte familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik werden die Mitarbeitenden darin unterstützt, Veränderungsprozesse wie Struktur- oder Organisationswandel erfolgreich zu bewältigen. Den gegenwärtigen Schwerpunkt bei der Optimierung von Prozessabläufen bildet die zum 5. Februar 2018 eingeführte elektronische Aktenbearbeitung, die eine effiziente papierlose Antragsbearbeitung in einem modernen IT-Fachverfahren ermöglicht und wesentlich zur Verkürzung von Bearbeitungszeiten beitragen kann. Damit verbunden wird eine gleichmäßige Lastvertei- Landtag Brandenburg Drucksache 6/10924 - 4 - lung des Antragsaufkommens auf die drei Standorte in Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus erreicht. Frage 9: Inwieweit wird zum Zwecke der Verbesserung in diesem Bereich mit den kommunalen Behindertenbeauftragten zusammengearbeitet? zu Frage 9: Die Funktion der kommunalen Behindertenbeauftragten ist landesrechtlich nicht geregelt. Es obliegt den kommunalen Gebietskörperschaften, ob und in welcher rechtlichen Stellung sie amtlich bestellte Beauftragte für die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen berufen. Die Landkreise und kreisfreien Städte bieten über die gesetzlich normierte Beratungstätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch im Rahmen der gesundheitlichen Daseinsfürsorge kommunale Behindertenberatung als eigenständige freiwillige und/oder beauftragte freiwillige Leistung an. Das LASV arbeitet eng mit den kommunalen Behindertenbeauftragten zusammen und führt auf Wunsch Informationsveranstaltungen zum Antrags- und Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht vor Ort durch. Derartige Veranstaltungen werden auch genutzt, um Erfahrungen auszutauschen und das Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und der Zuerkennung von Merkzeichen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu erläutern . Zudem sind seit 1. Januar 2018 in allen kreisfreien Städten und nahezu allen Landkreisen Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatungsstellen der Selbsthilfe und der Freien Wohlfahrtspflege tätig, um Menschen mit Behinderungen, von Behinderungen bedrohte Menschen und Angehörige über Fragen der Teilhabe und Rehabilitation, einschließlich der Feststellung der Behinderung, zu beraten. Frage 10: Könnte die zukünftige Clearingstelle bei der BFMG Land Brandenburg eine Möglichkeit der Qualitätsverbesserung und damit der Verringerung der Widerspruchs- und Klageverfahren sein? zu Frage 10: Die Clearingstelle bei der Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen hat gemäß § 6 des Gesetzes zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes des Landes Brandenburg zwischen dem Leistungsberechtigten nach § 99 SGB IX und dem zuständigen örtlichen Träger der Eingliederungshilfe bei Streitigkeiten im Einzelfall zu vermitteln und auf eine gütliche Einigung über Art und Umfang der Leistung sowie Verfahrensfragen hinzuwirken. Die Aufgaben der Clearingstelle sind auf den Bereich der Eingliederungshilfe beschränkt. Unabhängig davon hat jede Person das Recht, sich mit Bitten, Beschwerden und Anregungen unmittelbar an die Landesbehindertenbeauftragte zu wenden, wenn sie der Auffassung ist, dass Verstöße gegen die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen erfolgt sind oder drohen (§ 14 Absatz 3 Brandenburgisches Behindertengleichstellungsgesetz). Frage 11: Wie kann die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit von Entscheidungen des LASV gestärkt werden, sodass sich betroffene Personen informieren können? zu Frage 11: Das Feststellungsverfahren im Schwerbehindertenrecht ist ein formales Verfahren , das den gesetzlichen Vorgaben des SGB IX folgt. Es sind verwaltungsinterne Regelungen getroffen, die eine einheitliche Handhabung gestellter Anträge bis zur Entscheidung gewährleisten. Betroffene Personen können sich jederzeit persönlich im Bürgerbüro, telefonisch über das Service-Center oder online über einen passwort-geschützen Zugang Landtag Brandenburg Drucksache 6/10924 - 5 - auf der Internetseite des LASV zum Stand ihres Verfahrens und der getroffenen Entscheidungen informieren. Darüber hinaus werden durch das LASV Informationsveranstaltungen zum Feststellungsverfahren vor Ort bei den Verbänden von Menschen mit Behinderungen, den Sozialverbänden und Pflegestützpunkten im Land Brandenburg durchgeführt. Durch das LASV werden Angebote unterbreitet, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Krankenhäusern und Kliniken in Brandenburg, die bei der Antragstellung behilflich sind, vor Ort zum Verfahren zu schulen. Es wird eng mit den Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg und mit interessierten Kommunen in Brandenburg zusammengearbeitet. Auch die Verbändeberatungen werden genutzt, um rechtliche Fragen bei der Durchführung des Feststellungsverfahrens zu erörtern. Die Verbandsvertreterinnen und -vertreter dienen als Multiplikatoren gegenüber ihren Verbandsmitgliedern . Frage 12: Zurzeit wird ein Referentenentwurf der Sechsten Verordnung zur Änderung (6. Änd-VO) der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) diskutiert. Wie bewertet die Landesregierung die geplanten Veränderungen in Hinblick der Zielstellungen der UN- Behindertenrechtskonvention? zu Frage 12: Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegte Referentenentwurf einer Sechsten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung verfolgt die im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention verankerten Ziele, die Begutachtungskriterien zur Feststellung des Grades der Behinderung im Rahmen einer Gesamtüberarbeitung der Verordnung zu verbessern und die Güte der Begutachtungsdurchführung im Schwerbehindertenrecht und Sozialen Entschädigungsrecht zu vereinheitlichen und zu optimieren. Dies soll insbesondere mit der Implementierung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) sowie mit einer stärkeren Teilhabeorientierung umgesetzt werden. Die grundsätzliche Zielstellung der geplanten Änderungsverordnung ist im Interesse der Menschen mit Behinderungen zu begrüßen. Die Landesregierung wird sich ihre Meinung zu der Änderungsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Rahmen des förmlichen Zustimmungsverfahrens des Bundesrates bilden.