Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/1808 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 652 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher und Marie Luise von Halem der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 6/1482 Absenkung der Unterbringungsstandards in Gemeinschaftsunterkünften Wortlaut der Kleinen Anfrage 652 vom 20.05.2015: Aktuell stehen einem Flüchtling im Land Brandenburg mindestens 6 qm Wohnfläche zu. Ein Landtagsbeschluss zum Nachtragshaushalt 2014 sieht für neu geschaffene Flüchtlingsunterkünfte ein angemesseneres Platzangebot von mindestens 8 qm pro Person vor. Eine ausreichende Größe des Wohnraums für Flüchtlinge ist eine Frage der Menschenwürde. Damit wird auch ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Im Oktober 2014 berieten sich Vertreterinnen und Vertreter des MASGF, der Kreise, kreisfreien Städte sowie des Innenministeriums zu der Unterbringung von Flüchtlin- gen. In der zugehörigen Presseinformation vom 16.10.2014 steht, dass das MASGF den Kommunen die Möglichkeit zusichert, die bestehenden Unterbringungsstandards in Gemeinschaftsunterkünften absenken zu dürfen. Als Beispiel wird aufgeführt, dass die Wohnfläche pro Person bei „unabweisbarer Notwendigkeit“ von sechs auf fünf Quadratmeter verringert werden darf. Diese Regelung kann für eine Dauer von drei Monaten angewendet werden, mit einer Verlängerungsmöglichkeit im „Ausnahmefall“ um weitere drei Monate. Zusätzlich wird die Möglichkeit benannt, allgemein genutzte Räume in den Gemeinschaftsunterkünften für einen “kurzen Zeitraum“ auch zur Un- terbringung nutzen zu dürfen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie definiert die Landesregierung a) eine „unabweisbare Notwendigkeit“, b) den „Ausnahmefall“, c) die Länge eines „kurzen Zeitraums“? Wenn diese Definitionen nicht durch die Landesregierung erfolgen, wer nimmt die- se vor und wie werden sie durch die Landesregierung geprüft? 2. Gibt es neben der Verringerung der Wohnfläche weitere Unterbringungsstandards, die Gemeinschaftsunterkünfte zumindest zeitweilig nicht erfüllen müssen? Wenn ja, welche? 3. Müssen Betreiberinnen und Betreiber bzw. zuständige Kommunen die Absenkung der (Wohnflächen-)Standards im Vorfeld beantragen oder die Landesregierung darüber informieren? Wenn nein, warum nicht? 4. In wie vielen und in welchen Gemeinschaftsunterkünften wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die (Wohnflächen-)Standards zu verringern? Wie und durch wen wird überprüft, ob die abgesenkten Standards eingehalten werden und die maximale Dauer von sechs Monaten eingehalten wird? 5. Gibt es von den Kommunen genutzte zentrale Unterkünfte für Flüchtlinge, die nicht als Gemeinschaftsunterkünfte definiert werden, beispielsweise Notunterkünfte ? Wenn ja, wie viele sind es und wo sind sie? Welche Unterbringungsstandards gelten für diese Unterkünfte und in welcher Höhe werden die Kosten dafür durch das Land erstattet? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Ge- sundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Nach dem Landesaufnahmegesetz ist den Kommunen die Aufgabe der Aufnahme und Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung übertragen. Die Kommunen erhalten vom Land eine Jahreserstat- tungspauschale für jede aufgenommene Person von derzeit 9.128 Euro. Die Erstat- tung erfolgt jährlich auf Antrag, wobei vierteljährlich Abschlagszahlungen auf Antrag gewährt werden. Zuständig für das Erstattungsverfahren ist das Landesamt für Sozi- ales und Versorgung (LASV). Voraussetzung für die Erstattung der Jahrespauschale in voller Höhe ist gemäß § 2 Abs. 1 Nummer 2 Erstattungsverordnung die Einhaltung der Mindestbedingungen, welche im Runderlass des Ministeriums für Arbeit, Sozia- les, Gesundheit und Familie vom 8. März 2006 zu den Mindestbedingungen für den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften und die soziale Betreuung nach der Erstat- tungsverordnung zum Landesaufnahmegesetz geregelt sind. So soll für jede Person u.a. gemäß Nr. 1.1.1 Ziffer 1. des vorgenannten Erlasses eine Wohnfläche von min- destens sechs Quadratmetern sowie Gemeinschaftsräume zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 der Erstattungsverordnung kann die Pau- schale im angemessenen Umfang abgesenkt werden, wenn Mindestbedingungen nicht eingehalten werden. Infolge des deutlichen Anstiegs der Flüchtlingszahlen seit 2013/2014 haben sich - wie bekannt - die Herausforderungen zur Schaffung weiterer Unterbringungsmög- lichkeiten für die Kommunen spürbar erhöht. Zur Sicherstellung der Erfüllung der Aufnahmeverpflichtung der Kommunen und zur Vermeidung von sog. Notunterkünf- ten hat das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie in Aus- übung seines ihm obliegenden Ermessens im Rahmen einer sorgfältigen Güterab- wägung dem LASV im Oktober 2014 die Weisung erteilt, die Jahrespauschale auch in den Fällen ungekürzt zu erstatten, bei denen auf Antrag der Kommunen bei be- gründeter unabweisbarer Notwendigkeit vorübergehend für drei Monate im Rahmen von Verdichtungsmaßnahmen die pro Person zur Verfügung stehende Wohnfläche auf fünf Quadratmeter reduziert wurde. Im begründeten Ausnahmefall wurde eine Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Monate eingeräumt. Vor dem Hintergrund einer Verdreifachung der Zugänge im laufenden Jahr soll diese Ermessensausübung mit einem verlängerten Zeitraum fortgesetzt werden. 1. Wie definiert die Landesregierung a) eine „unabweisbare Notwendigkeit“, b) den „Ausnahmefall“, c) die Länge eines „kurzen Zeitraums“? Wenn diese Definitionen nicht durch die Landesregierung erfolgen, wer nimmt diese vor und wie werden sie durch die Landesregierung geprüft? zu Fragen 1 a) bis c): Die Definition ergibt sich unter Berücksichtigung der eingangs dargelegten Zielstel- lung: Eine „unabweisbare Notwendigkeit“ liegt danach vor, wenn keine andere kurz- fristige Unterbringungsalternative unter Einhaltung der vorgenannten Mindestbedin- gung realisierbar ist. Die Einräumung der Möglichkeit einer „Verdichtung“ ist als Überbrückungsmaßnahme zu verstehen, um der betreffenden Kommune die Gele- genheit zu geben, die benötigten regulären Plätze zu schaffen. Ein Ausnahmefall ist dann gegeben, wenn trotz aller zumutbaren Bemühungen eine der räumlichen Mindestbedingung entsprechende Unterbringungsalternative inner- halb der drei Monate nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Auch die ausnahms- weise zugelassene Nutzung von Gemeinschaftsräumen zur Unterbringung von Per- sonen kann als Notmaßnahme nur vorübergehend ergriffen werden, solange auf kei- ne andere Unterbringungsalternative zurückgegriffen werden kann. Für diese Aus- nahme von Nummer 1.1.1 Ziffer 1. des vorgenannten Erlasses gilt der oben be- schriebene Zeitrahmen. Frage 2: Gibt es neben der Verringerung der Wohnfläche weitere Unterbringungs- standards, die Gemeinschaftsunterkünfte zumindest zeitweilig nicht erfüllen müssen? Wenn ja, welche? zu Frage 2: Die Verdichtung in einer Einrichtung hat zur Folge, dass sich mehr Bewohnerinnen und Bewohner die Gemeinschaftsküchen und sanitären Anlagen vorübergehend tei- len. Frage 3: Müssen Betreiberinnen und Betreiber bzw. zuständige Kommunen die Ab- senkung der (Wohnflächen-)Standards im Vorfeld beantragen oder die Landesregie- rung darüber informieren? Wenn nein, warum nicht? zu Frage 3: Die Landkreise und kreisfreien Städte zeigen entsprechende Maßnahmen zuvor ge- genüber dem LASV mit einem Formblatt an und begründen diese. Nach Prüfung durch das LASV wird die vorübergehende Verdichtung befristet für drei Monate be- stätigt. Frage 4: In wie vielen und in welchen Gemeinschaftsunterkünften wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die (Wohnflächen-)Standards zu verringern? Wie und durch wen wird überprüft, ob die abge-senkten Standards eingehalten werden und die maximale Dauer von sechs Monaten eingehalten wird? zu Frage 4: Der nachfolgenden Tabelle sind die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Standorte der Gemeinschaftsunterkünfte zu entnehmen, bei denen von der Möglich- keit Gebrauch gemacht wurde, befristet die Mindeststandards zu verringern. Aus Si- cherheitsgründen wird auf die Angabe der vollständigen Adressen verzichtet: Nr. Landkreis / kreisfreie Stadt Gemeinschaftsunterkunft 1 Brandenburg a.d. H. 1 Standort 2 Barnim Oderberg 3 Barnim Althüttendorf 4 Barnim Wandlitz 5 Barnim Eberswalde 6 Elbe-Elster Herzberg 7 Havelland Friesack 8 Märkisch-Oderland Neuhardenberg 9 Oberhavel Stolpe-Süd 10 Oberhavel Oranienburg 11 Oberspreewald- Lausitz Lauchhammer 12 Spree-Neiße Forst 13 Spree-Neiße Forst 14 Teltow-Fläming Luckenwalde 15 Teltow-Fläming Luckenwalde 16 Teltow-Fläming Ludwigsfelde 17 Teltow-Fläming Jüterbog 18 Uckermark Prenzlau (Quelle: LASV) Anhand von vorgelegten Grundrissen, Belegungslisten und monatlichen Belegungs- abrechnungen wird vom LASV geprüft, wieviel Bewohnerinnen und Bewohner auf den angegebenen Raumflächen untergebracht sind. Eine Verdichtung der Wohnflä- che darf minimal auf fünf Quadratmeter pro Bewohnerin und Bewohner vorgenom- men werden. Diese überprüfte vorübergehende Kapazitätserhöhung wird dem Land- kreis bzw. der kreisfreien Stadt befristet auf drei Monate bestätigt. Vor Ablauf der drei Monate wird beim Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt darauf hingewiesen, dass die Mindestbedingungen von sechs Quadratmetern pro Bewohner wieder einzuhalten sind. Sollte dem Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt eine Auflösung der Verdichtung nach drei Monaten nicht möglich sein, kann im Einzelfall eine begründete Verlänge- rung beim LASV beantragt werden. Frage 5: Gibt es von den Kommunen genutzte zentrale Unterkünfte für Flüchtlinge, die nicht als Gemeinschaftsunterkünfte definiert werden, beispielsweise Notunter- künfte? Wenn ja, wie viele sind es und wo sind sie? Welche Unterbringungsstan- dards gelten für diese Unterkünfte und in welcher Höhe werden die Kosten dafür durch das Land erstattet? Zu Frage 5: Vorübergehend genutzte Unterkünfte, bei denen eine Einhaltung der Mindeststan- dards nicht vollständig gewährleistet ist, werden beim LASV angezeigt und geprüft. Auch hier soll eine Mindestwohnfläche von fünf Quadratmetern pro Person nicht un- terschritten werden. Die Nutzung einer vorübergehenden Unterkunft ist grundsätzlich auf drei Monate begrenzt. Eine Verlängerung ist im begründeten Einzelfall möglich. Für vorübergehende Unterkünfte gelten dieselben Bestimmungen wie für die Ver- dichtungsmaßnahmen in Gemeinschaftsunterkünften mit der Folge, dass damit keine Auswirkungen auf die Kostenerstattung verbunden sind. Die Anzahl und die Standor- te von vorübergehenden Unterkünften kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: Nr. Landkreis / kreisfreie Stadt Vorübergehende Unter- kunft 1 Märkisch-Oderland Hoppegarten 2 Oberhavel Oranienburg 3 Oberspreewald-Lausitz Senftenberg Schipkau 4 Ostprignitz-Ruppin Wittstock Neuruppin Gnewikow 5 Uckermark Angermünde (Quelle: LASV) Hiervon zu unterscheiden sind sog. Notunterkünfte, die im Sinne von unabweisbaren Notmaßnahmen vorrangig auf ordnungsbehördlichen Grundlagen die Nutzung von Turn- bzw. Sporthallen, Zelten o.ä. vorsehen.