Landtag Brandenburg Drucksache 6/11859 6. Wahlperiode Eingegangen: 02.08.2019 / Ausgegeben: 07.08.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4700 des Abgeordneten Christoph Schulze (fraktionslos) Drucksache 6/11711 Zugänglichkeit von öffentlichen Urteilen Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Im Allgemeinen ist es so, dass bei den Brandenburgischen Gerichten, gleich welcher Gerichtsform die Verfahren öffentlich verhandelt werden und in öffentlicher Sitzung das Urteil gefällt und inklusive der Begründung des Urteils verkündet wird. Häufig wird in den Medien dann auf Gerichtsurteile mit Nennung des Aktenzeichens Bezug genommen. In einem Fall wandte sich ein Bürger an mich, der bei einem Brandenburger Gericht um die Zusendung eines in öffentlicher Sitzung gesprochen Urteils bat. Der Bürger bat ausdrücklich darum, dies in anonymisierter Form zu tun, d.h. mit Schwärzung der Namen des Klägers und der Beklagten. Das Brandenburger Gericht verweigerte die Zusendung des Urteils, verstieß dabei selbst gegen die Datenschutzregelung, indem es in dem Ablehnungsschreiben die vollständigen Namen des Klägers und der Beklagten bekannt gab. Frage 1: Besteht ein grundsätzlicher Anspruch von Bürgern des Landes Brandenburg gegenüber Brandenburger Gerichten auf Herausgabe/Übersendung eines Urteils in Kläger und Beklagten anonymisierter Form? zu Frage 1: Anlässlich eines zivilrechtlichen Rechtsstreites hat der Bundesgerichtshof (BGH) Grundsätze für die Übermittlung von Abschriften gerichtlicher Urteile und Beschlüsse aufgestellt, die, da sie sich nicht auf eine konkrete Anspruchsnorm des Zivilrechts wie z.B. das Akteneinsichtsrecht gem. § 299 ZPO beziehen, sondern einen Informationsanspruch eigener Art statuieren, im Wesentlichen auch auf andere Prozesse übertragbar sein dürften. Bei der Weitergabe anonymisierter Entscheidungsabschriften an Dritte handelt es sich nach Ansicht des BGH um einen Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte, Entscheidungen zu veröffentlichen. Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht , dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folge grundsätzlich eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen (BVerfG NJW 2015, 3708 Rn. 16, 20; BVerwGE 104, 105, 108f). Ihre Grundlage finde die Publikationspflicht daneben auch in dem leitenden Grundsatz des Prozessrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (§§ 169, 173 GVG), gehe aber über diesen hinaus (BVerwG aaO 110). Die Befugnis zur Weitergabe von Urteilen und Beschlüssen beschränkt sich dabei nicht auf Entscheidungen, die nach Ansicht des betreffenden Gerichts veröffentlichungswürdig sind. Der Bürger müsse zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und Landtag Brandenburg Drucksache 6/11859 - 2 - welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung sei dies nicht möglich (BVerwGE 104, 105, 109). Eingeschränkt wird das Recht auf Weitergabe einer Abschrift eines gerichtlichen Urteils trotz Anonymisierung, sofern überwiegende Rechte der Betroffenen dadurch verletzt werden können. Sofern diesen Rechten im Einzelfall durch die Schwärzung von Urteilspassagen, die über die übliche Anonymisierung hinausgeht, nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann, ist im äußersten Fall ein Ausschluss der Weitergabe von Abschriften zulässig. Für das strafgerichtliche Verfahren nimmt der BGH hingegen keinen grundsätzlichen und voraussetzungslosen Anspruch privater Dritter auf Herausgabe anonymisierter Urteilsabschriften an. Danach unterfällt die Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften § 475 der Strafprozessordnung (StPO), der unter anderem die Informationsübermittlung an private Dritte regelt. Nach dieser Vorschrift können Auskünfte aus Akten an nichtverfahrensbeteiligte Privatpersonen erteilt werden, soweit hierfür ein berechtigtes Interesse dargelegt wird; sie sind zu versagen, wenn der Betroffene hieran ein schutzwürdiges Interesse hat. Aus der Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen, die aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folge, lasse sich jedenfalls für private Dritte kein neben § 475 StPO tretender voraussetzungsloser Anspruch auf Herausgabe einer anonymisierten Urteilsabschrift herleiten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 5 AR (Vs) 112/17 - NJW 2018, 3123). Der vorgenannte grundsätzliche Anspruch auf Herausgabe eines gerichtlichen Urteils oder Beschlusses dürfte zudem seine Grenzen finden, wenn Gesetze einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Gerichtsverhandlung vorsehen. Das betrifft Verfahren, in denen die Verhandlung nicht öffentlich ist, wie insbesondere in Familiensachen oder Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 170 GVG) sowie Verfahren, in denen nur Jugendliche angeklagt sind oder eine nicht öffentliche Verhandlung zum Schutz Heranwachsender erforderlich ist, in Unterbringungssachen sowie Verfahren, in denen ein Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre erforderlich ist (§§ 48 JGG auch i.V.m. 104 Abs. 2 JGG; § 109 Abs. 1 Satz 4 JGG; § 171b und § 171a GVG). Daneben können gesetzliche Beschränkungen wie z.B. das Offenbarungs- und Ausforschungsverbot gemäß § 1758 BGB in Adoptionsverfahren eine Beschränkung des Übermittlungsanspruches begründen . In den vorgenannten Fällen dürfte auch die Mitteilung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift in Ausnahmefällen verweigert werden können. Frage 2: Wenn nicht jedermann dieses Recht nach Ziffer 1 hätte, besteht dieses Recht gegen über Rechtsanwälten und Journalisten? Frage 3: Wenn Rechtsanwälte und Journalisten einen prinzipiellen „Herausgabeanspruch“ haben/hätten, möchte ich um die Beantwortung der Frage bitten, auf welcher gesetzlichen Grundlage diese Privilegierung im Vergleich zum Normalbürger beruht. Frage 4: Gibt es weitere Personen oder Personengruppen, die gegebenfalls einen prinzipiellen „Herausgabeanspruch“ gegenüber Brandenburger Gerichten bzgl. dort gefällter Gerichtsurteile haben? Frage 5: Welche Einschränkungen bei der Kenntniserlangung von öffentlich im Namen des Volkes gesprochenen Urteilen bestehen für Personen und Personengruppen für Ziffer 1 bis 4 auf welcher Grundlage? Landtag Brandenburg Drucksache 6/11859 - 3 - zu den Fragen 2 bis 5: Da es sich bei dem in der Antwort auf Frage 1 dargestellten grundsätzlichen Recht auf Übermittlung eines gerichtlichen Urteils oder Beschlusses um ein sogenanntes „Jedermannrecht“ handelt, gelten die dargestellten Voraussetzungen und Einschränkungen unabhängig von der Zugehörigkeit zu Personengruppen oder Berufen. Für das strafgerichtliche Verfahren regelt § 475 StPO unter den bereits genannten Voraussetzungen auch die Informationsübermittlung an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Vertreterinnen und Vertretern der Presse steht ein Auskunftsanspruch nach § 5 des Brandenburgischen Landespressegesetzes zu. Der presserechtliche Auskunftsanspruch ist unter Beachtung der grundrechtlichen Pressefreiheit zu handhaben.