Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2702 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1068 der Abgeordneten Birgit Bessin der AfD-Fraktion Drucksache 6/2473 „Abiturientenquote bleibt durch G8 unverändert“ Wortlaut der Kleinen Anfrage 1068 vom 04.09.2015: Im DIW Wochenbericht 18/2015 wird auf die G8-Reform bzgl. der Schulzeitverkürzung Stellung genommen. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bildung und Familie am DIW erklärt, dass herausgefunden wurde, dass mit der Einführung von G8 das Abiturientenalter im Durchschnitt um 10 Monate gesenkt wurde, also nicht dem Potential von einem vollen Jahr wie gehofft. Die Ursache liegt darin, dass sich im Laufe der Gymnasialschulzeit die Klassenwiederholung erhöht hat. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung diese Reform? 2. Wie hat sich die Klassenwiederholung in den vergangenen 10 Jahren entwickelt? Bitte je Klassenstufe und Schulform aufzeigen. 3. Wie ist insbesondere die Entwicklung der Oberstufe zu bewerten? 4. Gibt es unterschiedliche Entwicklungen zwischen Jungen und Mädchen, und worauf sind diese Unterschiede ggf. zurückzuführen? 5. Wo sieht die Landesregierung die Vor- und Nachteile der Reform? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung diese Reform? Zu Frage 1: Die Einführung der Schulzeitverkürzung im Land Brandenburg an den Gymnasien, wodurch in dieser Schulform die Allgemeine Hochschulreife – nach zuvor insgesamt 13 Schuljahren – nunmehr in insgesamt 12 Schuljahren erworben werden kann, wird als positiv bewertet. Frage 2: Wie hat sich die Klassenwiederholung in den vergangenen 10 Jahren entwickelt? Bitte je Klassenstufe und Schulform aufzeigen. Zu Frage 2: Die folgende erste Übersicht weist die Wiederholer aus. Hier wird nur die Schulform des Gymnasiums berücksichtigt, weil nur am Gymnasium ab dem Schuljahr 2006/2007 die Verkürzung des Bildungsgangs auf 12 Jahre bis zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife eingeführt wurde. Tabelle 1: Nichtversetzte oder freiwillige Wiederholung an Gymnasien in öffentlicher und freier Trägerschaft in der Sekundarstufe I nach Jahrgangsstufen von Schuljahr 2004/2005 bis Schuljahr 2009/2010 Jahrgangsstuf e Wiederholung 2004/200 5 2005/200 6 2006/200 7 2007/200 8 2008/200 9 2009/201 0 abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % 7 18 0,2 27 0,4 13 0,2 27 0,4 22 0,3 24 0,3 8 42 0,4 40 0,5 33 0,6 39 0,7 45 0,8 56 0,8 9 92 0,9 81 0,7 71 0,8 85 1,3 65 1,1 70 1,0 10 110 1,0 74 0,7 84 0,8 68 0,8 65 1,0 31 0,6 Gesamt 262 0,6 222 0,6 201 0,6 219 0,8 197 0,8 181 0,7 Datengrundlage: Schuldatenerhebung des MBJS Tabelle 2: Nichtversetzte oder freiwillige Wiederholung an Gymnasien in öffentlicher und freier Trägerschaft in der Sekundarstufe I nach Jahrgangsstufen von Schuljahr 2010/2011 bis Schuljahr 2014/2015 Jahrgangsstufe Wiederholung 2010/2011 2011/2012 2012/2013 2013/2014 2014/2015 abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % 7 25 0,3 36 0,4 35 0,4 25 0,3 41 0,5 8 48 0,6 47 0,6 51 0,5 106 1,2 91 1,0 9 58 0,8 58 0,7 73 0,9 118 1,2 155 1,7 10 122 1,8 68 0,9 92 1,1 140 1,6 125 1,3 Gesamt 253 0,8 209 0,6 251 0,7 389 1,1 412 1,1 