Landtag Brandenburg Drucksache 6/11779 6. Wahlperiode Eingegangen: 16.07.2019 / Ausgegeben: 22.07.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4654 des Abgeordneten Michael Jungclaus (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/11632 Nachfrage zur Antwort der Landesregierung (Drucksache 6/10516) auf die Kleine Anfrage Nr. 4166 (Drucksache 6/10285) „Ausbau der B189 zwischen Heiligengrabe und Kemnitz“ Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Für das Bundesstraßennetz des Landes Brandenburg wurde durch die Ingenieurgruppe IVV Aachen / Berlin eine multikriterielle Schwachstellenanalyse als Grundlage für die Entwicklung von Projekten für die geplante Anmeldung zum BVWP 2015 durchgeführt. Kriterienpakete waren: 1. Leistungsfähigkeit, 2. Ortsverträglichkeit , 3. Verkehrssicherheit und 4. Verkehrsqualität. Für Heiligengrabe wurde einzig ein Defizit im Bereich „Ortsverträglichkeit“ identifiziert. In der Folge wurde die OU Heiligengrabe B189n im BVWP 2016 mit einem vordringlichen Bedarf eingestuft. Aktuell plant der Landesbetrieb Straßenwesen / Kyritz zum einen die besagte Ortsumfahrung und zum anderen einen Ausbau der vorhandenen B189 zwischen Heiligengrabe und Kemnitz auf einer Länge von ca. 6 Kilometern. Hier ist beabsichtigt, die zweispurige Bundesstraße auf der gesamten Länge dreispurig (2+1) in der Entwurfsklasse 2 auszubauen. Letztgenannte Baumaßnahme ist nicht Bestandteil des BVWP. 1. Wie erklärt sich die Landesregierung, dass von den an der automatischen Zählstelle Heiligengrabe (Nr. 28403679) in 2015 gezählten 7.782 Kfz/Tag und 1.227 LKW/Tag (SV Anteil 15,8%) an der nächstgelegenen Zählstelle Kemnitz (Nr. 28392002) lediglich 4.960 Kfz und 558 LKW (SV Anteil 11,3%) ankommen? 2. Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass die an der zwischen Ortseingang Heiligengrabe und Autobahnabfahrt gelegenen Zählstelle (Heiligengrabe Nr. 28403679) ermittelten Werte (z.B. 2018: DTV SV 1.372; SV Anteil: 17,3%) zu einem großen Teil lediglich die von der Autobahn kommenden LKW-Anlieferverkehre der Kronotex und anderer Gewerbebetriebe sowie Tankstellenbesucher abbilden und diese weder durch Heiligengrabe durchfahren noch Heiligengrabe in Richtung Pritzwalk verlassen, sondern zurückfahren in Richtung Autobahn bzw. Wittstock? 3. Kann die Landesregierung bestätigen, dass die aussagekräftigsten DTV Werte, die für eine Prognose der zu erwartenden Verkehre auf dem Abschnitt Freie Strecke Kemnitz- Heiligengrabe und die OU Heiligengrabe herangezogen werden sollten, die Werte der manuellen Zählstelle Kemnitz sind, da von dort aus bis weit ins Zentrum von Heiligengrabe Landtag Brandenburg Drucksache 6/11779 - 2 - keine nennenswerten Verkehrszu- und -abflüsse erfolgen können? Ist es richtig, dass die 2015er Werte der Zählstelle Kemnitz bei der Verkehrsprognose 2025 bisher keinen Eingang fanden? zu Fragen 1 bis 3: Die derzeit im Land Brandenburg gültige Straßenverkehrsprognose 2015 wurde mit Runderlass Nr. 06/2011 durch das MIL eingeführt und bildet die Grundlage für die Planungen für das Bundesfern- und Landesstraßennetz im Land Brandenburg. Die Verkehrsbelastungen der Bewertungsprognose 2030 wurden bei der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes erstellt und dienten ausschließlich der wirtschaftlichen Bewertung und Einstufung von Projekten des BVWP. Die Zählstelle Kemnitz wurde 2015 eingerichtet , eine Berücksichtigung dieser Daten kann erst in der Straßenverkehrsprognose 2030 erfolgen. In diesem Zusammenhang erfolgt auch die Plausibilisierung der Zählstellen . 4. Beruht das Ergebnis der Schwachstellenanalyse „Ortsunverträglichkeit“ für Heiligengrabe auf einer fehlerhaften Verkehrsprognose 2025 mit durchgehend angenommenen 9.000 Kfz/24h und 1.350 SV/24h? Sieht die Landesregierung noch immer den vordringlichen Bedarf für den Bau der Ortsumfahrung, obwohl das tatsächliche Schwerverkehrsaufkommen in Heiligengrabe selbst, als auch auf der Freien Strecke Kemnitz-Heiligengrabe um mehr als 50% niedriger ausfallen dürfte als bisher angenommen? Bitte um Anfügung der Schwachstellenanalyse für Heiligengrabe. zu Frage 4: Die B 189, OU Heiligengrabe ist Bestandteil des Bundesverkehrswegeplanes 2030 und damit gesetzlich festgeschrieben. Die Einstufung in den vordringlichen Bedarf erfolgte durch den Bund. 5. Im Bundesverkehrswegeplan 2003 hatte die Ortsumfahrung Heiligengrabe bei prognostizierten Kosten von 3,8 Mio. Euro einen NKV Wert von 3. Der Barwert des Nutzens lag somit bei ca. 11,4 Mio. Euro. Im BVWP 2016 stehen dem Barwert Kosten von 9,8 Mio. Euro bei einem NKV-Wert von 3,7 ein Barwert Nutzen in Höhe von rund 36,4 Mio. Euro gegenüber . Wie erklärt sich die Verdreifachung des Barwerts des Nutzens von 11,4 auf 36,4 Mio. Euro? zu Frage 5: Für die Neuaufstellung des BVWP 2030 hat der Bund das Bewertungsverfahren für die Ermittlung der Wirkungen von Verkehrsinfrastrukturvorhaben auf Grundlage mehrerer Forschungsprojekte aktualisiert und methodisch weiterentwickelt. Eine Vergleichbarkeit der Bewertungsergebnisse zwischen den Verfahren des BVWP 2003 und 2030 kann nicht hergestellt werden. Die Methodik zum BVWP kann auf der Website des BMVI eingesehen werden. 6. Wie hat sich die Einführung der Maut auf der B189 im Sommer dieses Jahres auf das Verkehrsaufkommen ausgewirkt? (Bitte um Vergleich Monatszahlen DTV Kfz und DTV SV September - Dezember und Jahreswerte 2018 mit Werten des Vorjahrs an der Zählstelle Groß Pankow.) zu Frage 6: Die Verkehrsbelastung im Streckenabschnitt Pritzwalk - A 24 der B 189 gemäß Dauerzählstelle Heiligengrabe (Groß Pankow spielt hier keine Rolle, da hinter Pritzwalk gelegen) für die Monate August bis Oktober der Jahre 2017 und 2018 ist in der nachstehenden Tabelle dargestellt. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11779 - 3 - 7. Wie erklärt sich die hohe Verbindungsfunktionsstufe, obwohl zwischen A14 und A24 entlang der B189 über weite Strecken Verkehrsmengen zwischen 3.375 (Zählstelle Pritzwalk 28392001, Wert 2015) und 5.000 Kfz/24h ermittelt werden und eine sinnvolle Verbindung von Oberzentren gar nicht erreicht werden kann? Wieso erfolgte im benachbarten Kemnitz noch in diesem Jahr ein Planfeststellungsbeschluss, der die B189 als überregionale (VFS II) und nicht als großräumige (VFS I) Landstraße kategorisiert? zu Frage 7: Die Bestimmung für Streckenzüge der Bundesfernstraßen erfolgt nach den Vorgaben der Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN). Der Bund hat die Verbindungsfunktionsstufen (VFS) 0 und I für das Zielnetz der Bundesfernstraßen verbindlich festgelegt (2017). Darin enthalten ist die Einstufung der B 189 in die VFS I, großräumige Verbindung als Teil des länderübergreifenden Streckenzuges zwischen den Oberzentren Neubrandenburg und Wolfsburg. 8. Bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 2003 sind zwischen der A14 und der A24 entlang der B 189 die Ortsumfahrungen Retzin, Groß Pankow und Kemnitz herausgefallen . Sie haben es nicht in den BVWP 2016 geschafft. Wieso sind diese drei Ortsumfahrungen trotz der hohen Verbindungsfunktionsstufe 1 nicht mehr im BVWP 2016 enthalten gewesen, während die OU Heiligengrabe sogar mit einem vordringlichen Bedarf eingestuft wurde? zu Frage 8: Siehe Antwort zu Frage 4. Für die genannten Ortsdurchfahrten Retzin und Kemnitz wurden keine Schwachstellen ermittelt. Für die OD Groß Pankow wurde eine Schwachstelle im Kriterium Leistungsfähigkeit (Fahrbahnbreiten punktuell < 5,50 m) ermittelt , welche durch den Ausbau im Bestand beseitigt wurde. 