Landtag Brandenburg Drucksache 6/11856 6. Wahlperiode Eingegangen: 02.08.2019 / Ausgegeben: 07.08.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4697 des Abgeordneten Benjamin Raschke (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/11708 Zustand der Justiz im Gerichtsbezirk Cottbus im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen rechte Täter*innen Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Die Stadt Cottbus war in den letzten Jahren immer wieder Schauplatz von rechten und rassistischen Mobilisierungen. Aufmärsche des Vereins „Zukunft Heimat“ erreichten dabei eine Größe von mehreren Tausend Teilnehmenden. Zudem wird die rechte Szene in der Region im landesweiten Vergleich als überaus stark und gut vernetzt beschrieben. Am 11.04.2019 führte die Polizei, v. a. in Cottbus und im angrenzenden Landkreis Spree-Neiße, eine Großrazzia gegen Mitglieder der rechten Szene durch. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass die Sicherheitsbehörden bereits seit einem Jahr ein Verfahren gegen Teile der rechten Szene wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) führen1. Im Bereich rechter/rassistischer Gewaltstraftaten nahm die Stadt Cottbus, der polizeilichen PMK-Statistik zu Folge, in den vergangenen Jahren stets den traurigen Spitzenplatz im Bundesland ein. Laut einer Pressemitteilung des Vereins Opferperspektive e. V. vom 05.06.2019 endete ein Strafverfahren gegen einen rechten Schläger am Landgericht Cottbus nach über sieben Jahren Verfahrensdauer mit einer Verurteilung2. Aufgrund der langen Verfahrensdauer und zwischenzeitlich verlorengegangener Akten am Landgericht Cottbus fiel die Strafe sehr milde aus. Gleiches gilt für zwei weitere Fälle von rechter Gewalt, die am Amtsgericht Cottbus verhandelt wurden, auf die die Opferperspektive mit einer Pressemitteilung vom 21.12.2018 aufmerksam machte³. In einem Fall wurde demzufolge - ebenfalls wegen langer Verfahrensdauer - eine milde Strafe gegen einen rechten Täter verhängt. In einem zweiten Fall musste das Verfahren nach einem rassistischen Angriff - u. a. aufgrund der vierjährigen Dauer bis zur Eröffnung des Verfahrens - komplett eingestellt werden. Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung insgesamt die Situation im Gerichtsbezirk Cottbus, insbesondere die Situation am Amts- und Landgericht im Bereich Strafverfahren? Ist eine zeitnahe Bearbeitung von Strafverfahren, die aufgrund von rechten/rassistischen Angriffen im Gerichtsbezirk Cottbus geführt werden, gewährleistet? Befürchtet die Landesregierung durch ausbleibende oder zeitlich stark verzögerte Verfahren eine Stärkung rechter Akteur*innen in der Region? 1https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/04/cottbus-razzia-rechtsextremismus-polizei-ermittlungen.html 2https://www.opferperspektive.de/aktuelles/cottbus-akten-verschwunden 3https://www.opferperspektive.de/aktuelles/schwere-maengel-im-gerichtsbezirk-cottbus Landtag Brandenburg Drucksache 6/11856 - 2 - zu Frage 1: Hinsichtlich der „Situation“ im Landgerichtsbezirk Cottbus wird, soweit die Frage (auch) auf die personelle Ausstattung des Amts- und des Landgerichts Cottbus abzielt, zunächst auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4491, Landtagsdrucksache 6/11283 verwiesen. Daraus ergibt sich eine auskömmliche Personalausstattung , die eine Bearbeitung von Strafsachen - auch solcher aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität - innerhalb üblicher Zeitrahmen gewährleistet. Die gleichwohl in jüngerer Vergangenheit beim Landgericht Cottbus zu verzeichnende längere Bearbeitungsdauer von Berufungsstrafsachen gegen Erwachsene ist im Wesentlichen auf mehrere aufeinanderfolgende, länger andauernde krankheitsbedingte Ausfälle einer Kammervorsitzenden , die durch Vertretungen in nur sehr beschränktem Umfang auszugleichen