Landtag Brandenburg Drucksache 6/11904 6. Wahlperiode Eingegangen: 12.08.2019 / Ausgegeben: 19.08.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4703 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/11714 Welche Kenntnisse hat die Landesregierung, was Bezüge der rechtsextremistischen Gruppierung „Nordkreuz“ zum Land Brandenburg betrifft? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: In Mecklenburg-Vorpommern hat die Polizei bei Durchsuchungen im Zusammenhang mit der Gruppe „Nordkreuz“ eine Liste politischer Gegner mit Vertreterinnen und Vertretern des linken politischen Spektrums sichergestellt. Bereits seit 2017 ermittelt der Generalbundesanwalt gegen diese Gruppe. Sie hortete großen Mengen Munition und verfügte über Zugang zu illegalen wie legalen Waffen. Offenbar bestand die Absicht, hunderte Leichensäcke und Ätzkalk zu beschaffen. Aktuellen Pressebereichten zufolge ist die Gruppe nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch im Norden Brandenburgs aktiv. Besonders besorgniserregend ist, dass Mitglieder der Gruppe Nordkreuz, gegen die ermittelt wird, selbst Polizisten und Angehörige der Bundeswehr sind bzw. waren. Es besteht der Verdacht, dass sie unter anderem den Zugang zu polizeilichen Informationssystemen für ihre rechtsextremistischen Aktivitäten genutzt haben. Die Landesregierung hat in ihrer Antwort (Drucksache 6/11602) auf die Kleine Anfrage Nr. 4573 mitgeteilt, wie sie in Brandenburg sicherstellen will, dass Polizeibedienstete ausschließlich zu dienstlichen Zwecken auf dienstliche Informationssysteme zugreifen. Vorbemerkungen der Landesregierung: Zu den Bezügen der sogenannten „Nordkreuz- Gruppierung“ hat die Landesregierung in der Kleinen Anfrage Nr. 3807 (LT-Drs. 6/9561) bereits berichtet. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit „Nordkreuz“ der Generalbundesanwalt ermittelt. Im Zuge dieses noch laufenden Ermittlungsverfahrens wird auf dessen Verfahrenshoheit verwiesen. Insofern können die folgenden Fragen nicht gänzlich beantwortet werden. Zur sog. „Nordkreuzliste“ ist Folgendes anzumerken: Im Jahre 2015 wurden circa 25.000 personenbezogene Kundendatensätze bei einem Online -Versandhändler im Wege eines sog. Hackerangriffs erhoben und im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Auszüge aus dieser Datenzusammenstellung bilden die öffentlich diskutierte sog. „Nordkreuzliste“. Unten den circa 1.000 Datensätzen sind 160 mit Bezügen nach Brandenburg enthalten. Der Landesregierung liegen keine weiteren Hinweise vor, die im Zusammenhang mit diesen Daten die Annahme stützen könnten, es würde sich bei dem in Rede stehenden Auszug aus der gehackten Kundendatei um eine sogenannte „Todesliste“ handeln. Das LKA BB steht diesbezüglich im regelmäßigen Informationsaustausch sowie in Abstimmung mit anderen Sicherheitsbehörden in Land und Bund. Sollten im Rahmen der Ermittlungen Erkenntnisse erlangt werden, die die Beurtei- Landtag Brandenburg Drucksache 6/11904 - 2 - lung der bestehenden abstrakten Gefahrenlage beeinflussen würden, erfolgt eine Neubewertung der Gefährdungslage und - soweit erforderlich - die notwendigen polizeilichen Maßnahmen zum Schutz Betroffener. Aktuell wurden mit zwei in der Liste aufgeführten Einzelpersonen durch das LKA BB Sensibilisierungsgespräche geführt. Zu diesen zwei Personen liegen Erkenntnisse zu einem möglichen öffentlichen Engagement bzw. Amt vor. Zudem wurden aufgrund einer auch durch die die Landesregierung wahrgenommenen Gefahr der Verunsicherung in der Bevölkerung, die auf die breite öffentlich-mediale Diskussion dieses Themas im Lichte des Tötungsdelikts von Dr. Lübcke entstanden ist, Informationsschreiben an die übrigen Brandenburgerinnen und Brandenburger, ausschließlich Privatpersonen, versandt. Somit wurden die Personen, die im Bundesland Brandenburg wohnen bzw. ihren Sitz haben, zwischenzeitlich informiert. 1. Hat sich die Landesregierung, alarmiert durch Ermittlungsverfahren wie beispielsweise gegen Gruppe „Nordkreuz“ und/oder gegen den „NSU 2.0“, von der Brandenburger Polizei - und Verfassungsschutzführung lückenlos informieren lassen, ob seit dem Jahr 2014 sämtliche Abfragen von Personendaten durch Bedienstete auch tatsächlich aus einem dienstlichen Grund erfolgt sind? a. Falls ja: Mit welchem Ergebnis- - kann die Landesregierung ausschließen, dass Polizeiund /oder Verfassungsschutzbedienstete in Brandenburg Personendaten abgefragt haben, ohne dass ein dienstlicher Grund vorgelegen hat? b. Falls nein: Warum hat die Landesregierung keine entsprechenden Informationen von der Polizei- und der Verfassungsschutzführung angefordert - und gedenkt sie dies umgehend nachzuholen? c. Falls bei Polizei und/oder Verfassungsschutz keine lückenlose Kontrolle der Personendatenabfragen erfolgt sein sollte: Wann wird die Landesregierung die Polizei- und die Verfassungsschutzführung auffordern, beispielsweise mit Hilfe der in der Landtags- Drucksache 6/11602 erwähnten Protokollierungen zu erfolgten Datenabfragen zu überprüfen , ob sämtliche Personendatenabfragen seit dem Jahr 2014 aus einem dienstlichen Grund erfolgt sind? zu den Fragen 1,1a bis 1c: Die Landesregierung geht grundsätzlich davon aus, dass sich die Polizei- und Verfassungsschutzbediensteten an Recht und Gesetz halten. An diesem grundsätzlichen Vertrauen in ein normgemäßes Verhalten der Bediensteten ändern gegenteilige Einzelfälle nichts. Fälle regelwidriger Datenabfragen bestätigen vielmehr, dass Kriminalität ubiquitär und somit das Mittel der Protokollierung sämtlicher Abfragen sachlich gerechtfertigt ist. Denn eine Protokollierung von Datenabfragen stellt zunächst eine Dokumentation behördlichen Handelns bei der Verarbeitung personenbezogener Daten dar. Damit ist zugleich eine Grundlage geschaffen, um bei konkreten Verdachtslagen oder geäußerten Vorwürfen einer unzulässigen oder gar strafrechtlich relevanten Datenabfrage eine Aufklärung zu erleichtern. Eine lückenlose Protokollierung erfolgter Datenabfragen steigert die Entdeckungswahrscheinlichkeit des Missbrauchs des einzelnen Nutzungsberechtigten . Ihr kommt daher eine generalpräventive Wirkung zu. In festgestellten Einzelfällen wurden und werden daher unter Nutzung der Protokolldaten entsprechende straf- und disziplinarrechtliche Ermittlungen veranlasst. Im Zusammenhang mit den Sachverhalten „Nordkreuz“ und „NSU 2.0“ liegen der Landesregierung gegenwärtig keine konkreten Verdachtsmomente dafür vor, dass diesbezüglich eine unzulässige Datenabfrage aus hier genutzten Dateien durch Bedienstete der Polizei oder des Verfassungsschutzes erfolgt ist. Das Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg hat im Jahr 2008 mit dem Polizei-Hauptpersonalrat (P-HPR) die „Dienstver- Landtag Brandenburg Drucksache 6/11904 - 3 - einbarung zur datenschutzgerechten Protokollierung bei dem Betrieb von IT-Systemen in der Polizei des Landes Brandenburg“ abgeschlossen. Danach kann eine Auswertung von Protokolldaten bei einem auf Tatsachen begründeten Verdacht auf Missbrauch von Daten oder eines schweren Verstoßes gegen datenschutz-, arbeits- oder beamtenrechtlichen Bestimmungen erfolgen. Abfragen zu Personendaten durch Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde Brandenburg bedürfen zwingend der Angabe eines sachlichen Abfragegrundes und erfolgen ausschließlich im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung. Diese Abfragen werden protokolliert. 