Datengrundlage: Schuldatenerhebung des MBJS Die nachfolgende Übersicht weist die Wiederholer in der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien, Gesamtschulen und beruflichen Gymnasien in öffentlicher und freier Trägerschaft aus. Für die Schuljahre 2010/2011 bis 2012/2013 werden aus folgendem Grund keine Daten angegeben: Im Schuljahr 2010/2011 erreichten erstmalig Schülerinnen und Schüler mit einer 12- jährigen Schulbesuchsdauer die Jahrgangsstufe 11 am Gymnasium. Wegen der Parallelität von Schülerinnen und Schülern mit 12 oder 13 Schulbesuchsjahren an den Gymnasien und verstärktem Schulformwechsel in der gymnasialen Oberstufe sind die Daten für die Schuljahre 2010/2011 bis 2012/2013 nicht aussagefähig und werden deshalb nicht veröffentlicht. Ab dem Schuljahr 2013/2014 wurde die Definition für die Wiederholer den neuen Gegebenheiten angepasst. Tabelle 3: Wiederholung in der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien, Gesamtschulen und beruflichen Gymnasien in öffentlicher und freier Trägerschaft von Schuljahr 2004/2005 bis Schuljahr 2009/2010 Wiederholung 2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008 2008/2009 2009/2010 abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % Jahrgangsstufe 11 Gesamtschule 139 4,6 169 5,2 128 4,6 131 4,7 88 4,3 77 5,6 Gymnasium 218 2,1 251 2,4 260 2,5 295 2,6 228 2,5 169 2,6 Berufl. Gymn. 102 6,4 176 10,3 177 10,7 161 9,4 160 11,7 120 12,4 Gesamt 459 3,1 596 3,9 565 3,8 587 3,7 476 3,8 366 4,1 Jahrgangsstufe 12 Gesamtschule 52 2,0 42 1,6 84 3,0 57 2,3 36 1,4 46 2,5 Gymnasium 80 0,9 86 0,9 95 1,0 88 0,9 98 0,9 72 0,9 Berufl. Gymn. 85 6,5 78 5,8 106 7,3 86 6,1 69 4,9 55 5,0 Gesamt 217 1,7 206 1,5 285 2,1 231 1,7 203 1,4 173 1,5 Jahrgangsstufe 13 Gesamtschule 38 1,5 65 2,8 41 1,7 51 2,0 37 1,7 40 1,7 Gymnasium 79 0,9 113 1,3 77 0,8 75 0,8 55 0,6 68 0,7 Berufl. Gymn. 74 5,3 131 10,8 92 7,3 85 6,1 68 5,3 35 2,7 Gesamt 191 1,5 309 2,5 210 1,6 211 1,6 160 1,2 143 1,0 Gymnasiale Oberstufe Gesamtschule 229 2,8 276 3,4 253 3,2 239 3,1 161 2,4 163 2,9 Gymnasium 377 1,3 450 1,6 432 1,5 458 1,5 381 1,3 309 1,2 Berufl. Gymn. 261 6,1 385 9,0 375 8,6 332 7,3 297 7,3 210 6,2 Gesamt 867 2,1 1111 2,7 1060 2,5 1029 2,4 839 2,1 682 2,0 Datengrundlage: Schuldatenerhebung des MBJS Tabelle 4: Wiederholung in der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien, Gesamtschulen und beruflichen Gymnasien in öffentlicher und freier Trägerschaft von Schuljahr 2010/2011 bis Schuljahr 2014/2015 Wiederholung 2010/2011 2011/2012 2012/2013 2013/2014 2014/2015 abs. % abs. % abs. % abs. % abs. % Jahrgangsstufe 11 Gesamtschule - - - - - - 66 3,6 79 4,1 Gymnasium - - - - - - 393 5,2 492 6,2 Berufl. Gymn. - - - - - - 68 5,0 92 6,1 Gesamt - - - - - - 527 4,9 663 5,9 Jahrgangsstufe 12 Gesamtschul - - - - - - 68 4,6 84 5,0 e Gymnasium - - - - - - 41 0,7 81 1,2 Berufl. Gymn. - - - - - - 45 4,2 73 5,9 Gesamt - - - - - - 154 1,8 238 2.5 Jahrgangsstufe 13 Gesamtschul e - - - - - - 19 1,8 33 2,6 Gymnasium - - - - - - - - - - Berufl. Gymn. - - - - - - 9 1,2 24 2,6 Gesamt - - - - - - 28 1,6 57 2.6 Gymnasiale Oberstufe Gesamtschul e - - - - - - 153 3,5 196 4,0 Gymnasium - - - - - - 