Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/1539 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 558 der Abgeordneten Danny Eichelbaum und Barbara Richstein der CDU-Fraktion Drucksache 6/1264 Traumaambulanzen in Brandenburg Wortlaut der Kleinen Anfrage 558 vom 28.04.2015: Die psychiatrischen Fachkrankenhäuser bzw. psychiatrischen Fachabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern in Brandenburg verfügen jeweils über eine psychiatrische Institutsambulanz zur ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Ver- sorgung. Eine Weiterentwicklung hin zu einem Netz von Traumaambulanzen ist bis- her nicht erfolgt. Zur besseren Betreuung und Beratung von traumatisierten Gewalt- opfern bietet nur die Opferberatungsstelle Potsdam seit Februar 2013 im Rahmen eines von der Aktion Mensch e. V. geförderten dreijährigen Modellprojekts zusätzlich insbesondere auch professionelle psychotraumatologische Akuthilfen zur Verhinde- rung der Entwicklung von Traumafolgestörungen in der ersten Phase direkt nach dem Trauma sowie Psycho(trauma)therapien zur Vermeidung einer Chronifizierung bereits entstandener Traumafolgestörungen an. Wir fragen die Landesregierung: 1. In welchem Umfang hat (oder plant) die Landesregierung jeweils in den Jahren 2010 bis 2016 Landesmittel zur Unterstützung traumatisierter Verbrechensopfer zur Verfügung gestellt? 2. Wie lange dauert es durchschnittlich bis man in Brandenburg professionelle psychotraumatologische Akuthilfen sowie einen Psycho(trauma)therapieplatz erhält (ggf. stichprobenartige Abfrage; Bitte auch im Bundesvergleich angeben)? 3. Wie viele auf Traumatherapie spezialisierte Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten gibt es jeweils in Brandenburg sowie in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten? 4. Wie bewertet die Landesregierung angesichts mutmaßlich monatelanger Wartezeiten die einhellige wissenschaftliche Auffassung von Psychologen und Psycho- therapeuten, wonach nur ein Therapiebeginn innerhalb kürzester Zeit nach dem traumatischen Ereignis eine „restitutio ad integro“ erwarten lässt? 5. Wie bewertet die Landesregierung das auf drei Jahre angelegte Potsdamer Modellprojekt ? Wurde bzw. wird das Modellprojekt evaluiert? Welche Erfahrungen und Ergebnisse wurden bisher gesammelt? 6. Soll das Modellprojekt nach Auslaufen der Zeit weitergeführt werden? Wenn ja, in welcher Art und Weise? Wenn nein, warum nicht? 7. Soll das Modellprojekt auf andere Landesteile Brandenburgs ausgedehnt werden ? Wenn ja, auf welche und in welcher Art und Weise? Wenn nein, warum nicht? 8. Plant die Landesregierung in diesem Zusammenhang den Aufbau sogenannter Traumaambulanzen nach nordrhein-westfälischem Vorbild, die allen Traumaopfern sofort für mindestens fünf Therapieeinheiten ohne vorherige Begutachtung und ohne vorherige Kostenübernahmeregelung zur Verfügung stehen? 9. Wie bewertet sie grundsätzlich solche Traumaambulanzen? 10. Können Traumaambulanzen auch dazu beitragen, dass die strafrechtliche Be- weissicherung bei Opfern von Gewalt verbessert wird. 11. In welchen weiteren Bundesländern wurden bislang den nordrhein-westfälischen Traumaambulanzen vergleichbare Einrichtungen aufgebaut? 12. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um bei der Opferhilfe und - versorgung staatliche Stellen wie Polizei und Staatsanwaltschaft mit traumatologischen Einrichtungen und Opferverbänden wie beispielsweise dem Weissen Ring e. V. besser zu vernetzen? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Ge- sundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: In welchem Umfang hat (oder plant) die Landesregierung jeweils in den Jahren 2010 bis 2016 Landessmittel zur Unterstützung traumatisierter Verbrechens- opfer zur Verfügung gestellt? zu Frage 1: Die Landesregierung hat von 2010 bis 2014 eine Vielzahl von Organisationen, die sich aktiv dem Opferschutz widmen, finanziell gefördert und beabsichtigt diese För- derung auch fortzuführen. Zu den Hilfeangeboten dieser Organisationen und Verei- ne, wie z.B. der Opferhilfe Land Brandenburg e.V., der Opferperspektive e.V. oder den Frauenhäusern gehört auch eine erste Beratung und Stabilisierung traumatisier- ter Gewaltopfer und ggf. die Weitervermittlung zur weiteren Behandlung in das Re- gelversorgungssystem wie z.B. an eine Psychotherapeutin/einen Psychotherapeuten oder an eine Psychiatrische Institutsambulanz. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) hat im betreffenden Zeitraum aus Haushaltsmitteln die Beratung von Betroffenen rechtsextremer Gewalt durch den Verein „Opferperspektive e.V.“ gefördert. Insgesamt wurde/wird der Verein Opferper- spektive e.V. mit folgenden Beträgen gefördert: 2010 211.615,86 €, 2011 261.618,70 €, 2012 255.779,77 €, 2013 258.499,82 €, 2014 282.063,18 €, 2015 291.851,82 € (geplant), 2016 rd. 300.000 € (geplant). Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) för- dert für erwachsene Opfer von sexueller Gewalt das Projekt „Vergewaltigt – was nun? Medizinische Soforthilfe und vertrauliche Spurensicherung“ in vier Kliniken des Landes Brandenburg (Cottbus, Frankfurt/Oder, Neuruppin, Potsdam). Dabei geht es zwar nicht in erster Linie um die Behandlung von Traumatisierungen, sondern um die medizinische Betreuung, Beratung, Information und um die vertrauliche Spurensiche- rung (für den Fall einer späteren Anzeige). Die Kliniken sind jedoch gehalten, die Op- fer bei Bedarf über die Trau-mabehandlung zu beraten und an die entsprechenden Stellen zu verweisen. Zu Beginn des Projektes im Jahr 2014 standen Mittel in Höhe von 7.000 € zur Verfügung. Eine Weiterführung des Projektes in den Jahren 2015 und 2016 mit einer jährlichen Förderung in Höhe von 5.000 € ist geplant. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz (MdJEV) hat in dem betreffenden Zeitraum im Haushalt des Einzelplans 04 folgende Haushaltsmittel zur Unterstützung traumatisierter Verbrechensopfer ausgebracht bzw. vorgesehen: Für Zuwendungen zum Projektfeld „Psychosoziale Prozessbegleitung“ (Titel 684 20) sind im Kapitel 04 020 erstmalig im Haushaltsplanentwurf 2015/16 für das Haushalts- jahr 2015 Mittel in Höhe von 50.000 € und für das Haushaltsjahr 2016 Mittel in Höhe von 100.000 € vorgesehen. Für Zuwendungen zum Projektfeld „Opferberatung“ und „Täter-Opfer-Ausgleich“ (Ti- tel 684 20) sind im Kapitel 04 080 in den Haushaltsjahren 2010 bis 2014 jeweils Mit- tel in Höhe von 235.000 € ausgebracht worden und ebenfalls für die Haushaltsjahre 2015 und 2016 etatisiert. Die Mittel sind vorgesehen für Projekte zur Betreuung und Beratung von Kriminalitätsopfern und für Projekte des Täter-Opfer-Ausgleichs aus dem Bereich der Gewaltkriminalität, hier insbesondere in den Feldern: - Gewalt gegen Kinder, - Politische Gewalt, - Opfer von Sexualstraftaten. Frage 2: Wie lange dauert es durchschnittlich bis man in Brandenburg professionelle psychotraumatologische Akuthilfen sowie einen Psycho(trauma)therapieplatz erhält (ggf. stichprobenartige Abfrage; Bitte auch im Bundesvergleich angeben)? zu Frage 2: Zu Frage 2 liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Eine sofortige Versorgung von psychotraumatologischen Notfällen wird durch die Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA), die an den 18 psychiatrischen Kliniken gut über das Land Brandenburg verteilt sind, gewährleistet. Die Hilfen der PIA kön- nen während ihrer Öffnungszeiten ohne Voranmeldung und ohne Überweisung in Anspruch genommen werden. In den PIA arbeiten Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztinnen und Ärzte mit Facharztstandard Psy- chiatrie und Psychotherapie, die über die notwendige Fachkompetenz zur Diagnostik und Therapie von Traumatisierungen verfügen. Frage 3: Wie viele auf Traumatherapie spezialisierte Ärzte, Psychologen und Psy- chotherapeuten gibt es jeweils in Brandenburg sowie in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten? zu