Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/1417 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 507 der Abgeordneten Birgit Bessin der AfD-Fraktion Drucksache 6/1094 Schreibschrift in Schulen Wortlaut der Kleinen Anfrage 507 vom 10.04.2015: Zunehmende Digitalisierung, schlechte Feinmotorik und zu wenig häusliche Übung führen bei immer mehr Schülern bei Arbeiten mit verbundener Handschrift zu Schwierigkeiten, bis hin zu Verspannungen und Schreibkrämpfen. Diese Zustände werden aktuell ausführlich in einem Artikel der FAZ beschrieben. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse gibt es für das Land Brandenburg, die o.a. Problematik betreffend? 2. Gibt es in Brandenburg ähnliche Überlegungen wie in Finnland, die Schreibschrift in der Schule generell abzuschaffen, wenn ja, wie weit sind diese voran geschritten? 3. Ein Verzicht auf das Erlernen von Schreibschrift bedeutet gleichzeitig einen Verzicht auf das Einüben kognitiver und koordinativer Fähigkeiten. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung hier, die Schreibschrift nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch zu fördern, z.B. schon in Kitas? 4. Wie können eingangs beschriebene Problematiken ausgeglichen und wie den aufgezeigten negativen Auswirkungen begegnet werden? 5. Dem nachgewiesenen Zusammenhang zwischen motorischen und visuellen Gedächtnis ist sowohl das Erlernen der Schreibschrift als solches, als auch die tägliche Praxis förderlich. Mögliche Gesundheitsprobleme stehen dem aber entgegen. Welche Untersuchungen über derartige Gesundheitsprobleme liegen für das Land Brandenburg vor, wie werden diese erfasst und ausgewertet ? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Erfahrungen und Erkenntnisse gibt es für das Land Brandenburg, die o.a. Problematik betreffend? Zu Frage 1: Der Unterricht im Land Brandenburg zur Entwicklung einer Schreibschrift folgt den diesbezüglichen Vorgaben im Rahmenlehrplan Deutsch für die Grundschule (2004): „Druckschrift und Schreibschrift werden nacheinander eingeführt. Als Erstschrift ist eine unverbundene, serifenlose Druckschrift zu verwenden. Diese unterstützt das optische Durchgliedern der Wörter. Beim Schreiben der Druckschrift lernen die Schülerinnen und Schüler sinnvolle Bewegungs- und Schreibabläufe. Die Lehrerinnen und Lehrer achten auf eine entspannte Körper - und Stifthaltung. Die Feinmotorik wird auch durch andere Tätigkeiten, wie Schneiden, Falten, Basteln, entwickelt. Die Schreibschrift wird erst eingeführt, wenn die Schülerinnen und Schüler die meisten Buchstaben kennen, die Druckschrift sicher lesen können und ihre feinmotorischen Fertigkeiten entsprechend weit entwickelt sind. Bei der Auswahl der verbundenen Schrift ist darauf zu achten, dass diese formklar, leicht zu lernen und gut zu lesen ist. Schülerinnen und Schüler mit großen feinmotorischen Schwierigkeiten können weiterhin Druckschrift verwenden. Unterschiedliche Schreibmaterialien fordern zum Ausprobieren auf.“ FN1 Dieses im Rahmenlehrplan beschriebene Vorgehen wird durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich des Schriftspracherwerbs gestützt: „Wegen der Diskretion und deutlicheren Wahrnehmbarkeit, vor allem aber wegen der Schrifterfahrung der Kinder, die durch Texte in Druckbuchstaben (Kinderbücher, Zeitungen , Straßenschilder etc.) geprägt ist, beginnt der Schriftspracherwerb in allen heute üblichen Lehrgängen mit der Druckschrift. (…) Meist ab dem zweiten Schuljahr, wenn die Kinder bereits alle Buchstaben kennen und lernen, Texte zu verfassen, kommt die Schreibschrift hinzu.“FN2 Für das Land Brandenburg gibt es bislang keine wissenschaftlichen Studien, die die Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler bezüglich einer flüssigen verbundenen Handschrift untersucht haben. Auch die Umfrage des Instituts für Schreibmotorik , die in Kooperation mit dem Deutschen Lehrerverband erstellt wurde, zeigt für das Land Brandenburg keine repräsentativen, verallgemeinernden Ergebnisse, da von den insgesamt beteiligten 2.000 Lehrkräften lediglich fünf Prozent aus dem Land Brandenburg stammen (vier Prozent Lehrkräfte von Grundschulen, ein Prozent Lehrkräfte von weiterführenden Schulen). FN 1 Vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg/Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin (Hrsg.): Rahmenlehrplan Grundschule/Deutsch. Berlin 2004, S. 26 f. FN 2 Ursula Bredel, Nanna Fuhrhop, Christina Noack: Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Tübingen 2011, S. 83. Zusammenfassend beschreibt Prof. Dr. Ursula Bredel das Verhältnis von Druckschrift und Schreibschrift so, dass „…die Druckschrift eher den Leseprozess, die Schreibschrift eher den Schreibprozess unterstützt.“FN3 BrinkmannFN4, Füssenich/LöfflerFN5 und WeinholdFN6 u.a. betonen die Nutzung der Schrift von Anfang an als kommunikatives Werkzeug, den Zugang zu allen Buchstaben sowie den Erwerb der alphabetischen Strategie als Basis für das Rechtschreiblernen und damit die Ersteinführung der Druckschrift. Sie verweisen auf das Schreibenlernen als motorischen Prozess und die Entwicklung einer flüssigen und gut lesbaren Handschrift. Frage 2: Gibt es in Brandenburg ähnliche Überlegungen wie in Finnland, die Schreibschrift in der Schule generell abzuschaffen, wenn ja, wie weit sind diese voran geschritten? Zu Frage 2: Der Unterricht im Kompetenzbereich „Schreiben – Texte verfassen/Rechtschreiben“ muss sich in den Grundschulen aller Bundesländer an den von der Kultusministerkonferenz 2004 erstellten „Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich “FN7 orientieren. Dort ist im Kompetenzbereich „Schreiben“ als Teilfertigkeit aufgeführt , dass die Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 4 über die Kompetenz verfügen sollen, „eine gut lesbare Handschrift flüssig schreiben“FN8 zu können. Der Erwerb dieser Kompetenz wird im derzeitig gültigen Rahmenlehrplan Deutsch für die Grundschule in den Ausführungen zum Schriftspracherwerb (siehe voranstehend zu Frage 1), in den Standards sowie in den Anforderungen zum Aufgabenbereich „Schreiben – Texte verfassen/Rechtschreiben“ zu allen Doppeljahrgangsstufen beschriebenFN9. Die Frage einer Abschaffung stellt sich nicht. Welche verbundene Schrift im Unterricht erlernt wird, schreibt die Landesregierung gemäß den Bildungsstandards der KMK nicht vor. Die Schrift muss jedoch den im Rahmenlehrplan beschriebenen Kriterien „formklar, leicht zu lernen, gut zu lesen“ entsprechen. Frage 3: Ein Verzicht auf das Erlernen von Schreibschrift bedeutet gleichzeitig einen Verzicht auf das Einüben kognitiver und koordinativer Fähigkeiten. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung hier, die Schreibschrift nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch zu fördern, z.B. schon in Kitas? FN3 Ebenda, S. 83. FN4:Erika Brinkmann: Konzeptionelle Grundlagen und methodische Hilfen für den Rechtschreibunterricht. LISUM BerlinBrandenburg 2014. FN5 Iris Füssenich/Cordula Löffler: Schriftspracherwerb. München 2005. FN6 Swantje Weinhold: Grundlagen der Deutschdidaktik. Baltmannsweiler 2007. FN7 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Beschluss vom 15.10.2004. München 2005 FN8 Ebenda, S. 10. FN9 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg/Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin (Hrsg.): ebenda, S. 19 f, S. 26 f, S. 31 f. Zu Frage 3: Im gemeinsamen Orientierungsrahmen für die Bildung in Kindertagesbetreuung und GrundschuleFN10 wird im „Qualitätsmerkmal 3 – Eine gemeinsame Vorstellung von einer neuen Lernkultur gewinnen“ ausgeführt, dass für „den Schriftspracherwerb, das mathematische Denken und die Aneignung von Weltwissen … den Kindern von den Pädagoginnen und Pädagogen je nach Entwicklungsstand und Interesse sowohl in der Kindertagesstätte als auch in der Grundschule Erfahrungs- und Erprobungsräume angeboten“ werden: „So entfalten sich Kompetenzen als Kontinuum.