Landtag Brandenburg Drucksache 6/11994 6. Wahlperiode Eingegangen: 11.09.2019 / Ausgegeben: 16.09.2019 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 4786 des Abgeordneten Thomas Jung (AfD-Fraktion) Drucksache 6/11890 Zuweisungen von Geldauflagen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften (insbesondere an die Opferperspektive e.V. und andere Akteure im Beratungsnetzwerk „Tolerantes Brandenburg“) Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Gerichte und Staatsanwaltschaften haben die Möglichkeit , im Rahmen von Strafverfahren Geldauflagen an gemeinnützige Organisationen zuzuweisen . In Brandenburg werden gemeinnützige Einrichtungen, die als Empfänger von Geldauflagen in Betracht kommen, bei dem Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in einer Liste erfasst. Auf der Internetpräsenz der Opferperspektive e.V. gibt es folgenden Aufruf: „Sie sind Staatsanwält*in oder Richter*in? Dann können Sie die Arbeit des Vereins ,Opferperspektive e.V.‘ durch die Zuweisung von Geldauflagen und Bußgeldern unterstützen.“ Und weiter heißt es dort: „Für Staatsanwält*innen und Richter*innen haben wir spezielles Informationsmaterial. Gerne senden wir Ihnen Adressaufkleber und Überweisungsträger mit den Angaben zu unserem Geldauflagenkonto zu oder informieren Sie im persönlichen Gespräch ausführlicher über unsere Arbeit. Geldauflage-Materialien können Sie bei uns per E-Mail […] bestellen.“1 Die Opferperspektive e.V. ist einer von mehreren privatrechtlich verfassten Akteuren des sogenannten Beratungsnetzwerks im Rahmen des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“. Frage 1: In welchem Umfang insgesamt wurden in den Jahren 2010 bis 2019 gemeinnützigen Organisationen von brandenburgischen Gerichten und Staatsanwaltschaften die oben genannten Geldauflagen zugewiesen? zu Frage 1: Die jährliche Gesamthöhe der von den Staatsanwaltschaften und den Gerichten des Landes Brandenburg zugewiesenen Geldauflagen zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen im Sinne der Allgemeinen Verfügung des Ministers der Justiz und für Bundesund Europaangelegenheiten vom 9. Juni 1995 (JMBl. 1995, Nr. 7, S. 122), geändert durch Allgemeine Verfügung vom 31. August 2009 (JMBl. 2009, Nr. 10, S. 134) ergibt sich aus der nachfolgenden Übersicht. Die im Folgenden als AV Geldauflagen bezeichnete Verwaltungsvorschrift ist unter www.bravors.brandenburg.de abrufbar. Die Übersichten für das Jahr 2019 sind gemäß Abschnitt III, Ziffer 3 der AV Geldauflagen erst nach Ablauf des Kalenderjahres zu erstellen, so dass insofern noch keine Angaben möglich sind. Die jährli- 1https://www.opferperspektive.de/geldauflagen, zuletzt aufgerufen am 12.08.2019 um 11:00 Uhr. Landtag Brandenburg Drucksache 6/11994 - 2 - chen Gesamtübersichten, die der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts und die Generalstaatsanwältin für ihren jeweiligen Geschäftsbereich erstellen, sind auf der Internetseite des Brandenburgischen Oberlandesgerichts veröffentlicht (www.olg.brandenburg.de). Hinsichtlich der von den Staatsanwaltschaften erteilten Geldauflagen sind die Gesamtübersichten allerdings erst ab dem Jahr 2015 in die veröffentlichten Tabellen einbezogen. Die entsprechenden Angaben für die Jahre 2010 bis 2014 wurden aus den dem Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz vorliegenden Berichten der Generalstaatsanwaltschaft entnommen und bei der Erstellung der nachfolgenden Übersicht berücksichtigt. Gemeinnützigen Organisationen wurden in den Jahren 2010 bis 2018 insgesamt folgende Beträge durch die Gerichte und Staatsanwaltschaften des Landes zugewiesen: Jahr Gesamtsumme der an gemeinnützige Organisationen zugewiesenen Geldauflagen in Euro 2010 1.853.825,96 2011 1.595.648,78 2012 1.527.823,20 2013 1.519.993,82 2014 2.180.165,79 2015 1.776.178,88 2016 1.649.513,20 2017 1.649.167,50 2018 2.035.163,18 Frage 2: Welche Anforderungen werden an einen potentiellen Zuweisungsempfänger gestellt , um grundsätzlich die Möglichkeit der Zuweisung einer Geldauflage zu erhalten? zu Frage 2: Geldauflagen sind nach dem Wortlaut der anwendbaren Strafrechtsvorschriften an „gemeinnützige Einrichtungen“ zu zahlen (§ 56b Absatz 2 Nummer 2 Strafgesetzbuch , § 15 Absatz 1 Nummer 4 Jugendgerichtsgesetz, § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Strafprozessordnung). Der Gesetzgeber hat den Begriff „gemeinnützige Einrichtungen“ nicht näher definiert. Die Staatsanwaltschaften sind gehalten, bei der Zuweisung von Geldauflagen die Vorgaben der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift Nr. 93 Absatz 4 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu beachten. Danach sollen „….bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinderund Jugendhilfe, Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitstrafen in angemessenen Umfang berücksichtigt werden.“ Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs „gemeinnützige Einrichtung“ bietet darüber hinaus die AV Geldauflagen. Als gemeinnützige Einrichtungen sind danach auch solche in dem in § 52 Abgabenordnung beschriebenen Sinne anzusehen sowie solche, die mildtätige und kirchliche Zwecke im Sinne der §§ 53 und 54 Abgabenordnung verfolgen. Der Zweck der Einrichtung soll Belange der Allgemeinheit fördern. Die weiteren Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste ergeben sich ebenfalls aus der AV Geldauflagen. Die entsprechend dieser AV erstellte Liste stellt nur eine Information, jedoch keine Empfehlung dar, Abschnitt II Nummer 1 AV Geldauflagen. Vorgaben für die Entscheidung, welchen gemeinnützigen Einrichtungen Landtag Brandenburg Drucksache 6/11994 - 3 - Geldauflagen zugewiesen werden können, gibt es nicht. Im Hinblick auf die durch Art. 97 GG, Art. 108 Absatz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg garantierte richterliche Unabhängigkeit ist es der Landesregierung verwehrt, eine derartige Vorgabe für die Gerichte zu erlassen. Gründe, die für eine nur für die Staatsanwaltschaften geltende Verwaltungsvorschrift dieser Art sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Frage 3: Welche Rechenschaftspflichten haben die Empfänger gegenüber dem Präsidenten des Oberlandesgerichts sowie den zuweisenden Gerichten und Staatsanwaltschaften? zu Frage 3: Die Rechenschaftspflichten der Empfänger ergeben sich aus Abschnitt IV Nummer 1 der AV Geldauflagen. Danach fordert die listenführende Stelle zu Beginn eines jeden Jahres im Ergebnis einer stichprobenartigen Auswahl mindestens 25 in die Liste eingetragene, im Vorjahr nicht geprüfte Einrichtungen, denen nach den Verzeichnissen (Abschnitt III Nummer 3) in dem vorangegangenen Jahr Geldauflagen zugewiesen worden sind, auf, für das abgelaufene Jahr mitzuteilen: a. die Gesamthöhe der zugewiesenen Geldbeträge, b. die Gesamthöhe der erhaltenen Geldbeträge und c. die Verwendung der erhaltenen Geldbeträge. Vorrangig sind dafür Einrichtungen auszuwählen, denen im abgelaufenen Jahr Geldauflagen in einer Gesamthöhe ab 1000 Euro zugewiesen wurden. Unabhängig davon sind bei Anhaltspunkten für eine zweckwidrige Mittelverwendung die betreffenden Einrichtungen umgehend zur Berichterstattung unter Nachweisführung über die Verwendung der erhaltenen Geldbeträge aufzufordern. Frage 4: In welcher Höhe hat die Opferperspektive e.V. im Zeitraum zwischen 2010 und 2019 von brandenburgischen Gerichten und Staatsanwaltschaften Geldmittel aus Geldauflagen im Rahmen von Strafverfahren zugewiesen bekommen? (Bitte jährlich ausweisen.) zu Frage 4: In den Zusammenstellungen über die zugewiesenen Geldauflagen des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwältin des Landes Brandenburg werden Zuweisungen nur dann auf einzelne Einrichtungen bezogen statistisch ausgewertet, wenn sie in dem jeweiligen Jahr Beträge in Höhe von insgesamt über 1.000,00 Euro erhalten haben. Einrichtungen, denen in dem jeweiligen Jahr weniger als 1.000,00 Euro zugewiesen wurden, werden nicht einzeln aufgelistet. Diese Beträge werden nur als Gesamtsumme dargestellt. Für den Verein Opferperspektive e. V. sind in den Jahren 2010 bis 2018 folgende Zuweisungen aus Geldauflagen erfasst: Jahr Gesamtsumme der an die Opferperspektive e.V. zugewiesenen Geldauflagen in Euro 2010 3.625,00 2011 - 2012 1.550,00 2013 - 2014 