Frage 3: Alle Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und approbier- ten psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind dafür aus- gebildet, Traumafolgestörungen zu erkennen und zu behandeln. In Brandenburg sind ausweislich des aktuellen Bedarfsplanes der Kassenärztlichen Vereinigung derzeit insgesamt 566 Fachärztinnen / Fachärzte und Psychotherapeutinnen / Psychothera- peuten in der vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Versorgung tätig. Näheres zur regionalen Verteilung ist dem Bedarfsplan unter www.kvbb.de zu entnehmen. Mit der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie für die ambulante Versorgung wurden die Zulassungsmöglichkeiten insbesondere für Psychotherapeuten verbes- sert, so dass die Zahl der Vertragspsychotherapeutinnen und -therapeuten in den Jahren 2013 bis 2014 in Brandenburg ausweislich der Bedarfsplanung der Kassen- ärztlichen Vereinigung Brandenburg von 378 auf 428 gestiegen ist. Hinzu kommen noch die in den Fachkrankenhäusern und Fachabteilungen von Krankenhäusern und ihnen angeschlossenen Tageskliniken und Psychiatrischen Institutsambulanzen täti- gen Ärzte und Psychotherapeuten. Insgesamt gibt es in Brandenburg 18 vollstationä- re Einrichtungen für Psychiatrie und Psychotherapie, eine gleiche Anzahl Psychiatri- sche Institutsambulanzen und 42 Tageskliniken. Näheres zur regionalen Verteilung ist dem aktuellen Krankenhausplan unter www.masgf.brandenburg.de zu entneh- men. In besonderen Fällen können für die Behandlung von Traumaopfern Spezialkennt- nisse erforderlich sein. Die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer (OPK) bietet eine Fortbildungsqualifikation „Psychotraumatherapie OPK“ an, die im Land Bran- denburg 10 psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten absol- viert haben. Eine entsprechende Übersicht „Psychotraumatherapie-Liste“ ist auf der Seite der OPK www.opk-info.de eingestellt. Frage 4: Wie bewertet die Landesregierung angesichts mutmaßlich monatelanger Wartezeiten die einhellige wissenschaftliche Auffassung von Psychologen und Psy- chotherapeuten, wonach nur ein Therapiebeginn innerhalb kürzester Zeit nach dem traumatischen Ereignis eine „restitutio ad integro“ erwarten lässt? zu Frage 4: Nach den Leitlinien zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (AWMF 2011) sind als erste Maßnahmen das Herstellen einer sicheren Umgebung (Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung), die Organisation eines psycho-sozialen Helfersys- tems und die Informationen über Traumata und Möglichkeiten der Bewältigung wich- tig. Sinnvoll ist eine frühzeitige Unterstützung durch eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten mit Traumatherapieerfahrung. Das bedeutet aber nicht, dass allen Betroffenen eine Traumatherapie zu verordnen ist. Das ist weder fachlich indiziert noch wird es von Betroffenen gewünscht. Eine „restitutio ad integrum“ ist in vielen Fällen ein unrealistisches Ziel. Frage 5: Wie bewertet die Landesregierung das auf drei Jahre angelegte Potsdamer Modellprojekt? Wurde bzw. wird das Modellprojekt evaluiert? Welche Erfahrungen und Ergebnisse wurden bisher gesammelt? Frage 6: Soll das Modellprojekt nach Auslaufen der Zeit weitergeführt werden? Wenn ja, in welcher Art und Weise? Wenn nein, warum nicht? Frage 7: Soll das Modellprojekt auf andere Landesteile Brandenburgs ausgedehnt werden? Wenn ja, auf welche und in welcher Art und Weise? Wenn nein, warum nicht? zu Fragen 5, 6 und 7: Die Fragen 5 bis 7 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Das Modellprojekt „Traumaambulanz und Opferberatung“ in Potsdam wurde von der Opferhilfe Land Brandenburg e.V. initiiert; es wird für die Dauer von drei Jahren bis August 2015 mit Mitteln der Aktion Mensch gefördert. Eine Evaluation des Projektes ist vorgesehen, eine Bewertung des Projektes kann jedoch erst nach Vorliegen der Abschlussevaluation vorgenommen werden. Frage 