Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 6. Wahlperiode Eingegangen: 29.07.2019 / Ausgegeben: 05.08.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4678 der Abgeordneten Dieter Dombrowski (CDU-Fraktion) und Andreas Gliese (CDU-Fraktion) Drucksache 6/11660 Mangelhafter Vogelschutz beim Windkraftausbau im Land Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragesteller: Auf der Grundlage des Erlasses „Beachtung naturschutzfachlicher Belange bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten und bei der Genehmigung von Windenergieanlagen“ vom Januar 2011 müssen bei der Genehmigung von Windkraftanlagen und in der Bauleitplanung von Kommunen die tierökologischen Abstandskriterien (TAK) beachtet werden. Damit sollen in Brandenburg die artenschutzrechtlichen Bestimmungen gemäß § 44 BNatSchG bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten und der Genehmigung von Windkraftanlagen gewährleistet werden. Die in der Anlage 1 des o.g. Erlasses festgelegten Schutz- und Restriktionsbereiche für bestimmte Vogelarten , ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten oder die Rast- und Überwinterungsplätze störungssensibler Zugvögel weichen z.T. erheblich vom sogenannten Helgoländer-Papier ab. Beim Helgoländer-Papier handelt es sich um die „Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten “, welche die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) erarbeitet und veröffentlicht hat. Hingegen andere Bundesländer sich bei ihren Abstandskriterien an das Helgoländer-Papier halten, weicht Brandenburg mit seinen TAK davon ab. Für einige Vogelarten unterschreiten die empfohlenen Mindestabstände zu WEA in Brandenburg deutlich die Empfehlungen der LAG VSW (z.B. Schreiadler, Rotmilan). In anderen Fällen wird in den TAK des Landes Brandenburg der sogenannte Restriktionsbereich gegenüber den Empfehlungen der LAG VSW unterschritten oder in den TAK gar nicht berücksichtigt . Des Weiteren sind manche Vogelarten, wie z.B. der Wiedehopf, in den TAK überhaupt nicht aufgeführt, hingegen die LAG VSW eindeutige Empfehlungen für Mindestabstände zu Brutvorkommen formuliert. So stellt die LAG VSW bspw. fest, dass auch in Brandenburg Brutreviere des Wiedehopfs „nach der Errichtung von WEA aufgegeben wurden, obwohl weiterhin sowohl geeignete Brutplätze als auch günstige Nahrungsräume vorhanden waren“. (vgl. Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (2014): Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten. In: Berichte zum Vogelschutz, Band 51) Frage 1: Auf welcher fachlichen Grundlage wurde der Erlass des damaligen MUGV „Beachtung naturschutzfachlicher Belange bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten und bei der Genehmigung von Windenergieanlagen“ vom 1.01.2011 sowie die in der Anlage 1 enthaltenen tierökologischen Abstandskriterien erarbeitet? Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 - 2 - zu Frage 1: Der Erlass vom 1.1.2011 ist die Fortschreibung der Erlasse vom 5.8.2003 und 27.2.2007, mit denen die Tierökologischen Abstandskriterien in Brandenburg eingeführt wurden. Die damaligen Erlasse wurden auf der Grundlage einschlägiger Erfahrungswerte und Untersuchungen erarbeitet. Frage 2: Welche jeweiligen Abweichungen zwischen dem Helgoländer-Papier der LAG VSW und den TAK des Landes Brandenburg gibt es im Einzelnen? (bitte tabellarisch auflisten ) zu Frage 2: Die Tabelle