Landtag Brandenburg Drucksache 6/11294 6. Wahlperiode Eingegangen: 02.05.2019 / Ausgegeben: 07.05.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4492 der Abgeordneten Birgit Bessin (AfD-Fraktion) Drucksache 6/11027 Debatte um Schwangerschaftsabbrüche Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Zuletzt kam das Thema Schwangerschaftsbrüche wieder stärker in die gesellschaftliche Debatte. Auf Bundesebene wurde über die Aufhebung des Werbeverbots diskutiert und die Jungen Sozialisten forderten sogar die vollständige Legalisierung von Abtreibungen, auch bis zum neunten Monat. In der Zeitschrift „Zeit Magazin“ vom 28. Februar 2019 ist zu lesen, dass es im Ausland schon besorgniserregende akademische Debatten über die moralische Vertretbarkeit von „nachgeburtlichen Abtreibungen“ gibt und erste Forderungen in dieser Hinsicht auftauchen. Hieraus ergeben sich auch einige Fragen zur Position der Landesregierung. Frage 1: Wie viele Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der straffreien dreimonatigen Frist gab es in Brandenburg seit dem Jahr 2010? Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen. zu Frage 1: Der Landesregierung liegen hierzu keine detaillierten Informationen vor. Zur Verfügung steht eine Statistik über die Anzahl der in Deutschland gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche von Frauen mit Wohnsitz im Land Brandenburg, u.a. nach Land, in dem der Eingriff erfolgte, und nach rechtlichem Grund des Abbruchs. Für Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung (§218a Abs.1 StGB) und nach einer kriminologischen Indikation (§218a Abs. 3 StGB) ist vorgeschrieben, dass seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Schwangerschaftsabbrüche nach Land, in dem der Eingriff erfolgte Jahr Schwangerschaftsabbrüche von Frauen mit Wohnsitz im Land Brandenburg davon nach Land, in dem der Eingriff erfolgte im Land des Wohnsitzes der Schwangeren (Brandenburg) in übrigen Bundesländern 2010 3 859 3 430 429 2011 3 742 3 324 418 2012 3 497 3 131 366 2013 3 464 3 023 441 2014 3 170 2 796 374 2015 3 283 2 927 356 Landtag Brandenburg Drucksache 6/11294 - 2 - 2016 3 343 2 932 411 2017 3 287 2 925 362 2018 3 416 2 916 500 Quellen: Amt für Statistik Berlin Brandenburg, Statistischer Bericht, A IV 11-j/2013-2017, „In Deutschland gemeldete Schwangerschaftsabbrüche von Frauen mit Wohnsitz im Land Brandenburg“; Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche (für das Jahr 2018) Schwangerschaftsabbrüche nach rechtlichem Grund des Abbruchs Jahr Beratungsregelung Medizinische Indikation Kriminologische Indikation 2010 3 777 82 - 2011 3.654 88 - 2012 3.390 105 2 2013 3.382 82 - 2014 3.062 108 - 2015 3.166 117 - 2016 3.179 163 1 2017 3 171 116 - 2018 3 298 116 2 Quellen: Amt für Statistik Berlin Brandenburg, Statistischer Bericht, A IV 11-j/2013-2017, „In Deutschland gemeldete Schwangerschaftsabbrüche von Frauen mit Wohnsitz im Land Brandenburg“; Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche (für das Jahr 2018) Frage 2: Liegen Zahlen oder Schätzungen darüber vor, wie viele Schwangerschaftsabbrüche außerhalb der straffreien dreimonatigen Frist in Brandenburg seit dem Jahr 2010 vorgenommen wurden? Wenn ja, bitte angeben und aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen . zu Frage 2: Für Schwangerschaftsabbrüche nach einer medizinischen Indikation (§218a Abs. 2 StGB) besteht keine zeitliche Begrenzung. Hinsichtlich der Zahlen hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Zu Schwangerschaftsabbrüchen, die außerhalb der gesetzlich vorgeschrieben zeitlichen Regelungen vorgenommen wurden, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Frage 3: Wie viele Frauen wurden wegen Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb der straffreien dreimonatigen Frist in Brandenburg seit dem Jahr 2010 strafrechtlich angeklagt und wie viele wurden davon verurteilt? Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen. Frage 4: Wie viele Ärzte wurden wegen Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb der straffreien dreimonatigen Frist in Brandenburg seit dem Jahr 2010 strafrechtlich angeklagt und wie viele wurden davon verurteilt? Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen. zu Frage 3 und 4: Die Fragen 3 und 4 werden aus inhaltlichen Gründen gemeinsam beantwortet . Die Anzahl der Beschuldigten, gegen die in der Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 10. April 2019 Anklage bzw. Strafbefehlsantrag wegen § 218 StGB erhoben worden ist, ergibt sich aus der nachfolgenden Tabelle: 2015 2017 2018 Staatsanwaltschaft Neuruppin 1 - 2 Anklage - Strafrichter - - 2 Strafbefehl ohne FS 1 - - Landtag Brandenburg Drucksache 6/11294 - 3 - Staatsanwaltschaft Potsdam - 1 - Anklage - Strafrichter - 1 - Gesamt 1 1 2 Die im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister MESTA erfassten Daten differenzieren nicht zwischen „Ärzten“ und „Frauen“. Auch eine Aufschlüsselung nach Landkreisen ist nicht möglich. Im Hinblick auf die für § 218 StGB geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren und die daran anknüpfende Aufbewahrungsfrist liegen für die Jahre 2010 bis 2013 keine validen Daten mehr vor. In den Jahren 2010 bis 2018 ist im Land Brandenburg ausweislich der Strafverfolgungsstatistik keine Person wegen Schwangerschaftsabbruchs verurteilt worden. Frage 5: Liegen Zahlen oder Schätzungen darüber vor, wie viele Frauen, die in Brandenburg wohnhaft sind, seit dem Jahr 2010 ins Ausland reisten um eine Abtreibung außerhalb der in Deutschland dreimonatigen straffreien Frist vornehmen zu lassen? Wenn ja, bitte angeben und aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen. zu Frage 5: Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Frage 6: Werden die Gründe für Schwangerschaftsabbrüche in Brandenburg dokumentiert ? a) Wenn ja, bitte die Gründe, aufgeschlüsselt nach Jahren seit dem Jahr 2010 und mit Angabe der Häufigkeit, angeben. b) Wenn nein, warum nicht? zu Frage 6: Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Frage 7: Wie steht die Landesregierung zu einer Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen ? zu Frage 7: Das Land Brandenburg war Mitantragsteller des Gesetzesantrages (BR-Drs. 761/17) für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Aufhebung des § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft). Schwangere Frauen in Not, die vor der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch stehen, brauchen uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Beratung und einer Auswahl an Ärztinnen und Ärzten, die sie dabei qualifiziert unterstützen können. Für eine selbstbestimmte Entscheidung in einem solchen Fall sind sachliche Informationen über das ärztliche Leistungsangebot zu Schwangerschaftsabbrüchen eine notwendige Voraussetzung. Diese reine Information ist nicht als Werbung im Sinne der Kommerzialisierung des Schwangerschaftsabbruchs anzusehen. Nach dem am 29. März 2019 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22. März 2019 (BGBl. I S. 350) dürfen Ärztinnen und Ärzte öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen (Änderung des § 219 a StGB). Außerdem ist durch eine Änderung im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt, dass die Bundesärztekammer eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten führt, die mitgeteilt haben , dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Diese Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs . Informationen über die angewendeten Methoden oder andere für die Arztwahl essentielle Hinweise dürfen Ärztinnen und Ärzte weiterhin nicht selbst bekannt geben. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11294 - 4 - Frage 8: Wie steht die Landesregierung zu einer vollständigen Legalisierung von Abtreibungen , wie von den Jusos kürzlich gefordert? Frage 9: Wie steht die Landesregierung zu einer teilweisen Legalisierung von Abtreibungen , z.B. der Legalisierung in den, bisher straffrei gestellten, ersten drei Monaten der Schwangerschaft? Frage 10: Wie steht die Landesregierung zu einer Ausdehnung bzw. Verlängerung des dreimonatigen Zeitraumes der Straffreiheit bei Abtreibungen? zu Frage 8, 9 und 10: Die Fragen 8, 9 und 10 werden aus inhaltlichen Gründen gemeinsam beantwortet. Die Grenzen der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sind vom Bundesverfassungsgericht unter anderem in seiner grundlegenden Entscheidung vom 28. Mai 1993 (BVerfG, Urteil vom 28.05.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92) dargelegt worden. Ob eine teilweise Legalisierung oder eine Verlängerung des Zeitraums in Betracht käme, innerhalb dessen nach geltendem Recht (§ 218a StGB) der Schwangerschaftsabbruch straflos bleibt, wäre zunächst auf der Grundlage dieser Rechtsprechung zu prüfen. Danach muss der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben auch normative Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass ein unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Frau angemessener und wirksamer Schutz erreicht wird. Es bedarf eines Schutzkonzeptes, das Elemente des präventiven und des repressiven Schutzes miteinander verbindet. Der gebotene wirksame Schutz erlaubt es dem Gesetzgeber nicht, auf den Einsatz des Strafrechts gänzlich zu verzichten. Ob und inwieweit das strafrechtliche Schutzkonzept des geltenden Rechts Lockerungen zulassen könnte, bedürfte einer grundlegenden verfassungsrechtlichen Prüfung. Frage 11: Wie definiert die Landesregierung den Beginn des schützenswerten Lebens bei einer Schwangerschaft? zu Frage 11: Die Reichweite des Schutzes ungeborenen Lebens ist den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen, auf die die Landesregierung verweist (unter anderem BVerfG, Urteil vom 28.05.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92). Frage 12: Wie steht die Landesregierung zu im Ausland geführten akademischen Debatten über „nachgeburtliche Abtreibungen“ - englisch „after-birth-abortions“ - und der Begründung , dass Babys, auch wenn sie schon auf der Welt seien, genauso wenig „wirklichen Personen“ seien wie im Mutterleib, da ihnen „noch die Fähigkeiten fehlen, die ein moralisches Recht auf Leben rechtfertigen“ und das Baby praktisch noch kein richtiges Lebewesen sei, weil es das Leben selbst noch nicht wertschätze? Wird sich die Landesregierung ausdrücklich gegen solche Bestrebungen verwahren, sollten in diese Richtung gehende Forderungen von politischen Akteuren in Deutschland erhoben werden? zu Frage 12: Der als „nachgeburtliche Abtreibung“ bezeichnete Vorgang stellt nach deutschem Recht die Tötung eines Menschen dar und ist damit, abhängig von den konkreten Voraussetzungen, eine Straftat nach §§ 211 ff. StGB. Die Begehung von Straftaten wird von der Landesregierung konsequent verfolgt. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11294 - 5 - Frage 13: Wie viele Strafanzeigen wegen gewerbsmäßiger Abtreibung und Abrechnungsbetrug wurden seit 2010 gestellt? Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Landkreisen. zu Frage 13: Den in der Frage genannten Straftatbestand der gewerbsmäßigen Abtreibung gibt es nicht. Angaben dazu, in wie vielen Fällen eine Anzeige wegen gewerbsmäßiger Abtreibung gestellt wurde, lassen sich den in der Justiz geführten Statistiken nicht entnehmen . Auch bei dem in der Frage genannten Abrechnungsbetrug handelt es sich nicht um einen eigenen Straftatbestand. Entsprechende Fälle werden vom Tatbestand des Betruges gemäß § 263 StGB miterfasst. Angaben dazu, in wie vielen Fällen eine Anzeige wegen Abrechnungsbetruges gestellt wurde, lassen sich den in der Justiz geführten Statistiken nicht entnehmen. Frage 14: Gibt es in Brandenburg Agenturen, die versuchen im osteuropäischen Raum Ärzte für den Klinikbetrieb in Brandenburg anzuwerben? Wenn ja, welche Firmen agieren mit welchem Krankenhaus? zu Frage 14: Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Frage 15: Gibt es in Brandenburg effektive Kontrollmechanismen zur Verhinderung von gewerbemäßiger Abtreibung? a) Wenn ja, wie sehen diese genau aus? b) Wenn nein, warum nicht? zu den Fragen 15 a und 15 b: Es wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist unter den bekannten bundesgesetzlichen Voraussetzungen erlaubt. Nach § 13 Abs. 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) besteht für das Land ein Sicherstellungsauftrag, dass ausreichend Einrichtungen im Land vorhanden sind, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Ein Schwangerschaftsabbruch darf nur von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen werden (§ 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Nach § 1 Abs.1 (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte ist der ärztliche Beruf kein Gewerbe. Das durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebene und durch das SchKG umgesetzte Beratungskonzept legt zum Schutz des ungeborenen Lebens den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau. In diesem Sinne fördert das Land Brandenburg landesweit die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen nach dem SchKG entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen.