Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/1816 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 668 der Abgeordneten Björn Lakenmacher und Rainer Genilke der CDU-Fraktion Drucksache 6/1514 Wortlaut der Kleinen Anfrage 668 vom 22. Mai 2015: Innerörtliche Geschwindigkeitsreduzierung und Lärmaktionspläne Geschwindigkeitsreduzierungen an innerörtlichen Straßen können ein wirksames Mittel sein, um Unfälle zu verhindern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Für die Anwohner sind Straßen mit einem hohen Verkehrsaufkommen ebenfalls eine der Hauptursachen für belastende Immissionen. Die Minderung der Immissionsbelastung hat inzwischen zu Recht einen hohen politischen Stellenwert. Durch verschiedene europäische Richtlinien sowie deren Umsetzung in nationales Recht sollen die Betroffenen heute vor gesundheitsgefährdenden Belastungen geschützt werden. Die Lärmaktionsplanung im Land Brandenburg obliegt dabei im Wesentlichen den Kommunen. Wir fragen die Landesregierung: 1. Aufgrund welcher Kriterien können Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h bei innerörtlichen Straßen vorgenommen werden? 2. In welchem Umfang werden polizeiliche Maßnahmen, wie beispielsweise Ge- schwindigkeitsmessungen, dabei berücksichtigt? 3. In welchem Umfang werden Zählungen des Verkehrsaufkommens dabei be- rücksichtigt? 4. Entlang wie vieler Kilometer der innerörtlichen Straßen im Land Brandenburg existieren Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h (Bitte aufschlüsseln nach Trägern der Straßenbaulast sowie dem jeweiligen Kriterium für die Geschwindigkeitsbegrenzung )? 5. In welchem Umfang werden Immissionen durch den Straßenverkehr bei der Einrichtung von Abschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzungen berücksichtigt ? 6. Verfügen alle Kommunen im Land Brandenburg über gültige Lärmaktionspläne ? (Falls nein, wo und warum ist dies nicht der Fall?) 7. Werden die Lärmaktionspläne der Kommunen einer inhaltlichen Prüfung unterzogen ? (Falls ja, durch wen und welche Ergebnisse liegen für das Land Brandenburg vor)? 8. Wann, wie und durch wen erfolgt eine Evaluierung der Lärmaktionsplanung im Land Brandenburg? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Aufgrund welcher Kriterien können Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h bei innerörtlichen Straßen vorgenommen werden? Zu Frage 1: Die Kriterien für Geschwindigkeitsbeschränkungen, wozu auch die Begrenzung auf 30 km/h zählt, werden gesetzlich in § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) festgelegt . Mit Ausnahme von Tempo 30-Zonen oder ZonenGeschwindigkeitsbeschränkungen in verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen sind nach Absatz 9 Satz 2 Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h nur zulässig, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der von § 45 StVO geschützten Rechtsgüter erheblich überschreitet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 23. September 2010 AZ: 3C 32.09) ist hierbei eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich . Die StVO gibt keinen Handlungsspielraum für präventive Maßnahmen ohne diesen Bezug. Frage 2: In welchem Umfang werden polizeiliche Maßnahmen, wie beispielsweise Geschwindigkeitsmessungen , dabei berücksichtigt? Zu Frage 2: Sofern Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle auftreten und durch Geschwindigkeitsmessungen festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten worden ist, sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet werden. Dieser Grundsatz wird in Randnummer 1 der Verwaltungsvorschrift zur StVO zu Zeichen 274 StVO festgelegt. Sofern innerortsbezogen auf einer Strecke bei regelmäßiger Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit vermehrt geschwindigkeitsbedingte Unfälle zu verzeichnen sind, hat dies zur Folge, dass innerorts Tempo 30 angeordnet werden soll, falls diese Geschwindigkeitsbeschränkung eine geeignete präventive Maßnahme zur Gefahrenabwehr darstellt. Frage 3: In welchem Umfang werden Zählungen des Verkehrsaufkommens dabei berücksichtigt ? Zu Frage 3: Hohe Verkehrsstärken, vor allen mit hohem Schwerlastanteil, die durch Zählungen ermittelt werden, können in Verbindung mit ortsbezogenen Parametern einer Straße wie Querschnitt, Ausbauzustand, kurviger Verlauf mit eingeschränkten Sichtfeldern oder fehlenden oder unzureichenden Rad- und Gehwegen innerorts dazu führen, dass es zu Beeinträchtigungen schwächerer Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer kommt. Sofern die Gefahrenanalyse ergibt, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h eine geeignete Maßnahme zur Gefahrenabwehr ist, ist in der Regel diese Geschwindigkeitsbeschränkung anzuordnen. Zählungen des Verkehrsaufkommens sind bei Entscheidungen über die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO) unverzichtbar, da das zugrunde gelegte Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Lärmbelastung gemäß den „Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen – Ausgabe 1990 – RLS 90“ u.a. auch auf die Verkehrsdichte abstellt. Frage 4: Entlang wie vieler Kilometer der innerörtlichen Straßen im Land Brandenburg existieren Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h (Bitte aufschlüsseln nach Trägern der Straßenbaulast sowie dem jeweiligen Kriterium für die Geschwindigkeitsbegrenzung )? Zu Frage 4: In Brandenburg wird keine Statistik über Anordnungen von Geschwindigkeitsbeschränkungen von Tempo 30 km/h geführt. Daher können keine Angaben zu dieser Frage gemacht werden Frage 5: In welchem Umfang werden Immissionen durch den Straßenverkehr bei der Einrichtung von Abschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzungen berücksichtigt? Zu Frage 5: Nach der Straßenverkehrsordnung können gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen angeordnet werden. Folgende Grundsätze sind hierbei zu beachten: a.) Lärm: Das Verwaltungsverfahren und die Lärmrichtwerte für den Lärmschutz werden durch die bundesrechtlichen „Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV)“ (Verkehrsblatt 2007, Seite 767 ff.) vorgegeben. Die Rechtsprechung hat jedoch entschieden, dass bei Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung, d.h. ohne überörtliche Funktion, eine Geschwindigkeitsbeschränkung bereits bei Erreichen der niedrigeren Lärmgrenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (16. BImSchV) angeordnet werden kann, wobei mit zunehmender Verkehrsbedeutung einer Straße die höheren Grenzwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV heranzuziehen sind. Zu beachten ist, dass eine Verkehrsbeschränkung nicht dazu führen darf, dass die Immissionsbelastung in andere schützenswerte Gebiete verlagert wird und dort vergleichbare Konflikte entstehen. Eine solche Anordnung wäre rechtswidrig. 16. BImSchV Lärmschutz-RiLiStV Gebietscharakter tags nachts tags nachts Krankenhäuser, Schulen, Kur- und Altenheime 57 47 70 60 Wohngebiete, Kleinsiedlungsgebiete 59 49 70 60 Kern-, Dorf- und Mischgebiete 64 54 72 62 Gewerbegebiete 69 59 75 65 Tabelle: Lärmrichtwerte (Beurteilungspegel) nach der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung und den Lärmschutz-Richtlinien-StV b.) Gas und partikelförmige Immissionen: Die Grenzwerte für gasförmige oder partikelförmige Immissionen, die ebenfalls straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen auslösen können, werden in der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegt. Werden diese Werte überschritten, sieht das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) die Aufstellung eines Luftreinhalteplanes oder eines „Planes für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen“ vor (§§ 40 und 47 BImSchG). Die in solchen Plänen festgelegten Maßnahmen, die u.a. sowohl Verkehrsbeschränkungen als auch Verkehrsverbote umfassen können, sind von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde umzusetzen. Sofern die Schadstoffbelastung es erfordert, sollen bereits vor Inkrafttreten eines Luftreinhalteplanes oder eines „Planes für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen“ geeignete Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO verfügt werden, sofern alternativ geeignete und weniger einschneidende Maßnahmen nicht ersichtlich sind. Dasselbe gilt, sofern straßenverkehrsrechtliche Einzelanordnungen auch ohne die Aufstellung eines Luftreinhalteplans ausreichen, Grenzwertüberschreitungen von Immissionen wirkungsvoll und dauerhaft entgegenzuwirken. Frage 6: Verfügen alle Kommunen im Land Brandenburg über gültige Lärmaktionspläne? (Falls nein, wo und warum ist dies nicht der Fall?) zu Frage 6: Nein. Die Pflicht zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen besteht in Abhängigkeit vom Bestehen einer Kartierungspflicht gemäß § 47 c Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), von der Feststellung einer Betroffenheit von Menschen innerhalb der zu kartierenden Isophonenbänder, von der Betroffenheit dieser Menschen oberhalb der im Land Brandenburg empfohlenen Prüfwerte für die Indizes LDEN = 65 dB(A) bzw. LNight = 55 dB(A) sowie vom Bestehen konkreter Regelungsmöglichkeiten für die kartierten Lärmauswirkungen. Teilweise konnten kommunale Lärmaktionspläne wegen der verspäteten Datenbereitstellung des Eisenbahn-Bundesamtes (erst im November 2014) noch nicht abgeschlossen werden. Frage 7: Werden die Lärmaktionspläne der Kommunen einer inhaltlichen Prüfung unterzogen ? (Falls ja, durch wen und welche Ergebnisse liegen für das Land Brandenburg vor)? zu Frage 7: Ja. Eine Prüfung von Lärmaktionsplänen oder Teilfragen aus Lärmaktionsplänen erfolgt anlassbezogen im Wege der Beratung und Unterstützung der entsprechenden Kommunen. Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft teilt darüber hinaus gemäß § 47 d Abs. 7 BImSchG die gemäß Richtlinie 2002/49/EG notwendigen Informationen aus den Lärmaktionsplänen dem Umweltbundesamt mit. Die hierzu aus den Kommunen eingehenden Informationen werden durch das Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz gesammelt und aufbereitet. Eine bundesweite Analyse der gemeldeten Informationen erfolgt regelmäßig im Rahmen der Forschungsaktivitäten des Umweltbundesamtes. Entsprechende Ergebnisse für die gegenwärtige 2. Stufe der Lärmaktionsplanung (2013 bis 2018) liegen noch nicht vor. Frage 8: Wann, wie und durch wen erfolgt eine Evaluierung der Lärmaktionsplanung im Land Brandenburg? zu Frage 8 Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft hat hierzu ein Gutachten vergeben. Entsprechende Ergebnisse werden im Verlauf des Jahres 2015 vorliegen.