Landtag Brandenburg Drucksache 6/11231 6. Wahlperiode Eingegangen: 18.04.2019 / Ausgegeben: 23.04.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4440 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/10869 Überwachung von „Gefährdern“ in Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Nach Angaben der Bundesregierung ist die Zahl von Personen, die als sogenannte „Gefährder “ eingestuft werden, in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Im Bereich der religiösen Ideologie sind Stand November 2018 767 Personen als Gefährder und 470 als Relevante Personen eingestuft (vgl. Bundestagsdrucksache 19/5648). Daneben werden auch Personen aus anderen Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität (PMK) entsprechend eingestuft, allerdings sind hierzu nur ältere Zahlen öffentlich. Im Februar 2017 waren laut Bundesregierung für die Phänomenbereiche PMK-links, PMK-rechts und PMK-ausländische Ideologie 32 Personen als Gefährder und 287 als Relevante Person eingestuft (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11369). Nach Auskunft der Bundesregierung existieren für die Begrifflichkeiten Gefährder und Relevante Personen bundeseinheitliche abgestimmte polizeifachliche Definitionen: „Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a Strafprozessordnung, begehen wird. Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle a) einer Führungsperson , b) eines Unterstützers/Logistikers, c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a Strafprozessordnung, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d) es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a Strafprozessordnung, handelt“. Bei Vorliegen der o. g. Voraussetzungen können Personen entweder als Gefährder oder als Relevante Personen eingestuft werden. Überschneidungen zwischen diesen beiden Kategorien bestehen nicht (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11369). Es handelt sich bei den Begriffen nicht um Rechtsbegriffe, gleichwohl kann die Einstufung intensive Grundrechtseingriffe durch verdeckte präventivpolizeiliche Maßnahmen auslösen. Die Einstufung liegt regelmäßig im Zuständigkeitsbereich der Länder. Insbesondere hinsichtlich der Folgen einer Einstufung als Gefährder konnte die Bundesregierung aufgrund fehlender Meldepflichten keine Antworten geben und verwies bezüglich Auswahl, Art, Umfang und Durchführung von präventivpolizeilichen Maßnahmen gegen Personen, die im Rahmen des Gefährderprogramms eingestuft wurden, auf die Zuständigkeit der Länder. Es wird darum Landtag Brandenburg Drucksache 6/11231 - 2 - gebeten, die Antworten stets nach Phänomenbereich und Kategorie aufzugliedern. Falls die Nennung eindeutiger Zahlen aus Sicherheitsgründen für problematisch gehalten wird, wird darum gebeten, diese in Zehnerschritten anzugeben. Vorbemerkungen der Landesregierung: Die Landesregierung beantwortet die im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts angefragten Sachverhalte gegenüber dem Landtag grundsätzlich transparent und vollständig, um dem verfassungsrechtlich verbrieften Aufklärungs - und Informationsanspruch der Abgeordneten zu entsprechen. Soweit Anfragen Umstände betreffen, die aus Gründen des Staatswohls geheimhaltungsbedürftig sind, hat die Landesregierung zu prüfen, ob und auf welche Weise die Geheimhaltungsbedürftigkeit mit dem Informationsanspruch der Abgeordneten in Einklang gebracht werden kann. Ergibt die im Einzelfall vorzunehmende Abwägung, dass lediglich die Veröffentlichung einer geheimhaltungsbedürftigen Information ausgeschlossen ist, wird eine Antwort unter Beachtung der Schutzbedürftigkeit der Information und des daraus resultierenden Geheimhaltungsgrades gegeben und im Übrigen auf das Akteinsichtsrecht zum diesbezüglichen Verwaltungsvorgang verwiesen. Die Landesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Beantwortung der Fragen 2, 4 bis 12 in offener Form nicht erfolgen können. Dies gilt teilweise auch für die Frage 1. Die Antworten wären gemäß § 7 Nr. 4 der Verschlusssachenanweisung für die Behörden des Landes Brandenburg (VSA-Anweisung Brandenburg VSA-BB) als „VS - NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ einzustufen und konnten somit nicht als zur Veröffentlichung in einer Landtagsdrucksache bestimmte Antwort übermittelt werden. In der Abwägung war zu berücksichtigen, dass über den Weg der Akteneinsicht entsprechende Informationen, soweit diese der Landesregierung vorliegen, in aggregierter Form durch die Anfragende erhoben werden können. Zudem wird die Thematik der Gefährdersachbearbeitung innerhalb der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages, der die anfragende Abgeordnete ebenso angehört, erörtert und diesbezügliche Fragen in