“ Dies ist ein Beispiel dafür, dass der Schriftspracherwerb frühzeitig in der Kindertagesbetreuung im Land Brandenburg einsetzt und entsprechend gefördert wird. In den für Kindertagesstätten in Brandenburg verbindlichen Grundsätzen elementarer Bildung heißt es: „Schon in der Vorschulzeit sind Kinder sehr interessiert daran, vielfältige Erfahrungen mit Buchstaben und Zeichen zu machen. Das Abdrängen von Schreiben und Lesen in den schulischen Bildungskanon befriedigt die Neugierde der meisten Kinder nicht. Das Fundament zum Schreiben- und Lesenlernen legt bereits der Kindergarten. Dafür bedarf es einer offenen Lernumgebung , die es jedem einzelnen Mädchen und Jungen ermöglicht, entsprechend seiner Fähigkeiten die geschriebene Sprache zu erfassen.“ Schreiben ist, wie die Sprachbildung, eine fachübergreifende Anforderung, auf die alle unterrichtenden Fachlehrkräfte achten. Frage 4: Wie können eingangs beschriebene Problematiken ausgeglichen und wie den aufgezeigten negativen Auswirkungen begegnet werden? Zu Frage 4: „Unbestritten ist, dass eine leserliche Handschrift und ein ästhetisches Schriftbild wichtige Bildungsziele sind.“FN11 Dieser Auffassung schließt sich die Landesregierung an. Auf dem Weg zur Entwicklung einer individuellen, flüssigen und gut lesbaren Handschrift brauchen die Kinder Zeit und intensive Begleitung. So schreibt Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen, Lehrstuhlinhaberin für Allgemeine Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Potsdam: „Die Herausbildung eines flüssigen Schreibflusses, eben die Automatisierung visuell-motorischer Koordination, ist Ziel aller Schreibübungen. (…) Insofern hier also das eindeutige Votum, Kinder von Anfang an zu einem sorgfältigen und vielfältigen Umgang mit Schrift anzuhalten, insbesondere jene, die hier Probleme zeigen. Gerade Zeitdruck wirkt sich hier besonders fatal aus.“FN12 Die Vorgaben im Rahmenlehrplan wie auch die Fortbildungen sowie aktuelle Fachliteratur zum Schriftspracherwerb unterstützen Lehrkräfte im Land Brandenburg, kom- FN10 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg. 2009) S. 36 . FN11 Stefan Jeuk: Schriftsprache erwerben. Didaktik für die Grundschule. Berlin 2013, S. 139. FN12 Agi Schründer-Lenzen: Schriftspracherwerb und Unterricht. Bausteine professionellen Handlungswissens. Wiesbaden 2009, S. 215. petent ihre Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung einer flüssigen, gut lesbaren eigenen Handschrift zu begleiten. Frage 5: Dem nachgewiesenen Zusammenhang zwischen motorischen und visuellen Gedächtnis ist sowohl das Erlernen der Schreibschrift als solches, als auch die tägliche Praxis förderlich. Mögliche Gesundheitsprobleme stehen dem aber entgegen. Welche Untersuchungen über derartige Gesundheitsprobleme liegen für das Land Brandenburg vor, wie werden diese erfasst und ausgewertet? Zu Frage 5: Der Landesregierung liegen keine Untersuchungen zu „möglichen“ oder tatsächlichen Gesundheitsproblemen in diesem Zusammenhang vor. Die Annahme solcher Untersuchungen ergibt sich auch nicht aus dem möglicherweise von der Fragestellerin in Bezug genommenen Artikel „Erschöpft nach 30 Minuten – Handschrift von Schülern immer schlechter“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 01.04.2015 (von Heike Schmoll, Berlin).