8: Plant die Landesregierung in diesem Zusammenhang den Aufbau soge- nannter Traumaambulanzen nach nordrhein-westfälischem Vorbild, die allen Traumaopfern sofort für mindestens fünf Therapieeinheiten ohne vorherige Begut- achtung und ohne vorherige Kostenübernahmeregelung zur Verfügung stehen? Frage 9: Wie bewertet sie grundsätzlich solche Traumaambulanzen? zu Fragen 8 und 9: Hierzu wird auf die Antwort der Landesregierung auf Frage 9 der Kleinen Anfrage Nr. 3464 (Landtagsdrucksache 5/8896) und auf die Antwort der Landesregierung auf Frage 2 der Kleinen Anfrage 2475 (Landtagsdrucksache 5/6433) verwiesen. In den Regelstrukturen der psychiatrisch/ psychotherapeutischen Versorgung im Land sind Möglichkeiten auch für die Behandlung von traumatisierten Gewaltopfern vorhanden. Alle 18 psychiatrischen Fachkrankenhäuser bzw. psychiatrischen Fachabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern in Brandenburg verfügen über eine psychiatrische Insti- tutsambulanz zur ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Versor- gung derjenigen Versicherten, die wegen Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung oder wegen zu großer Entfernung zu geeigneten Ärztinnen und Ärzten auf die Be- handlung durch diese Krankenhäuser angewiesen sind. Im Weiteren bleibt die in der Koalitionsvereinbarung des Bundes angekündigte Ände- rung des Opferentschädigungsgesetzes abzuwarten, durch die möglicherweise neue, bundesgesetzliche Finanzierungsregelungen für die Behandlung von Opfern von Gewalttaten geschaffen werden. Frage 10: Können Traumaambulanzen auch dazu beitragen, dass die strafrechtliche Beweissicherung bei Opfern von Gewalt verbessert wird? zu Frage 10: Die Landesregierung verfügt über keine Erhebungen, inwieweit Traumaambulanzen dazu beitragen, die strafrechtliche Beweissicherung bei Opfern von Gewalt zu ver- bessern. Gleichwohl liegt es nahe, dass Opfer von Gewalttaten mit psychotherapeu- tischer oder fachärztlicher Hilfe oder den Angeboten einer Traumaabulanz emotional stabilisiert werden. Die psychische Stabilisierung von Opferzeugen dürfte sich grund- sätzlich positiv auf die Beweiserhebung und Wahrheitserforschung in einem Ermitt- lungs- bzw. Strafverfahren auswirken. Dies gilt insbesondere im Zusammenwirken mit anderen in der Strafprozessordnung vorgesehenen Hilfestellungen für (Opfer- )Zeugen, etwa in Form der psychosozialen Prozess- und Zeugenbegleitung. Frage 11: In welchen weiteren Bundesländern wurden bislang den nordrhein- westfälischen Traumaambulanzen vergleichbare Einrichtungen aufgebaut? zu Frage 11: Ein vollständiger Überblick über bestehende Traumaambulanzen nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens in anderen Bundesländern liegt der Landesregierung nicht vor. Aufgrund eigener Recherchen konnte ermittelt werden, dass die Länder Berlin, Ham- burg, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg als Modellprojekt Traumaambulanzen für eine Erstbehandlung von Gewaltopfern eingerichtet haben. Frage 12: Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um bei der Opferhilfe und -versorgung staatliche Stellen wie Polizei und Staatsanwaltschaft mit traumato- logischen Einrichtungen und Opfer-verbänden wie beispielsweise dem Weissen Ring e. V. besser zu vernetzen? zu Frage 12: Der Landesregierung sind keine Defizite in der Zusammenarbeit zwischen Opferver- bänden und Staatsanwaltschaft bekannt. Die Zusammenarbeit gestaltet sich im Be- reich Opferschutz seit langen Jahren gut und hat sich bewährt. Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammenarbeit mit traumatologischen Einrichtungen anders zu bewerten wäre, liegen nicht vor. Für die Standorte der Opferberatungsstellen in Brandenburg wurden zudem jeweils konkrete Ansprechpartner in den Psychiatrischen Institutsam- bulanzen in der jeweiligen Region benannt, an die sich die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter der Opferberatungsstellen wenden können.