Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2407 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 935 der Abgeordneten Kerstin Kircheis SPD-Fraktion Drucksache 6/2179 Wahrnehmung künftiger kreislicher Aufgaben in eigener Zuständigkeit durch bislang kreisfreie, künftig kreisangehörige Städte Wortlaut der Kleinen Anfrage Nr. 935 vom 29.07.2015: Im Vorschlag des Ministers des Innern und für Kommunales für den Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 (Drucksache 6/1788) wird unter 5.2 ausgeführt: „Die bislang kreisfreien, künftig kreisangehörigen Städte sollen als Oberzentren gestärkt werden. Sie sollen auch künftig kreisliche Aufgaben in eigener Zuständigkeit wahrnehmen können, wenn diese Leistungen regelmäßig bürgernah zu erbringen und prägend für das urbane Leben sind.“ Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um bejahen zu können, dass eine Leistung a) regelmäßig bürgernah zu erbringen und b) prägend für das urbane Leben ist? 2. Sind die unter Nr. 1 genannten Voraussetzungen bei folgenden Aufgaben erfüllt ? 1. Trägerschaft der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung im übrigen öffentlichen Personennahverkehr einschließlich des Ausbildungsverkehrs (§ 3 Abs. 3 ÖPNV-Gesetz), 2. Trägerschaft der Schülerbeförderung (§ 112 Brandenburgisches Schulgesetz ), 3. Aufgaben der unteren Straßenverkehrsbehörde, 4. Trägerschaft des bodengebundenen Rettungsdienstes (§ 6 Abs. 1 Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz), 5. Trägerschaft einer integrierten Regionalleitstelle für den Brandschutz, den Rettungsdienst und den Katastrophenschutz, 6. Trägerschaft von Oberschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Oberstufenzentren und Schulen des zweiten Bildungsweges, 7. Aufgaben der unteren Naturschutzbehörde, 8. Aufgaben der unteren Denkmalschutzbehörde, 9. Aufgaben der unteren Wasserbehörde, 10. Aufgaben beim Vollzug des Wohngeldgesetzes, 11. Aufgaben des örtliche Trägers der Sozialhilfe (SGB XII, AG-SGB XII), 12. Aufgabe der Sicherstellung der Krankenversorgung in Krankenhäusern (§ 1 Abs. 2 Brandenburgisches Krankenhausentwicklungsgesetz), 13. Trägerschaft des öffentlichen Gesundheitsdienstes, 14. Aufgaben des örtlichen Trägers der Jugendhilfe, 15. Aufgaben der Katasterbehörde, 16. Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde, 17. Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger im Sinne des § 13 Abs. 1 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (§ 2 Abs. 1 Brandenburgisches Abfall- und Bodenschutzgesetz), 18. Aufgaben der Aufnahme und vorläufigen Unterbringung von Spätaussiedlern und ausländischen Flüchtlingen sowie die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie 19. Aufgaben der örtlichen Betreuungsbehörde. 3. Soll nach den Vorstellungen der Landesregierung die Wahrnehmung künftiger Kreisaufgaben in eigener Zuständigkeit in das Ermessen der bislang kreisfreien und künftig kreisangehörigen Städte gestellt werden oder sollen alle einzukreisenden bislang kreisfreien Städte diese Aufgaben weiter erfüllen? 4. Ist für jede einzelne Aufgabe ein Antrag von den bislang kreisfreien, künftig kreisangehörigen Städten zu stellen? 5. Werden in dem Verfahren Stellungnahmen der Landkreise eingeholt und welches Gewicht sollen diese Stellungnahmen haben? 6. Wie können die neuen Landkreise vom Land Brandenburg künftig verpflichtet werden, die bislang kreisfreien, künftig kreisangehörigen Städte für die künftige Wahrnehmung kreislicher Aufgaben in eigener Zuständigkeit bei der Festsetzung der Kreisumlage (differenzierte Kreisumlage) zu entlasten? 