Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2103 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 772 des Abgeordneten Danny Eichelbaum der CDU-Fraktion Drucksache 6/1840 Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow Wortlaut der Kleinen Anfrage 772 vom 24. Juni 2015: In der Märkischen Oderzeitung vom 17.06.2015 gab es einen Artikel „Wut hinter Gefängnismauern“ zur Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung die Darstellungen in dem Artikel zu den vermeintlichen Vorkommnissen in der Justizvollzugsanstalt NeuruppinWulkow ? 2. Wie viele Suizide bzw. Suizidversuche gab es jeweils in den Jahren 2010 bis 2015 in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow in den anderen Justizvollzugsanstalten des Landes Bransdenburg? Wie bewertet die Landesregierung dies? 3. Welche Maßnahmen werden in den Brandenburger Justizvollzugsanstalten ergriffen, um Suiziden vorzubeugen? Wie sieht die konkrete Umsetzung in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow aus? 4. Wie stellt sich der Vorfall des Brandes in Hafthaus III der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow dar? Wie wurden die Bestimmungen und Vorgaben zum Brandschutz und zur Evakuierung im Brandfall umgesetzt? 5. In welchem Maße wird das Briefgeheimnis in den Brandenburger Justizvollzugsanstalten eingeschränkt? Sind davon auch die Antwortschreiben der Enquete -Kommission des Landtages Brandenburg betroffen? Wie wird dies im Konkreten in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow umgesetzt? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung die Darstellungen in dem Artikel zu den vermeintlichen Vorkommnissen in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow? zu Frage 1: Nach den Erkenntnissen der Landesregierung entsprechen die Darstellungen in besagtem Pressebeitrag in weiten Teilen nicht den Tatsachen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der behaupteten Suizidversuche. So gab es in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow im ersten Halbjahr 2015 einen (vollendeten) Suizid, dessen Gründe nicht in Erfahrung gebracht werden konnten. Dafür, dass der betreffende Gefangene Probleme in oder mit der JVA Neuruppin-Wulkow gehabt hätte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Zudem gab es einen als Suizidversuch gewerteten Vorfall, bei dem sich ein Gefangener ernsthafte Schnittverletzungen zufügte, während er sich mit dem Insassen des Nachbarhaftraums unterhielt. Letzterer alarmierte das Personal, als er von seinem Nachbarn keine Antworten mehr erhielt. Durch das sofortige Eingreifen des Personals konnte ein erfolgreicher Suizid verhindert werden. Die Verletzungen hatte der Gefangene sich beigebracht, weil man ihn wegen diverser Regel- und Weisungsverstöße vom offenen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt hatte. Hinsichtlich einer weiteren Selbstbeschädigung, bei der ein psychisch auffälliger Gefangener sich in einem Krankenzimmer der Ruppiner Kliniken mit der Klinge eines Einwegrasierers in den Arm schnitt, weil das Anstaltspersonal, das ihn dort bewachte , ihm das Rauchen nicht gestatten wollte, war nicht von einer Suizidabsicht, sondern von einer Demonstrativhandlung auszugehen. Der betreffende Gefangene konnte sich sowohl im Hinblick auf seine Bewachung durch JVA-Mitarbeiter als auch in Anbetracht der Tatsache, dass er gewissermaßen von medizinischem Personal umgeben war, sicher sein, dass er keinesfalls an diesem Schnitt sterben würde. Die Anstalt hat deshalb zu Recht davon abgesehen, den Vorfall als Suizidversuch an die Aufsichtsbehörde zu melden. Die Kritik, die Anstaltsleitung habe einem Gefangenen, der einen anderen vor dem Verbluten bewahrt habe eine positive Prognose