diesem Rahmen beantwortet. Frage 1: Wie viele Personen sind aktuell durch die Polizeibehörden des Landes Brandenburg im Rahmen des Gefährderprogramms als Gefährder bzw. als Relevante Person eingestuft ? Wie viele der Relevanten Personen werden dabei als Führungspersonen, Unterstützer /Logistiker, Akteure bzw. als Kontakt- oder Begleitpersonen gelistet? zu Frage 1: Für den Bereich -religiöse Ideologie- liegt die Anzahl der als Gefährder eingestuften Personen im Land Brandenburg im niedrigen zweistelligen Bereich. Die dies betreffende Anzahl der Relevanten Personen liegt im hohen einstelligen Bereich. Für den Phänomenbereich PMK -rechts- liegt die Zahl der Relevanten Personen im niedrigen einstelligen Bereich. Eine weitere rollenbezogene Binnendifferenzierung innerhalb der Kategorie der Relevanten Personen kann nicht erfolgen, ohne den polizeilichen Erkenntnisstand in laufenden Gefahrenabwehrvorgängen offenzulegen. Dies kann die weitere sicherheitsbehördliche Arbeit erschweren und wäre für die Sicherheitsinteressen des Bundes und der Länder nachteilig. Frage 2: In welchen Datenbanken werden die derart gelisteten Personen erfasst (z. B. Antiterrordatei , Verbunddatei Innere Sicherheit, Staatsschutzdateien der Landespolizei, etc.)? Landtag Brandenburg Drucksache 6/11231 - 3 - zu Frage 2: Eine offene Beantwortung der Frage würde anhand der gesetzlichen und/oder verwaltungsrechtlichen Grundlagen zu entsprechenden Dateien Unbefugten ermöglichen, Rückschlüsse über die Informationsverarbeitung und damit letztlich auch über Taktik der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern zu ziehen. Dies wäre nachteilig für die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. Mit Benennung konkreter Zieldateien kämen darüber hinaus darauf gerichtete Anfragen und Ausspähaktionen terroristischer Akteure in Betracht, um den sicherheitsbehördlichen Erkenntnistand abzuschöpfen . Frage 3: Findet eine regelmäßige Überprüfung der Voraussetzungen einer weiteren Einstufung als Gefährder statt? In welchen Abständen? Bei wie vielen Personen ist die Einstufung bislang revidiert worden? zu Frage 3: Es wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2608 (LT-Drucks. 6/6548 - Frage 10, Satz 1) verwiesen. Eine niedrige einstellige Anzahl an Personen wurde zwischenzeitlich ausgestuft. Diese betreffen die Phänomenbereiche PMK - rechts- sowie -religiöse Ideologie-. Frage 4: Wie viele Personen sind in den letzten zwölf Monaten durch Landesbehörden zur verdeckten polizeilichen Beobachtung bzw. gezielten Kontrolle in Landes- oder Bundessystemen oder dem Schengen-Informationssystem ausgeschrieben worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 5: Für wie viele Personen sind in den letzten zwölf Monaten längerfristige Observationen angeordnet worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 6: Für wie viele Personen ist in den letzten zwölf Monaten der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen angeordnet worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 7: Wie viele Personen wurden in den letzten zwölf Monaten durch den Einsatz von Vertrauenspersonen beobachtet? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 8: Wie viele Personen wurden in den letzten zwölf Monaten durch den Einsatz von Verdeckten Ermittlern beobachtet? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? zu den Fragen 4 bis 8: Entsprechende Statistiken zur Gesamtanzahl Betroffener werden außerhalb der Berichtspflicht (zuletzt der 11. Bericht des Ministers des Innern und für Kommunales an den Landtag über bestimmte Maßnahmen der Datenerhebung aufgrund des Brandenburgischen Polizeigesetzes, LT-Drucks. 6/9505) nach dem Brandenburgischen Polizeigesetz (BbgPolG) in der Landesregierung nicht geführt. Eine Beantwortung würde zudem zur Veröffentlichung entsprechender Bezugswerte zur Gesamtanzahl Betroffener führen. Eine diesbezüglich offene Darstellung von Verhältniszahlen durch eine zu veröffentlichende Beantwortung der Fragen 4 bis 8 wäre dabei mit Nachteilen für die Sicherheitsinteressen des Bundes und der Länder behaftet. Eine aufwändige händische Erhebung war zum anderen in der Kürze der Zeit nicht realisierbar. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11231 - 4 - Zu verdeckten Datenerhebungen nach dem BbgPolG ist die betroffene Person grundsätzlich nach Beendigung der Maßnahme, über diese zu benachrichtigen. Anhand der Offenlegung von Gesamtzahlen könnte sich für eine davon betroffene Person nach deren erfolgter Benachrichtigung die Möglichkeit eröffnen, ggf. Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit ihrer - zumindest vorübergehenden - Einstufung als Gefährder oder Relevante Person ziehen lassen. Diese Bezugszahlen sind in ihrer Größenordnung bereits mehrfach veröffentlicht worden und auch Gegenstand der Antwort zur Frage 1. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Einbindung von Gefährdern und/oder Relevanten Personen in Milieus, Szenen oder Netzwerke bzw. sogar in bislang von den Sicherheitsbehörden noch nicht erkannte terroristische Vereinigungen bestünde die Gefahr, dass die Annahme der eigenen Einstufung zu weiteren Abschottungs- bzw. Verdeckungsmaßnahmen innerhalb der Netzwerke/Vereinigungen oder der Netzwerke/Vereinigung selbst führen. In der Folge würde die gefahrenabwehrende Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht nur im Land Brandenburg , sondern bundesweit erschwert, da entsprechende Akteure/Szenen und Netzwerke über administrative Zuständigkeitsgrenzen der Bundesländer hinweg miteinander interagieren könnten. Im Weiteren wird auf die Antwort zu den Fragen 9 bis 12 verwiesen. Eine offene Beantwortung der Fragen 7 und 8 kann zugleich eine Gefahr für die Personen erhöhen, die im Auftrag der Sicherheitsbehörden eingesetzt sind bzw. waren. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass eine offene Beantwortung der Fragen 5 bis 8 eine Ausforschung der Leistungsfähigkeit der brandenburgischen Sicherheitsbehörden zuließe. Eine offene Beantwortung des Gesamtbündels der Fragen 4 bis 8 zur Untergruppe Betroffener , die zum Zeitpunkt der Maßnahme als Gefährder/ Relevante Person eingestuft waren, ließe im Weiteren Rückschlüsse auf die polizeiliche Taktik zur verdeckten Datenerhebung und zur Informationsdichte und -qualität phänomenbezogener polizeilicher Erkenntnisse zu. Frage 9: Bei wie vielen Personen ist in den letzten zwölf Monaten der Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen angeordnet worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 10: Bei wie vielen Personen ist in den letzten zwölf Monaten die Überwachung der Telekommunikation angeordnet worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 11: In Bezug auf wie viele Personen wurden in den letzten 12 Monaten Telekommunikationsverkehrs - und Nutzungsdaten erhoben? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? Frage 12: In Bezug auf wie viele Personen ist in den letzten zwölf Monaten der Einsatz von IMSI-Catchern angeordnet worden? Wie viele der Betroffenen waren als Gefährder oder Relevante Person eingestuft? zu den Fragen 9 bis 12: Zu entsprechenden Maßnahmen hat nach Maßgabe des BbgPolG eine Benachrichtigung der Betroffenen zu erfolgen. Im Hinblick auf die gem. BbgPolG regelmäßig zu veröffentlichende Gesamtanzahl jährlicher Maßnahmen der verdeckten Datenerhebung , beispielsweise nach § 33a/b BbgPolG (zuletzt für die Maßnahmen im Jahr 2017, LT-Drucks. 6/9505) bestünde damit erneut die Gefahr der Offenlegung von Gefährdereinstufungen . Die Datengrundlage für einen 12. Bericht des Ministers des Innern und für Kommunales an den Landtag über bestimmte Maßnahmen der Datenerhebung auf- Landtag Brandenburg Drucksache 6/11231 - 5 - grund des Brandenburgischen Polizeigesetzes im Jahr 2018 befindet sich gegenwärtig in der Erhebungs- und Prüfphase. Eine über die Datenveröffentlichung von Informationen aufgrund bestehender landesgesetzlicher Berichtspflichten hinausgehende öffentliche Beantwortung der parlamentarischen Anfrage, könnte daneben die zukünftige Sicherheitsarbeit benachbarter Sicherheitsbehörden anderer Bundesländer und des Bundes zu laufenden Gefahrenabwehrvorgängen negativ beeinträchtigen. Dieser Umstand beinhaltet zugleich die Gefahr, dass künftig andere Sicherheitsbehörden bei ihrem Informationsverhalten in Richtung brandenburgischer Sicherheitsbehörden innerhalb bestehender rechtlicher Ermessensspielräume zu einem restriktiveren Vorgehen übergehen könnten. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 4 bis 8 verwiesen. Frage 13: Gegen wie viele Personen wurde seit 2004 eine Überwachung aus Gründen der inneren Sicherheit nach § 54a bzw. seit 1. Januar 2016 nach § 56 Aufenthaltsgesetz angeordnet ? In wie vielen Fällen wurde zusätzlich eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet? zu Frage 13: Der Landesregierung sind keine Anwendungsfälle für Überwachungsmaßnahmen nach § 54a bzw. § 56 des Aufenthaltsgesetzes seit 2004 bekannt. Fälle der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach § 56a Aufenthaltsgesetz hat es in Brandenburg bisher nicht gegeben. Frage 14: In wie vielen Fällen wurde eine Anordnung der oben genannten Maßnahmen gerichtlich aufgehoben bzw. nachträglich für rechtswidrig erklärt, in wie vielen Fällen gerichtlich bestätigt? (Bitte nach Maßnahmen aufschlüsseln) zu Frage 14: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse zu Fällen im Sinne der Fragestellung vor.