Landtag Brandenburg Drucksache 6/11883 6. Wahlperiode Eingegangen: 08.08.2019 / Ausgegeben: 13.08.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4701 der Abgeordneten Rainer Genilke (CDU-Fraktion) und Björn Lakenmacher (CDU-Fraktion) Drucksache 6/11712 Rechtsfrieden für Altanschließer? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27. Juni 2019 festgestellt, dass die rückwirkende Beitragsforderung eines Zweckverbands aus dem Jahr 2011 nicht verjährt war. Dem Urteil zur Folge besteht für tausende Haushalte in Brandenburg die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie im konkreten Fall, über den der BGH geurteilt hat, kein Anspruch auf Schadensersatz. 1. Als Reaktion auf das Urteil hat Frau Staatssekretärin Katrin Lange für die Landesregierung das „bemerkenswerte Urteil“ begrüßt, welches „nunmehr die große Chance biete, endlich Rechtsfrieden einziehen zu lassen“. Angesichts der durch Interessenvertreter der betroffenen Altanschließer in Aussicht gestellten erneuten Klagen, stellt sich die Frage, ob eine solch triumphierende Einschätzung angemessen ist und wie die Landesregierung zu dieser Einschätzung gelangt ist? zu Frage 1: Die Landesregierung teilt die in der Fragestellung vorgenommene Bewertung der zitierten Äußerungen zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2019 (Az.: III ZR 93/18) nicht. 2. Beabsichtigt die Landesregierung, weitere konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um auf die Betroffenen zuzugehen und endlich die Situation zu befrieden? zu Frage 2: Die Landesregierung weist darauf hin, dass die kommunalen Aufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsorgung eigenverantwortlich über die Refinanzierung des Herstellungsaufwands der zentralen öffentlichen Einrichtungen und die damit im Zusammenhang stehenden Abgabenerhebungen entscheiden. Sie sind dabei an die geltenden Gesetze bzw. deren durch die Rechtsprechung vorgenommene Auslegung gebunden. Wesentlich ist dabei der Grundsatz der Abgabengerechtigkeit, nach dem grundsätzlich alle durch die zentrale öffentliche Wasserver- und Abwasserentsorgungseinrichtungen bevorteilten Grundstückseigentümer durch entsprechende Abgabenerhebungen an der Refinanzierung des Herstellungsaufwandes zu beteiligen sind. Eine Einflussnahme der Landesregierung auf die auf kommunaler Ebene zu treffenden Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise bei der Umsetzung der geänderten Rechtsprechung zur Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 4 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg kann nicht in Betracht kommen. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11883 - 2 - 3. Ist es aus Sicht der Landesregierung für das Vertrauen in den Rechtsstaat förderlich, wenn durch Gerichtsverfahren an Obersten Gerichtshöfen des Bundes und dem Bundesverfassungsgericht weitere Jahre ins Land ziehen, in denen tausende Betroffene in Brandenburg in Ungewissheit leben? zu Frage 3: Die Landesregierung verkennt nicht, dass der zügige Abschluss von Gerichtsverfahren auch über mehrere Instanzen grundsätzlich geeignet ist, den Rechtsfrieden bei den Betroffenen und damit das Vertrauen in den Rechtsstaat zu fördern. Wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaats ist aber auch, dass die Gerichte im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit die an sie herangetragenen Rechtsstreitigkeiten entscheiden. Dabei können Rechtsfragen insbesondere auch zur Auslegung des einfachen Rechts kontrovers beantwortet werden. In diesen Fällen bedarf es einer höchstrichterlichen Klärung, die aufgrund der komplexen Rechtsfragen auch Zeit in Anspruch nimmt. Letztlich sollte nach Auffassung der Landesregierung das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht nur nach zeitlichen Gesichtspunkten bemessen werden, sondern sich auch an materiell-rechtlichen Aspekten orientieren. 4. Befürwortet die Landesregierung eine grundsätzliche Umstellung auf Gebührenmodelle, um einen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten? zu Frage 4: Die Landesregierung verweist auf ihre Antwort zu Frage 11 der Kleinen Anfrage 4686 (Drs. 6/11680). 5. Welche laufenden Gerichtsverfahren sind der Landesregierung mit Bezug zu Altanschließern bekannt (Bitte Verfahrensstand, Gericht und Beteiligte nennen, soweit möglich )? zu Frage 5: Am Landgericht Frankfurt (Oder) sind bzw. waren insgesamt 211 Verfahren – gegen verschiedene Zweckverbände – anhängig. Davon sind 33 Verfahren noch offen. Für 112 Verfahren ist eine Ruhensanordnung des Gerichts (§§ 251, 251a Abs. 3 ZPO) ergangen. Weitere 54 Fälle wurden durch erstinstanzliches Urteil beendet. In wie vielen Fällen ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt wurde, ist statistisch nicht erfasst und kann auf Grund der Kürze der Berichtsfrist nicht ermittelt werden. Die übrigen Verfahren wurden auf andere Weise beendet. Am Landgericht Neuruppin waren 236 Klagen von sog. Altanschließern anhängig; in diesem Gerichtsbezirk ist nur ein Abwasserzweckverband betroffen. Von den 236 Verfahren wurden elf durch Klagerücknahme beendet, sieben Verfahren wurden wegen fehlender Zahlung des Gerichtskostenvorschusses oder wegen Nichtbetreibens des Verfahrens weggelegt und ein Verfahren wurde übereinstimmend für erledigt erklärt. Von den derzeit noch laufenden 217 Verfahren wurde in 192 Verfahren ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, und zwar überwiegend in den Monaten Juli bis September 2019, teilweise später bis in den April 2020 hinein. In 23 der Verfahren, in denen derzeit ein Verhandlungstermin bestimmt ist, ergingen bereits im Jahr 2018 klageabweisende Versäumnisurteile , da die Kläger auf entsprechende Hinweise zur mangelnden Erfolgsaussicht der Klagen im Termin zur mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt haben. In diesen Verfahren ist daher nunmehr über den Einspruch der Parteien gegen die Versäumnisurteile zu entscheiden. In weiteren elf Verfahren hat im Juni/Juli dieses Jahres bereits eine Landtag Brandenburg Drucksache 6/11883 - 3 - mündliche Verhandlung stattgefunden, aufgrund derer im Einverständnis der Parteien ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung für September 2019 bestimmt worden ist, da zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im vollständigen Wortlaut vorliegen dürfte. Am Landgericht Potsdam sind noch sieben erstinstanzliche Verfahren anhängig. Die Verfahren sind noch zu terminieren bzw. ins schriftliche Verfahren überzuleiten und stehen damit noch zur Entscheidung an. Am Landgericht Cottbus sind, soweit dies in der Kürze der Zeit ermittelbar war, 182 Verfahren mit Bezug zu Rechtsstreitigkeiten über sog. Altanschließer anhängig. Davon ist in fünf Verfahren ein Urteil ergangen, drei davon sind in der Berufungsinstanz beim Brandenburgischen Oberlandesgericht anhängig. In den übrigen Fällen betreibt das Gericht im Hinblick auf die zu erwartende Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Sache aktuell nicht. Beim Brandenburgischen Oberlandesgericht sind derzeit 158 Berufungsverfahren sog. Altanschließer gegen verschiedene Abwasserzweckverbände anhängig, von denen 26 zum Ruhen gebracht worden sind.