hinsichtlich einer vorzeitigen Haftentlassung verweigert, ist bereits insoweit unsachgemäß, als der Umstand, dass ein Gefangener einem in Lebensgefahr schwebenden Mitmenschen erste Hilfe leistet, in aller Regel nicht den Schluss rechtfertigt, er werde künftig keine Straftaten mehr begehen . Die Verlegung eines Gefangenen in die Justizvollzugsanstalt Brandenburg a. d. Havel war kein Abschieben eines „unliebsamen Häftlings“, sondern eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung, die mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde erfolgte. Die in dem Artikel widergegebene Behauptung eines M. K., die Anstaltsleitung habe ihm gedroht, dass eine positive Stellungnahme „ins Gegenteil umgewandelt“ werde, falls er eine Beschwerde nicht zurückziehe, ist aufgrund ihrer Pauschalität einer Überprüfung nicht zugänglich. Die Darstellung, persönliche Gegenstände eines Gefangenen seien versehentlich einem anderen bei dessen Entlassung ausgehändigt worden, ist zutreffend. Die Landesregierung bewertet diesen Vorfall nicht als Ausdruck genereller Mängel, sondern als bedauerliche Verwechslung, wie sie überall, wo Menschen tätig sind, vorkommen kann. Frage 2: Wie viele Suizide bzw. Suizidversuche gab es jeweils in den Jahren 2010 bis 2015 in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow in den anderen Justizvollzugsanstalten des Landes Bransdenburg? Wie bewertet die Landesregierung dies? zu Frage 2: Die Suizide und Suizidversuche, die sich in dem genannten Zeitraum in den brandenburgischen Justizvollzugsanstalten ereignet haben, sind aus nachfolgender Tabelle ersichtlich. Jahr S u iz id e i n s g e s a m t J V A B ra n d e n b u rg a .d .H . J V A C o tt b u s -D is s e n c h e n J V A F ra n k fu rt ( O d e r) J V A L u c k a u -D u b e n J V A N e u ru p p in -W u lk o w W ri e z e n S u iz id v e rs u c h e i n s g e s a m t J V A B ra n d e n b u rg a .d .H . J V A C o tt b u s -D is s e n c h e n J V A F ra n k fu rt ( O d e r) J V A L u c k a u -D u b e n J V A N e u ru p p in -W u lk o w J V A S p re m b e rg W ri e z e n 2010 0 2 2 2011 2 1 1 2 1 1 2012 4 2 1 1 1 1 2013 0 3 1 2 2014 3 1 -* 1 1 9 3 4 - 2 2015** 2 1 - 1 2 1 - 1 * JVA Frankfurt (Oder) Ende 2013 geschlossen ** bis 30.06.2015 Trotz aller Bemühungen (s. Antwort zu Frage 3) ist es in Brandenburg ebenso wenig wie in anderen Ländern möglich, Suizide und Suizidversuche Inhaftierter gänzlich zu verhindern. Frage 3: Welche Maßnahmen werden in den Brandenburger Justizvollzugsanstalten ergriffen, um Suiziden vorzubeugen? Wie sieht die konkrete Umsetzung in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow aus? zu Frage 3: Hinsichtlich der vorbeugenden Maßnahmen, die im Justizvollzug des Landes zur Anwendung kommen, ist zwischen allgemeiner und einzelfallbezogener Suizidprävention zu unterscheiden. So wird dem Erkennen individueller und struktureller Risikofaktoren für eine Selbsttötung bereits in der Ausbildung der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Suizidverhütung ist zudem Thema einer jährlich stattfindenden Fortbildungsveranstaltung für Vollzugspersonal aller Fachrichtungen, die u. a. den Leitfaden der WHO zur Suizidprävention in Haft zum Gegenstand hat. Der kriminologische Dienst des Landes engagiert sich kontinuierlich in der „Bundesarbeitsgemeinschaft Suizidprävention im Justizvollzug“, die Broschüren und Flyer sowohl für das Vollzugspersonal als auch für die Gefangenen erarbeitet. Dieses Material wird sodann allen brandenburgischen Justizvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der individuellen Suizidprävention wird wie folgt verfahren: Bei der Aufnahme von Gefangenen führen Vollzugsbedienstete unverzüglich ein Zugangsgespräch mit diesen, in dem u. a. ihre gegenwärtige Lebenssituation erörtert wird (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzG). Letzteres dient auch dazu, einen Eindruck von der aktuellen psychischen Verfassung der betreffenden Person zu gewinnen und in Erfahrung zu bringen, ob sie akute Probleme hat, die eine umgehende Reaktion erfordern (s. Begründung zu § 12 BbgJVollzG). Der Gesprächsverlauf ist dabei nicht in das Belieben der jeweiligen Anstaltsmitarbeiter gestellt, sondern durch einen verbindlichen Fragenkatalog vorgegeben. Letzterer beinhaltet eine Vielzahl detaillierter Nachfragen zu Aspekten, die – zumindest auch – für die Einschätzung der Suizidgefahr potentiell relevant sind (Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenkonsum, gesundheitliche Probleme, psychiatrische Behandlung in der Vergangenheit, versuchte oder vollendete Suizide in der Familie, eigene Suizidversuche, suizidale Gedanken). Die Antworten der Gefangenen werden jeweils in dem betreffenden Vordruck dokumentiert , der anschließend Eingang in die Gefangenenpersonalakte findet. Auch bei der ärztlichen Erstuntersuchung (§ 12 Abs. 3 BbgJVollzG) sowie bei der Sichtung der Vollstreckungsunterlagen wird besonders auf Anzeichen für bzw. Hinweise auf psychische Probleme, Selbstverletzungstendenzen etc. geachtet. Ergeben sich Anhaltspunkte für eine mögliche Suizidgefahr, so wird das im Einzelfall Erforderliche veranlasst . Dies kann die Vorstellung beim Psychologischen Dienst der Anstalt oder einer Psychiaterin/einem Psychiater mit dem Ziele der Abklärung des konkreten Risikos sein. Dies können – im Ergebnis der konkreten Empfehlungen der genannten Fachleute oder aufgrund einer krisenhaften Entwicklung – Einzelgespräche mit Fachdienstmitarbeitern oder mit Seelsorgern, die vorübergehende gemeinsame Unterbringung mit zuverlässigen Gefangenen (§ 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BbgJVollzG), aber auch besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 90 BbgJVollzG sein. Analog wird hinsichtlich Gefangener verfahren, die im Laufe ihrer Inhaftierung in krisenträchtige Situationen geraten (Verurteilung zu langjähriger Freiheitsstrafe, Tod Angehöriger, Trennung/Scheidung etc.) oder Symptome entwickeln, die eine Selbstbeschädigung /Selbsttötung befürchten lassen. Bei Straf- und Jugendstrafgefangen schließt sich an das Aufnahmeverfahren ein Diagnoseverfahren an (§ 13 BbgJVollzG), in dem sich besonders geschultes und qualifiziertes Personal sehr intensiv mit der jeweiligen Persönlichkeit und Biografie auseinandersetzt . Wenn eine latente Suizidgefahr besteht, so wird sie hier erkannt, falls sie überhaupt erkennbar ist. (Der sogenannte „Bilanzselbstmord“ Erwachsener etwa zeichnet sich regelmäßig in keiner Weise ab und wird häufig sogar von den Betreffenden verdeckt. Für Jugendliche hingegen ist auch im Bereich der Suizidhandlun- gen eher ein impulsives Agieren typisch, das sich im Einzelfall ebenfalls kaum voraussehen lässt.) Die Verfahrensweise in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow unterscheidet sich nicht von der in den übrigen Anstalten des Landes praktizierten. Die Anstalt sensibilisiert ihre Mitarbeiter fortlaufend für die Problematik, hat ein Informationsblatt „Wie erkenne ich die Gefahr eines Suizides?“ in ihr allen Beschäftigten zugängliches Intranet eingestellt und entsendet regelmäßig Teilnehmer zu den landesweiten Fortbildungen „Suizidgefährdete Gefangene“ und „Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen “. Frage 4: Wie stellt sich der Vorfall des Brandes in Hafthaus III der Justizvollzugsanstalt Neuruppin -Wulkow dar? Wie wurden die Bestimmungen und Vorgaben zum Brandschutz und zur Evakuierung im Brandfall umgesetzt? zu Frage 4: Am Morgen des 1. März 2015 brannte es in einem – zwischen zwei Unterbringungsbereichen gelegenen –Lagerraum für Reinigungsmittel im Erdgeschoss des Hafthauses III. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hatte ein Strafgefangener den Brand vorsätzlich entfacht. In dem betreffenden Zeitraum fand im Erdgeschoss des Hafthauses der sogenannte Funktionsaufschluss statt, der den Gefangenen u. a. die Gelegenheit bietet, selbstständig die Teeküchen zu nutzen. Die Hafträume waren deshalb unverschlossen. Wegen der starken Rauchentwicklung wurden die Gefangenen zunächst aufgefordert , die Türen und insbesondere die Fenster ihrer Hafträume zu schließen. (Die Haftbereiche waren durch zu diesem Zeitpunkt verschlossene Brandschutztüren vom Brandherd „abgeschottet“.) Sobald die für eine Evakuierung des Gebäudeteils erforderliche personelle Unterstützung eingetroffen war, wurden die Inhaftierten über einen rückwärtigen Ausgang auf den Freistundenhof geführt. Kurz darauf wurden bei allen potentiell betroffenen Gefangenen die Vitalfunktionen und die Sauerstoffwerte in der Lunge gemessen. Hierbei gab es keine Auffälligkeiten. Ein Inhaftierter, der nach dem Vorkommnis über Kopfschmerzen klagte und einen erhöhten Blutdruck aufwies, bekam ein Medikament und wurde zu einem Arzt ausgeführt. Zu keinem Zeitpunkt waren Gefangene aufgrund des Vorfalls akut gefährdet Die grundlegenden Bestimmungen und Vorgaben zum baulichen, anlagentechnischen und organisatorischen Brandschutz wurden beachtet. Der bauliche Brand- schutz (z.B. Einteilung in Brandabschnitte mit Brandschutzwänden und -türen, Fluchtweghinweise) und der anlagentechnische Brandschutz (automatische Brandmeldeanlage , Handfeuerlöscher, Wandhydranten) entsprechen dem von der Bauaufsichtsbehörde gebilligten Brandschutzkonzept. Ebenso sind die erforderlichen organisatorischen Brandschutzmaßnahmen getroffen worden (z.B. Bestellung eines Brandschutzbeauftragten, Erstellen einer Brandschutzordnung und eines Alarmplans für den Brandfall). Auch die vorgesehenen Brandschauen mit der Feuerwehr wurden durchgeführt. Die Bediensteten waren zudem im Gebrauch der Handfeuerlöscher und der Löschschläuche unterwiesen. Soweit die Vorgabe, halbjährlich eine Brandübung als Stabs- bzw. Stabsrahmenübung durchzuführen, nicht eingehalten wurde, hat bereits eine Auswertung stattgefunden. Es ist beabsichtigt, noch in diesem Jahr eine Brandübung durchzuführen und in Zukunft die Intervalle einzuhalten. Insgesamt haben die Bediensteten vorliegend situationsangemessen und gemäß den im Alarmplan für diesen Fall vorgesehenen Handlungsschritten agiert. Wegen der starken Rauchentwicklung konnten sie den Brand nicht selbst löschen, sondern mussten – wie vorgeschrieben – die Feuerwehr anfordern, was sie umgehend taten. Dass sie die Gefangenen anhielten, sich zunächst in die (unverschlossenen) Hafträume zu begeben, war nach Auskunft der Feuerwehr uneingeschränkt sachgerecht. Frage 5: In welchem Maße wird das Briefgeheimnis in den Brandenburger Justizvollzugsanstalten eingeschränkt? Sind davon auch die Antwortschreiben der EnqueteKommission des Landtages Brandenburg betroffen? Wie wird dies im Konkreten in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow umgesetzt? zu Frage 5: Das Briefgeheimnis wird in den Justizvollzugsanstalten des Landes, insbesondere auch in der JVA Neuruppin-Wulkow, nur nach Maßgabe der §§ 41, 42 BbgJVollzG eingeschränkt, soweit nicht verfahrenssichernde Anordnungen eines Gerichts Festlegungen zur inhaltlichen Überwachung des Schriftwechsels beinhalten. Antwortschreiben der Enquete-Kommission des Landtages Brandenburg werden – soweit diese als Absenderin zweifelsfrei feststeht – nicht überwacht (§ 42 Abs. 3 Satz 4 BbgJVollzG).