zeigt die bestehenden Unterschiede (übereinstimmende Werte sind nicht genannt). Abkürzungen: MA=Mindestabstand (LAG-Kriterium), PB=Prüfbereich (LAG-Kriterium), SB=Schutzbereich (Kriterium MLUL BB), RB=Restriktionsbereich (Kriterium MLUL BB) Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) 2014 Windkrafterlass BB 2018 Birk- und Auerhuhn MA 1.000 m um Vorkommensgebiete . Freihalten von Korridoren zwischen Vorkommensgebieten Für das Birkhuhn besteht ein Schutzbereich in der Zschornoer Heide, Landkreis SPN gemäß Karte Birkhuhn- Vorkommensgebiet Für das Auerhuhn besteht ein Schutzbereich im Rahmen von Artenschutzmaßnahmen im Bereich Doberlug-Kirchhain und Finsterwalde, Landkreis EE gemäß Karte Auerhuhn- Entwicklungsraum inklusive Entwicklungsgebiete Rohrdommel MA 1.000 m, PB 3.000 m SB 1.000 m Zwergdommel MA 1.000 m Keine Regelung Schwarzstorch MA 3.000 m, PB 10.000 m SB 3.000 m, RB 6.000 m Weißstorch MA 1.000 m, PB 2.000 m SB 1.000 m, RB 1.000-3.000 m Wespenbussard MA 1.000 m Keine Regelung Schreiadler MA 6.000 m SB 3.000 m, RB: Freihalten der Nahrungsflächen und Gewährleistung der Erreichbarkeit derselben im Radius bis 6.000 m um den Horst Rohrweihe MA 1.000 m SB 500 m Kornweihe MA 1.000 m, PB 3.000 m Keine Regelung Rotmilan MA 1.500 m, PB 4.000 m SB 1.000 m Schwarzmilan MA 1.000 m , PB 3.000 m Keine Regelung Seeadler MA 3.000 m, PB 6.000 m RB: 1.000 – 4.000 m Fischadler MA 3.000 m, PB 6.000 m RB: 1.000 – 4.000 m Wiesenweihe MA 1.000 m, PB 3.000 m, Dichtezentren sollten insgesamt unabhängig von der Lage der aktuellen Brutplätze berücksichtigt werden SB Einhalten eines Radius von 1.000 m zu regelmäßig genutzten Brutplätzen in Verbreitungszentren der Wiesenweihe gemäß Karte Brutgebiete der Wiesenweihe Baumfalke MA 500 m, PB 3.000 m Keine Regelung Wanderfalke MA 1.000 m, bei Brutpaaren der Baumbrüterpopulation 3.000 m SB 1.000 m Großtrappe MA 3.000 m um Brutgebiete; Wintereinstände ohne Puffer, Freihalten aller Korridore zwischen den Vorkommensgebieten SB 3.000 m zu den Außengrenzen aller regelmäßig genutzten Brutgebiete (Karte Einstandsgebiete und Flugkorri- Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 - 3 - dore der Großtrappe) Freihalten aller Wintereinstandsgebiete ; RB 3.000 m um alle Wintereinstands - und sonstige regelmäßig frequentierte Zwischenrastgebiete, Abprüfung der Belange des Naturschutzes mit der Maßgabe, mögliche Beeinträchtigungen der jeweiligen Gebietsfunktion auszuschließen; Freihaltung der Verbindungskorridore (siehe Karte Einstandsgebiete und Flugkorridore der Großtrappe) zwischen folgenden Einstandsgebieten: a) Belziger Landschaftswiesen zum Fiener Bruch; über die Grebser Hochfläche und die Niederung am Rietzer See ins Havelländische Luch; nach Jüterbog /Markendorf; b) vom Fiener Bruch ins Havelländische Luch und in die Belziger Landschaftswiesen; c) vom Havelländischen Luch auf die Nauener Platte, ins Obere Rhinluch und ins Dreetzer Luch. Waldschnepfe MA 500 m um Balzreviere, Berücksichtigung von Dichtezentren unabhängig von der Lage der Brutplätze Keine Regelung Uhu MA 1.000 m, PB 3.000 m Im RB 3.000 m keine Gittermasten Sumpfohreule MA 1.000 m, PB 3.000 m Keine Regelung Ziegenmelker MA 500 m um regelmäßige Brutvorkommen Keine Regelung Wiedehopf MA 1.000 m, PB 1.500 m um regelmäßige Brutvorkommen Keine Regelung Wiesenbrüter: LAG Bekassine, Uferschnepfe , Rotschenkel , Brachvogel, Kiebitz / BB