434 3,2 573 3,9 Berufl. Gymn. - - - - - - 122 3,8 189 5,1 Gesamt - - - - - - 709 3,4 958 4.2 Datengrundlage: Schuldatenerhebung des MBJS Frage 3: Wie ist insbesondere die Entwicklung der Oberstufe zu bewerten? Zu Frage 3: Die Ergebnisse der Abiturverfahren seit dem Schuljahr 2011/2012 haben keine Hinweise darauf gegeben, dass sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler gegenüber dem 13-jährigen Bildungsgang verschlechterten. Die erhöhte Zahl der Wiederholungen in der Jahrgangsstufe 11 am Gymnasium in den Schuljahren 2013/2014 und 2014/2015 gegenüber den Schuljahren 2004/2005 bis 2009/2010 begründet sich im Rahmen der Schulzeitverkürzung mit dem Beginn der gymnasialen Oberstufe in der Jahrgangsstufe 11. Vor der Schulzeitverkürzung konnte in der Jahrgangsstufe 11 – der Einführungsphase in die gymnasiale Oberstufe – die Zeit für die Vorbereitung auf die erhöhten Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe genutzt werden. Frage 4: Gibt es unterschiedliche Entwicklungen zwischen Jungen und Mädchen, und worauf sind diese Unterschiede ggf. zurückzuführen? Zu Frage 4: Jungen und Mädchen zeigen, wie in allen Ländern der Bundesrepublik und auch europaweit, im Land Brandenburg in den Abiturdurchschnittsnoten unterschiedliche Ergebnisse: Diese differieren über einen Zeitraum zwischen 2005 und 2015 um 0,2 %-Punkte voneinander; Mädchen erbringen im Durchschnitt die etwas besseren Leistungen. Diese Differenz zwischen den Geschlechtern bleibt gleich, auch wenn die Abiturdurchschnittsnote aller Prüflinge in diesem Zeitraum zwischen 2,5 und 2,3 schwankt. Ein Zusammenhang mit der Verkürzung des Bildungsgangs am Gymnasium ist nicht erkennbar. Der Befund, dass Mädchen bessere Schulleistungen als Jungen zeigen bzw. zumindest bessere Schulnoten als Jungen erhalten, lässt sich bis vor 100 Jahren stabil zurückverfolgen, wie in einer am 07.09.2015 bekanntgewordenen Studie des Bildungsforschers Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) mitgeteilt wird: „Dass Jungen schlechter in der Schule abschneiden, führt der WZB-Forscher auf Unterschiede in der Leistungsbereitschaft zurück. Mädchen seien oft disziplinierter und fleißiger, was sich in besseren Noten niederschlage. Das Problem: Fleißig zu sein, gilt unter Jungs als uncool. ‚Sich für gute schulische Leistungen anzustrengen und sich selbst zu disziplinieren, passt nicht in das geschlechtstypische Konzept von Männlichkeit‘, erklärt Helbig. Ob und wie Schule an diesem Rollenverhalten etwas ändern kann, ist für den Forscher eine offene Frage.“ (WZB, Pressemitteilung vom 07.09.2015). Frage 5: Wo sieht die Landesregierung die Vor- und Nachteile der Reform? Zu Frage 5: Die Landesregierung kann bisher keine Nachteile der Bildungsgangverkürzung am Gymnasium erkennen. Inwieweit diese Bildungsgangverkürzung die Vorteile bringt, die den damaligen Gründen ihrer Einführung entsprechen, z. B. dahingehend, dass das bisher vergleichsweise hohe Alter der deutschen Hochschulabsolventen sinkt und sich dadurch deren Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer bzw. internationaler Ebene verbessert, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden.