Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2398 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 831 des Abgeordneten Christoph Schulze BVB / FREIE WÄHLER Gruppe Drucksache 6/1955 KITA VIII - Verständnis Wortlaut und Umsetzung des Kita-Gesetzes im Land Brandenburg II Wortlaut der Kleinen Anfrage 831 vom 06.07.2015: Grundsätzlich obliegt den Eltern entsprechend Artikel 6 Grundgesetz und ähnlich auch in der Landesverfassung formuliert, das originäre Recht auf die Festlegung der Pflege und Erziehung ihrer Kinder als das natürliche Recht der Eltern, ohne dass ihnen der Staat in diesen Fragen im Großen und Ganzen reinreden kann. Es sei denn aus der Vernachlässigung von Kindern erfolgt eine Kindswohlgefährdung. In Ansehung dieses Grundsatzes, dass erst einmal allein die Eltern darüber entscheiden , wie sie ihre Kinder erziehen und solange sie dies in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen tun, haben Eltern das Alleinentscheidungsrecht, insbesondere über die Erziehung und Unterbringung ihrer Kinder. Nunmehr gibt es im Land Brandenburg an verschiedenen Stellen Streit, Diskurs und Auseinandersetzungen, ob im Rahmen des Kita-Gesetzes die öffentlichen Träger der Jugendhilfe, d.h. die Landkreise und im gleichen Atemzug auch die Gemeinden als die umsetzenden Gebietskörperschaften den Eltern vorschreiben können, in welcher Ganztageseinrichtung sie ihre Kinder unterbringen. In einigen Gemeinden versteigen sich Gemeinden und Mitarbeiter von Gemeinden dazu, den Eltern vorzuschreiben, dass sie ihre Kinder in eine ganz bestimmte Kita zu bringen haben, selbst wenn Eltern das aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, wie Glaubensfragen, unterschiedliche Auffassung zu Erziehungskonzepten oder gesundheitlichen Gründen, die im Kind begründet liegen, ablehnen. Der § 24, Absatz 3, Satz 3 des SGB VIII sagt aus, dass Kinder bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in der Kindertagespflege gefördert, d.h. untergebracht werden können. Hier stellt sich die Frage, was unter „besonderem Bedarf“ zu verstehen ist und wer hier definiert, was „besonderer Bedarf“ ist. Im Grunde genommen stellt sich die Frage, ob hier ein „Gummi-Paragraph“ aufgebaut worden ist, der es staatlichen oder kommunalen Einrichtungen erlaubt, Eltern über diesen Umweg vorzuschreiben, wie sie ihre Kinder unterzubringen und zu erziehen haben. Aus diesem Grunde frage ich die Landesregierung: 1) Was bedeutet ein „besonderer Bedarf“ eines Kindes, der einen Rechtsanspruch auf die Unterbringung in der Kindertagespflege (Tagesmütter) gründet oder erzeugt ? 2) Wer ist berechtigt einen sogenannten „besonderen Bedarf“ festzustellen? Auf welcher Rechtsgrundlage wird ein solcher „besonderer Bedarf“ festgestellt? Kann ein persönlicher Grund, der in der Familie, bei den Eltern begründet ist, einen „besonderen Bedarf“ darstellen oder begründen? 3) Kann ein persönlicher Grund, der im Alter, im Charakter, im Gesundheitszustand oder im Entwicklungsstand des Kindes liegt, einen „besonderen Bedarf“ darstellen oder begründen? 4) Kann ein familiärer Grund, der in der Berufstätigkeit oder der Struktur einer Familie liegt, „besonderen Bedarf“ für einen Rechtsanspruch, für die Unterbringung eines Kindes bei einer Tagesmutter darstellen oder begründen? 5) Kann ein familiärer Grund, der in der persönlichen Entwicklung, Gesundheit, in einem notwendigen pädagogischen Bedarf eines Kindes liegt, einen „besonderen Bedarf“, d.h. einen Rechtsanspruch für eine Unterbringung bei einer Tagesmutter darstellen oder begründen? 6) Liegt ein sogenannter „besonderer Bedarf“, wie in § 24, Abs. 3, Satz 3, SGB VIII formuliert, z.B. dann vor, wenn Eltern ein bestimmtes pädagogisches Konzept wünschen und das pädagogische Konzept, das der jeweilige Träger der Öffentlichen Jugendhilfe oder der Gemeinde vorhalten (religiös, kulturell oder pädagogisch begründet), nicht gewünscht ist? 7) Wer entscheidet letztendlich, ob eine „besondere Bedarfslage“ aufgrund persönlicher familiärer bei den Eltern oder bei dem Kind vorliegenden Bedarfslage vorliegt , aufgrund der Gruppensituation der entsprechenden Kita oder aufgrund von Schwierigkeiten des Kindes mit dem entsprechenden pädagogischen Konzept und den vorliegenden Rahmenbedingungen? 8) Können Eltern gezwungen werden, ihr Kind entgegen ihren Wünschen, Hoffnungen , Forderungen und entgegen der gesundheitlichen und/oder pädagogischen Notwendigkeit ihres Kindes in einer Kita unterzubringen, wenn alternativ die Möglichkeit für die Unterbringung bei einer Tagesmutter bestünde? 9) Wer entscheidet letztendlich darüber, wo das Kind untergebracht wird? Die Öffentliche Jugendhilfe oder die Eltern? 10) Welche Rolle spielen öffentliche Gutachten, insbesondere ärztliche Atteste? Kann die Öffentliche Jugendhilfe oder eine Gemeinde ein ärztliches Attest, das eine entsprechende Unterbringung aus medizinischer Sicht befürwortet, durch Mitarbeiter in Verwaltungen, die grundsätzlich keinen medizinischen Sachverstand haben dürften, in Frage stellen und sogar aushebeln und ad absurdum führen? 11) Kann der Träger der Öffentlichen Jugendhilfe Eltern zwingen, ihr Kind von einem Psychologen begutachten zu lassen, der das Kind grundsätzlich nicht kennt? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage kann ein derartiger Zwang der Begutachtung begründet werden? 12) Hat das Attest des das Kind kennende und betreuenden Kinderarztes eine höhere Bedeutung, als ein externes Gutachten einer/eines Einrichtung/Arztes, die/der das Kind nicht kennt? 13) Welche Anforderungen sind an ein externes Gutachten zur Feststellung oder dem Ausschluss eines besonderen Bedarfs eines Kindes zu stellen? Reicht ein Gutachten nach Aktenlage? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Auf die grundsätzlichen Fragen des Verhältnisses von Elternrecht und Leistungs-/ Finanzierungsentscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe ist bereits in den Antworten auf die Kleinen Anfragen 828 (Drucksache 6/1952), 829 (Drucksache 6/1953) und 830 (Drucksache 6/1954) eingegangen worden. Auf die entspre- chenden Ausführungen wird verwiesen. In den Antworten auf die hier gestellten Fragen wird daher nur auf spezielle Aspekte eingegangen, die sich nicht bereits in den Antworten auf die vorgenannten Kleinen Anfragen finden. Frage 1: Was bedeutet ein „besonderer Bedarf“ eines Kindes, der einen Rechtsanspruch auf die Unterbringung in der Kindertagespflege (Tagesmütter) gründet oder erzeugt? Zu Frage 1: Der „besondere Bedarf“ als unbestimmter Rechtsbegriff ist in Gesetzen und Verordnungen nicht nur eine übliche, sondern auch eine notwendige Form der Bestimmung angesichts der Vielgestaltigkeit von Rahmenbedingungen und Voraussetzungen . Der in § 2 KitaG genannte „besondere Bedarf“ begründet oder erzeugt nicht den Rechtsanspruch auf Kindertagesspflege. Der Rechtsanspruch wird in § 1 KitaG bestimmt und dort findet sich in Absatz 4 folgende Regelung: „Art und Umfang der Erfüllung des Anspruchs soll dem Bedarf des Kindes entsprechen. Bedarfserfüllend können für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr und für Kinder im Grundschulalter auch Kindertagespflege, Spielkreise, integrierte Ganztagsangebote von Schule und Kindertagesbetreuung oder andere Angebote sein, wenn sie der familiären Situation der Kinder Rechnung tragen und im jeweils erforderlichen Rahmen die Aufgaben und Ziele nach § 3 gewährleisten.“ Frage 2: Wer ist berechtigt einen sogenannten „besonderen Bedarf“ festzustellen? Auf welcher Rechtsgrundlage wird ein solcher „besonderer Bedarf“ festgestellt? Kann ein persönlicher Grund, der in der Familie, bei den Eltern begründet ist, einen „besonderen Bedarf“ darstellen oder begründen? Frage 3: Kann ein persönlicher Grund, der im Alter, im Charakter, im Gesundheitszustand oder im Entwicklungsstand des Kindes liegt, einen „besonderen Bedarf“ darstellen oder begründen? Frage 4: Kann ein familiärer Grund, der in der Berufstätigkeit oder der Struktur einer Familie liegt, „besonderen Bedarf“ für einen Rechtsanspruch, für die Unterbringung eines Kindes bei einer Tagesmutter darstellen oder begründen? Frage 5: Kann ein familiärer Grund, der in der persönlichen Entwicklung, Gesundheit, in einem notwendigen pädagogischen Bedarf eines Kindes liegt, einen „besonderen Bedarf“, d.h. einen Rechtsanspruch für eine Unterbringung bei einer Tagesmutter darstellen oder begründen? Frage 6: Liegt ein sogenannter „besonderer Bedarf“, wie in § 24, Abs. 3, Satz 3, SGB VIII formuliert, z.B. dann vor, wenn Eltern ein bestimmtes pädagogisches Konzept wünschen und das pädagogische Konzept, das der jeweilige Träger der Öffentlichen Jugendhilfe oder der Gemeinde vorhalten (religiös, kulturell oder pädagogisch begründet ), nicht gewünscht ist? Frage 7: Wer entscheidet letztendlich, ob eine „besondere Bedarfslage“ aufgrund persönlicher familiärer bei den Eltern oder bei dem Kind vorliegenden Bedarfslage vorliegt, aufgrund der Gruppensituation der entsprechenden Kita oder aufgrund von Schwierigkeiten des Kindes mit dem entsprechenden pädagogischen Konzept und den vorliegenden Rahmenbedingungen? Frage 8: Können Eltern gezwungen werden, ihr Kind entgegen ihren Wünschen, Hoffnungen, Forderungen und entgegen der gesundheitlichen und/oder pädagogischen Notwendigkeit ihres Kindes in einer Kita unterzubringen, wenn alternativ die Möglichkeit für die Unterbringung bei einer Tagesmutter bestünde? Zu den Fragen 2 bis 8: Die in den Fragen jeweils angesprochenen Konstellationen können maßgebend sein, um zu entscheiden, ob die Kindertagespflege ein geeignetes Angebot der Kindertagesbetreuung darstellt, das bei einem entsprechenden Wunsch der Eltern zu finanzieren wäre. Allerdings handelt es sich immer um eine Gesamtabwägung, die das Jugendamt als Fachamt zu treffen hat. Im Ergebnis führt die Gesamtabwägung des Jugendamts zu einem Bescheid über die Finanzierung einer bestimmten Jugendhilfeleistung, nicht zu einer Unterbringung gegen den Willen der sorgeberechtigten Eltern. Frage 9: Wer entscheidet letztendlich darüber, wo das Kind untergebracht wird? Die Öffentliche Jugendhilfe oder die Eltern? Zu Frage 9: Die Entscheidung darüber, wo das Kind untergebracht wird, treffen die Sorgeberechtigten. Frage 10: Welche Rolle spielen öffentliche Gutachten, insbesondere ärztliche Atteste ? Kann die Öffentliche Jugendhilfe oder eine Gemeinde ein ärztliches Attest, das eine entsprechende Unterbringung aus medizinischer Sicht befürwortet, durch Mitarbeiter in Verwaltungen, die grundsätzlich keinen medizinischen Sachverstand haben dürften, in Frage stellen und sogar aushebeln und ad absurdum führen? Zu Frage 10: Fachgutachten hat das Jugendamt bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen . Ob es den jeweils ausgesprochenen Empfehlungen folgt, bleibt ihm allerdings überlassen, weil es sich bei der Betreuung in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege um pädagogische Fragen handelt, die das hierfür eingerichtete Fachamt zu bewerten hat. Medizinische Bewertungen ersetzen keine pädagogischen , sondern können diese nur qualifizieren. Gegen die Entscheidungen des Jugendamts ist der Rechtsweg eröffnet; sie sind also ggf. verwaltungsgerichtlich überprüfbar . Frage 11: Kann der Träger der Öffentlichen Jugendhilfe Eltern zwingen, ihr Kind von einem Psychologen begutachten zu lassen, der das Kind grundsätzlich nicht kennt? Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage kann ein derartiger Zwang der Begutachtung begründet werden? Zu Frage 11: Im Verfahren der Entscheidung über eine Kindertagesbetreuung dürfen Eltern nicht gezwungen werden, ihr Kind psychologisch begutachten zu lassen. Es kann jedoch im Interesse der Eltern und vor allem des Kindes sein, eine solche Diagnose zusätzlich zu der des betreuenden Kinderarztes durchführen zu lassen. Psychologische Gutachten nehmen dieselbe Rolle ein wie die zu Frage 10 angesprochenen medizinischen Bewertungen. Frage 12: Hat das Attest des das Kind kennende und betreuenden Kinderarztes eine höhere Bedeutung, als ein externes Gutachten einer/eines Einrichtung/Arztes, die/der das Kind nicht kennt? Zu Frage 12: Diese Frage ist nicht allgemein und abstrakt zu beantworten. Das Jugendamt bestimmt die Anforderungen an Gutachten. Frage 13: Welche Anforderungen sind an ein externes Gutachten zur Feststellung oder dem Ausschluss eines besonderen Bedarfs eines Kindes zu stellen? Reicht ein Gutachten nach Aktenlage? Zu Frage 13: Auch hierauf gibt es keine allgemeine und abstrakte Antwort.