2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über das Ermittlungsverfahren gegen die Gruppe „Nordkreuz“ und seit welchem Zeitpunkt - und auf welchem Wege hat die Landesregierung diese Kenntnisse jeweils erlangt? a. Haben staatliche Stellen, von denen die Landesregierung oder Brandenburger Sicherheitsbehörden entsprechende Informationen erhalten haben, diesbezüglich auch Aufträge und/oder Handlungsempfehlungen an brandenburgische Sicherheitsbehörden übermittelt und gegebenenfalls welche? i. Haben Brandenburger Sicherheitsbehörden etwaige Aufträge ausgeführt und/oder etwaige Handlungsempfehlungen umgesetzt - oder warum gegebenenfalls nicht? b. Sind Sicherheitsbehörden des Landes Brandenburgs an Ermittlungen zur Gruppe „Nordkreuz“ beteiligt und gegebenenfalls inwiefern? c. Haben in Brandenburg Durchsuchungen stattgefunden, die in einem Zusammenhang zu den Ermittlungen gegen die Gruppe „Nordkreuz“ stehen? zu den Fragen 2, 2a bis 2c: Die Verfassungsschutzbehörden der Länder, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesamt für den Militärischen Abwehrdienst als auch die zuständigen Polizeibehörden wirken bei der Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Rahmen ihrer jeweiligen gesetzlichen Aufträge eng zusammen. Zur behördenübergreifenden Zusammenarbeit wird bei überregionalen Sachverhalten die bewährte Kommunikationsplattform des „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus“ (GETZ-R) genutzt. Im Plenum des GETZ-R war die sogenannte Gruppierung „Nordkreuz“ mehrmals Gegenstand des regelmäßigen Austauschs der Sicherheitsbehörden. Die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg war bislang nicht unmittelbar am Sachverhalt beteiligt. Darüber hinaus wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3807 - Frage 1 (Landtagsdrucksache : 6/9561) verwiesen. Weitere Angaben können mit Blick auf das noch laufende Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt nicht gegeben werden. Ferner wird auf die Vorbemerkungen der Landesregierung verwiesen. 3. Hat die Landesregierung seit dem Jahr 2014 - beispielsweise im Kontext der Ermittlungen gegen die Gruppe „Nordkreuz“ oder in anderem Kontext - Kenntnis von Listen, Blattsammlungen oder sonstigen Dokumenten und/oder Dateien erlangt, bezüglich der es sein könnte, dass sie den Charakter von „Schwarzen Listen“ oder „Todeslisten“ haben - und auf beziehungsweise in denen die Namen von Personen, Gruppen, Organisationen, Parteien, Glaubensgemeinschaften und/oder Institutionen und/oder Adressen aus Brandenburg verzeichnet sind? Falls ja: a. Woher, beispielsweise aus welchen Ermittlungsverfahren beziehungsweise von welchen Behörden, stammen diese Beweismittel? b. Seit wann hat die Landesregierung jeweils Kenntnis von den entsprechenden Beweismitteln und welche Maßnahmen hat die Landesregierung gegebenenfalls ergriffen? Landtag Brandenburg Drucksache 6/11904 - 4 - c. Haben sich bei der Auswertung dieser Beweismittel räumliche Schwerpunkte feststellen lassen - also Orte oder Regionen, aus denen besonders viele Personen, Gruppen, Organisationen , Parteien und/oder Institutionen und/oder Adressen verzeichnet sind? d. Welche Arten von personenbezogenen Daten (etwa Name, Anschrift, Meldedaten, Geburtsdatum , Kraftfahrzeuge, Führerschein oder sonstige Daten) enthalten die Beweismittel zu Personen und/oder anderen Adressaten in Brandenburg? i. Ergibt sich bezüglich der vorgefundenen Daten der Verdacht, dass diese aus amtlichen Informationssystemen abgefragt worden sind oder sein könnten - oder ist es ausgeschlossen , dass die Daten aus amtlichen Systemen abgefragt worden sind? ii. Hat die Landesregierung überprüfen lassen, ob bezüglich der Betroffenen seit dem Jahr 2014 personenbezogene Daten von Brandenburger Polizei- oder Verfassungsschutzbediensteten aus dienstlichen Informationssystemen abgefragt worden sind - und mit welchem Ergebnis? iii. Inwiefern wurden Vorkehrungen getroffen, um die Metadaten zu Datenabfragen von Betroffenen für weitere Ermittlungen zu sichern und etwa vor automatischer Löschung zu bewahren? e. Wie viele Brandenburger Personen und/oder andere Adressaten sind in den Beweismitteln jeweils enthalten? i. In welchen Landkreisen sind diese Personen und/oder andere Adressaten verortet? ii. Sind unter den aufgeführten Personen