Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2606 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1025 der Abgeordneten Roswitha Schier und Kristy Augustin der CDU-Fraktion Drucksache 6/2375 Gewalt in der Pflege Wortlaut der Kleinen Anfrage 1025 vom 21.08.2015: Ältere hilfsbedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderungen, die ambulant, stationär oder privat gepflegt werden, sind besonders schutzlos und können leicht zu Opfern von unterschiedlich ausgeprägter physischer und psychischer Gewalt werden . Da sich pflegebedürftige Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, sind sie dieser Gewalt meist schutzlos ausgesetzt. In der Großen Anfrage „Seniorinnen und Senioren im Land Brandenburg“ aus dem Jahr 2010 wurde in der Antwort auf die Frage nach Gewalt in der Pflege ausgeführt, dass im Rahmen der Pflegeinitiative Brandenburg das gemeinsam von der AOK Brandenburg und dem Diakonischen Werk Potsdam e. V. getragene Projekt „Pflege in Not Brandenburg“ initiiert wurde und am 01. Juni 2008 die Arbeit aufgenommen hat. Aufgabe der Beratungsund Beschwerdestelle bei Konflikt und Gewalt in der Pflege älterer Menschen in Trägerschaft des Diakonischen Werks Potsdam e. V. sollte nicht nur die Beratung von pflegebedürftigen Menschen, pflegenden Angehörigen und professionell Pflegenden, sondern auch die Beratung von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sein. Es wurde angekündigt, Informationsveranstaltungen und Schulungen für professionelle Pflegekräfte durchzuführen und bei Bedarf eine Begleitung zur Lösung von Konflikten und Gewaltsituationen anzubieten. Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie oft kam es seit 2010 zu häuslicher Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Behinderungen durch Familienangehörige oder ambulante Pflegedienste? 2. Wie viele pflegebedürftige ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen wurden seit 2010 in Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen Opfer physischer oder psychischer Gewalt? 3. Wie bewertet die Landesregierung den Erfolg des Projektes „Pflege in Not Brandenburg“? 4. Wie viele Informationsveranstaltungen und Schulungen für professionelle Pflegekräfte wurden seit 2010 durchgeführt? 5. Wie viele Einrichtungen in welcher Trägerschaft haben sich an den Schulungen beteiligt? (bitte aufgeschlüsselt nach ambulanten und stationären Einrichtungen ) 6. Welche neuen Ansätze verfolgt die Landesregierung, um Gewalt gegenüber pflegebedürftigen älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen weiter einzudämmen? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit , Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie oft kam es seit 2010 zu häuslicher Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Behinderungen durch Familienangehörige oder ambulante Pflegedienste? zu Frage 1: Der Begriff der „Gewalt in der Pflege“ ist rechtlich nicht definiert. Allgemein werden unter dem Begriff über strafrechtlich relevante Gewaltformen hinaus auch z. B. Vernachlässigung , Einschüchterung, Missachtung von Wünschen und Bedürfnissen, Verletzung der Intimsphäre, aber auch die aus Ungeduld übernommene Tätigkeit, die von der pflegebedürftigen Person selbst ausgeführt werden könnte, verstanden. Die über strafrechtlich relevante Gewaltformen hinausgehenden Vorkommnisse kommen in der Regel staatlichen Stellen nicht zur Kenntnis. In den polizeilichen Auskunftssystemen werden die Opfer-/Geschädigtenangaben nur nach Geschlecht und Altersgruppen (Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene) und Nationalität unterschieden. Ein Merkmal „Pflegebedürftigkeit“ wird dabei nicht erfasst. Frage 2: Wie viele pflegebedürftige ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen wurden seit 2010 in Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen Opfer physischer oder psychischer Gewalt? zu Frage 2: In der Antwort zu Frage 1 ist die Breite des Begriffs der Gewalt in der Pflege dargelegt . Es ist davon auszugehen, dass nur ein Teil der Gewaltvorfälle den Einrichtungsleitungen bekannt werden. Nach § 18 des Brandenburgischen Pflege- und Betreuungswohngesetzes sind durch den Träger einer unterstützenden Wohnform besondere Vorkommnisse, hierzu zählen auch Gewaltvorkommnisse bzw. Straftaten, der Aufsicht für unterstützende Wohnformen (AuW) im Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV) mitzuteilen. Dabei geht es um physische Gewalt und gravierende Formen psychischer Gewalt. In den Jahren von 2013 bis 2015 wurden der AuW insgesamt 24 Gewaltvorkommnisse gemeldet. In elf Fällen ging die Gewalt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Leistungserbringer aus. In 12 Fällen gingen Übergriffe von Bewohnerinnen und Be- wohnern aus. In einem Fall konnte nicht geklärt werden, von wem die Gewalt ausging . Frage 3: Wie bewertet die Landesregierung den Erfolg des Projektes „Pflege in Not Brandenburg“? zu Frage 3: „Pflege in Not“ (PiN) wurde im Jahr 2008 mit Unterstützung des Landes Brandenburg als ein Projekt der Pflegeinitiative aufgebaut. In der Folgezeit etablierte sich PiN als Beratungsstelle und als telefonisches Beratungsangebot für alle an Pflege beteiligten Personen. Geschulte Ehrenamtliche unterstützen dabei die Tätigkeit der zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen. Die Mitarbeiterinnen bieten insbesondere Menschen, die zu Hause gepflegt werden oder selber pflegen, Hilfen in Konfliktsituationen, denn sie verfügen über spezifische Kompetenzen in den Bereichen Mediation, Coaching, Supervision und können so, wenn es durch Überlastung oder andere Schwierigkeiten zu Problemen, auch Gewalt , in der Pflege kommt, Eskalationen verhindern helfen und zur Klärung konflikthafter Situationen beitragen. PiN gibt darüber hinaus auch professionellen Pflegekräften Unterstützung bei der Lösung von Konflikten mit Gepflegten bzw. deren Angehörigen sowie bei Teamentwicklungsprozessen. Aus Sicht des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) war eine Weiterentwicklung von PiN zu einem Landeskompetenzzentrum gegen Gewalt in der Pflege und zur Vorbeugung von Überforderung und Lösung von Konflikten in der Pflege erforderlich. Das überarbeitete Konzept wird seit Oktober 2014 umgesetzt. So soll die Kooperation u. a. mit den Pflegestützpunkten und den bestehenden Demenzberatungsstellen weiter intensiviert werden. Es sollen z. B. vor Ort spezielle Sprechstunden angeboten und bei regional relevanten Veranstaltungen unterstützend mitgewirkt werden, um das Thema Gewalt in der Pflege verstärkt bekanntzumachen . Die Landesregierung begrüßt diese Neuausrichtung, da mit dem dezentralen Ansatz einer Einbindung der örtlichen Beratungsstrukturen diese von dem fachlichen Know-how von PiN profitieren und zugleich die spezifischen Unterstützungsangebote von PiN landesweit besser als bisher erreichbar werden. Die Landesregierung unterstützt und fördert im Rahmen ihrer Möglichkeiten die beschriebene Arbeit von PiN. Frage 4: Wie viele Informationsveranstaltungen und Schulungen für professionelle Pflegekräfte wurden seit 2010 durchgeführt? zu Frage 4: Es liegen Zahlen ab dem Jahr 2011 vor. Insgesamt wurden seit Januar 2011 bis heute 45 Schulungen professioneller Pflegekräfte durchgeführt; zehn weitere sind für 2015 eingeplant. Insgesamt stellte sich PiN seit Januar 2011 zu 98 Anlässen vor, elf weitere Vorstellungstermine sind für das Jahr 2015 eingeplant. Im Rahmen von insgesamt 96 Anlässen zu Netzwerkaustausch bzw. Netzwerkmitarbeit informierte PiN über sein Angebot, für 2015 sind hierfür weitere zehn Termine eingeplant. Frage 5: Wie viele Einrichtungen in welcher Trägerschaft haben sich an den Schulungen beteiligt? (bitte aufgeschlüsselt nach ambulanten und stationären Einrichtungen ) zu Frage 5: Seit dem Jahr 2011 wurden durch PiN insgesamt 59 Schulungen durchgeführt. Davon elf nur für ambulante Einrichtungen, 18 nur für stationäre Einrichtungen, neun für ambulante und stationäre Einrichtungen, 17 für sonstige Organisationsformen, vier für ambulante und stationäre Einrichtungen sowie sonstige Organisationen. Die Träger der Einrichtungen, für deren Personal Schulungen durchgeführt wurden, kamen überwiegend aus der Wohlfahrtspflege, aber auch Kliniken und private Pflegedienstleister nutzten das Schulungsangebot von PiN. Frage 6: Welche neuen Ansätze verfolgt die Landesregierung, um Gewalt gegenüber pflegebedürftigen älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen weiter einzudämmen ? zu Frage 6: Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderung stehen in der Regel im Kontext von Pflege- und Betreuungsaufgaben und sind zumeist Ausdruck von persönlicher Überforderung. Insbesondere in Bezug auf häusliche Situationen steht daher an erster Stelle die Beratung, Begleitung und Entlastung pflegender und betreuender Angehöriger. Entsprechend der Landtagsbeschlüsse „Pflege als Zukunftsthema in unserer Verantwortung“ vom 25.06.2014 (Drucksache 5/9286- B) sowie „Pflegeoffensive für eine Verantwortungsvolle pflegerische Versorgung im Land Brandenburg auch in der Zukunft“ vom 17.12.2014 (Drucksache 6/248-B) ist dieser Ansatz ein Schwerpunkt der Pflegeoffensive des Landes Brandenburg. Pflegebedürftige und Menschen mit schweren Behinderungen sind auf Hilfe angewiesen und befinden sich dadurch insbesondere in Einrichtungen häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die im Rahmen des Heimrechts bestehenden ordnungsrechtlichen Mittel werden konsequent genutzt, sie reichen aber nicht aus. Notwendig sind darüber hinaus präventiv wirkende Ansätze. Das zwischen Einrichtung und Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnstätten bestehende Machtgefälle ist insbesondere dann problematisch, wenn nicht etwa durch Angehörige, Ehrenamtliche, Nachbarn oder Ärzte der alltägliche Umgang wahrgenommen und bei Bedarf kritisch angesprochen wird. In Bezug auf Pflege und Betreuung in Einrichtungen steht neben dem Abbau von Überforderung die Öffnung der Einrichtungen. Weiter müssen Strategien entwickelt werden, die auf personaler und struktureller Ebene wirken. In der Auseinandersetzung mit den Themen Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern vor sexualisierter Gewalt und Handlungsmöglichkeiten der behördlichen Aufsicht hat das LASV hierzu gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten von pro familia, Weibernetz e.V., MASGF, dem Beauftragten der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen sowie aus Einrichtungen und von Trägern von Einrichtungen ein Eckpunktepapier mit Maßnahmen erarbeitet, das im Herbst 2015 veröffentlicht werden soll. Es soll zukünftig der AuW als Beratungsgrundlage , den Einrichtungen als Arbeitsinstrument und den Kostenträgern als Vertragsgrundlage zur Verfügung stehen.