9. Sieht die Landesregierung noch immer den vordringlichen Bedarf dafür, eine vorhandene und erst 2015 vollständig erneuerte Landesstraße im Regelquerschnitt 9,5, welcher für eine Belastung bis zu 15.000 Kfz/Tag konzipiert war und die aktuell und in der Zukunft lediglich 5.000 bis 5.500 Kfz/Tag abwickeln wird, in der EKL 2 mit einer vollständig dreispurigen Planung auszuführen? Selbst aktuelle Richtlinien geben vor, dass bei einer Verkehrsnachfrage von weniger als 8.000 Kfz/Tag eine Abstufung in die EKL 3 geprüft werden sollte , während man eine Heraufstufung einer Straße der EKL3 in die EKL 2 erst ab 13.000 Kfz/Tag vorsieht. 2017 2018 DTV Kfz DTV SV SV- Anteil DTV Kfz DTV SV SV- Anteil [%] [%] August 8.468 1.392 16,44 8.474 1.512 17,8 September 8.792 1.368 15,56 8.022 1.442 18,0 Oktober 8.075 1.270 15,73 7.780 1.451 18,7 Legende: DTV Durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (Kfz/24h) Kfz alle Kraftfahrzeuge SV Schwerverkehr (Kfz > 3,5t) Landtag Brandenburg Drucksache 6/11779 - 4 - zu Frage 9: 2015 wurde in diesem Abschnitt der B 189 lediglich eine Deckschichterneuerung vorgenommen - Fahrbahnbreiten und andere Trassierungsparameter wurden nicht verändert. Diese Deckenerneuerung gewährleistet für ca. 8 - 10 Jahre die sichere Befahrbarkeit der Straße. Die Bestandsstrecke entspricht weder in der Trassierung noch im Querschnitt den verkehrssicheren Anforderungen des gültigen Regelwerks an eine Bundesstraße zur Abwicklung des großräumigen und überregionalen Verkehrs. Ausgehend von der vom Bund verbindlich festgelegten Verbindungsfunktionsstufe I (siehe Frage 7) kann gemäß geltendem Regelwerk (RAL, Ausgabe 2012) auf Grund der Verkehrsbelastung nur eine Abstufung von der Entwurfsklasse 1 in die Entwurfsklasse 2 erfolgen. 10. In Heiligengrabe befindet sich das 1287 gegründete Kloster Stift zum Heiligengrabe. Die Klosteranlage gilt als besterhaltene in Brandenburg und ist seit 1998 als Denkmal nationaler Bedeutung eingestuft. Während die nördlichen ehemaligen Besitzungen bereits durch den Bau der A24 abgetrennt wurden, ist das jahrhundertealte Wegesystem nach Südwesten bis heute nachvollziehbar und erhalten. Es wurde zwischenzeitlich als denkmalwürdig eingestuft. Die geplante Ortsumfahrung würde die letzten drei verbleibenden Hauptachsen zertrennen. Durch den dreispurigen Ausbau der freien Strecke mit begleitenden Zäunen wird der Stiftsforst vollständig zerschnitten, die Alleen zwischen Kemnitz und Heiligengrabe werden über weite Strecken beseitigt und eine Fläche von über 10 Fußballfeldern zusätzlich versiegelt. Ebenso wird die 250-300-jährige Eichenallee Rote Brücke durchtrennt, die als Eingangsportal in den Klosterforst betrachtet werden kann. Potentielle Besucher, die aktuell auf der B189 direkt am Kloster vorbeigeführt werden, sollen in Zukunft mit hohem Tempo an Heiligengrabe vorbeigeführt werden. Wo sieht die Landesregierung eine Verbesserung für die touristische Entwicklung Heiligengrabes, bei der gleichzeitig derart massiv in die klösterlich geprägte Kulturlandschaft eingegriffen wird? In der Begründung zum Bau der Ortsumfahrung wird angeführt, dass die mangelhafte innerörtliche Verkehrsabwicklung die weitere touristische Entwicklung Heiligengrabes behindere. zu Frage 10: Die Belange der Klosteranlage Heiligengrabe werden im Rahmen der Planund Genehmigungsverfahren angemessen berücksichtigt. Die historische Bedeutung der Klosteranlage in Heiligengrabe wird durch den Bau der Ortsumgehung nicht geschmälert. Besucher des Klosters werden weiterhin nach Heiligengrabe fahren - durch die Ortsumgehung wird der Ort nicht abgeschnitten. Darüber hinaus kann mit einer entsprechenden Beschilderung auf die historische Stätte hingewiesen werden. Im Ort selbst bestehen auf Grund der Reduzierung des Verkehrs dann die Möglichkeit zur Gestaltung/Umgestaltung der Verkehrs- und angrenzenden Flächen und der Erhöhung der Lebensqualität. Darüber hinaus wird der seit den letzten Jahren ausgewiesene Pilgerweg „Annenpfad“ über eine neu herzustellende Brücke geführt, so dass er nach Fertigstellung weiterhin genutzt werden kann.