7. Eröffnet das strikte Konnexitätsprinzip der Landesverfassung den bislang kreisfreien und künftig kreisangehörigen Städten, in dem Fall, dass diese nach Maßgabe des Leitbildentwurfs Kreisaufgaben in eigener Zuständigkeit erfüllen, einen eigenen Anspruch auf vollständige Kostenerstattung gegen das Land Brandenburg? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Der Verwaltungsstrukturreform ist ein Leitbild zugrunde zu legen. Die Landesregierung hat dem Landtag einen Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 vorgelegt. Das Leitbild soll eine hohe demokratische Legitimation besitzen. Daher soll im Rahmen eines breiten öffentlichen Dialogs dieser Entwurf mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen, Verbänden, der Wirtschaft sowie Interessenvertretern diskutiert werden. Dies ist ein ergebnisoffener Prozess. Im Anschluss wird der Landtag über den Leitbildentwurf entscheiden. Frage 1: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um bejahen zu können, dass eine Leistung a) regelmäßig bürgernah zu erbringen und b) prägend für das urbane Leben ist? Frage 2: Sind die unter Nr. 1 genannten Voraussetzungen bei folgenden Aufgaben erfüllt? 1. Trägerschaft der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung im Übrigen öffentlichen Personennahverkehr einschließlich des Ausbildungsverkehrs (§ 3 Abs. 3 ÖPNV-Gesetz), 2. Trägerschaft der Schülerbeförderung (§ 112 Brandenburgisches Schulgesetz), 3. Aufgaben der unteren Straßenverkehrsbehörde, 4. Trägerschaft des bodengebundenen Rettungsdienstes (§ 6 Abs. 1 Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz), 5. Trägerschaft einer integrierten Regionalleitstelle für den Brandschutz, den Rettungsdienst und den Katastrophenschutz, 6. Trägerschaft von Oberschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Oberstufenzentren und Schulen des zweiten Bildungsweges, 7. Aufgaben der unteren Naturschutzbehörde, 8. Aufgaben der unteren Denkmalschutzbehörde, 9. Aufgaben der unteren Wasserbehörde, 10. Aufgaben beim Vollzug des Wohngeldgesetzes, 11. Aufgaben des örtliche Trägers der Sozialhilfe (SGB XII, AG-SGB XII), 12. Aufgabe der Sicherstellung der Krankenversorgung in Krankenhäusern (§ 1 Abs. 2 Brandenburgisches Krankenhausentwicklungsgesetz), 13. Trägerschaft des öffentlichen Gesundheitsdienstes, 14. Aufgaben des örtlichen Trägers der Jugendhilfe, 15. Aufgaben der Katasterbehörde, 16. Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde, 17. Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger im Sinne des § 13 Abs. 1 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (§ 2 Abs. 1 Brandenburgisches Abfallund Bodenschutzgesetz), 18. Aufgaben der Aufnahme und vorläufigen Unterbringung von Spätaussiedlern und ausländischen Flüchtlingen sowie die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie 19. Aufgaben der örtlichen Betreuungsbehörde. zu den Fragen 1 und 2: Ziel der Verwaltungsstrukturreform ist es, die Fähigkeiten der öffentlichen Aufgabenträger im Land nicht nur zu erhalten, sondern sie angesichts der bestehenden und künftigen Herausforderungen noch zu stärken. Dabei kommt es darauf an, dass formale Strukturen entstehen, die es ermöglichen, öffentliche Leistungen effizient zu erbringen. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass die öffentlichen Leistungen bürgernah und bürgerfreundlich erbracht werden. Dies gilt auch für die Entscheidung, ob bislang kreisfreie, künftig kreisangehörige Städte als Oberzentrum kreisliche Aufgaben in eigener Zuständigkeit wahrnehmen können. Im vorliegenden Leitbildentwurf wird vorgeschlagen, dass künftige kreisangehörige Städte als Oberzentren „auch künftig kreisliche Aufgaben in eigener Zuständigkeit wahrnehmen können, wenn diese Leistungen regelmäßig bürgernah zu erbringen und prägend für das urbane Leben sind“. Der Aufgabenbestand soll sich an den tatsächlichen Bedürfnissen und Problemen der Bürger orientieren (bürgernah). Zudem soll es sich um Aufgaben handeln, die eine ausgeprägte örtliche Bedeutung haben (prägend für das urbane Leben) bzw. die im Hinblick auf ihre inhaltliche Gestaltung Spielräume eröffnen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Ein möglicher Ansatz könnten die Aufgabenbestände der bestehenden großen kreisangehörigen Städte, welche – in unterschiedlicher Ausprägung – bereits heute kreisliche Aufgaben wahrnehmen, sein. Der künftige Aufgabenbestand von kreisangehörigen Oberzentren bedarf zuerst einer entsprechenden Konkretisierung und ist darum Diskussi- onsbestandteil des laufenden breiten öffentlichen Dialogs. Eine Aussage zu einzelnen Aufgaben zum jetzigen Zeitpunkt wäre eine Vorwegnahme des Dialogs. Frage 3: Soll nach den Vorstellungen der Landesregierung die Wahrnehmung künftiger Kreisaufgaben in eigener Zuständigkeit in das Ermessen der bislang kreisfreien und künftig kreisangehörigen Städte gestellt werden oder sollen alle einzukreisenden bislang kreisfreien Städte diese Aufgaben weiter erfüllen? Frage 4: Ist für jede einzelne Aufgabe ein Antrag von den bislang kreisfreien, künftig kreisangehörigen Städten zu stellen? Frage 5: Werden in dem Verfahren Stellungnahmen der Landkreise eingeholt und welches Gewicht sollen diese Stellungnahmen haben? zu den Fragen 3, 4 und 5: Der konkrete Aufgabenbestand von künftig kreisangehörigen Oberzentren sowie die Form bzw. das Verfahren zur Aufgabenübertragung / des Aufgabenverbleibs sind noch nicht festgelegt. Hierzu dient insbesondere der breite öffentliche Dialog zum Leitbildentwurf. Frage 6: Wie können die neuen Landkreise vom Land Brandenburg künftig verpflichtet werden, die bislang kreisfreien, künftig kreisangehörigen Städte für die künftige Wahrnehmung kreislicher Aufgaben in eigener Zuständigkeit bei der Festsetzung der Kreisumlage (differenzierte Kreisumlage) zu entlasten? zu Frage 6: Gemäß § 130 Abs. 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg kann der Kreistag für einen solchen Fall eine Minderbelastung der früheren kreisfreien Stadt in Form einer differenzierten Kreisumlage beschließen, wenn der Landkreis durch die Aufgabenwahrnehmung der betroffenen Stadt entlastet wird. Da es sich um eine Kann-Bestimmung handelt, ist dem Kreistag ein weiter Ermessens- und Entscheidungsspielraum eingeräumt. Frage 7: Eröffnet das strikte Konnexitätsprinzip der Landesverfassung den bislang kreisfreien und künftig kreisangehörigen Städten, in dem Fall, dass diese nach Maßgabe des Leitbildentwurfs Kreisaufgaben in eigener Zuständigkeit erfüllen, einen eigenen Anspruch auf vollständige Kostenerstattung gegen das Land Brandenburg? zu Frage 7: Die Einschlägigkeit des strikten Konnexitätsprinzips ist grundsätzlich zu bejahen, wenn das Land Gemeinden – also auch ehemals kreisfreie Städte – durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zur Erfüllung bisheriger „Kreisaufgaben“ (= Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Landkreise derzeit verpflichtet sind) verpflichten würde. Daraus folgt, dass das Land gem. Art. 97 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Verfassung des Landes Brandenburg eine Kostenregelung schaffen müsste, die jeder betroffenen Gemeinde die realistische Möglichkeit eines vollständigen Ausgleichs der verursachten Mehrbelastungen bietet.