5.250,00 Landtag Brandenburg Drucksache 6/11994 - 4 - 2015 5.300,00 2016 5.150,00 2017 8.550,00 2018 7.600,00 Die Angaben für das Jahr 2019 liegen noch nicht vor. Frage 5: In welcher Höhe hat im selben Zeitraum der Weiße Ring e.V. von brandenburgischen Gerichten und Staatsanwaltschaften Geldmittel aus Geldauflagen zugewiesen bekommen ? (Bitte jährlich ausweisen.) zu Frage 5: Es wird zunächst auf die Antwort zu Frage 4.) verwiesen. Für den Verein Weißer Ring e.V. sind in den Jahren 2010 bis 2018 folgende Zuweisungen aus Geldauflagen erfasst: Jahr Gesamtsumme der an den Weißen Ring e.V. zugewiesenen Geldauflagen in Euro 2010 35.763,00 2011 19.708,00 2012 19.700,00 2013 23.915,00 2014 47.460,00 2015 34.370,00 2016 25.625,00 2017 23.970,00 2018 36.520,00 Angaben aus dem Jahr 2019 liegen noch nicht vor. Frage 6: Wie bewertet die Landesregierung den oben zitierten Aufruf der Opferperspektive e.V. und das Bereitstellen von sogenannten Informationsmaterialien für Richter und Staatsanwälte im Hinblick auf die Chancengleichheit aller an Zuweisungen interessierten gemeinnützigen Vereinigungen? zu Frage 6: Potentielle Empfänger von Geldauflagen machen auf ganz unterschiedliche Art und Weise auf die Möglichkeit aufmerksam, ihnen als gemeinnützige Einrichtung Geldauflagen zukommen zu lassen. Nach den der Landesregierung vorliegenden Erkenntnissen gibt es eine Vielzahl gemeinnütziger Vereine, die in der Liste des Präsidenten des Oberlandesgerichts als Berechtigte für Geldauflagen gelistet sind, welche in ähnlicher Weise wie der Verein Opferperspektive e.V. versuchen, ihre Organisation im Bewusstsein der Entscheiderinnen und Entscheidern zu verankern. Gerichte und Staatsanwaltschaften werden von einigen Vereinen beispielsweise auch telefonisch oder persönlich kontaktiert. Die Übersendung von Informationsmaterialien oder Aufklebern mit Kontoverbindung und Überweisungsträger ist ebenso üblich. Die Nutzung des Internets erscheint in besonderer Landtag Brandenburg Drucksache 6/11994 - 5 - Weise geeignet, die Chancengleichheit zu gewähren, weil die darin veröffentlichten Informationen in der Regel frei zugänglich sind und den Entscheiderinnen und Entscheidern darüber hinaus Einblicke in das Tätigkeitsfeld des jeweiligen Vereins bieten. Bei den Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg hat die Art der Werbung zudem keine Bedeutung . Im Vorgangsbearbeitungssystem sind alle in der Liste nach der AV Geldauflagen geführten Vereine und Organisationen mit Adressen und Kontonummer im Computersystem hinterlegt, so dass entsprechendes Informationsmaterial in der Praxis regelmäßig nicht benötigt wird. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit ist daher nicht ersichtlich. Frage 7: Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen Richter oder Staatsanwälte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, das im Internet beworbene Informationsmaterial der Opferperspektive e.V. anzufordern? (Bitte bekannte Fälle nach Dienststelle je Kalenderjahr ausweisen.) zu Frage 7: Erkenntnisse zur Anforderung von Informationsmaterialien durch Richterinnen und Richter liegen nicht vor. Es ist auch kein Fall bekannt, in dem durch Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte Informationsmaterial bei der Opferperspektive e. V. angefordert wurde. Frage 8: Haben weitere Akteure des Beratungsnetzwerks „Tolerantes Brandenburg“ im Zeitraum zwischen 2010 und 2019 Zuweisungen von Geldauflagen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften erhalten? (Bitte die jeweilige Höhe der Gesamtzuweisung je Akteur nach Haushaltsjahren ausweisen.) zu Frage 8: Die Mitglieder des Beratungsnetzwerks „Tolerantes Brandenburg“ befinden sich in Trägerschaft von Vereinen. Neben den in der Antwort zu Frage 4 dargestellten Zahlungen an den Verein Opferperspektive e.V. hat ein weiterer Trägerverein eines Mitglieds des Beratungsnetzwerkes Zuweisungen aus Geldauflagen erhalten: Dem Verein Demokratie und Integration in Brandenburg e.V. sind in den Jahren 2012 und 2018 jeweils 1.500,- € zugewiesen worden. Es gilt auch hier die in der Antwort zu Frage 4 erläuterte Maßgabe.