solche, die politische Mandate oder herausgehobene Funktionen der öffentlichen Verwaltung innehaben? Falls ja: Welche Arten von Mandaten und Funktionen sind das? iii. Wurden sämtliche Betroffene durch Brandenburger Behörden oder Behörden des Bundes informiert - und warum gegebenenfalls nicht? Und bis wann wird das gegebenenfalls nachgeholt? iv. Haben Behörden des Bundes oder des Landes bezüglich sämtlicher Betroffenen in Brandenburg ermittelt, ob sie in sozialen Netzwerken des Internets oder auf anderem Wege bedroht worden sind - und mit welchem Ergebnis? v. Haben Behörden des Bundes oder des Landes bezüglich sämtlicher Betroffenen in Brandenburg ermittelt, ob sie in den vergangenen Monaten und Jahren Opfer von Straftaten geworden sind, die politisch motiviert waren oder bei denen eine politische Motivation nicht auszuschließen ist - und mit welchem Ergebnis? vi. Wie beurteilen die Sicherheitsbehörden des Landes das Gefahrenpotential für die Betroffenen ? Inwiefern ist diese Einschätzung durch das Bekanntwerden neuer Informationen in den vergangenen Wochen aktualisiert worden? vii. Wurden Maßnahmen ergriffen, die Betroffenen zu schützen, und gegebenenfalls inwiefern ? zu den Fragen 3, 3a bis 3e: Im März 2018 wurden Informationen zu möglicherweise geplanten Straftaten zum Nachteil von Journalisten bekannt. Dies ergab sich u. a. aus einem sichergestellten Chatverlauf, dem die Namen dieser Journalisten zu entnehmen waren. In diesem Chat tauschten mehrere Personen der örtlichen rechten Szene aus dem Raum Cottbus ihre Ansichten über die jeweiligen Journalisten aus und im Kontext entstand der Eindruck der Verabredung, Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit dieser Journalisten begehen zu wollen. Die unmittelbar geführten präventivpolizeilichen Ermittlungen konnten diesen Anfangsverdacht jedoch nicht erhärten. Die betroffenen fünf Journalisten wurden im Rahmen von im April 2018 durchgeführten Gefährdetenansprachen über die Sachlage informiert. Zum Zeitpunkt der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3807 (Landtagsdrucksache: 6/9561) war das zwischenzeitlich wegen Verdachts der Landtag Brandenburg Drucksache 6/11904 - 5 - Bildung einer kriminellen Vereinigung geführte Verfahren noch verdeckt laufend. Weiter wird im Kontext der Fragestellung auch auf die Antwort der Landesregierung zur Kleinen Anfrage 4415 (LT-Drs.: 6/11062) verwiesen. 4. Wird im Zusammenhang mit der Gruppe „Nordkreuz“ gegen Personen ermittelt, die einen Wohnsitz in Brandenburg haben oder seit dem Jahr 2014 einen Wohnsitz in Brandenburg hatten? Falls ja: Um wie viele Personen handelt es sich? 5. Wird im Zusammenhang der Gruppe „Nordkreuz“ gegen Personen ermittelt, die für eine Behörde in Brandenburg tätig sind oder waren? Falls ja: a. Um wie viele Personen handelt es sich? b. Für welche Behörden sind oder waren die Personen tätig? zu den Fragen 4, 5, 5a und 5b: Es wird auf die hiesigen Vorbemerkungen verwiesen. Das Ermittlungsverfahren führt der Generalbundesanwalt und ist noch nicht abgeschlossen. 6. Inwiefern haben Angehörige Brandenburger Sicherheitsbehörden den im Fokus der Ermittlungen zur Gruppe Nordkreuz stehenden Schießplatz in Güstrow genutzt? zu Frage 6: Seitens der Polizei des Landes Brandenburg wurde der Schießplatz in Güstrow in den vergangenen Jahren für verschiedene Wettkampf- und Ausbildungsmaßnahmen genutzt. Nach Bekanntwerden der öffentlichen Vorwürfe gegen den Betreiber des Schießplatzes wurde die weitere Nutzung unverzüglich (Juni 2019) untersagt. 7. Welche Maßnahmen haben die Sicherheitsbehörden aufgrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse zum Themenkomplex „Nordkreuz“ ergriffen beziehungsweise welche Konsequenzen haben sie gezogen? zu Frage 7: Es wird auf die Beantwortung der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3807 (Landtagsdrucksache: 6/9561) sowie die hiesigen Vorbemerkungen verwiesen.