waren , zurückzuführen. Die Kammervorsitzende ist indes zu Beginn des Jahres 2018 in den Ruhestand getreten. Auch hat das Präsidium des Landgerichts Cottbus die dortigen Strafkammern personell verstärkt. Dies hat zur Entspannung der Situation und in der Folge zu einer positiven Entwicklung geführt: Der beim Landgericht Cottbus zu verzeichnende Bestand an anhängigen Berufungsstrafverfahren gegen Erwachsene konnte in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2019 von 195 auf 118 Verfahren, mithin um 40 Prozent, abgebaut werden. Ferner wird - mit üblichem statistischem Nachlauf - die Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten zu erwarten sein. Hinzu tritt, dass dem Landgericht Cottbus nach derzeitiger Planung drei neue Richterstellen - für eine/n Vorsitzende/n (R2 BbgBesO) und zwei beisitzende Richter/innen (R1 BbgBesO) - zugewiesen werden sollen, die aufgrund der Umsetzung des „Pakts für den Rechtsstaat“ im Land Brandenburg neu geschaffen werden konnten. Dieser Stellenaufwuchs würde die Einrichtung einer weiteren Kammer beim Landgericht Cottbus ermöglichen. Frage 2: Wie bewertet die Landesregierung das Problem verlorengegangener Akten in dem in der Vorbemerkung beschriebenen Fall am Landgericht Cottbus, welches mit Urteil vom 4. Juni 2019 endete? Was war der Grund für das Verschwinden der Akten in diesem Fall? Welche Konsequenzen wurden hieraus intern am Landgericht Cottbus gezogen, um ein erneutes Verschwinden von Akten in anderen Fällen zu vermeiden? zu Frage 2: Anders als es die im Bericht der Opferperspektive zitierte Äußerung der Kammervorsitzenden in der Berufungsstrafsache vermuten lässt, waren die Verfahrensakten im angeführten Fall nicht in Verlust geraten. Vielmehr führten verschiedene Verfahrensabtrennungen und –verbindungen in dem sich gegen drei Angeklagte in unterschiedlichen Konstellationen richtenden Verfahren dazu, dass einzelne Aktenbände unterschiedliche Wege nahmen und zur Hauptverhandlung wieder zusammenzuführen waren. Dieser Umstand führte zeitweise zu Irritationen hinsichtlich der Vollständigkeit der Verfahrensakte. Zu einem Aktenverlust ist es nach Angaben der dortigen Präsidentin – soweit ihre durch den gesteckten zeitlichen Rahmen zur Stellungnahme beschränkten Recherchen zurückreichen - in keinem Berufungsstrafverfahren am Landgericht Cottbus gekommen. Frage 3: Hält die Landesregierung in dem in Frage 2 erwähnten Verfahren eine Verfahrensdauer von über sieben Jahren für eine einfache Strafsache für vertretbar? Falls nein, welche Vorkehrungen wurden getroffen, dass zukünftig die Dauer der Strafsachen, bei denen rechte Taten angeklagt werden, im Gerichtsbezirk Cottbus verringert werden? zu Frage 3: Nach Auffassung der Landesregierung ist eine Strafverfahrensdauer von sieben Jahren mit den Strafzwecken der General- wie der Spezialprävention, die eine zügige Landtag Brandenburg Drucksache 6/11856 - 3 - Ahndung insbesondere auch politisch motivierter Straftaten erfordern, kaum in Einklang zu bringen. Das Berufungsverfahren in dem in den Blick gerückten Fall wies eine unter diesem Aspekt zu beklagende Verfahrensdauer auf, die sich indes u.a. auf die in der Antwort zu Frage 1 geschilderten Umstände zurückführen lässt. Zudem kann, auch wenn dies die Verfahrensdauer nur eingeschränkt erklärlich macht, das Verfahren kaum als „einfache Strafsache“ bezeichnet werden. Vielmehr wich es sowohl hinsichtlich der Anzahl der beteiligten Täter - ursprünglich richtete es sich mit verschiedenen Tatvorwürfen gegen drei Angeklagte , was die in der Antwort zu Frage 2 erwähnten Abtrennungen und Verbindungen notwendig machte - als auch im Aktenumfang (sieben Bände) von dem Durchschnitt der bei einer Berufungsstrafkammer anhängigen Erwachsenenstrafsachen ab. Wegen der inzwischen eingetretenen positiven Entwicklung des Verfahrensbestands und der durchschnittlichen Verfahrensdauer kann auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen werden. Frage 4: Wie bewertet die Landesregierung die von der Opferperspektive in einer Pressemitteilung vom 21. Dezember 2018 thematisierten Verfahren am Amtsgericht Cottbus? Sieht die Landesregierung in den erwähnten Verfahren Versäumnisse der Justiz im Gerichtsbezirk Cottbus? Falls ja, was wurde getan, damit diese Versäumnisse zukünftig nicht mehr geschehen? Hat sich die Landesregierung hinsichtlich der Wirkung der ausbleibenden oder zeitlich stark verzögerten Verfahren auf die Betroffenen beschäftigt? zu Frage 4: Auch hinsichtlich des Berufungsverfahrens gegen Marcus S., das von der Opferperspektive in der genannten Pressemitteilung thematisiert wird, ist wegen der Verfahrensdauer und der zu Grunde liegenden Umstände zunächst auf die Antwort zu Frage 1 zu verweisen. Ergänzend ist zum Inhalt der Pressemitteilung auszuführen: Dem (Berufungs- )Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18. Dezember 2018 liegt eine Verständigung gemäß § 257c StPO zu Grunde, zu der auch die in der Pressemitteilung zitierte Rechtsanwältin Götz aus Berlin als Nebenklägervertreterin gehört wurde. Dass es im Rahmen einer solchen Verständigung zu Einstellungen einzelner Verfahrensteile kommt, ist nicht ungewöhnlich . Eine Verständigung dient der Konzentration des Prozessstoffes auf das Wesentliche . Auf die Vernehmung von Zeugen kann verzichtet werden, wenn der Angeklagte - wie hier - die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und die Staatsanwaltschaft dieser Beschränkung zugestimmt hat, und wegen des damit feststehenden Sachverhalts Beweis zur Frage der Täterschaft nicht mehr zu erheben ist. Dass Zeugen - insbesondere nach längerer Zeit und bei besonders belastenden Sachverhalten - nicht erneut gehört werden müssen, ist aus Gründen des Opferschutzes oftmals angezeigt und gewichtiges Motiv für die Verständigung in Berufungsstrafverfahren. Allgemein ist festzuhalten, dass aus der verzögerten Bearbeitung oder Verfahrensfehlern in Einzelsachen, die - wie hier - eine verfahrensübergreifende signifikante Häufung fehlerhafter Sachbehandlung nicht erkennen lassen, strukturelle „Versäumnisse der Justiz im Gerichtsbezirk Cottbus“ nicht abzuleiten sind. Auch das in Bezug genommene weitere Verfahren , das vor dem Amtsgericht Cottbus wegen des Vorwurfs eines Flaschenwurfs vom Balkon auf zwei junge Mädchen, die Kopftücher trugen, zu führen war, vermag - wäre die Verfahrensdauer nicht plausibel zu erklären - zu einer anderen Einschätzung nicht zu führen . Frage 5: Vor dem Hintergrund des in der Vorbemerkung erwähnten laufenden § 129- Verfahrens gegen Mitglieder der rechten Szene in Cottbus und Umgebung, frage ich die Landesregierung, ob die Voraussetzungen für eine juristische Bearbeitung des Verfahrens im Gerichtsbezirk Cottbus ausreichend gegeben sind? Wie soll das bewerkstelligt werden? Landtag Brandenburg Drucksache 6/11856 - 4 - Was für Folgen hätte eine ausbleibende oder zeitlich stark verzögerte Bearbeitung dieses Verfahrens? zu Frage 5: Die Ermittlungen in dem gegen Teile der rechten Szene in Cottbus wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung geführten Verfahren dauern an. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass die Strafgerichte im Landgerichtsbezirk Cottbus für den Fall ihrer Befassung mit dem Verfahren den an sie gestellten strafprozessualen Anforderungen nicht genügen könnten. Ergänzend zu bemerken ist, dass für den Fall einer Anklageerhebung mit dem Tatvorwurf aus § 129 StGB die Vorschrift des § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG (Zuständigkeit der Staatsschutzkammer bei dem Landgericht Potsdam, sofern die Anklage nicht tateinheitlich begangene Betäubungsmittelstraftaten umfasst) zu beachten sein wird.