Brachvogel, Kampfläufer, Rotschenkel , Uferschnepfe MA 500 m, PB 1.000 m, gilt beim Kiebitz auch für regelmäßige Bruten im Ackerland, soweit mind. von regionaler Bedeutung SB: Gebietskulisse Wiesenbrüter gemäß Karte Wiesenbrütergebiete Wachtelkönig 500 m um regelmäßige Brutvorkommen Keine Regelung Koloniebrüter – Reiher (Brandenburg: „Graureiher “), Möwen, Seeschwalben ) MA 1.000 m, PB 3.000 m SB: Einhalten eines Radius von 1.000 m zu den Gewässern mit Brutkolonien. Kranichschlafplätze MA 3.000 m, PB 6.000 m bei regelmäßig genutzten Schlafplätzen ab 1%-Kriterium nach WAHL & HEINICKE (2013), Freihalten von Hauptflugkorridoren zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen SB Bei Schlafplätzen ab regelmäßig 500 Exemplaren Einhalten eines Korridors von wenigstens 2.000 m als Schutzbereich zur Beruhigung des unmittelbaren Schlafplatzumfeldes und zur Gewährleistung der Rastplatzfunktion (Vorsammelplätze, Nahrungsflächen , ungerichtete Flugbewegungen); Bei Schlafplätzen ab regelmäßig Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 - 4 - 10.000 Exemplaren Einhalten eines Korridors von wenigstens 10.000 m als Schutzbereich zur Gewährleistung der Rastplatzfunktion (Erreichbarkeit und Sicherung der Nahrungsflächen, Minderung von Schadwirkungen an landwirtschaftlichen Kulturen durch Konzentrationseffekt auf störungsfreien Restflächen, Minderung des Kollisionsrisikos ). Gänseschlafplätze MA 1.000 m, PB 3.000 m bei regelmäßig genutzten Schlafplätzen ab 1%-Kriterium nach WAHL & HEINICKE (2013), Freihalten von Hauptflugkorridoren zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen SB Bis 5.000 m ab Schlafgewässergrenze , auf denen regelmäßig mindestens 5.000 nordische Gänse rasten; RB: Sicherung der Hauptflugkorridore zwischen Äsungsflächen und Schlafplätzen sowie von Äsungsflächen, auf denen regelmäßig mindestens 20 % des Rastbestandes oder mindestens 5.000 nordische Gänse rasten Sing- und Zwergschwan -Schlafplätze MA 1.000, PB 3.000 m bei regelmäßig genutzten Schlafplätzen ab 1%- Kriterium nach WAHL & HEINICKE (2013), Freihalten von Hauptflugkorridoren zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen SB 5.000 m um Schlafgewässergrenze , auf denen regelmäßig mindestens 100 Sing- und/oder Zwergschwäne rasten, RB: Sicherung der Hauptflugkorridore zwischen Äsungsflächen und Schlafplätzen sowie von Äsungsflächen , auf denen regelmäßig mindestens 100 Zwerg- und/oder Singschwäne äsen. Schlafplätze von Greifvögeln (Weihen, Milane, Seeadler, Merlin ) und Sumpfohreule MA 1.000 m, PB 3.000 m Keine Regelung Gastvogellebensräume Gastvogellebensräume internationaler , nationaler und landesweiter Bedeutung (Rast- und Nahrungsflächen , z. B. von Kranichen, Schwänen , Gänsen, Kiebitzen, Gold- und Mornellregenpfeifern sowie anderen Wat- und Schwimmvögeln: MA 10- fache Anlagenhöhe, mind. 1.200 m SB 1.000 m zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mind. 200 Goldregenpfeifer rasten / 1.000 m zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 2.000 Kiebitze rasten Wasservogelkonzentrationen Gewässer oder Gewässerkomplexe >10 ha mit mind. regionaler Bedeutung für brütende und rastende Wasservögel MA 10-fache Anlagenhöhe, mind. 1.200 m SB 1.000 m zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 1.000 Wasservögel (ohne Gänse) rasten Zugwege Überregionale bedeutsame Zugkonzentrations -Korridore freihalten 1.000 m zur Grenze des Hochwasserbereiches von Gewässern 1. Ordnung mit Zugleitfunktion Europäische Vogelschutzgebiete mit WEA-sensiblen Arten im Schutzzweck 10-fache Anlagenhöhe, mind. 1.200 m Keine Regelung Alle Schutzgebietskategorien nach nationalem Naturschutzrecht mit WEA-sensiblen Arten im Schutzzweck 10-fache Anlagenhöhe, mind. 1.200 m Keine Regelung Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 - 5 - Fledermäuse Keine Regelung SB mind. 1.000 m: - zu Fledermauswochenstuben und Männchenquartieren der besonders schlaggefährdeten Arten (Großer Abendsegler, Kleiner Abendsegler, Zwergfledermaus, Zweifarb- und Rauhautfledermaus ) mit mehr als etwa 50 Tieren, - zu Fledermauswinterquartieren mit regelmäßig >100 überwinternden Tieren oder mehr als 10 Arten, - zu Reproduktionsschwerpunkten in Wäldern mit Vorkommen von >10 reproduzierenden Fledermausarten, - zu Hauptnahrungsflächen der besonders schlaggefährdeten Arten mit >100 zeitgleich jagenden Individuen. 200m: - zu regelmäßig genutzten Flugkorridoren , Jagdgebieten und Durchzugskorridoren schlaggefährdeter Arten RB: Außengrenze Vorkommensgebiet beziehungsweise Winterquartier und Radius 3 km Strukturreiche Laub- und Mischwaldgebiete mit hohem Altholzanteil >100 ha und Vorkommen von mindestens 10 Fledermausarten oder hoher Bedeutung für die Reproduktion gefährdeter Arten Frage 3: Warum weicht das Land Brandenburg mit seinen TAK von den empfohlenen Vorgaben der LAG VSW (Helgoländer-Papier) ab? (bitte jeweils für die in der Antwort auf Frage 2 aufgelisteten Abweichungen erläutern) Zu Frage 3: Beim Helgoländer Papier (2007, Fortschreibung 2015) handelt es sich um Empfehlungen, von denen in den Bundesländern abgewichen werden kann, z. B. wenn Arten einen unterschiedlichen Bestand oder Gefährdungsgrad haben. Anders als das für ganz Deutschland entwickelte „Helgoländer Papier“ sind die TAK dagegen speziell auf die konkreten Verhältnisse in Brandenburg zugeschnitten (s. Antwort zu Frage 4). Die TAK haben sich sowohl in der Regionalplanung als auch in Genehmigungsverfahren bewährt. Frage 4: Der Wiedehopf gehört in Brandenburg zu den wildlebend vorkommenden Tierarten , die besonders bzw. streng geschützt sind? Aus welchen Gründen ist diese Vogelart nicht Bestandteil der TAK und warum gibt es für den Wiedehopf keine Abstandsempfehlungen zu WEA im Land Brandenburg? Zu Frage 4: Der Wiedehopf zählt nicht zu den Arten, die ein hohes Kollisionsrisiko mit Windenergieanlagen haben. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11836 - 6 - Frage 5: Wie hat sich die Zahl der Kollisions- und Schlagopfer durch Windkraftanlagen für Vogel- und Fledermausarten seit 2014 im Land Brandenburg entwickelt? (bitte tabellarisch pro Jahr auflisten) Zu Frage 5: Es ist nicht möglich, die Zahl der Kollisionsopfer anzugeben, da systematische Erfassungen nicht erfolgen. Die Datenbank der Staatlichen Vogelschutzwarte enthält überwiegend zufällig oder im Rahmen von Stichproben gefundene Kollisionsopfer. Sie kann daher zwar über das betroffene Artenspektrum informieren, nicht jedoch über die tatsächlichen Kollisionszahlen. Frage 6: Beabsichtigt die Landesregierung eine Überarbeitung der TAK? Wenn ja, wo sieht die Landesregierung dringenden Anpassungsbedarf? Wenn nein, warum nicht? Zu Frage 6: Die TAK werden regelmäßig evaluiert, zuletzt 2012 und 2018. Weiteren Überarbeitungsbedarf kann die Landesregierung derzeit nicht erkennen.