Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/1848 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 672 des Abgeordneten Christoph Schulze BVB/Freie Wähler Gruppe Drucksache 6/1531 Nutzung von öffentlichen Verkehrsflächen durch Bürgerinnen, Bürger und Bürgerinitiativen Wortlaut der Kleinen Anfrage 672 vom 26.05.2015: Wie allseits bekannt, befinden sich die wesentlichen öffentlichen Flächen in Städten und Gemeinden im Besitz der Kommunen, wie z. B. Dorfplätze, Marktplätze in der Stadt, Straßen, Parks, Bahnhofsvorplätze. Allgemein wird angenommen, dass diese öffentlichen Plätze der allgemeinen Nutzung durch die Bürgerinnen und Bürger er- laubnisfrei unterliegen, und Bürgerinnen und Bürger diese Plätze nutzen dürfen, oh- ne hierfür Erlaubnisse beantragen oder Gebühren bezahlen zu müssen, solange sie im Rahmen des bürgerlichen Engagements oder der allgemeinen Freizügigkeit sind und nicht gewerbliche oder kommerzielle Zwecke erfolgen. Nunmehr stellt sich im Rahmen von der Arbeit von Parteien, Wählervereinigungen, Bürgerinitiativen und Bürgern im Rahmen ihrer kommunalen bürgerschaftlichen Ar- beit die Situation dar, dass in einigen Gemeinden im Land Brandenburg sich die Gemeindeverwaltung und die hauptamtlichen Bürgermeister erlauben, den Bürgerin- nen und Bürgern Vorschriften für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsflächen ma- chen zu dürfen. So ist es an verschiedenen Stellen vorgekommen, dass Bürgermeister bzw. Haupt- verwaltungsbeamte oder Ordnungsämter Bürgerinnen und Bürgern untersagt haben, auf Marktplätzen, in Parks und auf Bahnhofsvorplätzen, die jeweils den Kommunen gehören und die als öffentliche Verkehrsflächen gewidmet sind, Unterschriften zu sammeln oder Informationsstände zu machen. In besonderen Fällen wurden den Bürgerinnen und Bürgern hierzu direkte Vorschriften durch die Ordnungsbehörden gemacht und es wurden entsprechende Gebühren erhoben sowie bei Nichteinhal- tung der Vorschriften sogar Ordnungs- und Bußgelder verhängt. In diesem Zusam- menhang sei angemerkt, dass es sich in diesem Zusammenhang nicht um kommer- zielle Tätigkeiten handelte, sondern um Unterschriftensammlungen im Rahmen von bürgerschaftlichem Engagement für politische Aktivitäten in Gemeinden, Städten, Kreisen oder dem Land Brandenburg. In diesem Zusammenhang stellt sich dann schon die Frage, ob Kommunen über- haupt diese Rechte haben, Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen ihrer Freizeittätig- keit und ihres ehrenamtlichen politischen Engagements im Rahmen der Freizügigkeit nach dem Grundgesetz diese Art von Vorschriften machen dürfen und Direktions- rechte auf öffentlichen Plätzen ausüben dürfen, so z. B. das Sammeln von Unter- schriften auf öffentlichen Plätzen zu untersagen. Aus diesem Grunde frage ich die Landesregierung: 1. Trifft es zu, dass öffentliche Verkehrsflächen, wie Marktplätze, Dorfplätze, Parkan- lagen etc. dem allgemeinen, öffentlichen Nutzungsrecht und der allgemeinen Frei- zügigkeit unterliegen? 2. Können Bürgerinnen und Bürger diese entsprechenden Plätze für ihre politischen Aktivitäten, z.B. a. Argumentationen, b. Aufbau eines Infostandes (außerhalb von Wahlkampfzeiten) oder c. Unterschriftensammlungen nutzen? 3. Ist es ausreichend, wenn Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Gemeinde oder Stadtverwaltung vorab anzeigen, dass sie diese Fläche zu nutzen gedenken? Ist es überhaupt notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger die jeweilige Gemein- de- oder Stadtverwaltung vorab informieren? 4. Haben Ordnungsämter oder Kommunen das Recht, Bürgerinnen und Bürgern diese Nutzung ohne triftige Gründe, die die öffentliche Ordnung und Verkehrssi- cherheit betreffen, zu untersagen? 5. Haben Kommunen und Ordnungsbehörden das Recht, Bürgerinnen und Bürgern für ehrenamtliche Tätigkeiten, die für nicht kommerzielle Zwecke erfolgen, sondern dem bürgerrechtlichen Engagement im Rahmen des Allgemeinwohls gewidmet sind, Gebühren zu verlangen? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage? 6. Haben Ordnungsbehörden oder Kommunen das Recht, Bürgerinnen und Bürgern oder Bürgerinitiativen Strafgebühren, Ordnungsgelder aufzuerlegen, wenn sie ent- gegen dem Willen einer Stadt- oder Gemeindeverwaltung öffentliche Flächen und Plätze nutzen, um dort Unterschriften zu sammeln, ganz gleich , ob mit oder ohne Infostand? (Viele Unterschriftensammlungen finden ja völlig ohne Infostand, son- dern mit einer „Kladde“ in der Hand statt) Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommu- nales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Eingangs muss darauf hingewiesen werden, dass mit der vorliegenden Fragestellung mehrere Rechtsgebiete berührt sind und eine abschließende Prüfung ohne Kennt- nisse der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht möglich ist. Die Beantwortung kann sich daher nur auf die Darstellung der einzelnen rechtlichen Regelungen be- schränken. Zu betrachten sind die Regelungen zum Straßenrecht, zu gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen und zum allgemeinen Ordnungsrecht sowie dem Ver- sammlungsrecht. Frage 1: Trifft es zu, dass öffentliche Verkehrsflächen, wie Marktplätze, Dorfplätze, Parkanla- gen etc. dem allgemeinen, öffentlichen Nutzungsrecht und der allgemeinen Freizü- gigkeit unterliegen? zu Frage 1: Sofern es sich bei der öffentlichen Verkehrsfläche um Straßen, Wege und Plätze handelt, die die dem öffentlichen Verkehr im Sinne des § 2 Brandenburgisches Stra- ßengesetz – BbgStrG - gewidmet sind, richtet sich die Benutzung nach § 14 Abs. 1 BbgStrG. Der Gebrauch der öffentlichen Straße ist danach jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet (Gemeingebrauch). Bei gemeindlichen Einrichtungen im Sinne des § 12 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg – BbgKVerf - bestimmt § 12 Abs. 1 BbgKVerf, dass jedermann im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt ist, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Öffentliche Einrichtungen können auch Park- und Grünflä- chen sein, die nicht für den öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Frage 2: Können Bürgerinnen und Bürger diese entsprechenden Plätze für ihre politischen Aktivitäten, z.B. a. Argumentationen, b. Aufbau eines Infostandes (außerhalb von Wahlkampfzeiten) oder c. Unterschriftensammlungen nutzen? zu Frage 2: Sofern es sich um eine öffentliche Straße im Sinne des Brandenburgischen Straßen- gesetzes handelt, ist für die Beantwortung entscheidend, ob die genannten politi- schen Betätigungen vom Gemeingebrauch des § 14 Abs. 1 BbgStrG gedeckt sind oder ob es sich um eine Sondernutzung im Sinne des § 18 Abs. 1 BbgStrG handelt. Hiernach ist jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung Sondernut- zung. Sie bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde, in Ortsdurchfahrten der Er- laubnis der Gemeinde. Soweit die Gemeinde nicht Träger der Straßenbaulast ist, darf sie die Erlaubnis nur mit Zustimmung der Straßenbaubehörde erteilen. Die Ge- meinde kann durch Satzung bestimmte Sondernutzungen in den Ortsdurchfahrten und in den Gemeindestraßen von der Erlaubnispflicht befreien und die Ausübung regeln. Soweit die Gemeinde nicht Träger der Straßenbaulast ist, bedarf die Satzung der Zustimmung der Straßenbaubehörde. Bei der Prüfung, ob es sich um Gemeingebrauch oder eine erlaubnispflichtige Son- dernutzung handelt, ist zum einen die Art der Straße und deren Widmung, zum ande- ren die ggf. bestehende örtliche Satzungsregelung zur Sondernutzung sowie die Art der politischen Betätigung von Bedeutung. Grundsätzlich ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass öffentliche Straßen als Forum des Gemeinwesens nicht ausschließlich der Fortbewegung, sondern auch dem vielfältigen Kontakt der Bürger und dem Austausch von Informationen und Meinungen dienen; auch dies sei dem Wortsinn nach „Verkehr” und liege deshalb noch im Rahmen des Widmungs- zweckes einer solchen Straße. Die Nutzung einer Fußgängerzone in diesem Rah- men ist durch die Widmung gedeckt1. Damit könnte die freihändige Verteilung von Zeitungen, Handzetteln, Flugblättern oder Tonträgern vom Gemeingebrauch gedeckt sein. Die Verwendung von Hilfsmitteln wie eines Standes oder eines Tisches, die geeignet sind, den Gemeingebrauch Dritter störend zu beeinträchtigen, könnte je- doch nach dieser Entscheidung zu einer anderen Bewertung führen. Nach der Kommentierung ist demzufolge das Verteilen politischer Schriften noch vom Gemeingebrauch umfasst, zumal dieser verfassungskonform im Lichte der grundrechtlichen Werteordnung – hier speziell Art. 5 GG, der das Recht zur politi- schen Meinungsäußerung beinhaltet – interpretiert werden muss. Ebenso kann die Sammlung von Unterschriften vom Gemeingebrauch umfasst sein. Eine Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo der kommunikative, werbende oder kommerzielle Aspekt im Vordergrund steht. Soweit der Verkauf von einem Stand aus oder unter Aufstel- lung von Werbeträgern erfolgt, liegt kein Gemeingebrauch, sondern eine erlaubnis- pflichtige Sondernutzung vor, weil in diesem Fall regelmäßig von einer Behinderung des Straßenverkehrs auszugehen ist. Aus diesem Grunde ist jegliche ähnliche ge- genständliche Inanspruchnahme der Straße z. B. durch Plakate, durch das Aufstellen von Informationstischen unabhängig davon, ob eine politische, künstlerische oder gewerbliche Zielsetzung zugrunde liegt, nicht mehr vom Gemeingebrauch erfasst (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 16. 2. 2012 – OVG 1 N 68.11 –)2. Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung und der verfassungsmäßige Rang der politischen Parteien nicht dazu zwingen, dass die Behörde - in Abweichung von ihrer sonst geübten Ermessenspraxis - einer Partei auch außerhalb der Zeiten unmit- telbarer Wahlvorbereitung die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis zur Auf- stellung zahlreicher parteieigener Plakatständer im innerstädtischen Verkehrsraum erteilt. Bei öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde im Sinne des § 12 BbgKVerf können sich Einschränkungen der Nutzung aus dem Widmungszweck oder aus der Benut- zungsordnung ergeben. Die Benutzung öffentlicher Einrichtungen kann auch privat- rechtlich geregelt sein. Sollte die politische Betätigung eine Versammlung im Sinne des § 14 des Versamm- lungsgesetzes sein, ist diese spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zu- ständigen Behörde (im Land Brandenburg die Polizei als Versammlungsbehörde) unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden. Frage 3: OLG Düsseldorf NJW 1998, 2375 m. w. N. André Böttner, Praxis der Kommunalverwaltung – BbgStrG Erläuterungen zu § 14 BbgStrG m. w. N. Ist es ausreichend, wenn Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Gemeinde oder Stadtverwaltung vorab anzeigen, dass sie diese Fläche zu nutzen gedenken? Ist es überhaupt notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger die jeweilige Gemeinde- o- der Stadtverwaltung vorab informieren? zu Frage 3: Nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BbgStrG kann die Gemeinde durch Satzung bestimmte Sondernutzungen in den Ortsdurchfahrten und in den Gemeindestraßen von der Er- laubnispflicht befreien und die Ausübung regeln. Enthält die Satzungsregelung keine Bestimmung, dass für bestimmte Formen der Sondernutzung eine Anzeige ausrei- chend oder von der Erlaubnispflicht befreit ist, wäre für jede Art der Sondernutzung eine Erlaubnis und damit zwingend auch ein vorgeschalteter Antrag erforderlich. Frage 4: Haben Ordnungsämter oder Kommunen das Recht, Bürgerinnen und Bürgern diese Nutzung ohne triftige Gründe, die die öffentliche Ordnung und Verkehrssicherheit betreffen, zu untersagen? zu Frage 4: Die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ist ein Verwaltungsakt, der nach pflicht- gemäßem Ermessen der Straßenbaubehörde zu bescheiden ist. Nach § 20 Abs. 1 BbgStrG kann die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Be- hörde für den Fall, dass eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird oder Auflagen nicht eingehalten werden, die erforderlichen Maßnahmen zur Beendi- gung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen. Ohne Rechtsgrund haben die Ordnungsämter kein Untersagungsrecht. Vorausset- zung für ein Eingreifen der Ordnungsbehörden nach § 13 Abs. 1 des Ordnungsbe- hördengesetzes ist eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Si- cherheit oder Ordnung (Gefahr). Versammlungen unter freiem Himmel können unter den Voraussetzungen des § 15 des Versammlungsgesetzes von der zuständigen Behörde aufgelöst oder verboten werden. Frage 5: Haben Kommunen und Ordnungsbehörden das Recht, Bürgerinnen und Bürgern für ehrenamtliche Tätigkeiten, die für nicht kommerzielle Zwecke erfolgen, sondern dem bürgerrechtlichen Engagement im Rahmen des Allgemeinwohls gewidmet sind, Ge- bühren zu verlangen? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage? zu Frage 5: Gemäß § 21 Abs. 1 BbgStrG können für Sondernutzungen Sondernutzungsgebühren erhoben werden. Sie stehen in Ortsdurchfahrten den Gemeinden, im Übrigen dem Träger der Straßenbaulast zu. Die Landkreise und Gemeinden können nach § 21 Abs. 2 Satz 2 BbgStrG die Gebühren durch Satzung regeln, soweit ihnen die Son- dernutzungsgebühren zustehen. Die Benutzung einer Straße über den Allgemeingebrauch hinaus ohne Erlaubnis ist nach § 47 Abs.1 Nr. 2 BbgStrG eine Ordnungswidrigkeit. Zuständige Verwaltungsbe- hörde sind die Straßenbaubehörden. Für die Ordnungsbehörden gilt grundsätzlich § 45 des Ordnungsbehördengesetzes. Hiernach richtet sich die Erhebung von Gebühren einschließlich Auslagen für Amts- handlungen der Ordnungsbehörden nach dem Gebührengesetz für das Land Bran- denburg und den hierzu erlassenen Gebührenordnungen. Nach der hier einschlägigen Gebührenordnung des Ministers des Innern – GebOMI -, hier Tarifstelle 8, ergibt sich keine Grundlage zur Gebührenerhebung. Frage 6: Haben Ordnungsbehörden oder Kommunen das Recht, Bürgerinnen und Bürgern oder Bürgerinitiativen Strafgebühren, Ordnungsgelder aufzuerlegen, wenn sie entge- gen dem Willen einer Stadt- oder Gemeindeverwaltung öffentliche Flächen und Plät- ze nutzen, um dort Unterschriften zu sammeln, ganz gleich, ob mit oder ohne Info- stand? (Viele Unterschriftensammlungen finden ja völlig ohne Infostand, sondern mit einer „Kladde“ in der Hand statt) zu Frage 6: Die Benutzung einer Straße über den Allgemeingebrauch hinaus ohne Erlaubnis ist nach § 47 Abs.1 Nr. 2 BbgStrG eine Ordnungswidrigkeit. Zuständige Verwaltungsbe- hörde sind die Straßenbaubehörden. Die Sammlung von Unterschriften ohne Verwendung eines Infostandes dürfte vom Gemeingebrauch gedeckt sein, so dass hierfür Sondernutzungsgebühren und Buß- gelder nicht zulässig wären. Insofern wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.